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Archiv "Hirntodbestimmung und Betreuung des Organspenders: Eine Herausforderung für die Intensivmedizin" (04.02.2005)

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D

er wachsenden Zahl von schwer kranken Patien- ten, die eine Organtrans- plantation benötigen, kann derzeit weltweit nicht ausrei- chend begegnet werden, da die Zahl der verfügbaren Or- gane nicht Schritt hält (3).

Diesem Dilemma versuchen die Transplantationsmedizi- ner auf zwei verschiedenen Wegen entgegenzutreten: Ei- nerseits wird die Technik der Lebendspende von Organen (Niere,Teil der Leber) verbes- sert und weiter verbreitet (4);

andererseits versuchen Politik und Medizin, durch Informati- on und Aufklärungsarbeit die Spendebereitschaft in der Be- völkerung zu erhöhen. Im Jah- re 1997 wurde ein Transplan- tationsgesetz in Kraft gesetzt, um alle juristischen und orga- nisatorischen Aspekte der Or- ganspende zu regeln. Eine

Steigerung der Spendebereitschaft wur- de bisher nicht erreicht: In Bayern wur- den beispielsweise im Jahr 2003 insge- samt 275 Patienten zur Organspende gemeldet, von diesen wurden 185 (67,2 Prozent) realisiert (5). Die übrigen Mel- dungen scheiterten an der fehlenden Zustimmung durch die Angehörigen oder – seltener – an akuten medizini- schen Kontraindikationen.

Die Diagnose des Hirntodes und die Vorbereitung zur Organspende (infor- matives Gespräch und gegebenenfalls Einholung der Zustimmung der An- gehörigen, organerhaltende Maßnah- men, Organisation der Organentnah- me) erfolgen auf der Intensivstation. Es besteht kein Zweifel, dass die psychi- sche Einstellung und Motivation des Personals von Intensivstationen einen erheblichen Einfluss auf die Bereitstel- lung von Organen durch potenzielle Or- ganspender hat (13). Der Aufbau einer Vertrauensbasis mit den Angehörigen von Unfallopfern oder von Patienten nach schweren, nicht traumatischen

Hirntodbestimmung und

Betreuung des Organspenders

Eine Herausforderung für die Intensivmedizin

Thomas Bein1, Hans J. Schlitt2, Detlev Bösebeck3, Sylvia Bele4, Bernhard K. Krämer5, Kai Taeger1

Zusammenfassung

Trotz erheblicher Fortschritte in der Transplanta- tionsmedizin besteht weiterhin ein Mangel an verfügbaren Organen für schwer kranke Patien- ten. Die Intensivmedizin nimmt hier eine Schlüs- selrolle ein, weil die Feststellung des Hirntodes und die Vorbereitung zur Organspende (Einho- lung der Zustimmung der Angehörigen, organ- erhaltende Maßnahmen, Organisation der Or- ganspende) in den Aufgabenbereich des inten- sivmedizinischen Personals fallen. Ein solcher Pro- zess ist aufwendig und bedeutet eine menschli- che, organisatorische und fachliche Herausforde- rung für das Intensivpersonal. Umfragen zeigen, dass Mitarbeiter von Intensivstationen sich einer hohen psychischen Belastung ausgesetzt fühlen, aber dennoch dem Prinzip Organspende positiv gegenüberstehen. Viele Ärzte und Pflegende

äußern den Wunsch nach mehr Schulung in den Aspekten Hirntodbestimmung, Angehörigenbe- treuung, Betreuung des Organspenders und Or- ganisation der Organspende.

