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Therapierelevante kognitive Leistungsfähigkeit bei Patienten mit Typ-2-Diabetes

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(1)

T HERAPIERELEVANTE KOGNITIVE L EISTUNGSFÄHIG- KEIT BEI P ATIENTEN MIT T YP 2 D IABETES

Wissenschaftliche Arbeit

zur Erlangung des Grades einer Diplom-Psychologin im Fachbereich Psychologie

der Universität Konstanz

vorgelegt von

Hannah Rittmeier

Erstgutachterin: Professorin Dr. Brigitte Rockstroh Zweitgutachter: Privat-Dozent Dr. Norbert Hermanns

Konstanz, im Dezember 2003

(2)

I

NHALTSVERZEICHNIS

1 EINLEITUNG...5

2 THEORETISCHER HINTERGRUND...7

2.1 MEDIZINISCHE GRUNDLAGEN DES DIABETES MELLITUS...7

2.1.1 PRÄVALENZ,ÄTIOLOGIE UND PATHOPHYSIOLOGIE DES DIABETES MELLITUS TYP 2 ...7

2.1.2 FOLGEERKRANKUNGEN...9

2.1.3 THERAPIEZIELE UND -FORMEN...10

2.1.4 STELLENWERT DER PATIENTENSCHULUNG...13

2.2 TYP-2-DIABETES UND KOGNITIVE FUNKTIONEN...14

2.2.1 KOGNITIVE FUNKTIONEN IM ALTER...14

2.2.2 STUDIEN ZU TYP-2-DIABETES UND KOGNITIVEN BEEINTRÄCHTIGUNGEN...16

2.2.3 TYP-2-DIABETES, KOGNITIVE LEISTUNGSFÄHIGKEIT UND SELBSTBEHANDLUNGSVERHALTEN...20

2.2.3.1 Einfluss kognitiver Beeinträchtigungen auf das Selbstbehandlungsverhalten...22

2.2.3.2 Klinische Konsequenz...23

2.2.4 KRITISCHE WÜRDIGUNG DER BEFUNDLAGE...25

2.3 FRAGESTELLUNGEN...27

3 METHODEN ...29

3.1 ENTWICKLUNG DES SCREENINGINSTRUMENTS ZUR ERFASSUNG DER THERAPIERELEVANTEN KOGNITIVEN LEISTUNGSFÄHIGKEIT...31

3.1.1 ÜBERLEGUNGEN ZUR ENTWICKLUNG DES TESTS...31

3.1.2 ITEMSAMMLUNG UND VORVERSUCHSFASSUNG...31

3.1.3 ERSTE ERPROBUNG DES DIABSKILLS (VORUNTERSUCHUNG) ...34

3.1.4 FRAGESTELLUNGEN...34

3.1.5 ABLAUF DER VORUNTERSUCHUNG...35

3.1.6 ERGEBNISSE UND SCHLUSSFOLGERUNGEN...35

3.1.7 REVIDIERTE FORM DES DIABSKILLS...37

3.2 METHODIK DER HAUPTUNTERSUCHUNG...38

3.2.1 PATIENTENKOLLEKTIV...38

3.2.2 ABLAUF...39

3.3 ERFASSTE VARIABLEN...40

(3)

3.3.1 MEDIZINISCHE UND SOZIODEMOGRAPHISCHE BASISDATEN...40

3.3.2 PARAMETER DER KOGNITIVEN LEISTUNGSFÄHIGKEIT...40

3.3.2.1 DiabSkills...40

3.3.2.2 Hamburg-Wechsler-Intelligenz-Test für Erwachsene...40

3.3.2.3 DemTect...42

3.3.3 SELBSTBEHANDLUNGSASSOZIIERTE VARIABLEN...42

3.3.3.1 Güte der Stoffwechseleinstellung...42

3.3.3.2 Selbstbehandlungsverhalten ...43

3.3.3.3 Diabetes-Wissen...43

3.4 STATISTISCHE ANALYSEN...43

4 ERGEBNISSE...44

4.1 PATIENTENKOLLEKTIV...44

4.2 PSYCHOMETRISCHE ANALYSE DES DIABSKILLS...49

4.2.1 ITEM- UND RELIABILITÄTSANALYSE AUF SUBTESTEBENE...49

4.2.2 ITEM- UND RELIABILITÄTSANALYSE DES GESAMTINSTRUMENTS...54

4.3 VALIDITÄTSANALYSE DES DIABSKILLS...55

4.3.1 KONSTRUKTVALIDITÄT...55

4.3.2 INTERNE VALIDITÄT...57

4.4 PRÄDIKTION DES SELBSTBEHANDLUNGSVERHALTENS...60

4.5 DESKRIPTIVE ANALYSE...62

5 DISKUSSION ...64

5.1 DISKUSSION DER METHODIK DER GESAMTUNTERSUCHUNG...64

5.1.1 ZUSAMMENSETZUNG UND REPRÄSENTATIVITÄT DER STICHPROBE...64

5.1.2 OPERATIONALISIERUNG DER ERFASSTEN VARIABLEN...65

5.2 PSYCHOMETRISCHE GÜTE DES DIABSKILLS...67

5.2.1 RELIABILITÄT DES DIABSKILLS...67

5.2.2 VALIDIERUNG DES DIABSKILLS...68

5.3 VORHERSAGE DES SELBSTBEHANDLUNGSVERHALTENS...72

5.4 DESKRIPTIVE ANALYSE...73

5.5 AUSBLICK...74

6 ZUSAMMENFASSUNG...77

7 DANKSAGUNG...79

(4)

8 LITERATURVERZEICHNIS ...80

ANHANG...I A.VORVERSUCHS-VERSION DES DIABSKILLS...II B.DIABSKILLS -PROTOKOLLBOGEN... VIII C.PATIENTENINFORMATION...XIX D.EINVERSTÄNDNISERKLÄRUNG... XX E.DIABETES-SELBSTBEHANDLUNGSVERHALTEN... XXIII F.DIABETES-WISSENSTEST FÜR TYP-2-DIABETIKER, DIE INSULIN SPRITZEN...XXVI G.DIABETES-WISSENSTEST FÜR TYP-2-DIABETIKER, DIE NICHT INSULIN SPRITZEN.XXVIII H.ERGEBNIS DER ITEMANALYSE DES DIABSKILLS... XXX I.ERGEBNISSE DER REGRESSIONSANALYSEN... XXXII

(5)

1 E INLEITUNG

Mit der zunehmenden Prävalenz des Typ-2-Diabetes (Green, Hirsch & Pramming, 2003) gewinnt diese chronische Erkrankung eine immer größere Bedeutung sowohl im Bereich der behandlungsorientierten als auch präventiv ausgerichteten klinischen Ver- sorgung. Dabei spielen nicht nur medizinische Faktoren eine Rolle, sondern auch psy- chologisch und ökonomisch gilt es, die Situation der Typ-2-Diabetiker zu verbessern.

Eines der wichtigsten Ziele der Diabetestherapie ist dabei die Vermeidung langfristiger Komplikationen. Entscheidend dafür ist die aktive und eigenverantwortliche Umsetzung der meist komplexen Therapieanforderungen durch den Patienten selbst (Berger, 2000a). Grundlegende Voraussetzung dafür ist die Schulung des Patienten.

Typ-2-Diabetespatienten gehören jedoch zur Risikogruppe für kognitive Abbauprozes- se. Dies liegt zum einen daran, dass häufig ältere Personen von Typ-2-Diabetes betrof- fen sind (Geiss et al., 1993) und das Alter ein grundsätzlicher Risikofaktor für kognitive Abbauprozesse darstellt (z.B. Reischies & Lindenberger, 1999). Zum anderen zeigen bisherige Studien, dass kognitive Defizite bei Typ-2-Diabetes mellitus häufiger auftre- ten als bei nicht-diabetischen Kontrollgruppen (z.B. Elias et al., 1997; Gregg, Yaffe, et al., 2000; Ryan & Geckle, 2000), so dass auch der Diabetes per se als zusätzlicher Risi- kofaktor zu bewerten ist.

Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Patienten Probleme beim Verständnis der Schu- lung und Therapie sowie bei der Therapieumsetzung haben könnten, ist aufgrund des erhöhten Risikos für kognitive Funktionsbeeinträchtigungen verhältnismäßig groß. In einigen Studien konnte dieser Einfluss der kognitiven Funktionsfähigkeit auf das Selbstbehandlungsverhalten aufgezeigt werden (z.B. Sinclair, Girling & Bayer, 2000).

Des Weiteren existieren bereits Studien, die zeigen, dass das Therapieverhalten durch vorheriges Screening der kognitiven Leistungsfähigkeit und darauf aufbauender indivi- dueller Therapiezielplanung beeinflusst werden kann (Schiel et al., 2000).

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich deshalb mit den möglichen kognitiven Leis- tungskomponenten, die für das Verständnis der Patientenschulung und für die Durch- führung der Therapie eines Typ-2-Diabetespatienten relevant sein können.

