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T YP -2-D IABETES , KOGNITIVE L EISTUNGSFÄHIGKEIT UND

2.2 T YP -2-D IABETES UND KOGNITIVE F UNKTIONEN

2.2.3 T YP -2-D IABETES , KOGNITIVE L EISTUNGSFÄHIGKEIT UND

Zunächst soll an dieser Stelle der Begriff von „Selbstmanagement“ erläutert werden, um dann auf dessen Zusammenhang mit kognitiver Leistungsfähigkeit bei Typ-2-Diabetes

einzugehen. Goodall und Hallford (1991, S.1) betrachten in ihrer Definition Selbstma-nagement als ein Set von “skilled behaviors engaged in to manage one’s own illness”.

Im Bezug auf das tägliche Diabetesmanagement bedeutet dies im Allgemeinen die Be-folgung eines regulären Ernährungs- und Bewegungsplans, die Selbsttestung des Blut-zuckers und die regelmäßige Einnahme von Medikamenten bzw. regelmäßige Insulinin-jektionen (vgl. Kapitel 2.1.3). Zusätzlich erfordert das Diabetesmanagement nicht nur die Durchführung dieser Aufgaben, sondern auch die Berücksichtigung der Interdepen-denz dieser Aufgaben und - wenn notwendig - die Anwendung angemessener Verände-rungen im täglichen Behandlungsplan. Die Selbstbehandlung ist somit sehr komplex und umfasst verschiedene Fertigkeiten und Fähigkeiten. Das Ausmaß der Komplexität hängt auch entscheidend von der Therapieform ab. Die Anforderungen, denen der Dia-betespatient gerecht werden muss, beinhalten dabei eine deutliche kognitive Kompo-nente. Dies reicht von der Fähigkeit, die Therapieempfehlungen zu verstehen bis zur Gedächtnisleistung, sich an die Empfehlungen des Arztes zu erinnern (Ruggiero et al., 1997). Eine Zusammenstellung der kognitiven Grundfunktionen, die ein Patient für die entsprechenden Selbstbehandlungsmaßnahmen benötigt, wird in Tabelle 4 dargestellt, die Elemente des Selbstbehandlungsverhaltens sind dem Review von Goodall und Hal-ford (1991) sowie den Empfehlungen von Ruggiero et al. (1997) und Mensing et al.

(2003) entnommen.

Tabelle 4: Für das Selbstbehandlungsverhalten benötigte kognitive Grundfunktionen Beispiel aus dem Selbstbehandlungsverhalten kognitive Grundfunktionen

Tabletteneinnahme Gedächtnis

Berechnung der Insulineinheiten rechnerisches Denken

Verständnis der Patientenschulung, Umsetzung

der ärztlichen Vorgaben verbale Fähigkeiten

Aufmerksamkeit / Konzentration Abstimmung der zu spritzenden Insulindosis auf

aktuelle Blutzuckerwerte und

Die dargestellte Zusammenfassung der benötigen Grundfunktionen für das Selbstbe-handlungsverhalten macht deutlich, dass vom Patienten ein gewisses Maß an allgemei-ner kognitiver Funktionsfähigkeit nötig ist, um den Anforderungen der Selbstbehand-lung gerecht werden zu können. Natürlich spielen auch andere Leistungen und Berei-che, die nicht kognitiv sind, eine Rolle beim Diabetes-Management, wie z.B. Motivati-on und Antrieb. Auf diese wird jedoch nicht näher eingegangen, da sie nicht explizit Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind.

2.2.3.1 EINFLUSS KOGNITIVER BEEINTRÄCHTIGUNGEN AUF DAS S ELBSTBEHAND-LUNGSVERHALTEN

Bezüglich des Typ-2-Diabetes gibt es bisher nur wenige Studien, die den Zusammen-hang zwischen der kognitiven Leistungsfähigkeit und dem Selbstmanagementverhalten, also der Fähigkeit, den Diabetestherapieanforderungen im Alltag gerecht zu werden, untersucht haben. Die wenigen vorhandenen Untersuchungen sprechen jedoch für die-sen Zusammenhang und werden im Folgenden dargestellt.