Schlüsselwörter: Organtransplantation, Hirn- tod, Intensivmedizin, psychische Belastung, Todesfeststellung

Summary

Estimation of Brain Death and Care of Potential Organ-Donors – A Challenge in Intensive Care Medicine

Human organ transplantation is an important treatment for certain medical conditions, and for irreversible organ failure. Albeit organ trans- plantation continues to be hindered by a limited

supply of organs. Physicians and nurses in the intensive care unit act as „gatekeepers“ for organ donation, since intensive care personnel care for potential donors, deals with their fami- lies at a time of great emotional anguish, and is involved in organ donation requests. Hence, in- tensive care staff might experience psychologi- cal stress while working with brain dead patients and caring for the relatives. Nevertheless, physi- cians and nurses hold positive attitudes toward organ donation, but they feel insufficiently train- ed. The majority of intensive care personnel would like to receive special training focused on brain death estimation, communication with re- latives, and procurement of donor organs.

Key words: organ transplantation, brain death, intensive care medicine, psychological stress, estimation of brain death

1Klinik für Anästhesiologie (Direktor: Prof. Dr. med. Kai Taeger), Uni- versitätsklinikum Regensburg

2Klinik und Poliklinik für Chirurgie (Direktor: Prof. Dr. med. Hans J.

Schlitt), Universitätsklinikum Regensburg

3Deutsche Stiftung Organtransplantation, Region Bayern (Leiter: Dr.

med. Detlev Bösebeck), München

4Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie (Direktor: Prof. Dr. med. Alex- ander Brawanski), Universitätsklinikum Regensburg

5Klinik für Innere Medizin II (Direktor: Prof. Dr. med. Günther Riegger), Universitätsklinikum Regensburg

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Hirnblutungen prägt die At- mosphäre vom Zeitpunkt der Aufnahme auf die Intensivsta- tion bis zur Feststellung des Hirntodes und häufig auch das Ergebnis des Prozesses der Entscheidung zur Organspen- de, zumal die Angehörigen akut von einer existenziellen Katastrophe getroffen und da- mit überfordert sind. Eine ver- trauensvolle Atmosphäre er- möglicht die leichtere Reflexi- on des bekannten oder mut- maßlichen Willens des Ver- storbenen und unterstützt die verantwortungsgerechte Aus- übung des Totensorgerechts (2). Die Vermittlung einer fachlich kompetenten Inten- sivtherapie sowie einer für- sorglichen Zuwendung zu den Angehörigen mit Respekt vor den persönlichen Bedürfnis- sen (Zeit, Ruhe und Abge- schirmtheit beim Patienten) kann beitragen, die Bedenken und Zweifel zu mindern. Dar- über hinaus benötigen Mitar- beiter und Angehörige ein kla- res Konzept sowie eine dem Laien verständliche Vermitt- lung medizinischer und medi- ko-legaler Algorithmen, die in die Feststellung des Hirntodes münden. Die Betreuung der Angehörigen, die Vorberei-

tung des Organspenders und – nicht zu- letzt – die Verlegung des hirntoten Pati- enten in die Operationseinheit für die Organentnahme stellen jedoch auch Be- lastungen dar, die beim Personal ver- schiedene psychische Verarbeitungsmu- ster (zum Beispiel Trauer, Verdrängung, Aggression [11]) hervorrufen und die Kommunikation mit den Angehörigen erheblich erschweren können.

Bestimmung des Hirntodes

Der Hirntod wird definiert als „Zu- stand der irreversibel erloschenen Ge- samtfunktion des Großhirns, des Klein- hirns und des Hirnstammes. Dabei wird durch kontrollierte Beatmung die Herz- und Kreislauffunktion noch künstlich aufrechterhalten“ (16).

Voraussetzung zur Feststellung des Hirntodes ist der zweifelsfreie Nach- weis einer schweren primären (Trauma, Blutung) oder sekundären Hirnschädi- gung (Sauerstoffmangel des Gehirns als Folge von Intoxikation, Reanimation nach Herzinfarkt). Bei der primären Hirnschädigung wird zwischen supra- tentoriellen Läsionen (Großhirnregi- on) und infratentoriellen Läsionen (Hirnstamm und Kleinhirn) unterschie- den. Es muss ausgeschlossen werden, dass andere Einflussfaktoren (Schock- zustand, Unterkühlung, Intoxikation, Medikamentenüberhang, Stoffwechsel- entgleisung) an der bestehenden Hirn- störung beteiligt sind.