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll vor diesem Hintergrund die kognitive Leis- tungsfähigkeit erfasst werden und deren Zusammenhang zum Selbstbehandlungsverhal-

(6)

ten an einer Stichprobe von Typ-2-Diabetespatienten untersucht werden. Dabei soll ein Screeninginstrument konzipiert werden, das die therapierelevante kognitive Leistungs- fähigkeit von Typ-2-Diabetespatienten erfasst, um für die Prognose und Ausarbeitung der Behandlungsstrategie ein möglichst individuelles Bild für jeden Patienten zu schaf- fen. Als Leitgedanken bei der Konzeption dieses Instruments spielen vor allem die Praktikabilität und Akzeptanz beim Patienten eine große Rolle. Das Screeninginstru- ment soll für Validierungszwecke mit anderen Messverfahren zur Erfassung kognitiver Leistung verglichen werden, es soll auf seine psychometrischen Eigenschaften überprüft werden und zur Vorhersage des Selbstbehandlungsverhaltens herangezogen werden.

Daneben werden die Zusammenhänge mit ausgewählten psychosozialen und diabetes- spezifischen Faktoren untersucht.

Die Arbeit beginnt in Kapitel 3 mit einem Überblick über die relevante Literatur zum Thema der Arbeit. Dabei werden zunächst die medizinischen Grundlagen des Typ-2- Diabetes dargestellt. Aktuelle Kenntnisse zu diabetischen Folgeerkrankungen sowie zur Therapie des Diabetes werden anschließend erläutert. Die medizinischen Aspekte wer- den nur knapp dargestellt, soweit dies zum Verständnis notwendig ist. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Fähigkeit des Patienten zur Selbstbehandlung. In diesem Zu- sammenhang wird besonders der Einfluss der kognitiven Leistungsfähigkeit auf das Selbstbehandlungsverhalten diskutiert. Auf der Grundlage dieser Ausführungen werden die spezifischen Fragestellungen der Arbeit abgeleitet.

Die Methodik, der Untersuchungsplan sowie die Entwicklung des Screeninginstruments zur Erfassung der therapierelevanten kognitiven Leistungsfähigkeit werden in Kapitel 4 dargestellt. In diesem Zusammenhang wird auf eine Voruntersuchung zur Überprüfung des Screeninginstruments eingegangen, deren Resultate in der Form des Screenin- ginstruments münden. Daneben werden weitere verwendete Instrumente sowie der Ab- lauf der Studie beschrieben. Die Ausführungen des methodischen Vorgehens schließen mit der Erläuterung der statistischen Prüfung der Untersuchungsfragen.

Die Ergebnisse der Hauptuntersuchung finden sich in Kapitel 5 neben einer testtheoreti- schen Überprüfung des Tests und einer Beschreibung der Charakteristika der Stichpro- be.

Die Ergebnisse der Hauptuntersuchung werden abschließend in Kapitel 6 interpretiert und im Hinblick auf die Bedeutung für die Praxis diskutiert. Hierbei werden auch kriti- sche Anmerkungen zur Studie und offene Fragen aufgezeigt.

Die in der Untersuchung verwendeten Fragebögen und Tests werden im Anhang der Arbeit ausführlich dargestellt.

(7)

2 T HEORETISCHER H INTERGRUND

Im vorliegenden Kapitel wird zunächst eine Einführung in die medizinischen Grundla- gen des Diabetes mellitus Typ 2 gegeben. Dabei wird kurz auf Epidemiologie, Ätiologie und Symptomatik der Erkrankung eingegangen. Anschließend wird die Problematik der so genannten diabetischen Folgeerkrankungen skizziert, sowie auf die Relevanz von Schulung und Wissen für die Umsetzung der Diabetestherapie hingewiesen. Des weite- ren wird der Zusammenhang von Typ-2-Diabetes und kognitiver Leistungsfähigkeit dargestellt sowie der Einfluss der kognitiven Leistungsfähigkeit auf das Selbstbehand- lungsverhalten beschrieben. Nach einer zusammenfassenden Beurteilung der Befundla- ge werden die Fragestellungen für die vorliegende Studie abgeleitet.

2.1 M

EDIZINISCHE

G

RUNDLAGEN DES

D

IABETES MELLITUS Unter dem Begriff Diabetes mellitus wird eine heterogene Gruppe von Störungen sub- sumiert, denen chronisch erhöhte Blutglukosewerte (Hyperglykämie) gemeinsam sind.

Es werden zwei Haupttypen unterschieden: Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2 (Ameri- can Diabetes Association, 1997). Die folgende Arbeit bezieht sich ausschließlich auf Patienten mit Typ-2-Diabetes.

2.1.1 P

RÄVALENZ

, Ä

TIOLOGIE UND

P

ATHOPHYSIOLOGIE DES

D

IABETES MELLITUS

T

YP

2

Beim Typ-2-Diabetes handelt es sich um eine chronische Erkrankung. Der Diabetes mellitus ist definiert als eine Stoffwechselstörung, die durch den Leitbefund chronische Hyperglykämie charakterisiert ist. Es liegen entweder eine gestörte Insulinsekretion, eine gestörte Insulinwirkung oder auch beide Ursachen zugrunde. Die chronische Hy- perglykämie kann über die diabetesspezifische Mikroangiopathie zu Folgeerkrankun- gen, die vorwiegend Augen, Nieren und Nervensystem betreffen, und über die diabetes- assoziierte Makroangiopathie zu Folgeerkrankungen vorwiegend an Herz, Gehirn und den peripheren Arterien führen (Köbberling, 1999).

Die Kriterien zur Diagnosestellung von Diabetes mellitus nach den Richtlinien der American Diabetes Association (ADA, 1997) sind in Tabelle 1 dargestellt.

(8)

Tabelle 1: Diagnosekriterien des Diabetes mellitus (nach ADA, 1997)

1. Diabetessymptome und Plasmaglukosekonzentration ≥ 200 mg/dl (11,2 mmol/l) (Symptome: Polydipsie, Polyurie, unerklärter Gewichtsverlust; Plasmaglukose- Bestimmung unabhängig von Tageszeit und Nahrungsaufnahme)

2. Plasmaglukose-Konzentration nüchtern ≥ 126 mg/dl (7.0 mmol/l) (nüchtern = keine Kalorienaufnahme seit mindestens 8 h)

3. 2-h-Plasmaglukose-Konzentration im 75-g-oGTT ≥ 200 mg/dl (11.2 mmol/l)

Anmerkungen. Polydipsie = krankhaft gesteigertes Durstgefühl mit übermäßiger Flüssigkeitszufuhr, Polyurie = krankhafte Vermehrung der Harnmenge. oGTT = oraler Glukose-Toleranz-Test.

Prävalenz / Inzidenz: Aufgrund der Daten des Diabetes-Registers der früheren Deut- schen Demokratischen Republik zusammen mit repräsentativen Stichproben aus dem ehemaligen West-Deutschland wird die Diabetes-Prävalenz auf ca. 5 % in der erwach- senen Bevölkerung von Deutschland geschätzt (Janka & Michaelis, 2002).

Mehr als 90% der in Deutschland lebenden Diabetiker sind dem Typ-2-Diabetes melli- tus zuzurechnen (Janka &Michaelis, 2002). Die Anzahl der durch den Typ-2-Diabetes betroffenen Patienten hat über die letzten Jahrzehnte erheblich zugenommen, so dass man nahezu von einer Volkskrankheit sprechen kann (Berger & Trautner, 2000).

Typ-2-Diabetes ist dabei vor allem eine Erkrankung des höheren Lebensalters. Nach dem 40. Lebensjahr verdoppeln sich die Häufigkeiten in jeder Altersdekade und errei- chen zwischen dem 70. und 80. Lebensjahr eine Prävalenz von 20 %. Besonders hoch ist die Inzidenzrate für Typ-2-Diabetes bei den über 60jährigen. Sie liegt bei etwa 1200/100 000 Personenjahre (Janka, 2001).

Ätiologie: Bei der Entwicklung des Typ-2-Diabetes spielen zum einen Risiko- faktoren wie das Alter (vgl. Prävalenz), Adipositas (Body-Mass-Index [BMI]

>30kg/m²), körperliche Inaktivität und andere medizinische Faktoren (vgl. Pathophysio- logie) eine Rolle (Berger & Trautner, 2000; vgl. auch Lindström & Tuomilehto, 2003).

Zum anderen ist eine starke genetische Komponente beteiligt. Die Konkordanz bei ein- eiigen Zwillingen liegt bei fast 100%. Bei Verwandten ersten, zweiten oder dritten Gra- des ist die Konkordanz jedoch wesentlich niedriger und abnehmend (Starke, 2000).

Pathophysiologie: Der Typ-2-Diabetes ist durch einen relativen Insulinmangel gekennzeichnet, der in einem erhöhten Blutglukosespiegel resultiert (Starke, 2000). Er wird durch folgende wesentliche Defekte verursacht, die für die Glukohomöostase wichtig sind:

(9)

Zum einen liegt ein Defekt der Insulinwirkung in Form einer Insulinresistenz vor, d.h. die Wirksamkeit des Insulins zur Stimulation der Glukoseaufnahme in die peripheren insulinabhängigen Gewebe ist reduziert.

