NS-ZEIT
Zu unserer abgeschlossenen Reihe „Medizin im Nationalsozia- lismus":
Anerkennung versagen
die reihe „medizin im na- tionalsozialismus" verdient unsere ganze aufmerksamkeit und unser engagement, und fand sie auch. und unser tie- fer dank den initiatoren und den autoren — für vieles ha- ben sie mir die augen geöff- net, zusammenhänge aufge- zeigt. und die briefe der kolle- g en vermochten die unter- schiedlichsten arten und In- tensitäten von empfindungen zu wecken, von abscheu und empörung bis zu beglückung und tagelangem sinnen
auch die gefahren, denen wir heute als ärzte gegen- überstehen, noch immer, wurden offenbar: den einzi- gen auftraggeber all unseres handelns allein in der person zu erkennen, der unsere be- mühung gilt: ihr allein haben wir unseren dienst zuzu- schwören. — sogenannte ko- stenträger, verwaltungen und ähnliches sind in vieler hin- sicht die schwersten prüfstei- ne für des arztes integrität:
wo soziale ansprüche ange- meldet werden, die beglei- tung, beratung und notfalls behandlung eines leidenden durch einen menschen (der dafür sogar bezahlt wird) mit- zubestimmen Axel Springer machte damals mit seinen an- führungsstrichen für DDR deutlich, welche sorgfältige behandlung sprachliche fein- heiten für die entwicklung von bewußtsein und gesell- schaftlicher akzeptanz verdie- nen. wohl dem, der strate- gisch einen begriff zu plazie- ren vermag. In diesem sinn sollten wir prüfen, ob die
„medizin im nationalsozialis- mus" als „medizin im 3.
reich", so der titel des sam- melbandes, firmieren darf:
die diktatur der nazis, man- che sagen polykratie dazu, lö- ste eine republik ab, sie stell- te sich mit der selbst- gewählten bezeichnung in eine reihe mit mythisch ver- klärtem zusammenfallen gött-
lichem und weltlichem gestal- tungsanspruch, beziehungs- weise berechtigungsgewiß- heit. manchmal machen wir es uns, scheinobjektiv, etwas zu einfach, wenn wir die Pro- pagandaformeln gebrauchen.
ob ihre autoren sich an die ar- beit gemacht hätten für eine serie „medizin im 3. reich"?
die etwas unbekümmerte haltung der redaktion zeigt sich auch in ihren stellung- nahmen auf kritik. vielleicht ist es aber manchmal ein zu- sätzliches nachdenken wert, ob man faksimile untertitelt mit „reichsärzteführer dr.
wagner . . ." die nazis standen nicht in unserer tradition, wir wollen nicht in ihrer stehen.
ihr anspruch war großartig, ihre mittel und wirkungen ex- trem, ihr erfolg war schla- gend. die nazis haben unter denen, die sie als rechtmäßige anführer anerkannten, uner- hörte bereitschaft ausgelöst, zu leiden und leid zu berei- ten. wenn wir daraus lernen wollen, müssen wir die aner- kennung versagen!
Ulf Berwaldt, Baumgar- tenstraße 2 a, 3590 Bad Wil- dungen
AUSGABE „D"
Zu der seit Heft 9/1990 erschei- nenden Ausgabe D:
Glückwunsch
Als langjähriger Leser un- seres Blattes möchte ich Sie zur "Ausgabe D" sehr be- glückwünschen. Mit Genug- tuung habe ich festgestellt, daß Sie in dieser ersten Aus- gabe keine Seiten über exqui- site Reiseziele, über Antiqui- täten- und Aktienhandel so- wie andere nichtärztliche Themen gebracht haben.
Bei Journalisten, die unser Blatt gelegentlich zitieren, oder anderen nicht-ärztlichen Lesern könnte meines Erach- tens durch die Behandlung solcher Themen der falsche Eindruck entstehen, wir Ärz- te wären doch „Beutelschnei- der" und wüßten nicht, wohin mit dem Geld.
