Schlusswort
Die Grundkonzeption der Kriterien des Hirntodes ist seit Jahrzehnten kli- nisch uneingeschränkt akzeptiert und stützt sich auf die Pathophysiologie seiner Entwicklung, die exakte Ein- haltung von Voraussetzungen, die Feststellung der klinischen Symptome von Koma, Hirnstamm-Areflexie so- wie des Atemstillstandes. Mit dem Hirntod ist naturwissenschaftlich-me- dizinisch der Tod des Menschen fest- gestellt (6). Umso mehr überrascht, dass sowohl in der Bevölkerung als auch bei medizinischem Fachpersonal immer noch erhebliche Defizite und Zweifel bezüglich des Konzeptes
„Hirntod“ bestehen: 80 Prozent der in einer amerikanischen Kleinstadt be- fragten Einwohner gaben eine völlige Unkenntnis des Hirntodkonzeptes an und hielten das Vorliegen eines Kreis- laufversagens für die Voraussetzung (2). Die Hälfte von befragten Studie- renden der Medizin in der Schweiz gab an, grundsätzliche Bedenken zu haben gegenüber der Möglichkeit einer ex- akten Hirntoddiagnose (3). Auch das Personal von Intensivstationen zeigte sich in einer israelischen Untersu- chung in mehr als 80 Prozent nicht in der Lage, korrekte Antworten auf Fra- gen zur Hirntoddiagnostik zu geben (4). Für Deutschland liegen solche Untersuchungen nicht vor, es darf aber vermutet werden, dass ebenso er- schreckende Resultate zu erwarten wären.
Es war daher das Ziel der Autoren, angesichts bekannter Defizite das Konzept des Hirntodes erneut darzu- stellen und Probleme der Umsetzung im klinisch-intensivmedizinischen All- tag zu diskutieren. Vor diesem Hinter- grund ist eine Ergänzung und kritische Anregung, wie sie Herr Janzen vorge- nommen hat, grundsätzlich wün- schenswert. Angemessene Kenntnisse des Intensivpersonals von solchen spi- nalen Reflexen oder spinalmotori- schen Schablonen sind sinnvoll, um ei- gene Verunsicherungen oder Zweifel von Angehörigen zu unterbinden. Die Häufigkeit solcher Spinalisationsphä- nomene wird in systematischen Unter- suchungen zwischen 13 Prozent (1) und 39 Prozent (5) angegeben.
Wir halten es jedoch nicht für erfor- derlich, dass solche Kenntnisse ein so hohes fachliches Ausmaß annehmen, wie von Herrn Janzen gefordert, weil in den stets an den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft ange- passten Richtlinien der Bundesärzte- kammer alles für den klinischen Alltag Notwendige dargestellt ist: Auf die ausführliche Anamnese der zum Aus- fall der Hirnfunktionen führenden Er- krankung folgt die exakte und zwei- felsfrei vorgeschriebene Erhebung der Symptome, ergänzt durch erneute Un- tersuchungen oder apparative Maß- nahmen, um die Irreversibilität des Hirnausfalls zu bestätigen. Auf die- sem „Fundament“ wird der Tod eines Menschen festgestellt, und ein solches
„Fundament“ setzt Kompetenz und Gewissenhaftigkeit voraus. Während Letzteres eine Grundvoraussetzung ärztlicher und pflegender Berufe dar- stellt, muss um Ersteres offensichtlich immer wieder gerungen werden, wie oben zitierte Studien nahe legen. Trotz eines gut formulierten und ethisch- wissenschaftlich tief basierten Trans- plantationsgesetzes lässt in Deutsch- land die konsequente Umsetzung der Konzeption „Hirntod und Organspen- de“ im Vergleich mit anderen euro- päischen Ländern zu wünschen übrig.
Ein Ansatz zur Besserung liegt im Ab- bau von Informationsdefiziten durch Schaffung von Kompetenz. Kompe- tenz des (intensiv-)medizinischen Fach- personals erzeugt Glaubwürdigkeit, die wiederum Vertrauen hervorbringt.
Diese Eigenschaft ist wohl am besten geeignet, in der Situation einer To- desbotschaft zutiefst erschütterte An- gehörige für die Organspende zu sen- sibilisieren.
Literatur
1. Dosemeci L, Cengiz M, Yilmaz M et al.: Frequency of spinal reflex movements in braindead patients.
Transplant Proc 2004; 36:17–9.
2. Horton RL, Horton PJ: Knowledge regarding organ donation: Identifying and overcoming barriers to or- gan donation. Soc Sci Med 1990; 31: 791–800.