Zum anderen liegt eine Störung der Insulinsekretion in Form einer Hyperinsuli- nämie vor, also einer gesteigerten Insulinproduktion und Insulinausschüttung.

Da eine verminderte Glukoseaufnahme kompensatorisch zu höheren Insulinkon- zentrationen führt und im weiteren Verlauf, wenn die Kompensation nicht mehr ausreicht, zur Hyperglykämie, sind sowohl Glukose- als auch Insulinkonzentra- tionen als indirekte Zeichen einer Insulinresistenz anzusehen.

Drittens besteht eine erhöhte und vermindert hemmbare hepatische Glukosepro- duktion trotz bereits bestehender Hyperglykämie (Starke, 2000).

Außerdem werden die Insulinresistenz sowie die Hyperinsulinämie als Beginn einer Kausalkette angesehen, die zu dem als metabolisches Syndrom bezeichneten Symptom- komplex zählen. Das metabolische Syndrom ist hauptsächlich charakterisiert durch Hy- pertriglyzeridämie, Hypertonie oder Hypo-HDL-Cholesterinämie (Walser, 2003). Die Bedeutung des metabolischen Syndroms wurde bereits im Abschnitt „Ätiologie“ ange- deutet.

2.1.2 F

OLGEERKRANKUNGEN

Längerfristig erhöhte Glukosewerte bei Diabetes mellitus können zum Auftreten von diabetischen Folgeerkrankungen führen. Die hohen Blutglukosespiegel schädigen Blut- gefäße und Nerven. Klinisch relevante Spätkomplikationen umfassen die diabetestypi- schen Mikroangiopathien und die Makroangiopathien, die sich in verschiedensten Or- ganen manifestieren können (Schleicher, 2001):

Diabetische Mikroangiopathien bezeichnen diabetesspezifische Veränderungen der Kapillaren was zu Schäden an Augen (diabetische Retinopathie), Nieren (di- abetische Nephropathie) und Nerven (diabetische Neuropathie) führt. Die Reti- nopathie kann zur Erblindung, die Nephropathie zum terminalen Nierenversagen und die Neuropathie zum diabetischen Fußsyndrom mit der Gefahr einer Ampu- tation und schweren vegetativen Störungen führen (Häring & Matthaei, 2002).

Neben den mikrovaskulären Veränderungen können auch Läsionen der großen und mittleren Gefäße auftreten (Makroangiopathie). Diese makrovaskulären Veränderungen sind nicht diabetesspezifisch, aber sie treten bei Diabetikern in einem früheren Alter auf und schreiten schneller voran als bei Nicht-Diabetikern (Schleicher, 2001). Dadurch ist das relative Risiko für einen Herzinfarkt bei dia-

(10)

betischen Männern um das 3.7-fache und bei diabetischen Frauen um das 5.9fache im Vergleich zu Nicht-Diabetikern erhöht. Daneben können Makroan- giopathien ischämische Fußläsionen und zerebrovaskuläre Erkrankungen verur- sachen, wodurch beispielsweise Schlaganfälle bei männlichen Diabetikern fast doppelt so häufig und bei weiblichen Erkrankten 3-mal so oft auftreten wie bei Nicht-Diabetikern (Janka, 2001).

Die Ergebnisse der multizentrischen, randomisierten und prospektiven Therapiever- gleichsstudie UKPDS (UK Prospective Diabetes Study Group, 1998) weisen darauf hin, dass mit einer frühzeitigen, intensiven Therapie, die das Ziel einer strikten Blutzucker- und Blutdruckkontrolle verfolgt, das Risiko für das Entstehen diabetischer Folgekom- plikationen deutlich reduziert werden kann. Die Prognose des Diabetes mellitus hängt somit entscheidend von der Qualität der Blutglukoseeinstellung ab. Dies schlägt sich auch in den Therapiezielen nieder, die im folgenden Abschnitt dargestellt werden.

2.1.3 T

HERAPIEZIELE UND

-

FORMEN

Therapieziele: Es lassen sich kurzfristige und langfristige Therapieziele unter- scheiden. Kurzfristig sollte jeder Patient, unabhängig von seinen Voraussetzungen und Bedingungen, an Lebensqualität durch Symptomfreiheit gewinnen. Längerfristig gilt es, die Lebenserwartung und Lebensqualität der Patienten durch Prävention der diabeti- schen Mikroangiopathien und der diabetesbedingten Makroangiopathien zu gewährleis- ten (Berger, 2000a). Voraussetzung dafür ist die Orientierung der Therapieziele an einer normnahen Blutglukoseeinstellung. Dabei betreffen die einzelnen Therapieziele nicht allein die erfolgreiche Behandlung des Kohlenhydratstoffwechsels und dessen Kompli- kationen, sondern auch Begleitkrankheiten des Diabetes wie Fettstoffwechselstörungen, arterielle Hypertonie, Adipositas und psychosoziale Probleme (Häring & Matthaei, 2002).

Die konkreten biochemischen Zielgrößen für die Stoffwechseleinstellung der Diabetespatienten sind in Tabelle 2 dargestellt.

(11)

Tabelle 2: Biochemische Zielgrößen für die Stoffwechseleinstellung der Diabetiker, modifiziert nach DDG 1999 (vgl. Gries, 1999)

Indikator (Einheit) Zielwertbereich

Blutglukose (mg/dl (mmol/l))

Nüchtern/präprandial 90-120 (5.0-6.7)

HbA1c (%) 4.3 – 6.1

Lipide (mg/dl)

Diabetiker ohne mikro- bzw. makrovaskuläre Erkrankung Chol < 200 LDL < 130 HDL ≥ 35 Trig < 150 Diabetiker mit mikro- bzw. makrovaskulärer Erkrankung Chol < 170

LDL < 100 HDL > 40 Trig < 150

BMI (kg/m²) für Erwachsene ≤ 25

Blutdruck (mmHg) Systolisch Diastolisch

Diabetiker mit essentieller Hypertonie ≤ 140 ≤ 85 Bei guter Verträglichkeit eines RR von 140/85 mmHg ≤ 130 ≤ 80 Diabetiker mit Mikroalbuminurie und /oder manifester

Nephropathie ≤ 130 ≤ 80

Anmerkungen. HbA1c: glykiertes Hämoglobin, Chol: Gesamt-Cholesterin, LDL: Low-density- lipoprotein-Cholesterin, HDL: High-density-lipoprotein-Cholesterin, Trig: Nüchtern-Triglyzeride.

Entscheidungsleitend für die jeweilige Therapiestrategie und die Definition der indivi- duellen Therapieziele sind zusätzlich die Lebensqualität und die Wünsche des Patienten, Alter, psychosozialer Status, bereits bestehende Begleit- und Folgeerkrankungen sowie der Schweregrad der Erkrankung (Häring & Matthaei, 2002).

Therapieformen: Grundsätzlich ist es möglich, durch eine Gewichtsreduktion und durch eine Steigerung der körperlichen Bewegung die Insulinempfindlichkeit zu verbessern. Diät und Bewegung stellen auch im Hinblick auf komorbide Störungen, wie

(12)

beispielsweise die arterielle Hypertonie oder Fettstoffwechselstörungen, den primären Behandlungsansatz dar (Kronsbein, Weyer & Berger, 2000).

Eine pharmakologische antihyperglykämische Therapie ist indiziert, wenn Diät und körperliche Bewegung über einige Monate durchgeführt wurden, ohne die individuellen metabolischen Therapieziele zu erreichen. Durch die Behandlung mit oralen Antidiabe- tika soll die Blutglukose gesenkt werden. Hierzu stehen mittlerweile verschiedene Sub- stanzgruppen zur Verfügung, die - je nach Wirkstoff - die hepatische Glukoneogenese hemmen, die Glukoseaufnahme in das Fettgewebe und die Skelettmuskulatur steigern, die endogene Insulinsekretion stimulieren oder die Insulinresistenz in Fettgewebe, Ske- lettmuskulatur und Leber vermindern (Berger, 2000b).

Häufig entspricht es dem natürlichen Verlauf des Typ-2-Diabetes, dass auch die orale Therapie mit Antidiabetika nicht mehr ausreicht. Dies liegt an der endgültigen Erschöp- fung der Bauchspeicheldrüse in Folge einer Überbeanspruchung durch die langjährige Hyperinsulinsekretion. Spätestens dann ist eine Insulinbehandlung indiziert (Häring &

Matthaei, 2002). Dabei wird durch eine oder mehrere Insulininjektionen entweder nur der basale Insulinbedarf abgedeckt oder - durch eine noch komplexere Therapie - täg- lich die autonome Regulation der Blutglukose imitiert, indem der basale Insulinbedarf vom nahrungsabhängigen Anteil getrennt substituiert wird. Der so genannte Prandialbe- darf wird entsprechend des aktuellen Blutzuckers, des Zielblutzuckerwertes und der geplanten Nahrungsmenge vom Patienten selbst bestimmt (Pfohl, & Behre, 2001).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass zur Erreichung der Therapieziele eine strikte und intensive Therapie nötig ist. Die Therapie kann aufgrund der Variabilität ihres Komplexitätsgrades für jeden Patienten individuell verschieden sein. Die optimale Durchführung dieser Therapieformen bzw. das Erreichen der Behandlungsziele ist des- halb nicht alleine durch das Befolgen ärztlicher Ratschläge möglich, sondern benötigt auch die aktive und eigenverantwortliche Beteiligung des Typ-2-Diabetespatienten. Es ist daher zwingend notwendig, dass Typ-2-Diabetespatienten Selbstmanagementfähig- keiten für den Umgang mit ihrer Erkrankung lernen (Deutsche Diabetes Gesellschaft, 2003). Eine wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Behandlung des Typ-2- Diabetes sind daher Kenntnisse und Fertigkeiten im Umgang mit der Erkrankung, die ein Patient im Rahmen strukturierter Therapie- und Schulungsprogramme erhält (Häring

& Matthaei, 2002). Auf den Stellenwert der Patientenschulung wird im folgenden Kapi- tel genauer eingegangen.

