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Archiv "Klimawandel und Gesundheit: Die Gefahren ernst nehmen" (27.02.2009)

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A396 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 9⏐⏐27. Februar 2009

T H E M E N D E R Z E I T

E

s war eine rätselhafte Krank- heit, an der im Sommer 2007 rund 200 Menschen im norditalieni- schen Ravenna erkrankten. Sie hat- ten Fieber, klagten über Gelenk- und Kopfschmerzen und zeigten zum Teil ein masernähnliches Exan- them. Als schließlich die richtige Diagnose gestellt wurde, waren nicht nur die Patienten, sondern auch die Ärzte überrascht: Die Be- troffenen litten am Chikungunya- Fieber, einer Erkrankung, die zuvor nur nach Tropenaufenthalten fest- gestellt worden war. Keiner der Er- krankten hatte aber eine Fernreise hinter sich. Wie also konnten sie sich anstecken? Ein Reiserückkeh- rer aus Indien – so stellte sich später heraus – hatte das Virus einge- schleppt. Übertragen wurde es von der Tigermücke (Aedes albopticus), die seit den 90er-Jahren in Italien vorkommt.

Wissenschaftliche Evaluation dringend notwendig

Nicht alle möglichen Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesund- heit sind so spektakulär wie das Chikungunya-Fieber in Italien. Ne- ben der Ausbreitung „tropischer“

Krankheiten ist vor allem mit extre- men Wetterereignissen zu rechnen.

„Bisher ist es kaum abzuschätzen und quantifizierbar, inwieweit sich der Klimawandel in Deutschland auswirken wird“, sagte Dr. med.

Martina Wenker bei einem gemein- samen Forum der Ärztekammer Niedersachen und der Bundes- ärztekammer zum Thema „Klima-

wandel und gesundheitliche Fol- gen“ in Hannover. Aber man müsse vorbereitet sein, forderte die nieder- sächsische Kammerpräsidentin. Not- wendig seien ein Monitoring der Ver- änderungen und eine wissenschaft- liche Evaluation. „Es müssen außer- dem Strategien erarbeitet werden, um die Gefährdung der Gesamtbe- völkerung zu vermindern“, so Wen- ker. Denkbar sei der Aus-

bau von Hitze-, Pollen-, Ozon- und UV-Warnsys- temen. Unter Federfüh- rung des Robert-Koch- Instituts würden bereits Überwachungsprogram- me etabliert, um die Ver- änderungen im Auftreten von Infektionskrankheiten systematisch zu erfassen.

Ebenso erforderlich seien aber auch Pläne zur Intervention im Fall von Epidemien, Pandemien und ande- ren klimabedingten Notsituationen.

Wenker betonte in diesem Zu- sammenhang, wie wichtig ein leis- tungsstarker öffentlicher Gesund- heitsdienst sei.

Dass diese Warnungen alles an- dere als übertrieben sind, zeigt ein Blick in die Vergangenheit: Im Sommer 2003 fielen rund 40 000 Menschen einer Hitzewelle in West- europa zum Opfer, davon 7 000 in Deutschland – besonders chronisch Kranke und alte Menschen. Die da- malige Hitzewelle habe gezeigt, wie verletzlich die Gesellschaft bereits unter den heutigen klimatischen Bedingungen sei, gab Prof. Dr.

Gerd Jendritzky, Freiburg, zu be-

denken. „Wir müssen uns anpas- sen“, forderte der Meteorologe.

Solche Adaptationsstrategien müss- ten auf mehreren Ebenen erfolgen:

In den Verhaltensweisen des Einzel- nen, aber auch durch Hitzewarnsys- teme, wie sie der Deutsche Wetter- dienst eingerichtet habe. Langfristig müssten aber auch die Architektur und die Stadtplanung geändert wer- den, damit sich Gebäude und dicht besiedelte Ge- biete in Hitzeperioden nicht so stark aufheizten.

Die Weltgesundheits- organisation hat mehrere Folgen des Klimawan- dels für die Gesundheit identifiziert. Dazu zählen Nahrungsmangel, Hitze- wellen, Wassermangel, Überschwemmungen und eine Ver- breitung von krankheitsübertragen- den Insekten (Vektoren). Gerade die Entwicklungsländer, so wird allge- mein prognostiziert, werden die Leidtragenden der Erderwärmung sein, denn Prävention und Anpas- sung kosten Geld. In Deutschland könnte der Klimawandel eine Zu- nahme endemischer und sich neu ausbreitender Infektionskrankhei- ten verursachen.

Einen besonderen Einfluss auf diesen Prozess haben aus Sicht von Prof. Dr. med. Uwe Groß, Göttin- gen, nicht die warmen Sommer, sondern die milden, feuchten Win- ter. Der Grund: Sie bieten Vektoren gute Überlebensbedingungen. Ein gutes Beispiel dafür seien Zecken.

Bereits in den vergangenen Jahren

KLIMAWANDEL UND GESUNDHEIT

Die Gefahren ernst nehmen

Wie genau sich der Klimawandel auswirken wird, lässt sich noch nicht abschließend sagen. Deshalb müssen die Veränderungen überwacht und entsprechende Anpassungsstrategien entwickelt werden.

Foto: CDC/James Gathany

Es müssen Strategien erarbeitet werden, um die Gefährdung

der Bevölkerung

zu vermindern.