Sinclair, Girling und Bayer (2000) untersuchten in ihrer Studie den Einfluss kognitiver Dysfunktionen von älteren Personen mit Diabetes mellitus auf das Selbstbehandlungs-verhalten und auf die Inanspruchnahme von Gesundheits- und Sozialdienstleistungen.

Sie vermuteten, dass kognitive Beeinträchtigungen zu Veränderungen in den individuel-len Fähigkeiten des Diabetikers führen können, mit dem Diabetes zurecht zu kommen.

Dies könnte die Rolle des Diabetikers als eigenständigen, selbstverantwortlichen Patien-ten gefährden und den Nutzen, den er aus Schulungen zieht, deutlich einschränken, wel-cher jedoch eine wichtige Schlüsselfunktion zum effektiven Selbstmanagement ein-nimmt. Die Ergebnisse der Studie unterstützen zunächst die in Kapitel 2.2.2 diskutierten Befunde, dass bei Diabetespatienten eine höhere Prävalenz kognitiver Dysfunktionen besteht: Diabetiker erbrachten im Vergleich zu Nicht-Diabetikern im MMSE und Clock Drawing Test (vgl. Shuhnan, Shedletsky & Silver, 1986) schlechtere Leistungen. Des Weiteren zeigten sich Alter, Schuldauer und Sehfähigkeit als zusätzliche, die kognitive Leistungsfähigkeit beeinflussende Faktoren, ebenso wie eine zuvor diagnostizierte De-menz und der sozioökonomische Status, wobei letztere nur Einfluss auf die Ergebnisse im MMSE hatten. Auch nach Kontrolle dieser Faktoren hatte Diabetes jedoch einen signifikanten Einfluss auf die kognitiven Testscores. Die Diabetesdauer hingegen hatte keinen signifikanten Einfluss, ebenso wenig wie der HbA1c, die Nüchtern-Blutglukose, das Gesamtcholesterin, HDL-Cholesterin und die Triglyceride. Das Selbstbehandlungs-verhalten wurde mittels eines Selbstbericht-Fragebogens erfasst. Das allgemeine tägli-che Funktionsniveau wurde über den Barthel-Index (vgl. Mahoney & Barthel, 1965) und die Activities-of-daily-living-Scale (vgl. Lincoln & Gladman, 1992) ermittelt, das Diabetes-Wissen wurde mittels des Diabetes Knowledge Questionnaire (vgl. Simmons, Meadows & Williams, 1991) erfasst. Die Resultate der Studie bestätigen, dass kognitive

Dysfunktionen mit Veränderungen im Selbstbehandlungsverhalten und mit der Inan-spruchnahme von Gesundheits- und Sozialdiensten verbunden ist: Personen mit gerin-geren MMSE-Scores waren weniger involviert in Diabetes Selbstmanagement-Aufgaben, d.h. sie übernahmen weniger Verantwortung für ihre Medikation und für die Überwachung des Blut- oder Harnzuckers und nahmen Diabetes-Spezial-Kliniken we-niger häufig in Anspruch. Außerdem brauchten Diabetespatienten mit geringeren MMSE-Werten signifikant mehr Unterstützung für die persönliche Behandlung und waren mit größerer Wahrscheinlichkeit im Jahr zuvor im Krankenhaus gewesen.

Deshalb fordern die Autoren für Patienten mit deutlichen kognitiven Beeinträchtigun-gen mehr Unterstützung von Spezialisten für die Diabetesbehandlung. Sie erhalten in dieser Forderung auch von Takehana und Takahashi (2002) Unterstützung, die grund-sätzlich für die Förderung diabetesrelevanter kognitiver Fähigkeiten plädieren, um da-mit eine effektive Verbesserung des Selbstmanagementverhaltens von Typ-2-Diabetespatienten zu erzielen.