Die Untersuchung ist von „zwei dafür qualifizierten Ärzten zu treffen, die über eine mehrjährige Erfahrung in der Intensivbehandlung von Patienten

mit schweren Hirnschädigungen“ ver- fügen müssen (6). In der Regel werden zwei erfahrene Kollegen der Intensiv- medizin aus den Bereichen Neurochir- urgie, Anästhesie oder Neurologie hin- zugerufen, wenn die klinischen Zeichen der erloschenen Hirnfunktionen auftre- ten (Koma, Areflexie, fehlender Atem- antrieb). Die Deutsche Stiftung Organ- transplantation kann Neurologen oder Intensivmediziner zur Durchführung der Untersuchung entsenden, wenn ein Krankenhaus nicht über entsprechend qualifizierte Ärzte verfügt. Der Ablauf ist vom Gesetzgeber festgeschrieben (Grafik 1). Nachdem sich die Untersu- cher anhand der Anamnese, der klini- schen Situation und der Unterlagen da- von überzeugt haben, dass zum Zeit- punkt der Untersuchung keine Schock- symptomatik, keine Intoxikation, kein Medikamentenüberhang (Benzodia- zepine, Opioide) und keine Hypother- mie bestehen, wird zunächst das Fehlen der Hirnstammreflexe überprüft, das heißt, die fehlende Reaktion der Pupil- len auf Lichteinfall, der Ausfall des oku- lozephalen Reflexes („Puppenkopf- phänomen“) und der Ausfall des Horn- hautreflexes. Anschließend wird im Ge- sichtsbereich (Nervus Trigeminus) ein starker Schmerzreiz gesetzt, weil auch bei tief komatösen (aber nicht hirnto- ten) Patienten solche Schmerzreize zu erkennbaren Muskelzuckungen und unspezifischen Reaktionen führen (10).

Das Ausbleiben des Würge- und Hu- stenreflexes kann einfach durch Mani- pulationen am endotrachealen Tubus (leichtes Verschieben) oder durch endotracheales Absaugen mit einem Plastikkatheter überprüft werden. Der

„Apnoetest“ zum Beweis des Ausfalles des Atemantriebes wird folgender- maßen durchgeführt: Es wird zunächst eine Beatmung mit reinem Sauerstoff vorgenommen, um die Sauerstoffkapa- zität von Lunge und Blut zu erhöhen.

Anschließend wird durch eine Redukti- on der maschinellen Beatmung (Sen- kung von Atemfrequenz und/oder Ti- dalvolumen) eine Hypoventilation mit Hyperkapnie erzeugt. Der zur Untersu- chung geforderte Anstieg des arteriel- len Kohlendioxid-Partialdruckes auf mehr als 60 mm Hg wird nach einigen Minuten erreicht und mittels Blutgas- analyse dokumentiert. Nun kann das Algorithmus zur klinischen Untersuchung des Hirntodes

Grafik 1

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Fehlen des Atemantriebes sowohl kli- nisch (Fehlen von Thoraxbewegungen) als auch beatmungstechnisch (keine Tätigkeit des Ventilators bei Umstel- lung auf unterstützte Spontanatmung wegen fehlender „Triggerung“) doku- mentiert werden. Diese spezielle und aufwendige Verfahrensweise wurde in die Richtlinien zur Hirntodbestimmung aufgenommen, weil der Ausfall der Spontanatmung ein zentrales Element fehlender Hirnstammfunktionen ist.

Für diesen Nachweis wird daher ein ho- hes „Qualitätsmerkmal“ gefordert, um Artefakte auszuschließen.