(13)

2.1.4 S

TELLENWERT DER

P

ATIENTENSCHULUNG

Grundlegende Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie des Typ-2-Diabetes ist die aktive Einbeziehung des Patienten in seine Therapie (Murata et al., 2003). Ärzte, Diabe- tesberater, Ernährungsberater, Physiotherapeuten und Psychologen können dem Typ-2- Diabetespatienten notwendige Informationen und Hilfestellungen anbieten. Jedoch kann keiner der Aspekte der langfristigen Diabetestherapie erfolgreich sein, wenn der Patient nicht selbst täglich die Behandlung, wie z.B. Medikamenteneinnahme, Insulinapplikati- on, Ernährung oder Fußpflege, durchführt. Das Fundament ist deshalb die Anleitung zur eigenverantwortlichen Selbstbehandlung. Dazu ist eine strukturierte Schulung des Pati- enten im Rahmen eines definierten therapeutischen Konzepts notwendig (Jörgens &

Grüsser, 2000).

Die Arbeiten von Brown (1990) und Norris, Engelau und Narayan (2001) fassen die Bedeutung und Effektivität von Schulungen für das Selbstmanagement des Typ-2- Diabetes zusammen: in Browns Metaanalyse zeigte die Patientenschulung Effektstärken von 0.49 (95%iges Konfidenzintervall [CI]: 0.37-0.61) bis 1.05 (95%-CI= 0.94-1.16) auf das Diabeteswissen und Effekte zwischen 0.17 (95% CI=0.08-0.27) und 0.57 (95%

CI= 0.44-0.70) auf das Selbstbehandlungsverhalten. Im systematischen Review von Norris et al. (2001), bei dem 72 Studien von 1980 bis 1999 eingeschlossen wurden, wird deutlich, dass mit Selbstmanagement-Training positive Effekte auf diabetesspezifisches Wissen, die Häufigkeit und Genauigkeit von Blutzuckermessungen, die Ernährungsge- wohnheiten sowie die glykämische Kontrolle erzielt werden konnten. Ähnliche Ergeb- nisse erbrachte auch die Studie von Norris, Lau, Smith, Schmid und Engelau (2002).

Wie diese Ausführungen verdeutlichen, stellt die Patientenschulung einen integralen Bestandteil der Therapie des Diabetes mellitus dar. Um als Patient jedoch von einer Schulung effektiv profitieren zu können, ist es notwenig, die Schulungsinhalte zu ver- stehen und umsetzen zu können. Die dazu notwendigen kognitiven Funktionen wie z.B.

Gedächtnisfunktionen, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfunktionen könnten je- doch für die zumeist älteren Typ-2-Diabetespatienten eine große Herausforderung dar- stellen (vgl. Stewart & Liolitsa, 1999).

Die kognitive Leistungsfähigkeit spielt aus diesem Grund – wie in den folgenden Un- terkapiteln noch näher dargestellt wird – eine wichtige Rolle beim Typ-2-Diabetes. Im Folgenden werden zunächst grundsätzliche Erkenntnisse zur kognitiven Leistungsfähig- keit im Alter dargestellt, um dann auf den Zusammenhang von Typ-2-Diabetes und möglichen Beeinträchtigungen kognitiver Funktionen einzugehen.

(14)

2.2 T

YP

-2-D

IABETES UND KOGNITIVE

F

UNKTIONEN

Vaskuläre Erkrankungen und ihre möglichen Risikofaktoren werden immer häufiger als wichtige Verbindungen zu kognitiven Beeinträchtigungen, kognitivem Abbau und De- menz betrachtet. Typ-2-Diabetes ist als Risikofaktor für kognitiven Abbau in den letz- ten 20 Jahren stärker ins wissenschaftliche Interesse gerückt. Dies liegt zum einen an der zunehmenden Prävalenz von Typ-2-Diabetes gerade in älteren Populationen (vgl.

Kap. 2.1.1). Zum anderen erhöhen verschiedene andere potentielle Mechanismen wie z.B. chronische Hyperglykämie, vaskuläre Folgeerkrankungen, Lipidstoffwechselstö- rungen, Hypertonie und Demenz das Risiko für kognitive Abbauprozesse speziell bei Typ-2-Diabetespatienten (Stewart & Liolitsa, 1999). Zur besseren Beurteilung der fol- genden Studien bezüglich des Zusammenhangs von Typ-2-Diabetes und kognitiven Funktionen, werden zunächst grundsätzliche Erkenntnisse bezüglich kognitiver Funkti- onen im Alter dargestellt. Im Anschluss daran werden Studien zu Typ-2-Diabetes und kognitiven Beeinträchtigungen dargestellt, um dann auf den Zusammenhang zwischen der kognitiven Leistungsfähigkeit bei Typ-2-Diabetes und dem Selbstbehandlungsver- halten einzugehen.

2.2.1 K

OGNITIVE

F

UNKTIONEN IM

A

LTER

Genereller kognitiver Abbau mit dem Alter: Mit zunehmendem Alter ist ein ge- nereller kognitiver Abbau zu verzeichnen. Die Ergebnisse der Berliner Altersstudie ma- chen dies deutlich. Die Berliner Altersstudie ist eine multidisziplinäre Untersuchung alter Menschen im Alter von 70 bis über 100 Jahren, die im ehemaligen Westteil Berlins leben. In der Hauptstudie (1990-1993) wurde eine Kernstichprobe von 516 Personen in 14 Sitzungen hinsichtlich ihrer geistigen und körperlichen Gesundheit, ihrer intellektu- ellen Leistungsfähigkeit und psychischen Befindlichkeit sowie ihrer sozialen und öko- nomischen Situation untersucht. Unter anderem wurden die Personen der Kernstichpro- be auch hinsichtlich der Grenzen und Potentiale der kognitiven Leistungsfähigkeit im Alter untersucht (Reischies & Lindenberger, 1999). In allen fünf erfassten Bereichen der kognitiven Fähigkeiten (Denkfähigkeit, Wahrnehmungsgeschwindigkeit, Gedächt- nis, Wissen und Wortflüssigkeit) ließen sich negative Korrelationen zwischen dem Leis- tungsniveau und dem Alter der Studienteilnehmer nachweisen. Ältere Personen erziel- ten im Durchschnitt niedrigere Ergebnisse. Bemerkenswert ist, dass die in Untersu- chungen an jüngeren Stichproben dokumentierten interindividuellen Unterschiede in der kognitiven Leistungsfähigkeit bis ins höchste Alter erhalten blieben. Bei ausreichender Hilfestellung blieb die Merk- und Lernfähigkeit bei Personen ohne klinische Demenzdi- agnose bis ins hohe Alter erhalten.

(15)

Anderen Studien zufolge kann man ebenfalls davon ausgehen, dass die Umstellung von Routinetätigkeiten und das Erinnern neuer Handlungsabläufe und Handlungsvorsätze für Personen im höheren Erwachsenenalter prinzipiell eine enorme Herausforderung darstellen (z.B. Kliegel, McDaniel & Einstein, 2000; Park & Schwarz, 1999). Es liegen seit einigen Jahren konsistente Befunde aus der kognitiven Entwicklungsforschung vor, die zeigen, dass die Fähigkeit, sich an zuvor gefasste Pläne und Absichten erfolgreich zu erinnern und diese adäquat auszuführen, im Alter abnimmt (Einstein, Smith, McDa- niel & Shaw, 1997; Kliegel et al., 2000; Maylor, 1996).

Anstieg dementieller Erkrankungen: Mit zunehmendem Alter ist auch ein An- stieg der Prävalenz dementieller Erkrankungen zu verzeichnen. Insgesamt leiden zwi- schen 6 und 9% der Altenbevölkerung an einer Demenz (Bickel, 2000). Die Prävalenz von Demenz ist nach dem Alter geordnet in Tabelle 3 aufgeführt.