Auch die DiKoL-Pilot-Studie von Schiel und Kollegen (2000) erbrachte vergleichbare Ergebnisse. 62 Typ-2-Diabetespatienten wurden je nach ihrer kognitiven Leistungsfä-higkeit (erfasst mit Mehrfach-Wortschatz-Test, Trail-Making-Test und Mosaik- und Zahlen-Symbol-Test des HAWIE-R) in zwei Gruppen unterteilt. Nach Beendigung ei-nes Schulungsprogramms wurden die beiden Gruppen hinsichtlich ihres Selbstbehand-lungsverhaltens verglichen. Die Ergebnisse zeigten, dass Patienten mit eingeschränkter kognitiver Leistungsfähigkeit häufig nicht in der Lage waren, alle Aspekte einer struk-turierten Standard-Diabetes-Schulung zu verstehen und dadurch weniger von diesen Schulungen profitieren konnten. Sie hatten geringeres Diabeteswissen (9.4 ±3.6 versus 11.5 ± 3.1 Punkte, p = 0.032) und das kognitive Leistungsniveau war mit dem Ergebnis im Selbstbehandlungstest assoziiert.

Die Ergebnisse der eben vorgestellten Studien weisen darauf hin, dass die kognitive Leistungsfähigkeit einen entscheidenden Einfluss auf die Umsetzung der Diabetesthera-pie haben kann und unterstreichen die klinische Relevanz der kognitiven Funktionen beim Diabetes mellitus.

2.2.3.2 KLINISCHE KONSEQUENZ

Bei einer Berücksichtigung dieser Befunde wäre als Konsequenz die Herstellung einer Passung von medizinischen Notwendigkeiten und patientenspezifischen Fähigkeiten essentiell. Diese könnte in Form einer an das kognitive Funktionsniveau des Patienten angepassten Therapie- und Schulungsplanung hergestellt werden. (Murata et al., 2003).

Die Befundlage dazu ist jedoch recht dürftig. Eine Ursache dafür ist die mangelnde Ver-fügbarkeit geeigneter Instrumente zur Erfassung der therapierelevanten kognitiven

Leis-tungsfähigkeit sowie die Tatsache, dass es kaum Interventionskonzepte gibt (Sinclair, Girling & Bayer, 2000).

Ein Beispiel für die erfolgreiche Verbesserung des Selbstbehandlungsverhaltens auf-grund der Berücksichtigung entsprechender Beeinträchtigungen liefern die Studien von Raml, Grafinger, Schmekal, Jöchterle und Biesenbach (2000) sowie von Braun, Müller, Müller, Leppert & Schiel (in press).

Raml et al. (2000) verglichen während einer 12-monatigen Beobachtungszeit die Effi-zienz einer fünftägigen stationären Diabetikergruppenschulung bei insulinpflichtigen Typ-2-Diabetespatienten im Alter von 45-59 Jahren, 60-74 Jahren und 75 Jahren oder älter. Das Schulungsprogramm war für die jüngeren und älteren Teilnehmer identisch, den didaktischen Problemen bei den älteren Typ-2-Diabetespatienten wurde jedoch durch zusätzliche Wiederholungen einzelner Schulungsinhalte Rechnung getragen.

Zwar wurde in dieser Studie nicht nach der kognitiven Leistungsfähigkeit, sondern le-diglich nach dem Alter unterschieden, aber die Ergebnisse zeigen, dass prinzipiell eine Verbesserung der Stoffwechsellage (HbA1c-Senkung) bei älteren Typ-2-Diabetespatienten ähnlich wie bei jüngeren Patienten möglich ist. In allen drei Gruppen konnte eine signifikante Verbesserung des HbA1c’s erreicht werden: um 15% (p<0.002) bei den 45-59-jährigen, um 12,5% (p<0.01) bei den 60-74-jährigen und um 14%

(p<0.001) bei den über 75-jährigen.