Bei primärer Hirnschädigung muss ei- ne solche klinische Untersuchung nach zwölf Stunden wiederholt werden, um die Hirntoddiagnostik abzuschließen

und den Tod zu dokumentieren.Alterna- tiv können nach dem ersten klinischen Protokoll apparative Untersuchungen eingesetzt werden, die das Erlöschen al- ler Hirnfunktionen beziehungsweise die fehlende Perfusion aller Hirnregionen nachweisen. Hierzu gehören die Fest- stellung nicht vorhandener hirnelektri- scher Aktivität („Null-Linien-EEG“

oder erloschene akustisch-evozierte Po- tenziale) sowie der Nachweis des zere- bralen Zirkulationsstillstandes mittels Hirnperfusionsszintigraphie oder trans- kranieller Dopplersonographie. Die früher übliche Durchführung einer An- giographie wird nicht mehr empfohlen.

Bei Kindern unter zwei Jahren und bei infratentoriellen Läsionen gilt ein besonderer Algorithmus mit speziellen

Richtlinien, der den Abstand zwischen den klinischen Untersuchungen und den Einsatz ergänzender apparativer Untersuchungsverfahren betrifft. Eine besondere Ausdrucksform des Hirn- todes, die vor allem beim Pflegeperso- nal zu Irritationen führen kann, ist das

„Lazarus-Phänomen“. Dabei handelt es sich um eine Enthemmung spinaler Reflexschablonen durch den Wegfall inhibierender Einflüsse des Gehirns auf das Rückenmark. Hierbei können spon- tan oder bei Berührungen ungerichtete Bewegungen der Extremitäten oder des Rumpfes auftreten oder sogar in Ein- zelfällen gerichtete Bewegungen „imi- tiert“ werden.

Solche Bewegungen können das Per- sonal von Intensivstationen und An- gehörige verunsichern. Sie sprechen aber nicht gegen den Hirntod, sondern sind für diesen – wie auch gesteigerte Muskeleigenreflexe – typische Manife- stationen.

Einstellung und psychische Belastung des Personals

Über das Ausmaß der Belastung des In- tensivpersonals im Zusammenhang mit einer Organspende und über die per- sönliche Einstellung dazu von Pflegen- den und Ärzten auf Intensivstationen ist bisher wenig bekannt. In einer Un- tersuchung an der Universitätsklinik von Alberta, Edmonton in Kanada, gab der überwiegende Anteil des Personals an, zu wenig über die Problematik von Hirntodbestimmung und Organspende zu wissen, sich überfordert zu fühlen und daher die Organspende lieber zu umgehen (13). Zu ähnlichen Ergeb- nissen kam eine australische Studie, in

Aktivitäten zur Steigerung der Evaluierung von Organspendern

>Einführung der Funktion des Transplantations- beauftragten für jede Klinik

>Regelmäßige Fortbildung auf den Intensivsta- tionen

>Hinzuziehung von Psychologen und/oder Geist- lichen bei Angehörigengesprächen

>Seminare zum „Umgang mit Trauernden und der Bitte um Organspende“ (European Donor Hospital Education Programme [EDHEP])

´ Tabelle 1 ´

Ergebnisse einer Befragung des Personals der Intensivstationen am Universitätsklinikum Re- gensburg zur Einstellung und psychischen Belastung im Rahmen der Organspende (n = 130 [1])

Haltung Anzahl Prozent

Wie stehen Sie der Organspende gegenüber?

Pro 109 83,8

Contra 9 6,9

Weiß nicht 12 9,3

Würden Sie im Todesfall Organe spenden?

Ja 92 70,8

Nein 18 13,8

Weiß nicht 20 15,4

Besitzen Sie einen Organspendeausweis?

Ja 73 56,2

Nein 57 43,8

Fühlen Sie sich mit den speziellen Aspekten der Spenderbetreuung und Organerhaltung ausreichend vertraut?

Ja 30 23,1

Nein 79 60,7

Weiß nicht 21 16,2

Wie stark belastet Sie die Betreuung eines hirntoten Patienten?

