• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Evidenzbasierte medikamentöse Therapie der Alzheimer-Erkrankung: Wissenschaftlicher Nachweis nicht erbracht" (31.03.2006)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Evidenzbasierte medikamentöse Therapie der Alzheimer-Erkrankung: Wissenschaftlicher Nachweis nicht erbracht" (31.03.2006)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Ginkgo-biloba-Extrakten (GBE). Ver- tragsärzte unterliegen bei ihren Verord- nungen auch dem Wirtschaftlichkeits- gebot nach SGB V. Der Preis pro Tages- dosis beträgt bei den ACHE-Hemmern 3,89 Euro (gegenüber 0,73 Euro bei GBE). Nach Zahlen des Instituts für Medizinische Statistik Frankfurt wur- den über das Jahr 2004 hinweg etwa 70 000 Patienten mit ACHE-Hemmern behandelt (gegenüber etwa 900 000 Pa- tienten mit GBE, davon aber nur etwa 5 Prozent zulasten der GKV). Bei ge- schätzten 1 bis 1,5 Millionen Demenz- fällen in Deutschland und etwa 50 Pro- zent Alzheimer-Anteil, müssten, den Forderungen der Autoren folgend, zu- sätzlich mit ACHE-Hemmern behan- delt werden: Etwa 700 000 Patienten × 3,89 Euro × 365 Tage. Dies entspräche 1 Milliarde Euro Mehrkosten pro Jahr.

In Anbetracht des umstrittenen Zusatz- nutzens und der schlechten Verträglich- keit passen solche Forderungen weder zur EbM noch in die Zeit.

Prof. Dr. med. Volker Schulz Oranienburger Chaussee 25 13465 Berlin

E-Mail: V.Schulz.Berlin@t-online.de

Naiver Trugschluss

Die Studien zu den Alzheimer-Medika- menten Donezepil, Rivastigmin, Galan- tamin und Memantin würden die höch- ste Evidenzstufe erfüllen, so schlussfol- gern Riepe et al. in ihrem vom Kompe- tenznetz Demenz finanzierten Beitrag.

Die Autoren beklagen, dass nur etwa 20 Prozent der leicht bis mittelschwer von der Alzheimer-Erkrankung Betroffenen mit einem cholinerg wirkenden Medika- ment behandelt würden. Dabei seien si- gnifikante Therapieeffekte in etlichen Studien und Cochrane-Reviews doku- mentiert. Einsparungen im Gesund- heitssystem seien nicht zulasten geistig Beeinträchtigter und damit wenig wehr- hafter Mitbürger auszutragen. Letzterer Aussage stimmen wir vorbehaltlos zu.

Ansonsten liegt dem Aufsatz jedoch ein naiver Trugschluss zugrunde: Evidenz- basierte Medizin wird als Hierarchisie- rung von Studiendesigns fehlinterpre- tiert. Ganz oben an der Spitze der wis- senschaftlichen Beweiskraft ist demnach die Metaanalyse aus randomisiert-kon-

trollierten Studien angesiedelt, ungeach- tet der methodischen Qualität der klini- schen Studien und der klinischen Rele- vanz der Ergebnisse. Kaduszkiewicz et al. (1) haben kürzlich unter Anwendung rigoroser Beurteilungskriterien die man- gelhafte Qualität der randomisiert-kon- trollierten Studien zu Cholinesterase- hemmern festgestellt. Die Cochrane Re- views zum Thema haben die methodi- sche Qualität der Einzelstudien nur un- zureichend gewürdigt. Auch von robu- sten, klinisch relevanten Effekten der Alzheimer-Medikamente kann nicht die Rede sein. Vielmehr berichten die Wirk- samkeitsnachweisstudien von geringfü- gigen Verbesserungen der auf psycho- metrischen Skalen erhobenen Werte.

Gewinne in Höhe von 1,5 bis 3,9 Punk- ten auf dem ADAS-Cog (Skala 0 bis 70 Punkte) sind zu verzeichnen. Die Ergeb- nisse, auch wenn sie statistisch hoch sig- nifikant sein mögen, liegen unter dem, was Experten konsensuell als Minimum klinischer Relevanz definieren. Dem fehlenden Nutzen sind die nicht uner- heblichen unerwünschten Wirkungen gegenüber zu stellen (1).