3. Laderach-Hofmann K, Isenschmid GB: Wissen, Ein- stellungen und Bedenken von Studierenden der Me- dizin gegenüber der Organtransplantation: Resulta- te einer Fragebogenerhebung im ersten Studienjahr:
Schweiz Med Wochenschr 1998; 128: 1840–9.
4. Rachmani R: Physicians’ and nurses’ attitudes and knowledge toward brain death. Transplant Proc 1999; 31: 1912–3.
5. Saposnik G, Bueri JA, Maurino J et al.: Spontaneous and reflex movements in brain death. Neurology 2000; 54: 221–3.
6. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer:
Kriterien des Hirntodes. Entscheidungshilfen zur Feststellung des Hirntodes. Dt Ärztebl 1997; 94:
1296–303 [Heft 19].
Prof. Dr. med. Thomas Bein Klinik für Anästhesiologie Universitätsklinikum 93042 Regensburg
Die Autoren aller Diskussionsbeiträge erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des Internatio- nal Committee of Medical Journal Editors besteht.
Offene Fragen
Die Arbeit ist einer der fundiertesten und umfassendsten Beiträge zum Pro- blem der Osteoporose, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Aus der Praxis be- grüße ich die begründete Würdigung der Beobachtung, dass nicht nur der
„Beton“ der komplizierten Brücken- konstruktion im Vordergrund steht, sondern auch die „Stahlkonstruktion“, das Kollagen, das in sauren Stoffwech- selsituationen, wie im katabolen Stress und unter Stresshormongaben, leidet.
Bedauerlicherweise sind einige Abkür- zungen nicht explizit erklärt, sodass we- niger Eingeweihte möglicherweise vor soviel Wissenschaftlichkeit kapitulieren und damit das Weiterbildungsziel nicht erreicht werden könnte.
M E D I Z I N
A
A2954 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 43⏐⏐28. Oktober 2005
zu dem Beitrag
Erbe und
Umweltfaktoren in der Entstehung der
Osteoporose
Wege zu Prädiktion und Prävention
von
Prof. i. R. Dr. med. Ulrich Langenbeck
in Heft 10/2005
DISKUSSION
M E D I Z I N
Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 43⏐⏐28. Oktober 2005 AA2955
Einige Fragen bleiben offen:
Inwiefern stört die nicht seltene Kuh- milchallergie die Calciumresorption?
Ich fand sie bei 208 Rheumatikern 74- mal, bei 290 Autoimmunaggressionspa- tienten 96-mal, bei 151 Patienten mit al- lergischer Gastritis 39-mal und vermute ein weiteres Vorfeld zur Osteoporose.
Inwieweit könnte eine Calciumsub- stitution kontraproduktiv sein, wenn ei- ne Muschelallergie besteht und das Cal- cium nicht vertragen wird, weil es aus Kreide gewonnen und nicht genügend gereinigt wurde?
Gibt es Verbindungen zu den Leiden, bei denen die Mastzellen vermehrt sind? H. Selye – von dem das Adaptati- onssyndrom beschrieben wurde – hat ein Buch über Mastokalziphylaxe ge- schrieben, das aber weniger beachtet wurde.
Dr. med. habil. Gerhard Frick Amtsstraße 11 B
14469 Potsdam
Schlusswort
Aus eigener Erfahrung kann ich Herrn Kollegen Frick nur zustimmen, dass bei diagonalem Lesen und/oder strapa- ziertem Kurzzeitgedächtnis die Suche nach der ersten Erklärung einer Ab- kürzung in längeren Texten sehr lästig sein kann. Abkürzungsverzeichnisse könnten in solchen Fällen Abhilfe schaffen.
Die Allergie gegen Kuhmilcheiweiß und die Milchunverträglichkeit durch Lactasemangel sind bei Menschen mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten (NU) etwa gleich häufig vertreten. Zusammen sind sie die häufigste Ursache von NU (1, 2). Wegen des Verzichtes auf Milch prä- disponieren beide zur Osteopenie (2).
Berichte über mögliche Störungen der Calciumresorption bei Allergie gegen Kuhmilcheiweiß sind mir nicht bekannt.
Die Kreide besteht aus Calciumkar- bonat in der Form von Kalkspat und wur- de in der Kreidezeit, vor etwa 100 Millio- nen Jahren, von kalkhaltigen Mikroorga- nismen im Meer gebildet und abgelagert.
Bei Gewinnung der Kreide aus Lager- stätten am Meeresboden mag auch die eine oder andere Muschel zutage geför- dert werden. Es ist aber doch zu vermu- ten, dass das (gereinigte) Calciumkarbo-
nat, wie es verschiedene Firmen für me- dizinische Zwecke anbieten, zusätzlich einer sterilisierenden und damit auch ei- weißdenaturierenden Hitzebehandlung unterzogen wird. Ich kann mir daher nicht vorstellen, dass Menschen mit Mu- schelallergie bei einer Therapie oder Pro- phylaxe mit Calcium-Präparaten Grund zur Sorge haben sollten.