(0 = überhaupt nicht – 10 = extrem stark)

Gesamt 4,0 ± 2,5

Ärzte 4,0 ± 2,5

Pflege 3,9 ± 2,8

Wie stark belastet Sie die Betreuung der Angehörigen?

(0 = überhaupt nicht – 10 = extrem stark)

Gesamt 5,5 ± 2,7

Ärzte 5,3 ± 2,6

Pflege 5,6 ± 2,8

(4)

deren Rahmen Pflegekräfte von Inten- sivstationen ausführlich interviewt wur- den (11). Die wichtigsten Gefühle und Probleme bezüglich der Organspende wurden wie folgt formuliert:

> Ambivalenz des Begreifens und der Vermittlung des Todes, obwohl der Körper die „traditionellen“ Zeichen des Lebens aufweist (Wärme, Pulsschlag),

> Notwendigkeit, von den zutiefst erschütterten Angehörigen eine Ent- scheidung (der Nächstenliebe) zu ver- langen,

> Bewusstsein, dass der Auftrag des Helfens einen aktiven Einsatz für die Organspende verlangt.

Die Autoren führten am eigenen Universitätsklinikum eine Befragung bei 236 pflegenden und ärztlichen Mit- arbeitern von fünf Intensivstationen (72 Betten) durch mit dem Ziel, die persön- liche Einstellung und psychische Bela- stung im Rahmen der Organspende zu erfahren (1). Die Rücklaufquote der Fragebögen mit 18 Fragen betrug 55 Prozent (130). Die Bearbeitung und Rückgabe war anonymisiert, um ein Teilnahmeverhalten nach „sozialer Er- wünschtheit“ auszuschießen. Der Fra- gebogen war zuvor vom Personalrat ge- nehmigt worden. Ein Teil der Ergebnis- se ist in Tabelle 1 dargestellt. Trotz er- heblicher psychischer Belastung, die bei der Betreuung der Angehörigen noch höher angegeben wurde im Vergleich

zur Betreuung des hirntoten Spenders, fand das Konzept der Organspende mit der per- sönlichen Konsequenz der ei- genen Spendebereitschaft ei- ne Zustimmung bei 70 bis 80 Prozent der Mitarbeiter. Ein ähnliches Ausmaß der Zustim- mung zur Organspende bei In- tensiv-Pflegkräften von mehr als 70 Prozent wurde in einer großen Umfrage in Großbri- tannien ermittelt (11).

Darüber hinaus zeigte die Studie, dass die angegebene psychische Belastung mit stei- gender Berufserfahrung nicht ab-, sondern tendenziell zu- nimmt. Offensichtlich gibt es also für den speziellen Be- reich Hirntod und Organ- spende keinen „Routineef- fekt“, der den Umgang leich- ter werden lässt. Auffällig ist das klare Eingeständnis eines Informationsdefi- zits und der ausgeprägte Wunsch nach mehr Schulung und Fortbildung: Nur 23 Prozent der befragten Mitarbeiter fühlten sich mit dem Themenkomplex ausreichend vertraut. Der überwie- gende Anteil wünschte eine Weiter- bildung zum Bereich „Hirntodbestim- mung“ (72,3 Prozent), „Angehörigen- betreuung“ (74,6 Prozent), „klinische Betreuung des Organspenders“ (70 Prozent) und „Koordination der Or- ganspende“ (66,9 Prozent).

Es ist die Frage, welche Möglichkei- ten bestehen, die geschilderten Defizite abzubauen, den Umgang mit An- gehörigen besser zu erlernen und die Bereitstellung von Organspendern zu steigern. Die im Transplantationsgesetz beschlossene Schaffung von Transplan- tationsbeauftragten, die in jeder Klinik die Belange der Organspende enga- giert vertreten und verstärken sollen, muss für regelmäßige Fortbildungen und für die Koordination der An- gehörigengespräche genutzt werden (Kasten). Darüber hinaus bietet die Deutsche Stiftung Organtransplantati- on spezielle Seminare an, in denen Mit- arbeiter von Intensivstationen in die Lage versetzt werden, den Umgang mit Trauer und emotionalem Stress zu ver- bessern. Die Umsetzung dieser Maß- nahmen hat am Klinikum der Autoren zu einer deutlichen Steigerung der Or- ganspende geführt (Grafik 2).