Entgegen den Behauptungen von Riepe et al. ist die Verordnung aus Sicht der evidenzbasierten Medizin überaus strittig. So strittig, dass das britische Na- tional Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) angekündigt hat, auf- grund der unzureichenden Beweislage zum Nutzen der Cholinesterasehemmer auf klinisch relevante Endpunkte seine Verschreibungsempfehlung zurückzu- nehmen (2). Die derzeit in Durchführung befindliche Bewertung von Choline- sterasehemmern, Ginkgo und Memantin durch das IQWIG (3) wird von uns mit Spannung erwartet.

Literatur

1. Kaduszkiewicz H, Zimmermann T, Beck-Bornholdt HP, van den Bussche H: Cholinesterase inhibitors for pa- tients with Alzheimer’s disease: systematic review of randomised clinical trials. BMJ 2005; 331: 321–7.

2. Kmietowicz Z: NICE proposes to withdraw Alzheimer’s drugs from NHS. BMJ 2005; 330: 495

3. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesund- heitswesen. http://www.iqwig.de/de/auftraege/arznei mittel_/Auftragsliste_1.html

Dr. phil. Gabriele Meyer Universität Hamburg

MIN-Fakultät, Fachwissenschaft Gesundheit Martin-Luther-King-Platz 6

20146 Hamburg

E-Mail: Gabriele.Meyer@uni-hamburg.de

Wissenschaftlicher Nachweis nicht erbracht

Es ist erfreulich, wenn im Deutschen Ärzteblatt eine Therapieübersicht über eine so wichtige Erkrankung wie die Alz- heimer-Demenz nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin erfolgt.

Den Ausführungen von Riepe und Kollegen ist jedoch vehement zu wider- sprechen. Bei Sackett heißt es: „Die Pra- xis der evidenzbasierten Medizin bedeu- tet die Integration individueller klini- scher Expertise mit der bestmöglichen externen Evidenz aus systematischer Forschung“ (1). Es ist also gerade die Synthese aus individueller Erfahrung des Arztes, persönlichen Präferenzen des Pa- tienten und externer Evidenz, die das ärztliche Handeln leiten sollte.

Riepe et al. setzen eine „Therapie mit der Brechstange“ dagegen: Ihrer Auffas- sung nach müsste unabhängig von Kon- trollen im Einzelfall das Ergebnis rando- misierter Studien umgesetzt werden. Es sei gar nicht sinnvoll, den Effekt einer medikamentösen Demenzbehandlung zu überprüfen, weil die entsprechenden Tests durch Müdigkeit oder Verschlech- terungen des Stoffwechsels beeinflusst sein könnten und außerdem die neuro- psychologischen Tests schlecht wieder- holt werden könnten (2).

Diese Haltung ist in keiner Weise ak- zeptabel, weil sie dem individuellen Pati- enten nicht gerecht wird. Eine kognitive Verschlechterung kann durchaus im natürlichen und eben nicht entscheidend durch Antidementiva beeinflussbaren Verlauf der Alzheimer-Erkrankung lie- gen und ist nur in seltenen Fällen durch Ereignisse wie das zitierte subdurale Hä- matom verursacht.

Bezüglich der neuropsychologischen Tests ist der Artikel unlogisch: Einerseits berufen sich Riepe et al. auf die Ergeb- nisse evidenzbasierter Studien, anderer- seits sprechen Sie den Tests eine Bedeu- tung in der Überprüfung der Effekte ei- ner medikamentösen Behandlung ab.

Die Ergebnisse der Studien basieren aber doch gerade auf solchen Tests. Un- terlagen die Probanden dieser Studien nicht der Beeinträchtigung durch Mü- digkeit, Stoffwechselverschlechterungen und anderen Nebenwirkungen?

Ferner zitieren Riepe et al.Weyer (2), nach dem für eine sichere Änderung im M E D I Z I N

A

A858 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 13⏐⏐31. März 2006

(2)

Messinstrument ADAS-cog ein Unter- schied von 7 Punkten erforderlich sei – aber sie verschweigen, dass in keiner randomisierten Studie ein Unterschied von 4 Punkten erreicht worden ist! Folgt man Weyer, wäre in allen Studien die Unwirksamkeit der Cholinesterasehem- mer nachgewiesen worden.

Schließlich diskutieren Riepe et al.