Tabelle 3: Prävalenz von Demenz nach dem Alter (Bickel, 2000)

Altersgruppe Mittlere Prävalenzrate (%) Schätzung der Krankenzahl in Deutschland

65-69 70-74 75-79 80-84 85-89 90 und älter

1.2 2.8 6.0 13.3 23.9 34.6

48 000 99 000 171 000 173 000 272 000 172 000

65 und älter 7.2 935 000

Im Diagnostical and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM)-IV (Houben, Saß, Wittchen & Zaudig, 2000) setzt die Diagnose eines dementiellen Syndroms die Erfül- lung folgender Kriterien voraus: Störung des Gedächtnisses und zusätzlich Aphasie, Apraxie, Agnosie oder Störung von Exekutivfunktionen, wobei jedes dieser Defizite sozial oder beruflich beeinträchtigend ist. Der Beginn ist schleichend und es besteht ein zunehmender Abbau. Die Störungen können nicht durch andere Erkrankungen (ein- schließlich psychiatrischer Krankheiten) erklärt werden.

Häufigste Ursache einer Demenz ist die Alzheimer-Krankheit mit einem Anteil von zwei Dritteln an den Krankheitsfällen, gefolgt von den durch Schädigungen der Blutge- fäße des Gehirns verursachten vaskulären Demenzen mit einem Anteil von knapp 20%

(16)

(Canadian Study of Health and Aging Working Group, 1994; Ott, Breteler & Van- Harskamp, 1995). Eine mögliche Ursache für vaskuläre Demenzen können makro- vaskuläre Erkrankungen sein, die als Folgeerkrankungen bei Typ-2-Diabetes mellitus häufig auftreten (Liebl et al., 2002) und somit das Risiko für vaskuläre Demenzen bei diesen Patienten erhöhen können (vgl. Stewart & Liolitsa).

Schlussfolgerungen für die vorliegende Arbeit: Zusammenfassend lässt sich das Alter per se als Risikofaktor für kognitive Leistungsminderung betrachten. Da es sich bei Typ-2-Diabetespatienten vorwiegend um Personen handelt, die älter als 60 Jah- re sind (Geiss et al., 1993), sind sie zunächst allein aufgrund ihres Alters von den in Kapitel 2.2.1 beschriebenen altersbedingten Abbauprozessen betroffen. Es liegt also nahe, dass neben einem fehlenden Wissen um Inhalt und Methode von anstehenden Verhaltensänderungen, das in den üblichen Diabetiker-Schulungen vermittelt werden soll (Berger, Jörgens & Grüsser, 2000), zumindest bei älteren Diabetikern die kognitive Leistungsfähigkeit den Erwerb und die Umsetzung dieses Wissens limitiert (Kliegel, Mahnel, Martin & Jaursch-Hancke, 2002). Zusätzlich gibt es aber Untersuchungen, die speziell den Zusammenhang zwischen Typ-2-Diabetes und kognitiver Leistungsfähig- keit untersuchen. Diese zeigen, dass Diabetes an sich ebenfalls einen Effekt auf die kognitive Leistung haben kann. Die für die Fragestellung relevanten Studien zum The- ma Diabetes und kognitive Beeinträchtigungen werden im Folgenden zusammengefasst.

2.2.2 S

TUDIEN ZU

T

YP

-2-D

IABETES UND KOGNITIVEN

B

EEINTRÄCHTI- GUNGEN

Zur Strukturierung der Studienlage lassen sich Studien unterscheiden, die sich mit rele- vanten neuropsychologischen Funktionseinbußen beschäftigen und denen, die das klini- sche Störungsbild der Demenz betrachten.

Studien zu neuropsychologischen Funktionsbeeinträchtigungen

Im Folgenden werden Studien dargestellt, die den Zusammenhang zwischen Typ-2- Diabetes und neuropsychologischen Beeinträchtigungen erforscht haben. Darunter sind hier die Hauptmerkmale einer Leichten Kognitiven Störung nach der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10, Dilling, Mombour & Schmidt, 2000) zu verstehen. Diese umfassen Gedächtnisbeschwerden mit nachweisbaren Leistungseinbu- ßen in Gedächtnis-, Lern- oder Konzentrationsfunktionen, ohne dass alle Kriterien einer Demenz vorliegen. Die Studien sind nach ihrem Design in Fall-Kontroll-Studien, Stu- dien mit populationsbasiertem Ansatz und Langzeitstudien untergliedert.

(17)

Fall-Kontroll-Studien: Beim Großteil der Studien, die kognitive Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit Typ-2-Diabetes untersucht haben, handelt es sich um Fall-Kontroll- Studien (Stewart & Liolitsa, 1999).

Nur wenige Untersuchungen dazu haben geringe oder keine Anhaltspunkte dafür ge- funden, dass es einen Zusammenhang zwischen Typ-2-Diabetes und kognitiven Beein- trächtigungen gibt (z.B. Atiea, Moses & Sinclair, 1995; Lowe, Tranel, Wallace & Wel- ty, 1994).

Ein Beispiel dafür ist die Untersuchung von Vanhanen, Koivisto und Kollegen (1998).

Sie haben zur Überprüfung, ob Typ-2-Diabetes mellitus unabhängig von einer klini- schen Demenzdiagnose in Zusammenhang mit kognitiven Dysfunktionen steht, die Er- gebnisse einer kurzen neuropsychologischen Testbatterie von 183 Typ-2- Diabetespatienten und 732 nicht-diabetischen Kontrollpersonen verglichen. Die Ergeb- nisse zeigten, dass Patienten mit Typ-2-Diabetes zwar im Vergleich zur Kontrollgruppe schlechter im Trail-Making-Test A und B (vgl. Reitan, 1956) abschnitten, die diabeti- schen Frauen in der Mini-Mental Status Examination (MMSE, vgl. Folstein, Folstein &

McHugh, 1975) schnitten hingegen besser ab als die Kontrollgruppe. Die Autoren schließen daraus, dass Typ-2-Diabetes nicht per se mit einem beeinträchtigen Gedächt- nis zusammenhängt und vermuten, dass die beobachteten geringen kognitiven Defekte keinen Einfluss auf das tägliche Leben haben.

Die Mehrzahl der Studien deutet jedoch darauf hin, dass Typ-2-Diabetespatienten schlechtere Leistungen bei verschiedenen kognitiven Funktionstests zeigen als Kon- trollpersonen. Beispielhaft ist die Untersuchung von Reaven, Thompson, Nahum und Haskins (1990), die 29 Patienten mit Typ-2-Diabetes und 30 Kontrollpersonen ohne Diabetes hinsichtlich ihrer kognitiven Funktionsfähigkeit verglichen. Es ergaben sich keine signifikanten Unterschiede bei Maßen der einfachen verbalen und motorischen Funktionen. Die Kontrollgruppe zeigte aber signifikant bessere Leistungen bei komple- xeren Maßen des Lernens (CVLT, California Verbal Learning Test) und Problemlösens (Reasoning, Wisconsin Card Sorting Test), sowie bei drei von vier Maßen für komplexe psychomotorische Fähigkeiten. Zusätzlich wurde von den Autoren die Beziehung zwi- schen glykämischer Kontrolle und kognitiver Funktion untersucht. Die Ergebnisse zeig- ten einen tendenziellen Einfluss der glykämischen Kontrolle (HbA1c1 und Nüchtern- Blutglukosewert) auf die Testleistung. Bei den Diabetespatienten waren sowohl der HbA1c als auch der Nüchtern-Blutglukosewert hoch korreliert mit der kognitiven Leis- tung, nicht jedoch in der Kontrollgruppe.

1 Der HbA1c -Wert ist ein Maß für die Güte der Stoffwechseleinstellung, vgl. Kapitel 3.4.3.1

(18)

In der Studie von Perlmuter und Kollegen (1984) waren höhere HbA1c -Werte ebenfalls mit schlechterer kognitiver Leistung assoziiert. Die kognitive Leistung wurde mittels einer seriellen Lernaufgabe und mit den Untertests „Zahlennachsprechen“ und „Allge- meines Wissen“ der Wechsler Adult Intelligence Scale (WAIS-R, vgl. Wechsler, 1981) erfasst. Die Typ-2-Diabetespatienten schnitten bezüglich dieser kognitiven Testaufga- ben - wie in der zuvor zitierten Studie – schlechter ab als die nicht-diabetische Kon- trollgruppe. Dieser Effekt blieb auch nach Kontrolle von Alter, Depression und Bildung bestehen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass trotz verschiedener Operationalisierungen der kognitiven Leistungsfähigkeit die Mehrzahl der Fall-Kontroll-Studien zum gleichen Ergebnis kommt. Die Befunde sprechen für ein vermehrtes Vorhandensein kognitiver Beeinträchtigungen bei Typ-2-Diabetespatienten im Vergleich zu Nicht-Diabetikern.

Populationsbasierter Ansatz: Neben einer Vielzahl von Fall-Kontroll-Studien existieren auch Populationsstudien, die untersuchen, ob kognitive Beeinträchtigungen mit dem diabetischen Krankheitsprozess assoziiert werden. Dabei wird häufig der Effekt des Diabetes auf die Verteilung der Punkte der MMSE untersucht, d.h. ob es Profilunter- schiede gibt (Croxson & Jagger, 1995; Kalmijn, Feskens, Launer, Stijnen & Kromhout, 1995).