Organerhaltende Maßnahmen

Die adäquate Behandlung des poten- ziellen Organspenders beginnt bereits beim klinischen Eindruck des Hirn- todes und nicht erst nach abgeschlosse- ner Diagnostik, weil eine frühzeitige hä- modynamische Stabilisierung und Kor- rektur von Imbalanzen im Elektrolyt-, Glucose- oder Säure-Basen-Stoffwech- sel die spätere Transplantatfunktion des Empfängers erheblich beeinflusst (8, Entwicklung der Organspende am Universitätsklinikum

Regensburg Grafik 2

´ Tabelle 2 ´

Organerhaltende Maßnahmen beim hirntoten Spender

Symptom Maßnahmen

Kreislaufinstabilität, Hypotension, Großzügige Infusion kristalloider und

Hypovolämie kolloider Lösungen, z. B. 2 500 mL

Vollelektrolytlösung + 1 500 mL Hydroxyethylstärke über 24 h

Kontinuierliche Katecholamintherapie z. B. Noradrenalin 0,1–1 µg/kg/min

Desmopressin 2–4 µg alle 4–8 h

Hydrocortison 10 mg/h

Hyperglykämie Insulin-Perfusor nach Blutzuckerwert 2–6 IE Insulin/h

Hypokaliämie Substitution mittels KCI-Infusion Hypernatriämie Furosemid (20 mg) + Substitution

mittels Glucose-5%-Lösungen

Hypothermie Externe Wärmung mittels Gebläse oder

Wärmedecken

(5)

12). Der sorgfältige und „vorausschau- ende“ Umgang mit dem tief komatö- sen Patienten, der nach Abschluss der Hirntodbestimmung sowie der Bera- tung mit den Angehörigen ein Organ- spender werden könnte, ist daher eine besondere Pflicht und Aufgabe der In- tensivmedizin.

Um eine optimale Organfunktion zum Zeitpunkt der Entnahme sicherzu- stellen, muss das Behandlungsregime die pathophysiologischen Reaktionen des Organismus bei Ausfall des zentralen Nervensystems nachvollziehen und ih- nen Rechnung tragen (10). In der Folge des eintretenden Hirntodes kommt es als Ausdruck der schweren endokrinen Ent- gleisung zur hämodynamischen Instabi- lität (sympathiko-adrenerge Dysregula- tion: erniedrigtes Herzminutenvolumen, Hypotension), zur Regulationsstörung der Nieren mit Polyurie und Hypovolä- mie (Unterbrechung der Hypothalamus- Hypophysen-Achse: „Diabetes insipidus centralis“), zu Glucose- und Elektro- lytentgleisungen sowie zur Hypothermie (Ausfall der hypothalamischen Tempera- tursteuerung).

Die wesentlichen Korrekturmaßnah- men sind in Tabelle 2 dargestellt. Sie be- treffen

> die Kreislaufstabilisierung durch großzügige Applikation kristalloider und kolloidaler Volumenersatzlösun- gen bei gleichzeitiger Infusion von kate- cholaminergen Substanzen

> die Hormonsubstitution, zum Bei- spiel durch Hydrocortison

> die Korrektur des Diabetes insipi- dus centralis durch Desmopressin (Mi- nirin)

> die Korrektur von Glucose- und Elektrolytimbalanzen sowie

> die Aufrechterhaltung der Körper- temperatur > 36 Grad durch aktive Wärmung (7).

