A2398 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 37⏐⏐15. September 2006
Klopfmethode
Ein sehr guter Artikel, der an Inhalt und Übersicht nicht zu überbieten ist. Als Ergänzung würde ich gern meine therapeutischen Erfahrungen mit der Klopfmethode vorstellen.
Theoretisch gehe ich von der Breakdown-Theorie aus und halte Stottern und Stammeln für eine zentrale Funktionsstörung der Koordination von Sprachmusku- latur, Atmung und Antrieb. Bei frühzeitiger Anwen- dung, intensivem Training und ausreichender Dauer (Wochen bis Monate) der Behandlung können Stam- meln und Stottern wesentlich gebessert und nicht selten dauerhaft korrigiert werden.
Ich benutze die Klopfmethode, die von der Anwen- dung des Haptometronoms (Schienagel, München) ausgeht. Da die Methode passiv ist und wenig zur Mit- arbeit motiviert, übe ich mit den Kindern und Jugendli- chen unter Einbeziehung deren Eltern:
Nach bewusstem Einatmen wird langsam mit dem Sprechen begonnen, das vom rhythmischen Klopfen des Fingers auf den Tisch begleitet wird. Es sollte kon- tinuierlich rhythmisch gesprochen werden und dieser Sprachrhythmus sollte dann ohne Klopfen beibehalten werden.
Später werden nur noch die ersten fünf bis acht Sil- ben geklopft, danach kann der Rhythmus mit Daumen und Zeigefinger angedeutet werden, später auch mit dem Vorfuß.
Hat sich dieser Sprachbeginn automatisiert, bleibt nur das bewusste ruhige Atmen vor dem Sprechen und das Orientieren bei Sprachbeginn auf die Finger oder den Vorfuß.
Meine diagnostische Empfehlung: Bei Patienten mit Stammeln oder Stottern immer eine Aufmerksamkeits- defizitstörung mit und ohne Hyperaktivität ausschließen, denn das ist die häufigste zentrale Funktionsstörung, die mit Sprachstörungen einhergeht. Hier erleichtert dann die Gabe von Stimulanzien die Therapie.
Dr. med. Helga Simchen Bonifaziusplatz 4a 55118 Mainz
Schlusswort
Die Klopfmethode war neben der „liegenden Acht“ bis in die 1980er-Jahre hierzulande häufig Bestandteil von Übungsbehandlungen. Sie fällt unter die rhythmisie- renden Sprechhilfen, die die leichte Beeinflussbarkeit des Stotterns durch Taktvorgabe ausnutzen.
Das Stottern verschwindet oder reduziert sich hier- durch unmittelbar, was insbesondere auf Laien sehr beeindruckend wirkt. Als nachhaltige therapeutische Maßnahmen erscheinen sie nur sehr bedingt geeignet, weil die Übertragung der Sprechflüssigkeit auf das Sprechen ohne Sprechhilfe nur selten gelingt. In der Übungssituation mag es möglich sein, eine gewisse Zeit lang während des Sprechens die Aufmerksamkeit auf die Sprechhilfe zu richten. In wirklichen Kommu- nikationssituationen können Sprechhilfen nicht dauer- haft angewendet werden.
Dagegen wurde oft als Nebenwirkung beobachtet, dass sich rhythmusunterstützende Bewegungen ver- selbständigen, als Mitbewegungen oder Tics manifes- tieren und somit die Symptomatik verschlimmern. Die Anwendung solcher Sprechhilfen in der Therapie stot- ternder Kinder und natürlich auch Erwachsener ent- spricht somit nicht dem Stand der Forschung. Zu be- achten ist, dass die hohe Remissionsrate bei Kindern dazu beitragen kann, eine Wirksamkeit jedweder durch- geführter Maßnahmen vorzutäuschen.
Im Übrigen dürfen Stottern und Stammeln (ein Be- griff, der heute nicht mehr verwendet wird) keinesfalls verwechselt beziehungsweise gleich behandelt wer- den. Ein Zusammenhang von Stottern und Aufmerk- samkeitsdefizit-Störung ist weit weniger deutlich, als die Aussage von Frau Dr. Simchen vermuten lässt.
Hierbei muss außerdem zwischen gleichzeitigem Auf- treten und einem Ursachengefüge unterschieden wer- den.
Zwar erscheint die Vorstellung verlockend, mit ei- ner einfachen Methode gleichzeitig mehrere schwer- wiegende Probleme zu lösen. Wir halten aber, nicht zuletzt wegen der Empfehlung von nicht näher spezi- fizierten „Stimulanzien“, diese Ausführungen für we- nig hilfreich.
LITERATUR
1. Bekanntmachungen: Stellungnahme zur „Aufmerksamkeitsdefizit-/
Hyperaktivitätsstörung (ADHS)“ Dtsch Arztebl 2005; 102 (51–52):
A 3609.
Prof. Dr. med. Dr. h. c. Martin Ptok Klinik für Phoniatrie u. Pädandiologie Medizinische Hochschule Hannover Carl-Neuberg-Straße 1 30625 Hannover
Interessenkonflikt
Die Autoren aller Diskussionsbeiträge erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sin- ne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.
zu dem Beitrag
Stottern – Pathogenese und Therapie
von Prof. Dr. med. Dr. h. c. Martin Ptok, Dr. rer. nat. Ulrich Natke, Dipl.-Psych. Horst M. Oertle in Heft 18/2006