In der populationsbasierten Untersuchung von Croxson und Jagger (1995) wurden mit allen Bewohnern einer britischen Stadt im Alter von 75 Jahren oder älter ein Diabe- tesscreening und die MMSE durchgeführt. Dann wurden die Scores der Personen mit Diabetes mit den Scores der Personen ohne Diabetes verglichen. Die Ergebnisse zeig- ten, dass Personen mit einer schon bekannten Diabetesdiagnose im Vergleich zu Perso- nen mit normaler Glukosetoleranz eine größere Wahrscheinlichkeit für schlechtere, d.h.

geringere MMSE-Scores hatten. Personen, bei denen erst im Rahmen dieser Studie ein Diabetes diagnostiziert wurde, hatten allerdings bemerkenswerterweise bessere MMSE- Scores als Nicht-Diabetiker. Ähnliche Befunde erbrachte die Studie von Kalmijn, Feskens, Launer, Stijnen und Kromhout (1995). Die Studie von Launer, Dinkgreve, Jonker, Hooijer und Lindeboom (1993) bestätigte ebenfalls diese Befunde: Personen mit einer bestehenden Diabetesdiagnose hatten signifikant niedrigere MMSE-Scores und ein erhöhtes Risiko sowohl für niedrige (MMSE 21 oder weniger) als auch grenzwertige (MMSE 22-25) Scores, auch nach Kontrolle möglicher konfundierender Variablen.

Im Gegensatz dazu konnte die Rotterdam-Studie von Breteler (1993) keine signifikan- ten Unterschiede zwischen den Scores von Diabetikern und Nicht-Diabetikern finden.

(19)

Tendenziell erbrachten aber auch hier Probanden mit einem hohen postprandialen Glukosespiegel, jedoch ohne behandelten Diabetes, geringere Scores.

Prospektive Studien: Längsschnittliche Untersuchungen unterstützen ebenfalls die Hypothese des Zusammenhangs zwischen Diabetes und kognitiver Leistungseinschrän- kung.

Die Framingham-Studie beispielsweise, die eine Kohorte von 187 Personen mit Typ-2- Diabetes und 1624 Kontrollpersonen über 28-30 Jahre verfolgt hat, untersuchte den Zu- sammenhang zwischen Diagnose und Dauer von Diabetes und dem Risiko für schlechte Leistungen in einer kognitiven Testbatterie am Ende dieser Periode (Elias et al., 1997).

Schlechte Leistungen bei Aufgaben zum verzögertem verbalen Gedächtnis waren mit einer vorangegangenen Diagnose von Typ-2-Diabetes assoziiert. Schlechte Leistungen bei Aufgaben zur sofortigen verbalen Wiedergabe, zum verzögerten verbalen Gedächt- nis und zum abstrakten Problemlösen waren mit der Diabetesdauer assoziiert. Zwar wa- ren Diabetesdiagnose und Diabetesdauer nur bei hypertonen Personen mit kognitiven Beeinträchtigung assoziiert, aber auch nachdem die Hypertonie kontrolliert wurde, wa- ren die Beeinträchtigungen bei den Diabetikern größer als bei den Personen der Kon- trollgruppe. Diese Ergebnisse waren außerdem unabhängig von Alter, Geschlecht, Bil- dung und anderen Risikofaktoren für vaskuläre Erkrankungen.

Die aktuellere Studie von Gregg, Yaffe et al. (2000) unterstützt ebenfalls die Hypothese, dass Diabetes einen Risikofaktor für den kognitiven Abbau bei älteren Menschen dar- stellen kann. Bei allen eingesetzten kognitiven Leistungstests (MMSE, Zahlen-Symbol- Test vom HAWIE-R und Trail-Making-Test B) war Diabetes mit niedrigeren Testwer- ten und mit einer größeren Wahrscheinlichkeit für kognitive Beeinträchtigungen assozi- iert. Die Probanden mit Diabetes hatten nicht nur niedrigere Baselinie-Scores als Pro- banden ohne Diabetes, es deutete sich auch über die Langzeiterhebung hinweg (weitere Tests nach drei und sechs Jahren) ein beschleunigter kognitiver Abbau bei den Diabe- tespatienten an. Das Risiko für kognitiven Abbau blieb nach der Kontrolle von Alter, Bildung, Depression und Schlaganfall für Diabetikerinnen erhöht.

Studien zur Demenz

Die Erforschung eines möglichen Zusammenhangs zwischen Diabetes und Demenz ist noch nicht so umfassend wie die Untersuchung des Zusammenhangs von Typ-2- Diabetes und kognitiver Beeinträchtigung, hat aber in den vergangenen zehn Jahren stetig zugenommen (vgl. Stewart & Liolitsa, 1999).

Die Rotterdam-Populations-Studie berichtete von einem kleinen aber signifikanten Zu- sammenhang zwischen Demenz und Diabetes bei Frauen und bei insulinbehandelten

(20)

Typ-2-Diabetikern beider Geschlechter, sowie von einem Zusammenhang mit Alzhei- mer – jedoch nur bei mit Insulin behandelten Typ-2-Diabetespatienten (Ott, Stolk, Hofman, van Harskamp, Grobbee & Breteler, 1996). Auch die Studie von Luchsinger, Tang, Stern, Shea und Mayeux (2001) stellte über einen Zeitraum von sechs Jahren eine erhöhte Inzidenz von Demenz bei Typ-2-Diabetikern im Vergleich zu Nicht- Diabetikern fest.

Zusammenfassung des Zusammenhangs zwischen Typ-2-Diabetes und kognitiven Funktionen:

Ausgehend davon, dass es sich beim Typ-2-Diabetes hauptsächlich um ältere Menschen handelt, zählen Typ-2-Diabetespatienten zunächst allein aufgrund ihres Alters zur Risi- kopopulation für kognitive Abbauprozesse. Zusätzlich gibt es substantielle epidemiolo- gische Befunde, die zeigen, dass Typ-2-Diabetes auch unabhängig vom Alter mit kogni- tiven Beeinträchtigungen und möglicherweise mit einem erhöhten Demenzrisiko assozi- iert ist (sowohl im Querschnitt, als auch im Längsschnitt).

Auf die möglichen Ursachen für einen solchen Zusammenhang soll im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen werden, es sei an dieser Stelle aber für einen kurzen Überblick auf das Review von Stewart & Liolitsa (1999) sowie auf die Artikel von Vanhanen und Soininen (1998) und Kumari, Brunner und Fuhrer (2000) verwiesen.

Unabhängig von möglichen Ursachen können die kognitiven Beeinträchtigungen einen Einfluss auf den täglichen Lebensablauf haben oder den Diabetespatienten in der Um- setzung seiner Therapie beeinträchtigen. Ihr Vorhandensein könnte dazu führen, dass Typ-2-Diabetespatienten nicht von den notwendigen Schulungen profitieren können.

Sie könnten somit zu Veränderungen in der Fähigkeit der individuellen Person führen, mit ihrem Diabetes zurecht zu kommen (Sinclair, Girling & Bayer, 2000). Der Zusam- menhang von Typ-2-Diabetes, kognitiver Leistungsfähigkeit und deren Auswirkung auf das Selbstbehandlungsverhalten wurde in Hinblick auf die klinische Relevanz noch nicht sehr ausführlich untersucht. Auf den aktuellen Forschungsstand dazu soll im fol- genden Unterkapitel näher eingegangen werden.

2.2.3 T

YP

-2-D

IABETES

,

KOGNITIVE

L

EISTUNGSFÄHIGKEIT UND

S

ELBST- BEHANDLUNGSVERHALTEN

Zunächst soll an dieser Stelle der Begriff von „Selbstmanagement“ erläutert werden, um dann auf dessen Zusammenhang mit kognitiver Leistungsfähigkeit bei Typ-2-Diabetes

(21)

einzugehen. Goodall und Hallford (1991, S.1) betrachten in ihrer Definition Selbstma- nagement als ein Set von “skilled behaviors engaged in to manage one’s own illness”.

Im Bezug auf das tägliche Diabetesmanagement bedeutet dies im Allgemeinen die Be- folgung eines regulären Ernährungs- und Bewegungsplans, die Selbsttestung des Blut- zuckers und die regelmäßige Einnahme von Medikamenten bzw. regelmäßige Insulinin- jektionen (vgl. Kapitel 2.1.3). Zusätzlich erfordert das Diabetesmanagement nicht nur die Durchführung dieser Aufgaben, sondern auch die Berücksichtigung der Interdepen- denz dieser Aufgaben und - wenn notwendig - die Anwendung angemessener Verände- rungen im täglichen Behandlungsplan. Die Selbstbehandlung ist somit sehr komplex und umfasst verschiedene Fertigkeiten und Fähigkeiten. Das Ausmaß der Komplexität hängt auch entscheidend von der Therapieform ab. Die Anforderungen, denen der Dia- betespatient gerecht werden muss, beinhalten dabei eine deutliche kognitive Kompo- nente. Dies reicht von der Fähigkeit, die Therapieempfehlungen zu verstehen bis zur Gedächtnisleistung, sich an die Empfehlungen des Arztes zu erinnern (Ruggiero et al., 1997). Eine Zusammenstellung der kognitiven Grundfunktionen, die ein Patient für die entsprechenden Selbstbehandlungsmaßnahmen benötigt, wird in Tabelle 4 dargestellt, die Elemente des Selbstbehandlungsverhaltens sind dem Review von Goodall und Hal- ford (1991) sowie den Empfehlungen von Ruggiero et al. (1997) und Mensing et al.