Ziel dieser Maßnahmen ist ein kreis- laufstabiler Organismus (mittlerer arte- rieller Druck 70 mm Hg) mit ausrei- chender Nierenfunktion (Stundendiu- rese circa 100 mL). Darüber hinaus ist es ratsam, bei potenzieller Lungenspen- de frühzeitig ein Antibiotikum zu ver- abreichen (zum Beispiel ein Cephalo- sporin der dritten Generation), um eine beatmungsassoziierte, nosokomiale In- fektion der Luftwege zu verhindern.

Insgesamt stellt die Versorgung und

Vorbereitung des Organspenders eine besondere Aufgabe dar, die in der Re- gel ein erweitertes intensivmedizini- sches Monitoring erfordert (kontinuier- liche invasive Blutdruckmessung über arteriellen Katheter, Messung des zen- tralvenösen Drucks, wiederholte Blut- gas-, Blutzucker- und Elektrolytanaly- sen) und einen hohen ärztlichen und pflegerischen Aufwand einschließt.

Vorbereitung des Organspenders

Die Bewältigung des gesamten Ablaufs vom Zeitpunkt des klinischen Verdach- tes des Hirntodes bis zur Verlegung des Spenders in die Operationseinheit setzt eine gute Arbeitsatmosphäre, eine in- takte Kommunikation und Interaktion aller Beteiligten sowie eine hohe psychi- sche Belastbarkeit voraus, wenn sie oh- ne zeitliche Verzögerung erfolgen soll (Grafik 3). Als erster Schritt bei einem tiefen Koma und klinischem Verdacht auf Hirntod müssen sich die Intensivme- diziner vergewissern, dass keine Um- stände vorliegen, die der Hirntodbe-

stimmung entgegenstehen (vor allem:

Benzodiazepin- und/oder Opioidüber- hang). Nach der Hirntodbestimmung und der Erstellung des von der Bundes- ärztekammer vorgeschriebenen Proto- kolls (jeder Untersucher füllt ein eige- nes Protokoll aus) werden die An- gehörigen ausführlich informiert. Hier- zu empfiehlt es sich, eine ungestörte Rückzugsmöglichkeit zu suchen und den Angehörigen Zeit zu geben, die Nachricht des Todes aufzunehmen. Der Hinweis auf die Möglichkeit der Or- ganspende durch den betreuenden Arzt ist gesetzlicher Auftrag (6), wobei die Angehörigen – sofern kein Organspen- deausweis des Verstorbenen vorliegt – nicht ihre persönliche Einstellung zur Organspende vortragen sollen. Viel- mehr muss der gesprächsführende Arzt die Angehörigen als Zeugen befragen, ob sich der Verstorbene zu Lebzeiten zum Thema Organspende geäußert hat und ob er mutmaßlich der Organent- nahme zugestimmt hätte. Nicht selten wünschen die Angehörigen eine „Bera- tungszeit“, die man ihnen – laut Gesetz – gewähren muss. Darüber hinaus kann es sinnvoll sein, einen Geistlichen zu die- Durchführung einzelner Schritte zwischen Hirntoddiagnostik und Organentnahme

Grafik 3

(6)

sem Gespräch hinzuzuziehen. Nach Er- fahrung der Autoren ist der Aufbau ei- ner persönlichen und vertrauensvollen Kommunikation mit den Angehörigen von Beginn der Intensivbehandlung an mit einer hohen Zustimmungsrate ver- knüpft. Verbreitet die Intensivstation hingegen bei den Angehörigen den Ein- druck von Hektik, „technisierter“ Medi- zin und menschlicher Kälte, werden Misstrauen und – in der Folge – eine Ab- lehnung der Organspende überwiegen.

Nach dem Beratungsgespräch und der Zustimmung muss unverzüglich die Deutsche Stiftung Organtransplantati- on verständigt werden, die umgehend zur weiteren Organisation einen Koor- dinator entsendet. Liegt eine nicht natürliche Todesursache vor (Unfall, Gewalteinwirkung), sind zudem die Po- lizei und die Staatsanwaltschaft zu in- formieren. Der Staatsanwalt muss seine Einwilligung zur Organentnahme ge- ben. In diesem Falle wird der Leichnam nach der Entnahme der Organe an die Gerichtsmedizin überstellt.