Die Ergebnisse der bereits zitierten DiKoL-Pilot-Studie (Schiel et al., 2000) führten zur Entwicklung eines Schulungsprogramms speziell für Typ-2-Diabetiker mit einge-schränkter kognitiver Leistungsfähigkeit (Braun, Müller, Müller, Leppert & Schiel, in press). Die kognitive Leistungsfähigkeit der Patienten wurde in dieser DikoL-Studie mittels Mehrfach-Wahl-Wortschatztest, Mosaik- und Zahlen-Symbol-Test (HAWIE-R) und dem Trail-Making-test A und B erfasst. Das geriatrische Schulungsprogramm zeichnete sich dadurch aus, dass es weniger auf theoretische Wissensvermittlung abziel-te, sondern mehr Raum für praktische Übungen (Insulininjektionen, Messung von Blut- und Harnzucker) ließ. Außerdem wurden die Schulungsinhalte häufiger wiederholt, um einen besseren Lerneffekt zu erzielen. Die Ergebnisse zeigten, dass die Patienten, die an der geriatrischen Schulung teilnahmen, im Vergleich zu (ebenfalls kognitiv beeinträch-tigten) Patienten, die an einem Standard-Schulungsprogramm teilnahmen, bessere Selbstbehandlungsfähigkeiten erzielten und seltener Sozialdienstleistungen in Anspruch nehmen mussten. Die Autoren betonen besonders den Befund, dass diese Patienten mit der Schulung zufriedener waren als die Patienten der anderen Gruppe.

Die Ergebnisse zeigen, dass eine geriatrische Schulung und Therapie älterer Patienten mit beeinträchtigter kognitiver Leistungsfähigkeit eine erfolgreiche Verbesserung der metabolischen Kontrolle bietet, sowie zu einer hohen Zufriedenheit mit dem

Schu-lungsprogramm führt und die Fähigkeit zur Selbstbehandlung verbessert (Braun et al., in press).

Mit dem Angebot von Schulungen und Therapieplänen, die das kognitive Funktionsni-veau des Patienten beachten, ist ein wichtiger Schritt in Richtung Optimierung des An-gebots für Patienten mit kognitiven Beeinträchtigungen getan. Damit wird ihnen ermög-licht, ihre Therapieziele besser zu erreichen und somit das Risiko für Folgeerkrankun-gen zu minimieren.

Zu beachten ist jedoch, dass der funktionale Status von älteren Menschen mit Diabetes sehr heterogen ist. Er reicht in dieser Population von Personen mit frisch diagnostizier-tem Diabetes über Personen mit langjährig gut eingestelldiagnostizier-tem Diabetes bis hin zu Perso-nen, die einen seit Jahrzehnten schlecht eingestellten Diabetes haben. Einige ältere Menschen haben wenige oder keine zusätzlichen Erkrankungen, andere wiederum ha-ben schon seit Jahren diabetesbedingte Komplikationen. Einige können bereits unter deutlichen kognitiven Beeinträchtigungen leiden, andere sind kognitiv noch topfit. Auch die Lebenserwartung variiert beträchtlich, was bedeutet, dass verschiedene Interventio-nen für unterschiedliche Patienten unterschiedliche Bedeutung haben könInterventio-nen, abhängig von dem jeweils antizipierten Effekt auf die Lebensqualität (Dellasega, 1990).

Die Ziele der Therapie sollten deshalb laut Gregg und Brown (2003) an den individuel-len Fähigkeiten und Fertigkeiten des Patienten ausgerichtet werden. Für die Praxis be-deutet dies, wie Gregg und Brown folgern, dass Interventionen, die diese Heterogenität berücksichtigen, das Diabetesmanagement verbessern könnten: „The heterogeneity of older people with diabetes may mean that interventions that address screening, preven-tion, or treatment of age-associated syndromes such as cognitive or functional decline, depression, and disability may enhance diabetes management” (Gregg & Brown, 2003, S.116).

Eine optimale Schulungs- und Therapieplanung, bei der die Heterogenität der Patienten berücksichtigt wird, setzt eine adäquate Erfassung der vorhandenen Fähigkeiten und Ressourcen des Patienten voraus.