Dr. med. Hans Bette, Klo- sterweg 8, 5787 Olsberg
PHARMAKOLOGIE Zu dem Beitrag „Situation und Perspektiven der klinischen Phar- makologie" von Prof. Dr. med. El- len Weber in Heft 8/1990:
Ziele und Aufgaben vernachlässigt
Der Beitrag vermischt meines Erachtens zu sehr die persönliche Situation und Perspektive der Autorin mit der eines gesamten Fachge- bietes.
Er vernachlässigt die Kon- kretisierung von Zielen und Aufgaben der klinischen Pharmakologie sowie die Be- nennung der Defizite, die im Hinblick auf eine wissen- schaftlich begründete und empirisch gerechtfertigte Arzneitherapie bereits exi- stieren. Insofern werden na- türlich auch keine Anregun- gen gegeben, in welcher Wei- se klinisch-pharmakologi- scher Sachverstand besser ge- nutzt werden muß.
Der Kernpunkt ist gewiß nicht, daß klinisch-pharmako- logische Abteilungen in den gleichen Rang wie kardiologi- sche, nephrologische oder an- dere internistische Abteilun- gen versetzt werden. Die Arz- neitherapie ist zu sehr inte- graler Bestandteil der ärztli- chen Tätigkeit, als daß sie nur von speziellen Experten, den klinischen Pharmakologen, kompetent ausgeübt werden könnte. Insofern besteht kaum eine Vergleichbarkeit mit der Anästhesiologie.
Zum anderen ist die Spe- zialisierung bereits derart fortgeschritten, daß es keine Universal-Experten für Arz- neitherapie geben dürfte.
Wer klinisch am Krankenbett tätig sein will, wer praktische Arzneitherapie betreiben will, der sollte in einer inter- nistischen, pädiatrischen, psychiatrischen Abteilung oder in eigener Niederlassung ärztlich tätig sein.
Die klinische Pharmakolo- gie hat ihren etablierten Platz nicht in der Klinik, sondern in der pharmazeutischen Indu- strie. Sie ist ein essentieller Bestandteil jeder Arzneimit-
telentwicklung. Und da dem Arzt nicht Feinchemikalien übergeben werden, sondern Therapeutika, die nur noch
„verschrieben" zu werden brauchen, ist der Nutzen der klinischen Pharmakologie für die Bestimmung von Anwen- dungsgebieten, Gegenanzei- gen, Nebenwirkungen, Dosie- rung, Anwendungsdauer und so weiter unmittelbar ver- ständlich.
Weniger verständlich scheint mir, daß für diese eta- blierte klinisch-pharmakolo- gische Tätigkeit gar keine entsprechende Qualifikation als Arzt für klinische Pharma- kologie erforderlich ist, son- dern lediglich eine zweijähri- ge Erfahrung in der klini- schen Prüfung von Arzneimit- teln (§ 40 AMG). Gerade an diesem Punkt muß eine Auf- wertung der klinischen Phar- makologie ansetzen.
Außerhalb dieses Berei- ches sollte die klinische Phar- makologie es vermeiden, in Konkurrenz zu den „großen"
Fächern zu treten, die Arz- neitherapie als genuinen Be- standteil betreiben und leh- ren.
Sie sollte vorwiegend wis- senschaftlich und projektbe- zogen arbeiten sowie sich neue Tätigkeitsfelder er- schließen, die bisher eher ver- nachlässigt wurden wie die Erfassung von Risiken der Arzneitherapie oder die Qua- litätssicherung. Als junge Dis- ziplin sollte sie die traditio- nellen soziologischen Barrie- ren medizinischer Institutio- nen eher mißachten und nicht nur die Verbindung zu klini- schen Partnern, sondern auch die zu Pharmazeuten, Labor- medizinern, Epidemiologen oder theoretisch-experimen- tell arbeitenden Wissen- schaftlern suchen. Daß die Vertreter dieser Disziplinen, soweit sie organisatorisch an- gegliedert waren, früher meist irgendwo im Keller gro- ßer Kliniken hausten, dürfte als Maßstab einer heutigen Bewertung wohl kaum noch gelten.
Dr. Claus Günther, Kö- nigsberger Straße 21, 1000 Berlin 45
A-1156 (12) Dt. Ärztebl. 87, Heft 15, 12. April 1990