überhaupt nicht die Studienlage. Das wä- re aber eine Voraussetzung, um in der Überschrift das Wort „evidenzbasiert“

benutzen zu dürfen. In einem kürzlich er- schienenen Review stellen Kaduszkie- wicz et al. (3) fest, dass aufgrund von me- thodischen Mängeln der einzelnen Studi- en der wissenschaftliche Nachweis einer Wirkung der Cholinesterasehemmer bis- her nicht erbracht wurde.

Kaduszkiewicz et al. ziehen aus dem missglückten Nachweis der Medika- mentenwirkung aber nicht die Schluss- folgerung, Antidementiva grundsätzlich nicht anzuwenden, sondern schlagen vor, prinzipiell eine Einzelfallprüfung zuzulassen unter Wirksamkeitskontrol- len durch neuropsychologische Tests.

Wie schön, dass im Ärzteblatt in- zwischen ersichtlich wird, welcher Autor Interessenkonflikte anzugeben hat – der Leser mag seine Schlussfolgerungen selbst ziehen.

Literatur

1. Sackett DL et al.: Evidence-based medicine:What it is and what it isn’t. BMJ 1996; 312: 71.

2. Weyer G, Erzigkeit H, Kanowski S, Ihli R, Hadler D:Alzhei- mer’s disease assessment scale: reliability and validity in a multicenter clinical trial. Int Psychogeriatr 1997; 9:

123–38.

3. Kaduszkiewicz H, Zimmermann T, Beck-Bornholdt HP, van den Bussche H: Cholinesterase inhibitors for patients with Alzheimer's disease: systematic review of rando- mised clinical trials: BMJ 2005; 331: 321–7.

Günther Egidi Huchtinger Heerstraße 41 28259 Bremen

E-Mail: familie-egidi@nord-com.net

Surrogatmarker als Alternative

Wenn wir Riepe und Koautoren richtig interpretieren, sollten grundsätzlich al- le Demenzpatienten zeitlebens Antide- mentiva verordnet bekommen, es sei denn, dass Kontraindikationen dies ausschließen, oder die Hauptdiagnose sich nicht bestätigt. Eine vorherige Be-

endigung der Therapie aus anderen, insbesondere Wirksamkeitsgründen, sei – da hierfür wissenschaftliche Evi- denz fehle – nicht zu rechtfertigen. Dass für eine Therapiekontrolle von Antide- mentiva mit den bekannten psychome- trischen Instrumentarien eine hinrei- chende Evidenzbasis fehlt, ist zu bekla- gen. Dennoch kann man die für die ge- samte Pharmakotherapie gültige Maxi- me der kontinuierlichen Überprüfung der Wirksamkeit im Individualfall nicht einfach mit dem Pauschalverdikt „evi- denzbasiert nicht möglich“ vernachläs- sigen. Es wäre optimal, wenn die glei- che Kriterienwelt, wie sie für Studien gefordert wird, auch in der Individu- altherapie Anwendung finden könnte, aber dem ist leider nicht so. Für die Er- folgskontrolle der Therapie einer Hy- pertonie oder eines Diabetes mellitus wird im Rahmen von Studien eine Sen- kung der Gesamt- und/oder kardiovas- kulären Mortalität gefordert, die nun aber schwerlich als Kriterium im Rah- men der individuellen Therapiekon- trolle verwendet werden kann. Deshalb nutzt man hier als bestmögliche Evi- denz Surrogatparameter wie Blut- druck, LDL oder Glucose/HbA1c. War- um wird von den Autoren, nachdem sie die Therapiekontrolle anhand psycho- metrischer Instrumente als nicht evi- denzbasiert klassifiziert haben, nicht auf andere in der Evidenzhierarchie niederrangigere Methoden eingegan- gen, wie sie beispielsweise in den The- rapieempfehlungen der Arzneimittel- kommission der deutschen Ärzteschaft zur Demenz erwähnt werden? Der Ar- tikel irritiert, weil der fälschliche Ein- druck erweckt wird, die Kriterien der evidenzbasierten Medizin für klinische Studien könnten und müssten vollstän- dig in die Behandlung des individuellen Patienten umgesetzt werden. Die Beur- teilung des klinisch erfahrenen Arztes ist ja gewiss nicht verwerflich, wenn- gleich sie effektiver im Wechselspiel mit den Ergebnissen aus klinischen Studien sein wird. Die Wirksamkeit der Hemmstoffe der Acetylcholinestera- se in Studien ist für etwa zwölf bis 24 Wochen wissenschaftlich belegt; die nachfolgende Therapiephase ist sensu strictu experimentell und erfordert da- her besondere Kontrolle. Ein weiterer wichtiger Aspekt wird von den Autoren

