DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Als die Narren noch ernst zu nehmen waren
Heilige Possenreißer der Zuni-Indianer Holger Kaiweit
Um 1890 entstand diese Aufnahme der sechs Zuni-Indianer, die in Neu Mexiko lebten Foto: Smithsonian Institute, Washington
Die Newekwe, die Ritual- Clowns und Medizinmänner der Zuni-Indianer in New Mexico gehören der Milch- straßen-Bruderschaft, einer der vielen Heilerorganisatio- nen im Pueblo von Zuni an.
Am Anfang ihrer Geschichte begegnete dem über den Kontinent wandernden Stamm — so die Legende — der Gott Kokkothlannaa; er sagte ihnen, ihre Medizin sei zwar gut, aber wenn man sie allein nehme, zerstöre sie die Eingeweide, daher sollten sie ein Ergänzungsmittel benut- zen — und zwar menschliche Exkremente. Bei den Initia- tionszeremonien wird die Be- gegnung mit dem Gott rituell wiederholt, und die Initian- ten und die anderen Mitglie- der der Bruderschaft essen Exkremente und trinken Urin. Demjenigen, der die größten Mengen Exkremente ißt, zollt man am meisten Achtung. Wenn die Newek- we, was soviel wie Vielfresser heißt, bei den Festen auf der Plaza ihre Possen treiben, schütten die Frauen von den Pueblodächern ganze Scha- len mit Urin über ihnen aus;
sie verschlingen außerdem al- les, dessen sie habhaft wer- den können, und versuchen, ihre Brüder darin zu über- treffen: Sie beißen die Köpfe lebender Mäuse ab, zerkauen Kleidungsstoffe und Holz- splitter, packen die herum- laufenden Dorfhunde, reißen sie auseinander und kämpfen um ihre Eingeweide wie hungrige Wölfe.
Die Newekwe reiben ih- ren ganzen Körper mit Asche ein und unterteilen ihn durch weiße horizontale Streifen, während sie unter die Augen und über die Oberlippe schwarze Linien malen.
Nicht nur während der Zeremonien verdrehen die Newekwe die Dinge und stel- len die Welt auf den Kopf, ih-
re Clownrollen selbst stehen in scharfem Widerspruch zu ihrem gewöhnlichen Leben, in dem sie als anerkannte Heiler und Priester ein ehr- würdiges und von vielen Re- geln beschnittenes Dasein führen. Das Clownverhalten steht daher ganz im Gegen- satz zu ihren Aufgaben als Medizinmann. Clown und Weiser vereinigen sich in ih- rer Person zum heiligen Clown.
Bei den Lakota-Indianern durchläuft ein Medizinmann während seiner lebenslan- gen spirituellen Entwicklung auch die Stufen des Heyokas, des heiligen Clowns; er er- fährt geistig-körperliche Um- wandlung, die ihn geradezu zwingt, die Welt aus den An- geln zu heben und alle Hand- lungen von rückwärts auszu- führen. So besteigt er ein Pferd von der falschen Seite oder setzt sich umgekehrt darauf, vertauscht seinen lin-
ken mit dem rechten Schuh und sagt Nein, wenn er Ja meint, oder hüllt sich in war- me Kleidung, wenn die Son- ne scheint, und läuft nackt durch die Winterkälte. In diesem Prozeß mag er schließlich in einer nächsten Entwicklungsstufe auch gele- gentlich die Geschlechtsrolle vertauschen. Der Heyoka, glauben die Lakota, verwan- delt sich nicht nur pantomi- misch durch bloßes Rollen- spiel, er inszeniert kein Thea- ter, er erfährt vielmehr eine echte Transformation. Das kann sich in körperlicher Empfindungslosigkeit kund- tun, so, wenn die Lakota- Clowns mit nackten Armen in kochendes Wasser fassen, ohne sich zu verbrennen, und so, wie die Newekwe alles mögliche hinunterwürgen, ohne sich zu verletzen.
Die Narren in Zuni paro- dieren alle gesellschaftlichen Vorgänge, und sie schrecken
vor nichts, auch nicht dem Heiligsten zurück. Sie ahmen nicht nur mit Vorliebe die ka- tholischen Priester nach, auch die eigenen religiösen Riten verdrehen sie zur Ko- mödie. Der Ritual-Clown ist wie ein Traumtänzer, er ba- lanciert zwischen zwei Wel- ten: der Welt des profanen Alltags und der Welt der sa- kramentalen Ordnung. Als zwiespältige Figur pendelt er zwischen Ernsthaftigkeit und Clownerie, macht hier lä- cherlich, wo zuviel an heili- gem Ernst herrscht, und ver- ulkt dort, wo Alltagsgedan- ken allzu dogmatisch werden, um so Beschränktheit und höchst menschliche Konstitu- tion in Erinnerung zu rufen.
Die heiligen Clowns kari- kieren das Autoritätsgeba- ren, die geschwollene Brust und den Stolz ebenso, wie sie von der Traurigkeit, dem Leiden oder der Existenz- angst durch ihre paradoxen und spiegelbildlichen Hand- lungen befreien. Sie arbeiten mit Nachahmung, Doppel- deutigkeiten, Anspielungen, Übertreibungen und Exzes- sen, sie verdrehen Gegen- satzpaare, machen Unbe- wußtes bewußt und schlich- ten Streitigkeiten durch ko- mödiantische Possen.
Das ist eine archaische Therapie, daher können bei einigen Stämmen die religiö- sen Zeremonien erst begin- nen, wenn der Schelm alle zum Lachen gebracht hat, obwohl es zum guten Ton ge- hört, sich das Lachen so lan- ge wie möglich zu verkneifen.
Lachen ist eine Urmedizin.
Missionare, Kirchen und andere Autoritäten haben im- mer versucht, den „unäs- thetischen" und „pietätlo- sen" Streichen der Narren ein Ende zu setzen, und erst als das „Bureau of Indian Af- fairs" ein Verbot gegen „ob- szöne Praktiken" und „reli- giöse Verbrechen" durchsetz- te, verfiel der philosophische Humor auf den Plazas.
Anschrift des Verfassers:
Holger Kalweit Dünnershaus CH-8585 Eggethof A-128 (74) Dt. Ärztebl. 86, Heft 3, 19. Januar 1989