P O L I T I K
Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 401. Oktober 2004 AA2665
KOMMENTARE
N
aiv, wer wirklich geglaubt hat, die Bundesregierung wolle mit der Tabaksteuer vor allem einen der größten Kostenverursacher im deut- schen Gesundheitswesen – den Tabak- konsum – bekämpfen. Mit der Steuer- erhöhung zum März dieses Jahres um 1,2 Cent pro Zigarette ging es den Finanzjongleuren von Rot- Grün hauptsächlich darum, zu- sätzliche Einnahmequellen zur Finanzierung der Gesundheits- reform zu erschließen.Womit die Bundesregierung nicht gerechnet hat: Tatsächlich wird die Zigarettenindustrie dieses Jahr mit 120 Milliarden voraussichtlich 14 Milliar- den Zigaretten weniger verkaufen. Für das Gesundheitswesen eigentlich ein annehmbarer Alternativ-Effekt; bei näherem Hinsehen jedoch bröckelt die Fassade. Klar ist, dass wegen des rück- läufigen Umsatzes von Philip Morris
und Co. die eingeplanten Mehrein- nahmen von einer Milliarde Euro für die Reform und damit für niedrigere Kassenbeiträge fehlen. Noch wichtiger aber ist, dass dadurch auch die durch das Rauchen verursachten Krankheits- kosten nicht sinken werden.
Das, was die Tabaksteuer nämlich in ihrer jetzigen Form verursacht, sind Ausweichreaktionen. Nur ein Bruch- teil der Raucher entsagt der Sucht und schont damit sich und das angeschla- gene Gesundheitswesen. Acht Prozent hätten zwar das Rauchen aufgegeben, besagt eine interne Studie aus dem Hause Schmidt. Die Rückfallquote aber ist hoch; langfristig setzt sich die
Sucht gegen den Ärger über die – noch moderat – gestiegenen Preise durch.
Vielmehr kaufen die Raucher ihre Zigaretten jetzt auf dem Schwarzmarkt oder wechseln zum weitaus geringer besteuerten Feinschnitt. Die Studie be- legt: Schon jetzt sind rund 14 Prozent der Nikotinsüchtigen auf den Tabak zum Selberdrehen um- gestiegen; bei den Jugendlichen und den sozial Schwächeren dreht mittlerweile jeder Fünfte.
Trotzdem – oder gerade deswe- gen – darf die Regierung jetzt nicht ein- knicken. Im Gegenteil: Mit den weiteren Steuerstufen müssen die Preise weiter in die Höhe getrieben werden. Zugleich muss auch der Schwarzmarkt besser bekämpft und die Besteuerung des Feinschnitts angeglichen werden. Eine langfristige, effektive Anti-Tabak-Politik muss Vorrang vor kurzatmigen Beitrags- satzsenkungen haben. Timo Blöß
D
ie Gesundheitsreform (2000/2004) und insbesondere die flächen- deckende Einführung des dia- gnosebasierten Fallpauschalensystems im Akutkrankenhaus (Diagnosis Relat- ed Groups; DRGs) haben zu Definiti- ons- und Schnittstellenproblemen an der Grenze zwischen Krankenhausbehand- lung und Rehabilitation und vor allem zu Leistungsverlagerungengeführt. Hinzu kommt:
Die Verträge zur Integrier- ten Versorgung nach Maß- gabe von § 140 a–h SGB V haben bewirkt, dass die
mit einer Anschubfinanzierung ausge- stattete Integrationsversorgung über- wiegend zulasten der Rehabilitation sowie der Pflege geht.Auch werden sol- che Vertragsärzte durch die Integrations- versorgung benachteiligt, die außerhalb dieser Sonderförderung bleiben.
Insbesondere die Frührehabilitation und die Einrichtungen der klassischen medizinischen Rehabilitation als dem Akutsektor nachgelagerten Versor- gungsstufe sehen sich heute in einer
Gemengelage: Die „Frührehabilitation“
wurde erstmals im SGB IX Mitte 2002 verankert. Die Krankenhausbehand- lung nach § 39 SGB V ist im Sozial- gesetzbuch IX dahingehend ergänzt worden, dass „die akut stationäre Be- handlung auch die im Einzelfall erfor- derlichen und zum frühestmöglichen Zeitpunkt einsetzenden Leistungen zur
Frührehabilitation“ umfasst. Damit sollte vor allem klargestellt werden, dass die Akutkrankenhäuser die Her- stellung der Rehabilitationsfähigkeit ernst nehmen und die Krankenkassen diese Leistungen zu bezahlen haben.
Bisher fallen darunter in der Regel Lei- stungen der Frühmobilisation zur Wie- dererlangung basaler Fähigkeiten der Patienten (abgesehen von der Neurolo- gie). Inzwischen gibt es unterschiedli- che Auslegungen darüber, was „Frühre-
habilitation“ im Krankenhaus beinhal- tet und wie diese von Leistungen zur Rehabilitation abgegrenzt werden.
Die Reha-Einrichtungen weisen mit Recht darauf hin, dass es nicht angehen kann, dass Akutkrankenhäuser wegen der DRG-Kapazitätenfreisetzung ver- stärkt Frührehabilitation durchführen – als wirtschaftlicher Rettungsanker oh- ne den Nachweis der medizinischen Voraus- setzungen und eines speziellen Know-how.
Dies kann die Existenz der Rehabilitation ge- fährden, zumal die Fallpauschalenver- ordnung 2004 die Frührehabilitation in das für Akutkrankenhäuser geltende Vergütungssystem (DRG) einbeziehen will. Dringend erforderlich ist es deshalb, eine klare Zuständigkeits- abgrenzung und Mittelzuweisung im Zuge der Fallpauschalenänderungs- verordnung vorzunehmen, damit die anerkannten Regeln einer fachlich hoch stehenden Rehabilitation nicht gefähr- det werden. Dr. rer. pol. Harald Clade