(2003) entnommen.

Tabelle 4: Für das Selbstbehandlungsverhalten benötigte kognitive Grundfunktionen Beispiel aus dem Selbstbehandlungsverhalten kognitive Grundfunktionen

Tabletteneinnahme Gedächtnis

Berechnung der Insulineinheiten rechnerisches Denken

Verständnis der Patientenschulung, Umsetzung

der ärztlichen Vorgaben verbale Fähigkeiten

Aufmerksamkeit / Konzentration Abstimmung der zu spritzenden Insulindosis auf

aktuelle Blutzuckerwerte und Kohlenhydratge- halt der Nahrung

Exekutivfunktionen (Planen, Orga- nisieren, Einhalten einer Reihenfol- ge, etc.)

Umstellung von Ernährungs- und Bewegungs- gewohnheiten

Spritztechnik Psychomotorik

(22)

Die dargestellte Zusammenfassung der benötigen Grundfunktionen für das Selbstbe- handlungsverhalten macht deutlich, dass vom Patienten ein gewisses Maß an allgemei- ner kognitiver Funktionsfähigkeit nötig ist, um den Anforderungen der Selbstbehand- lung gerecht werden zu können. Natürlich spielen auch andere Leistungen und Berei- che, die nicht kognitiv sind, eine Rolle beim Diabetes-Management, wie z.B. Motivati- on und Antrieb. Auf diese wird jedoch nicht näher eingegangen, da sie nicht explizit Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind.

2.2.3.1 EINFLUSS KOGNITIVER BEEINTRÄCHTIGUNGEN AUF DAS SELBSTBEHAND- LUNGSVERHALTEN

Bezüglich des Typ-2-Diabetes gibt es bisher nur wenige Studien, die den Zusammen- hang zwischen der kognitiven Leistungsfähigkeit und dem Selbstmanagementverhalten, also der Fähigkeit, den Diabetestherapieanforderungen im Alltag gerecht zu werden, untersucht haben. Die wenigen vorhandenen Untersuchungen sprechen jedoch für die- sen Zusammenhang und werden im Folgenden dargestellt.

Sinclair, Girling und Bayer (2000) untersuchten in ihrer Studie den Einfluss kognitiver Dysfunktionen von älteren Personen mit Diabetes mellitus auf das Selbstbehandlungs- verhalten und auf die Inanspruchnahme von Gesundheits- und Sozialdienstleistungen.

Sie vermuteten, dass kognitive Beeinträchtigungen zu Veränderungen in den individuel- len Fähigkeiten des Diabetikers führen können, mit dem Diabetes zurecht zu kommen.

Dies könnte die Rolle des Diabetikers als eigenständigen, selbstverantwortlichen Patien- ten gefährden und den Nutzen, den er aus Schulungen zieht, deutlich einschränken, wel- cher jedoch eine wichtige Schlüsselfunktion zum effektiven Selbstmanagement ein- nimmt. Die Ergebnisse der Studie unterstützen zunächst die in Kapitel 2.2.2 diskutierten Befunde, dass bei Diabetespatienten eine höhere Prävalenz kognitiver Dysfunktionen besteht: Diabetiker erbrachten im Vergleich zu Nicht-Diabetikern im MMSE und Clock Drawing Test (vgl. Shuhnan, Shedletsky & Silver, 1986) schlechtere Leistungen. Des Weiteren zeigten sich Alter, Schuldauer und Sehfähigkeit als zusätzliche, die kognitive Leistungsfähigkeit beeinflussende Faktoren, ebenso wie eine zuvor diagnostizierte De- menz und der sozioökonomische Status, wobei letztere nur Einfluss auf die Ergebnisse im MMSE hatten. Auch nach Kontrolle dieser Faktoren hatte Diabetes jedoch einen signifikanten Einfluss auf die kognitiven Testscores. Die Diabetesdauer hingegen hatte keinen signifikanten Einfluss, ebenso wenig wie der HbA1c, die Nüchtern-Blutglukose, das Gesamtcholesterin, HDL-Cholesterin und die Triglyceride. Das Selbstbehandlungs- verhalten wurde mittels eines Selbstbericht-Fragebogens erfasst. Das allgemeine tägli- che Funktionsniveau wurde über den Barthel-Index (vgl. Mahoney & Barthel, 1965) und die Activities-of-daily-living-Scale (vgl. Lincoln & Gladman, 1992) ermittelt, das Diabetes-Wissen wurde mittels des Diabetes Knowledge Questionnaire (vgl. Simmons, Meadows & Williams, 1991) erfasst. Die Resultate der Studie bestätigen, dass kognitive

(23)

Dysfunktionen mit Veränderungen im Selbstbehandlungsverhalten und mit der Inan- spruchnahme von Gesundheits- und Sozialdiensten verbunden ist: Personen mit gerin- geren MMSE-Scores waren weniger involviert in Diabetes Selbstmanagement- Aufgaben, d.h. sie übernahmen weniger Verantwortung für ihre Medikation und für die Überwachung des Blut- oder Harnzuckers und nahmen Diabetes-Spezial-Kliniken we- niger häufig in Anspruch. Außerdem brauchten Diabetespatienten mit geringeren MMSE-Werten signifikant mehr Unterstützung für die persönliche Behandlung und waren mit größerer Wahrscheinlichkeit im Jahr zuvor im Krankenhaus gewesen.

Deshalb fordern die Autoren für Patienten mit deutlichen kognitiven Beeinträchtigun- gen mehr Unterstützung von Spezialisten für die Diabetesbehandlung. Sie erhalten in dieser Forderung auch von Takehana und Takahashi (2002) Unterstützung, die grund- sätzlich für die Förderung diabetesrelevanter kognitiver Fähigkeiten plädieren, um da- mit eine effektive Verbesserung des Selbstmanagementverhaltens von Typ-2- Diabetespatienten zu erzielen.

Auch die DiKoL-Pilot-Studie von Schiel und Kollegen (2000) erbrachte vergleichbare Ergebnisse. 62 Typ-2-Diabetespatienten wurden je nach ihrer kognitiven Leistungsfä- higkeit (erfasst mit Mehrfach-Wortschatz-Test, Trail-Making-Test und Mosaik- und Zahlen-Symbol-Test des HAWIE-R) in zwei Gruppen unterteilt. Nach Beendigung ei- nes Schulungsprogramms wurden die beiden Gruppen hinsichtlich ihres Selbstbehand- lungsverhaltens verglichen. Die Ergebnisse zeigten, dass Patienten mit eingeschränkter kognitiver Leistungsfähigkeit häufig nicht in der Lage waren, alle Aspekte einer struk- turierten Standard-Diabetes-Schulung zu verstehen und dadurch weniger von diesen Schulungen profitieren konnten. Sie hatten geringeres Diabeteswissen (9.4 ±3.6 versus 11.5 ± 3.1 Punkte, p = 0.032) und das kognitive Leistungsniveau war mit dem Ergebnis im Selbstbehandlungstest assoziiert.

Die Ergebnisse der eben vorgestellten Studien weisen darauf hin, dass die kognitive Leistungsfähigkeit einen entscheidenden Einfluss auf die Umsetzung der Diabetesthera- pie haben kann und unterstreichen die klinische Relevanz der kognitiven Funktionen beim Diabetes mellitus.

2.2.3.2 KLINISCHE KONSEQUENZ

Bei einer Berücksichtigung dieser Befunde wäre als Konsequenz die Herstellung einer Passung von medizinischen Notwendigkeiten und patientenspezifischen Fähigkeiten essentiell. Diese könnte in Form einer an das kognitive Funktionsniveau des Patienten angepassten Therapie- und Schulungsplanung hergestellt werden. (Murata et al., 2003).

Die Befundlage dazu ist jedoch recht dürftig. Eine Ursache dafür ist die mangelnde Ver- fügbarkeit geeigneter Instrumente zur Erfassung der therapierelevanten kognitiven Leis-

(24)

tungsfähigkeit sowie die Tatsache, dass es kaum Interventionskonzepte gibt (Sinclair, Girling & Bayer, 2000).

Ein Beispiel für die erfolgreiche Verbesserung des Selbstbehandlungsverhaltens auf- grund der Berücksichtigung entsprechender Beeinträchtigungen liefern die Studien von Raml, Grafinger, Schmekal, Jöchterle und Biesenbach (2000) sowie von Braun, Müller, Müller, Leppert & Schiel (in press).

Raml et al. (2000) verglichen während einer 12-monatigen Beobachtungszeit die Effi- zienz einer fünftägigen stationären Diabetikergruppenschulung bei insulinpflichtigen Typ-2-Diabetespatienten im Alter von 45-59 Jahren, 60-74 Jahren und 75 Jahren oder älter. Das Schulungsprogramm war für die jüngeren und älteren Teilnehmer identisch, den didaktischen Problemen bei den älteren Typ-2-Diabetespatienten wurde jedoch durch zusätzliche Wiederholungen einzelner Schulungsinhalte Rechnung getragen.