Dr. med. Martina Wenker

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 9⏐⏐27. Februar 2009 A397

T H E M E N D E R Z E I T

seien deutlich mehr Menschen an Borreliose und Frühsommer-Me- ningoenzephalitis erkrankt. Auch die Zahl der Hantavirusinfektionen sei nach milden Wintern gestiegen.

Dabei handelt es sich um eine fie- berhafte Infektionskrankheit, die zur Thrombozytopenie und Nieren- versagen führen kann. Übertragen wird sie durch Kontakt mit Urin und Kot von Nagern, beispielsweise der Rötelmaus. Gefährdet sind Men- schen, die sich beruflich bedingt oder in ihrer Freizeit in Laubwäl- dern aufhalten. Ein gehäuftes Auf- treten sei in Süddeutschland und in der Gegend um Osnabrück zu beob- achten gewesen. In Niedersachsen hat die Zahl der Hantavirusfälle 2007 einen Höchststand von 93 er- reicht. 2003 waren es drei.

Auch bislang nicht endemische Erkrankungen, wie das Chikun- gunya-Fieber, könnten in Deutsch- land künftig auftreten. „Die asiati- sche Tigermücke ist auf einem glo- balen Siegeszug“, betonte Groß. In Deutschland wurden die Eier erst- mals 2007 am Oberrhein nachge- wiesen. Sie werden durch Altreifen und Versandbehälter mit Schnittblu- men weltweit verbreitet. Eine Infek- tion, wie in Ravenna, ist also eben- falls in Deutschland denkbar. Das Gleiche gilt für das Dengue-Fieber.

Denn auch hierfür ist Aedes albopti- cus ein Vektor. Voraussetzung: Es müssen infizierte Wirte da sein. Die Tigermücke ist anpassungsfähig.

Sie ist tagaktiv, wird daher häufig in ihrer Blutmahlzeit unterbrochen und sticht meist viele Personen.

Auch das West-Nil-Fieber hat den Weg nach Europa gefunden.

„Es ist nur eine Frage der Zeit, bis in Deutschland die ersten Fälle nach- gewiesen werden“, prognostiziert Groß. Das Reservoir des Virus sind Vögel, Überträgerin ist die Haus- mücke (Culex pipiens).

Autochtone – also vor Ort ent- standene und nicht eingeschleppte – Leishmaniose-Infektionen beim Menschen hat es in Deutschland be- reits gegeben. Es handelt sich um eine häufige „Importkrankheit“ bei Hunden, die aus dem Mittelmeer- raum mitgebracht werden. Übertra- gen wird sie von der Sandmücke (Phlebotomus), die 1999 in Baden- Württemberg nachgewiesen wurde und mittlerweile auch in anderen Gebieten anzutreffen ist.

Rückkehr der Malaria eher unwahrscheinlich

Im Zusammenhang mit dem Klima- wandel wird auch immer wieder die Ausbreitung von Malaria disku- tiert. Groß wies darauf hin, dass bei- spielsweise mit Anopheles artropar- vus bereits ein Vektor für das Plas- modium vivax vorhanden sei. Auch die notwendige Temperatur zur Ent- wicklung sei gegeben. Trotzdem sei Deutschland seit 1951 malariafrei, bis dahin habe es autochtone Infek- tionen gegeben. „Die Rückkehr der Malaria nach Deutschland ist eher unwahrscheinlich“, erklärte er. Es gebe für die Vektoren kein Reser- voir an infizierten Menschen. Au- ßerdem spielten grundsätzlich auch sozioökonomische Faktoren bei den

Infektionen eine Rolle, nicht nur die Temperatur.

Eine bereits reale Folge des Kli- mawandels ist ein veränderter Pol- lenflugkalender. Außerdem könnten neue Gewächse heimisch werden.

Bestes Beispiel dafür ist die Ambro- sia-Pflanze. „Ambrosia breitet sich explosionsartig aus und hat ein enormes allergenes Potenzial“, warn- te Prof. Dr. med. Tobias Welte, Han- nover. Wärme habe darüber hinaus einen Einfluss auf die Luft. Eine ver- änderte Partikelzusammensetzung könne die Symptomatik bei Asthma und chronisch obstruktiver Lungen- erkrankung verstärken, aber auch die Allergene aggressiver machen.

Ob nun Hitze, Infektionen oder Allergene – die Menschen werden sich an die Veränderungen anpassen müssen. Das gilt auch für die Son- nenexposition. Die UV-Strahlung habe in Deutschland zugenommen, sagte Dr. med. Wolfgang Lensing, Hannover. Aber auch die Lebens- gewohnheiten hätten zu einem deut- lichen Anstieg der Hautkrebsrate geführt. Hier müsse dringend Auf- klärungsarbeit geleistet werden – auch durch die Ärzte. „Bräunung ist immer das Ergebnis eines karzino- genen Prozesses“, mahnte Lensing.

Der Hautarzt riet davon ab, sich ge- zielt der Sonne auszusetzen. Am Strand solle man sich eher an- als ausziehen. Künftig werde es zur Regel werden müssen, die Sonne insbesondere in der Mittagszeit zu meiden, außerdem zum Schutz der Augen UV-Gläser zu tragen. I Dr. med. Birgit Hibbeler

Tropenkrankheiten, neue Allergene und Hitzewellen drohen:

asiatische Tigermücke (Aedes albopticus), Ambrosia-Pflanze und vertrockneter Acker im Sommer 2003 (von links)

Foto: ddp Foto: Visum

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