Resümee

Die Intensivstation ist der zentrale

„Dreh- und Angelpunkt“ der Organ- spende (14, 15). Hier werden Patienten mit schweren primären oder sekundären Hirnschädigungen umfassend behan- delt, wobei jedoch nicht immer die Erho- lung des geschädigten Hirnparenchyms erreicht werden kann. Nach durchge- führter Hirntoddiagnostik ist sowohl ein behutsamer Umgang mit den Angehöri- gen als auch ein klares medizinisches Konzept für den potenziellen Organ- spender notwendig. Der gesamte Vor- gang stellt eine erhebliche psychische Belastung für das ärztliche und pflegeri- sche Personal dar. Die Erfahrung zeigt, dass das Ausmaß der menschlichen Stär- ke und der medizinischen Kompetenz des Intensivpersonals zum Erfolg der Organspende wesentlich beiträgt.Ande- rerseits besteht kein Zweifel, dass die Mitarbeiter von Intensivstationen der Unterstützung bedürfen und einen gro- ßen Bedarf an Fortbildung, Verhalten- straining und Supervision angeben. Die Verstärkung solcher regelmäßigen Akti- vitäten ist daher unumgänglich (9), wenn der kompetente Umgang mit Angehöri-

gen durch eine empathische und rück- sichtsvolle Gesprächsführung verbessert und der Entscheidungsprozeß erleich- tert werden soll. In der neuen Approba- tionsordnung für Ärzte wurde ein Quer- schnittsbereich („Geschichte, Theorie, Ethik der Medizin“) eingefügt, in dem die Themen Hirntodbestimmung, Gren- zen der Intensivmedizin und ethische Fragen der Transplantationsmedizin be- handelt werden. Es bleibt zu hoffen, dass diese Maßnahmen zur Steigerung von Quantität und Qualität in der Organ- spende beitragen werden.

Manuskript eingereicht: 7. 5. 2004, revidierte Fassung angenommen: 4. 8. 2004

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sin- ne der Richtlinien des International Committee of Medi- cal Journal Editors besteht.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2005; 102: A 278–283 [Heft 5]

Literatur

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Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Thomas Bein Klinik für Anästhesiologie Universitätsklinikum Franz-Josef-Strauß-Allee 93042 Regensburg

E-Mail: thomas.bein@klinik.uni-regensburg.de

AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT

MEDIZINGESCHICHTE(N))

Chirurgie Aderlass

Zitat:„Blutet die Wunde nach der Verletzung, so ist es gut, etwas Blut abfließen zu lassen, um den Körper und das betroffene Glied zu entlasten, und wenn nicht genügend ausgeflossen ist, so ist es zweckmäßig am anderen Tag, je nach der Voll- blütigkeit und dem Kräftezustand der Patienten, einen revulsiven [1] Aderlaß vorzunehmen. Man braucht sich vor einer Ableitung des Blutes nach den edlen Organen nicht zu fürchten, da die Wunde, wie gesagt, nicht vergiftet ist. Was die Abführmittel betrifft, so überlasse ich die den Herren Doktoren. Sind keine sol- chen da, so muß man mindestens einmal täglich auf natürliche oder künstliche Weise für Stuhlgang sorgen [2].“

Ambroise Paré: Die Behandlung der Schusswunden (1545), herausgegeben von H. E. Sigerist. Leipzig 1923 (Klas- siker der Medizin; Bd. 29), Seite 22 – [1] Rückwirkenden. [2] Entsprechend der homoralpathologischen Praxis der Aus- beziehungsweise Ableitung. Paré (1510–1590), der berühmteste Wundarzt seiner Zeit, war unter anderem in Paris tätig.

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