Zwar wurde in dieser Studie nicht nach der kognitiven Leistungsfähigkeit, sondern le- diglich nach dem Alter unterschieden, aber die Ergebnisse zeigen, dass prinzipiell eine Verbesserung der Stoffwechsellage (HbA1c-Senkung) bei älteren Typ-2- Diabetespatienten ähnlich wie bei jüngeren Patienten möglich ist. In allen drei Gruppen konnte eine signifikante Verbesserung des HbA1c’s erreicht werden: um 15% (p<0.002) bei den 45-59-jährigen, um 12,5% (p<0.01) bei den 60-74-jährigen und um 14%

(p<0.001) bei den über 75-jährigen.

Die Ergebnisse der bereits zitierten DiKoL-Pilot-Studie (Schiel et al., 2000) führten zur Entwicklung eines Schulungsprogramms speziell für Typ-2-Diabetiker mit einge- schränkter kognitiver Leistungsfähigkeit (Braun, Müller, Müller, Leppert & Schiel, in press). Die kognitive Leistungsfähigkeit der Patienten wurde in dieser DikoL-Studie mittels Mehrfach-Wahl-Wortschatztest, Mosaik- und Zahlen-Symbol-Test (HAWIE-R) und dem Trail-Making-test A und B erfasst. Das geriatrische Schulungsprogramm zeichnete sich dadurch aus, dass es weniger auf theoretische Wissensvermittlung abziel- te, sondern mehr Raum für praktische Übungen (Insulininjektionen, Messung von Blut- und Harnzucker) ließ. Außerdem wurden die Schulungsinhalte häufiger wiederholt, um einen besseren Lerneffekt zu erzielen. Die Ergebnisse zeigten, dass die Patienten, die an der geriatrischen Schulung teilnahmen, im Vergleich zu (ebenfalls kognitiv beeinträch- tigten) Patienten, die an einem Standard-Schulungsprogramm teilnahmen, bessere Selbstbehandlungsfähigkeiten erzielten und seltener Sozialdienstleistungen in Anspruch nehmen mussten. Die Autoren betonen besonders den Befund, dass diese Patienten mit der Schulung zufriedener waren als die Patienten der anderen Gruppe.

Die Ergebnisse zeigen, dass eine geriatrische Schulung und Therapie älterer Patienten mit beeinträchtigter kognitiver Leistungsfähigkeit eine erfolgreiche Verbesserung der metabolischen Kontrolle bietet, sowie zu einer hohen Zufriedenheit mit dem Schu-

(25)

lungsprogramm führt und die Fähigkeit zur Selbstbehandlung verbessert (Braun et al., in press).

Mit dem Angebot von Schulungen und Therapieplänen, die das kognitive Funktionsni- veau des Patienten beachten, ist ein wichtiger Schritt in Richtung Optimierung des An- gebots für Patienten mit kognitiven Beeinträchtigungen getan. Damit wird ihnen ermög- licht, ihre Therapieziele besser zu erreichen und somit das Risiko für Folgeerkrankun- gen zu minimieren.

Zu beachten ist jedoch, dass der funktionale Status von älteren Menschen mit Diabetes sehr heterogen ist. Er reicht in dieser Population von Personen mit frisch diagnostizier- tem Diabetes über Personen mit langjährig gut eingestelltem Diabetes bis hin zu Perso- nen, die einen seit Jahrzehnten schlecht eingestellten Diabetes haben. Einige ältere Menschen haben wenige oder keine zusätzlichen Erkrankungen, andere wiederum ha- ben schon seit Jahren diabetesbedingte Komplikationen. Einige können bereits unter deutlichen kognitiven Beeinträchtigungen leiden, andere sind kognitiv noch topfit. Auch die Lebenserwartung variiert beträchtlich, was bedeutet, dass verschiedene Interventio- nen für unterschiedliche Patienten unterschiedliche Bedeutung haben können, abhängig von dem jeweils antizipierten Effekt auf die Lebensqualität (Dellasega, 1990).

Die Ziele der Therapie sollten deshalb laut Gregg und Brown (2003) an den individuel- len Fähigkeiten und Fertigkeiten des Patienten ausgerichtet werden. Für die Praxis be- deutet dies, wie Gregg und Brown folgern, dass Interventionen, die diese Heterogenität berücksichtigen, das Diabetesmanagement verbessern könnten: „The heterogeneity of older people with diabetes may mean that interventions that address screening, preven- tion, or treatment of age-associated syndromes such as cognitive or functional decline, depression, and disability may enhance diabetes management” (Gregg & Brown, 2003, S.116).

Eine optimale Schulungs- und Therapieplanung, bei der die Heterogenität der Patienten berücksichtigt wird, setzt eine adäquate Erfassung der vorhandenen Fähigkeiten und Ressourcen des Patienten voraus.

2.2.4 K

RITISCHE

W

ÜRDIGUNG DER

B

EFUNDLAGE

Aus den bisher angeführten Studien wird ersichtlich, dass sowohl das Alter als auch der Diabetes per se einen Einfluss auf die kognitive Leistungsfähigkeit haben können. Typ- 2-Diabetespatienten, die vorwiegend älter als 60 Jahre sind, zählen deshalb zur Risiko- gruppe für kognitive Abbauprozesse. Des Weiteren konnte gezeigt werden, dass ein Vorhandensein kognitiver Beeinträchtigungen zu einer Verschlechterung des Selbstbe- handlungsverhaltens führen kann. Da aber das Selbstbehandlungsverhalten entschei-

(26)

dend ist, um die Therapieziele zu erreichen und dadurch Folgeerkrankungen des Diabe- tes zu vermeiden, ist es klinisch notwendig, die individuelle kognitive Leistungsfähig- keit des Patienten für die Schulungs- und Therapieplanung zu berücksichtigen.

Kritisch anzumerken ist, dass in den bisherigen Studien die kognitive Leistungsfähigkeit meistens mittels MMSE, mit einzelnen Untertests des HAWIE-R (bzw. WAIS-R), manchmal auch mit Hilfe des Clock Drawing oder Trail-Making-Test erfasst wurde.

Die MMSE ist ein sehr weit verbreitetes und gut standardisiertes Screeninginstrument zur Erfassung des kognitiven Status. Der große Vorteil besteht einerseits darin, dass es nicht zeitaufwendig ist (5-10 Minuten) und damit geringe zeitliche und finanzielle Res- sourcen beansprucht, und andererseits in der Tatsache, dass eine globale Erfassung von vielen kognitiven Leistungsbereichen möglich ist (Orientierung, Merkfähigkeit, Auf- merksamkeit, Konzentration, Erinnerungsfähigkeit und Sprachverständnis) (Maurer et al., 1993; Tombaugh & McIntyre, 1992). Problematisch ist bei der MMSE jedoch ihre begrenzte Spezifität in Bezug auf individuelle klinische Symptome und ihre Sensitivität bezüglich des Alters und Bildungsniveaus (Helkala et al., 2002; Frisoni et al., 1993).

Dies ist jedoch gerade bei Typ-2-Diabetespatienten von grundlegender Bedeutung. Au- ßerdem ist der Nutzen in den unteren und sehr hohen Leistungsbereichen begrenzt (so genannte „floor“- und „ceiling“- Effekte). Deshalb ist die MMSE nicht besonders ge- eignet für den Einsatz im diabetologisch orientierten klinischen Setting. Auch bei den anderen genannten Verfahren bestehen die Vorteile sicherlich darin, dass sie gut etab- liert und validiert sind und schon auf vielfache Weise sowohl im klinischen als auch im Forschungs-Setting eingesetzt wurden. Für den täglichen und dauerhaften Einsatz im klinischen Alltag einer Diabetes-Klinik sind diese Instrumente jedoch weniger geeignet, da sie aufgrund ihres z.T. offensichtlichen Intelligenztest-Charakters möglicherweise Widerstand auf Seiten der Patienten erzeugen können. Da sie inhaltlich keinen Diabe- tesbezug aufweisen, könnte dadurch möglicherweise ihre Notwendigkeit angezweifelt werden. Der Einsatz des kompletten HAWIE-R ist außerdem nicht praktikabel, da er sehr viel Zeit an Anspruch nimmt und mit großem Aufwand verbunden ist.

Die im vorangegangenen Theorieteil erörterte Befundlage verdeutlicht die klinische Relevanz der kognitiven Leistungsfähigkeit im diabetischen Setting. Damit konnte auch die Notwendigkeit der Erfassung der kognitiven Leistungsfähigkeit bei Typ-2- Diabetespatienten veranschaulicht werden. Gleichzeitig wurde die Diskrepanz zwischen der Relevanz bzw. dem eigentlichen Bedarf an geeigneten Verfahren zur Erfassung der therapierelevanten kognitiven Leistungsfähigkeit und der Verfügbarkeit eines solchen Messinstruments aufgezeigt.

Ausgehend von diesen Defiziten einerseits und dem Bedarf andererseits sollen im Fol- genden nun die daraus resultierenden Fragestellungen abgeleitet werden.

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