Seit Klemm und Putzke 1986 nachwie- sen, dass die Mastzellen bei der experi- mentellen kalziphylaktischen, das heißt kalzifizierenden Pankreatitis lediglich ei- ne untergeordnete Rolle spielen (3), ist das von Selye und Mitarbeitern 1964 ent- wickelte Konzept der Mastokalziphy- laxie nicht weiter verfolgt worden. In der Annahme, dass die Verkalkung von nichtossären Geweben (Haut, Gefäße) beim chronischen Nierenversagen mit sekundärem Hyperparathyreoidismus pathogenetisch verwandt zum Modell von Selye ist, werden die pathologischen Verkalkungen seit 1968 als Kalziphylaxie bezeichnet (4). Die Knochenmasse ist bei diesem Zustand verringert (renale Osteodystrophie).
In meinem Artikel beschänkte ich mich darauf, neben dem Erbe auch die äußere Umwelt als einen bei Osteo-
porose individuell wirksamen Faktor zu begreifen – Umwelt im Sinne von indivi- duellen Lebensgewohnheiten. Für eine Beschreibung universeller Faktoren, der inneren Umwelt des Knochens bedurfte es eines zweibändigen Lehrbuches (5).
Die Autoren aller Diskussionsbeiträge erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des Internatio- nal Committee of Medical Journal Editors besteht.
Literatur
1. Infante D,Tormo R: Risk of inadequate bone mineraliza- tion in diseases involving long-term suppression of dairy products. J Pediatr Gastroenterol Nutr 2000; 30:
310–3.
2. Kokkonen J, Haapalahti M, Tikkanen S, Karttunen R, Sa- vilahti E: Gastrointestinal complaints and diagnosis in children: A population-based study. Acta Paediatr 2004;
93: 880–6.
3. Klemm G, Putzke HP: Mastzellen bei kalziphylaktischer Pankreatitis. Dtsch Z Verdau Stoffwechselkr 1986; 46:
294–300.
4. Janigan DT, Hirsch DJ, Klassen GA, MacDonald AS: Calci- fied subcutaneous arterioles with infarcts of the subcutis and skin („calciphylaxis“) in chronic renal failure. Am J Kidney Dis 2000; 35: 588–97.
5. Bilezikian JP, Raisz LG, Rodan GA, eds.: Principles of bone biology, 2nd ed, vol 1 & 2. San Diego, USA: Academic Press 2002.
Prof. Dr. med. Ulrich Langenbeck Stettiner Ring 40
61381 Friedrichsdorf
E-Mail: u.langenbeck@em.uni-frankfurt.de
Eine Strahlentherapie des Prostatakarzinoms geht mit einem erhöhten Risiko von bösartigen Erkrankungen im kleinen Becken einher, insbesondere mit einer Zunah- me des Blasenkarzinoms.
Die Autoren konnten in einer retrospektiven Kohortenstudie zeigen, dass auch das Risiko, in der Folgezeit an einem Rektumkarzinom zu erkranken, deutlich erhöht ist.
Die Autoren verglichen die Daten von 30 552 Männern, bei denen eine Strah- lentherapie wegen eines Prostatakarzinoms durchgeführt wurde, mit den Daten von 55 263 Männern, die einer operativen Therapie zugeführt worden waren. 1 734 Pati- enten entwickelten in der Folgezeit ein kolorektales Karzinom, 267 im Bereich des Strahlenfeldes, 686 in unmittelbarer Nachbarschaft und 484 in Kolonregionen, die außerhalb des Strahlenfeldes lagen. In der Gruppe der strahlentherapierten Patien- ten lag das Risiko, ein Rektumkarzinom zu entwickeln, um den Faktor 1,7 höher als in der Gruppe der primär operativ Behandelten. Da die Strahlentherapie keinen Ein- fluss auf die Karzinomrate im übrigen Kolon hatte, schließen die Autoren, dass es sich doch um einen spezifischen Effekt der Strahlentherapie gehandelt haben muss. w Baxter NN, Tepper JE, Durham SB et al.: Increased risk of rectal cancer after prostate radiation: a population-based stu- dy. Gastroenterology 2005; 128: 819–24.
Dr. N. N. Baxter, Division of Colon and Rectal Surgery, University of Minnesota, MMC 450, 420 Delaware Street SE, Min- neapolis, MN55455, USA, E-Mail: baxte025@umn.edu
Rektumkarzinom nach Strahlentherapie eines Prostatakarzinoms
Referiert