gar nicht diskutiert, nämlich die Res- ponderproblematik. Ein erheblicher Teil der Patienten profitiert nämlich nicht von der Behandlung und müsste nach den Forderungen des Artikels oh- ne Erfolgskontrolle auf Dauer die Me- dikamente erhalten. Dies ist in vielerlei Hinsicht ein bedenkliches Unterfan- gen. Auch dies unterstreicht noch ein- mal die Bedeutung einer Erfolgskon- trolle, sei es auch nicht evidenzbasiert.

Ein unkontrolliertes Fortführen einer Pharmakotherapie nützt keinesfalls dem wohlverstandenen Interesse von Arzt oder Patient, allenfalls dem Her- steller.

Prof. Dr. med. Rainer Lasek

Prof. Dr. med. Bruno Müller-Oerlinghausen Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Herbert-Lewin-Platz 1

10623 Berlin

Schlusswort

Zu Recht weisen Lasek und Müller- Oerlinghausen darauf hin, dass Thera- pieeffekte bei der Alzheimer-Erkran- kung – wie bei vielen anderen Erkran- kungen auch – „sensu strictu“ nur für einen im Vergleich zur Erkrankungs- dauer kurzen Zeitraum gesichert sind.

Langfristige placebokontrollierte Stu- dien mit Antidementiva werden jedoch, dies ist weltweite Praxis, von Ärzten und Ethikkommissionen als unethisch bewertet. Metaanalysen offener An- schlussstudien weisen auf eine langzei- tig verbesserte Leistungsfähigkeit und Entlastung von Angehörigen und der Gesellschaft hin (2), haben aber eigene methodische Probleme. Solche metho- dischen Probleme haben auch Studien, die die Wirksamkeit der Antidementiva infrage zu stellen scheinen. Die von Schulze aufgeführte AD2000-Studie (3) verletzte ihren eigenen initialen Studien- plan, schloss nicht genügend Patienten ein und benutzte einen für Patienten mit geringer Institutionalisierungswahr- scheinlichkeit ungeeigneten Endpunkt.

Eine kürzlich erschienene methodenkri- tische Arbeit (4), auf die Wedig verweist, scheint generell die Wirksamkeit der Antidementiva infrage zu stellen. Die verwendeten Bewertungskriterien und deren Anwendung (beispielsweise wur- den von 412 Studien pauschal bis auf M E D I Z I N

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 13⏐⏐31. März 2006 AA859

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Für die Er- folgskontrolle der Therapie einer Hy- pertonie oder eines Diabetes mellitus wird im Rahmen von Studien eine Sen- kung der Gesamt- und/oder kardiovas- kulären

Aufgrund der Abhängigkeit der Ne- benwirkungsrate von der Geschwindig- keit der Dosissteigerung sollten die Cholinesterasehemmer über einen Zeit- raum von mehreren Wochen

Weitere 50 Patienten wurden einer Serie von 400 unter der gleichen Indikationsstellung und mit der gleichen Prothese konven- tionell operierten Patienten entnom- men.“ Hart gibt

Dies wird allerdings nur bei etwa 75 Prozent der Patienten erreicht (8), so- dass weiterhin ein Bedarf für die Opti- mierung der Operationstechnik gesehen wird und

Wichtigstes Fazit der vorliegen- den Studien ist, dass durch eine konse- quente medikamentöse Therapie der Alzheimer-Demenz die Zahl der Heim- einweisungen reduziert und damit

(3) Bei In-Kraft-Treten dieses Tarif- vertrages bestehende Betriebsvereinba- rungen oder Individualvereinbarungen zur Entgeltumwandlung sowie zur be- trieblichen Altersversorgung

Eine er- höhte Blutungsgefahr ist auch gegeben, wenn der Patient andere gerinnungs- hemmende Substanzen, insbesondere ora- le Antikoagulanzien (5) oder Thrombo-

Ihrer Auffassung, dass eine Zweiteilung der Ärzteschaft in die praktisch orientierten, am Patienten tätigen Ärzte ohne Einblick in die oft zwei- felhafte Evidenzbasis