Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4324. Oktober 2003 AA2753
S E I T E E I N S
D
ie Änderung des Arbeitszeitge- setzes zum 1. Januar 2004 hat nach Einschätzung der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG)„dramatische Folgen“ für die 2 240 Krankenhäuser. DKG-Hauptge- schäftsführer Jörg Robbers sprach von einem „Irrsinnsgesetz, das in der Realität nicht umsetzbar ist“. Die Krankenhausärzte sehen hingegen eine Chance: Ihre Verhandlungspo- sition in den Tarifverhandlungen hat sich schlagartig verbessert.
Der Bundestag hatte die Gesetzes- änderung am 26. September be- schlossen. Damit soll das EuGH-Ur- teil vom 9. September umgesetzt werden, wonach die Bereitschafts- dienste der Ärzte in den Kranken- häusern voll als Arbeitszeit zu wer- ten sind. Zwar sprach sich der Bun- desrat am 17. Oktober gegen die Än- derungen aus, dies ist aber irrelevant.
Denn die Regelungen können mit der Kanzlermehrheit im Bundestag
auch gegen den Willen der Länder- kammer beschlossen werden.
Die tägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden soll künftig auch für Ärzte gelten. Längere Arbeitszeiten sind nur durch tarifvertraglich abwei- chende Vereinbarungen möglich. Ge- nau das sei das Problem, meint die DKG. „Seit 1994 ist es den Tarifver- tragsparteien nicht ein einziges Mal gelungen, abweichende Regelungen zu vereinbaren“, betonte DKG-Prä- sident Dr. Burghard Rocke am 15.
Oktober in Berlin. Ein Tarifabschluss bis zum Jahresende sei unrealistisch.
Davon ausgehend, dass keine ta- rifliche Einigung erzielt wird, sieht die DKG jährliche Mehrkosten in Höhe von 3,35 Milliarden Euro auf die Krankenhäuser zukommen.
Denn bei einer täglichen Höchstar- beitszeit von zehn Stunden seien diese gezwungen, 3-Schicht-Rege- lungen einzuführen, was die Einstel- lung von 61 000 zusätzlichen Mitar-
beitern, vor allem Ärzten, erfordere.
Für den Vorsitzenden des Marbur- ger Bundes (MB), Dr. Frank Ulrich Montgomery, ist dies „Schwarzmale- rei“. Als Tarifpartner begreife der MB die Neuregelung als Chance.
Montgomery forderte die Arbeitge- ber auf, zügig über flexible Arbeits- zeiten zu verhandeln. Mit einem vernünftigen Tarifvertrag ließen sich die Mehrausgaben der Krankenhäu- ser auf eine Milliarde Euro im Jahr begrenzen, sagt er.
Als Basis für die Verhandlungen bietet der MB ein Modell an, das die Ausdehnung der täglichen Arbeits- zeit auf bis zu 13 Stunden vorsieht.
Voraussetzung sei, dass der Arzt in- nerhalb eines 24-Stunden-Zeitraums elf Stunden durchgehende Ruhezeit habe und im Mittel nicht mehr als 48 Stunden in der Woche arbeite. Dar- über hinaus müsse jede Anwesen- heit des Arztes im Krankenhaus voll vergütet werden. Jens Flintrop
Arbeitszeitgesetz
Irrsinn und Chance
Tabaksteuer
Gratwanderung G
esundheitspolitisch lobenswertkann man die Anhebung der Tabaksteuer nennen. So begründet die Drogenbeauftragte der Bundes- regierung, Marion Caspers-Merk (SPD), das Konzept: „Wir wissen, dass jedes Preissignal dazu führt, dass sich Menschen überlegen, mit dem Rauchen aufzuhören.“ Doch zu deutlich darf dieses Signal – bitte schön – auch nicht sein. Bundes- finanzminister Hans Eichel treibt es sonst den Schweiß auf die Stirn:
Schließlich sind die zusätzlichen Einnahmen im Haushalt bereits fest zur Finanzierung von versiche- rungsfremden Leistungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung eingeplant. Nähme die Zahl der Raucher drastisch ab, würde dies
ein neues Loch in die Staatskasse reißen.
Angesichts dieser Ambivalenz ha- ben Finanzpolitiker aller Fraktionen viel gerechnet und getüftelt, bevor der Bundestag am 17. Oktober der Änderung des Tabaksteuergesetzes zustimmte. Wie im Gesetzentwurf von SPD und Bündnisgrünen vorge- sehen, wird die Tabaksteuer in drei Stufen erhöht: jeweils um 1,5 Cent pro Zigarette zum Januar und zum Oktober 2004 sowie zum Juli 2005.
Nicht zu viel und nicht zu wenig – die Gratwanderung könnte glücken, schaut man auf frühere Berechnun- gen des Statistischen Bundesamtes.
Danach passiert nämlich beides: Der Tabakkonsum sinkt, besonders bei Jugendlichen.Andererseits steigt das
Steueraufkommen des Staates durch die Verteuerung. Mit zwölf Milliar- den Euro pro Jahr ist die Tabaksteuer nach der Mineralölsteuer die größte Verbrauchssteuer – trotz der Vervierfa- chung des Steuersatzes in den letzten 37 Jahren und des dadurch verursach- ten Rückgangs des Tabakkonsums.
Das wird sie auch bleiben. Doch Hans Eichel kann sich keinesfalls entspannt zurücklehnen. Denn eine Unbekannte kann seine Rechnung nicht aufgehen lassen. Zigaretten- importe für den persönlichen Be- darf aus osteuropäischen Staaten, die im kommenden Jahr der Eu- ropäischen Union beitreten, blei- ben nämlich bis mindestens 2007 von zusätzlichen Abgaben ver- schont. Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann