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Archiv "Evidenzbasierte medikamentöse Therapie der Alzheimer-Erkrankung: Umstrittener Zusatznutzen" (31.03.2006)

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Wider ärztlichem Handeln

In ihrer Übersichtsarbeit fordern Riepe und Kollegen, dass bei allen Patienten mit leichter bis mittelschwerer Alzhei- mer-Erkrankung (AD) eine cholinerge Behandlung initiiert und solange fortge- führt werden soll, „solange die Haupt- diagnose sich bestätigt“, und zwar „ohne individuelle Erfolgskontrolle.“ In ande- ren Worten: Sie fordern, dass Therapie- entscheidungen nicht durch eine indivi- duelle Nutzen-Risiko-Abwägung be- gründet werden, sondern durch Zu- gehörigkeit des Patienten zu einer Dia- gnosegruppe.

In Bezug auf AD-Patienten würde dieses eine nie zu beendende medika- mentöse Behandlung zur Folge haben, die völlig losgelöst von den fundamen- talsten Prinzipien ärztlichen Handelns durchgeführt werden würde: den Prinzi- pien des Wohltuns und Nicht-Schadens.

Wenn damit tatsächlich das Wohl des Patienten gefördert wird, muss eine Be- handlung nicht nur einen statistischen Effekt bewirken, sondern nachweislich auch ein klinisch relevantes Behand- lungsziel erreichen, das für den jeweili- gen Patienten erstrebenswert ist. Das heißt, ein AD-Patient hätte keinen Nut- zen von einer Steigerung auf einem neu- ropsychologischen Score oder Funkti- onsscore, der nicht auch zugleich dazu führt, dass ein für ihn wichtiger Aspekt seines Lebens verbessert oder zumin- dest erhalten wird. Selbst wenn man ein- mal unterstellt, dass ein Antidementi- vum bei einem AD-Patienten zu einer Verbesserung der kognitiven Leistun- gen führen würde – wofür es noch im- mer keine eindeutige Evidenz gibt (1) –, so kann dieses unter bestimmten Um- ständen eine Verschlechterung seiner Gesamtsituation bedeuten, beispiels- weise ein erneutes Durchleben bereits vollzogener Ablösungs- und Anpas- sungsprozesse (2). Eine AD-Behand- lung sollte deshalb nicht primär von der Diagnose per se oder von gruppenstati- stischen Studienergebnissen ausgehen, sondern diese nur als ergänzende Fakto- ren in einen Entscheidungsprozess mit- einbeziehen, der sich primär auf die Le- bensumstände und die Lebensqualität des Patienten sowie auf seine jeweiligen Werte und Zielsetzungen bezieht (3).

Demgegenüber empfehlen die Auto-

ren eine ziellose Fortführung der Thera- pie – ohne einen definierten Endpunkt anzugeben oder diesen überhaupt ein- zufordern. Diese Empfehlung ist ab- surd. Zum einen bleiben Antidementiva im fortgeschrittenen Stadium der AD selbst auf gruppenstatistischer Ebene ohne nachgewiesene Wirksamkeit. Da sie jedoch durchaus kostspielig sind (1), könnten allein schon allokationsethi- sche Überlegungen in diesem Fall eine Beendigung der Therapie erforderlich machen. Zum anderen gehen Antide- mentiva oftmals mit Nebenwirkungen einher (1). Ohne den Nachweis, dass der individuelle Patient noch einen Nutzen von der Behandlung erhält, können die- se Nebenwirkungen ethisch nicht ge- rechtfertigt werden. Eben diesen Nach- weis fordern Riepe und Kollegen jedoch nicht ein, ja, sie empfehlen sogar expli- zit, dass eine individuelle Nutzen-Risi- ko-Abschätzung überhaupt nicht erst vorgenommen werden solle. Folgte man ihren Empfehlungen, dann würde man AD-Patienten also in doppelter Hin- sicht schaden: zum einen durch die Ne- benwirkungen der endlos fortgeführten Medikamentengabe, zum anderen durch die Missachtung ihrer individuellen Le- bensqualität, Präferenzen und Ziele im jeweiligen Stadium ihres Krankheits- prozesses. Nur die Pharmaindustrie wird solche Empfehlungen begrüßen – und zeigt dieses, indem sie fünf der acht Au- toren finanziell unterstützt.

Literatur

1. van den Bussche H: Fragen und Thesen zu medika- mentösen Behandlungsoptionen der Alzheimer-De- menz mit Acetylcholinesterase-Hemmern. Z Gerontol Geriatr 2005; 38: I/18–I/20.

2. Post SG, Whitehouse PJ: Emerging antidementia drugs:

a preliminary ethical view. J Am Geriatr Soc 1998; 46:

784–7.

3. Sachs GA: Dementia and the goals of care. J Am Geriatr Soc 1998; 46: 782–3.

Matthis Synofzik

Institut für Ethik und Geschichte der Medizin Schleichstraße 8

72074 Tübingen E-Mail: M.Synofzik@gmx.de

Umstrittener Zusatznutzen

Die Arzneimittelkommission der deut- schen Ärzteschaft (AKdÄ) schrieb in der 3. Auflage ihrer Empfehlungen zur Behandlung der Demenz vom Februar

2005: „Zu den verschiedenen Antide- mentiva liegen klinische Studien vor, die eine Verbesserung der Symptomatik in den ersten Wochen oder Monaten nach Therapiebeginn im Vergleich zu Place- bo belegen. Dieser Effekt ist bei den ak- tuell verfügbaren Antidementiva jedoch gering.“ Diese mageren Erfolge stehen hier im Kontrast zu den weit reichenden Empfehlungen der Autoren.

Die Forderung nach unbefristeter Behandlung mit Acetylcholinesterase- hemmern (ACHE-Hemmer) – auch in schweren Stadien und unabhängig vom Ansprechen des einzelnen Patienten – wird damit begründet, dass einerseits die individuelle Erfolgsprüfung me- thodisch nicht haltbar sei und anderer- seits für das spätere Absetzen der The- rapie keine gesicherte Evidenz bestün- de. Der Nachweis der Wirksamkeit wird damit auf den Kopf gestellt. Die zitierten sieben Zulassungsstudien für ACHE-Hemmer belegen lediglich die Ergebnisse kontrollierter Behand- lungszeiträume von fünf bis sieben Monaten. Allein die vorwiegend nega- tiv referierte AD-2000-Studie (Zitat 8) war über vier Jahre mit 565 Patienten randomisiert gegen Placebo durchge- führt worden, wobei kein abstrakter Surrogat-Score, sondern die eigentlich relevante Zeitspanne bis zur Heimun- terbringung konfirmatorisch war. Bei- de Therapiegruppen unterschieden sich nicht signifikant, was auch berich- tet wurde. Nachzutragen wäre zu die- ser Studie, die nicht von den im Klein- gedruckten des Beitrages nachlesba- ren Pharmaunternehmen beauftragt worden war, dass unter dem ACHE- Hemmer die jährlichen Pflege- bezie- hungsweise Hospitalkosten um 18 Pro- zent beziehungsweise 47 Prozent höher waren als unter Placebo. Im Übrigen gab es auch in den sieben „Zulassungs- studien“ schwerwiegende methodische Mängel, worauf hier leider nicht einge- gangen werden kann.

Den Patienten interessiert neben der Wirksamkeit auch die Verträglichkeit.

Eine kürzlich durchgeführte Analyse hat ergeben, dass, bezogen auf die Zahl der Behandlungszyklen, die Häufigkeit von Meldungen unerwünschter Arz- neimittelwirkungen bei den ACHE- Hemmern etwa 100-fach höher lag als bei der herkömmlichen Therapie mit M E D I Z I N

Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 13⏐⏐31. März 2006 AA857

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Ginkgo-biloba-Extrakten (GBE). Ver- tragsärzte unterliegen bei ihren Verord- nungen auch dem Wirtschaftlichkeits- gebot nach SGB V. Der Preis pro Tages- dosis beträgt bei den ACHE-Hemmern 3,89 Euro (gegenüber 0,73 Euro bei GBE). Nach Zahlen des Instituts für Medizinische Statistik Frankfurt wur- den über das Jahr 2004 hinweg etwa 70 000 Patienten mit ACHE-Hemmern behandelt (gegenüber etwa 900 000 Pa- tienten mit GBE, davon aber nur etwa 5 Prozent zulasten der GKV). Bei ge- schätzten 1 bis 1,5 Millionen Demenz- fällen in Deutschland und etwa 50 Pro- zent Alzheimer-Anteil, müssten, den Forderungen der Autoren folgend, zu- sätzlich mit ACHE-Hemmern behan- delt werden: Etwa 700 000 Patienten × 3,89 Euro × 365 Tage. Dies entspräche 1 Milliarde Euro Mehrkosten pro Jahr.

In Anbetracht des umstrittenen Zusatz- nutzens und der schlechten Verträglich- keit passen solche Forderungen weder zur EbM noch in die Zeit.

Prof. Dr. med. Volker Schulz Oranienburger Chaussee 25 13465 Berlin

E-Mail: V.Schulz.Berlin@t-online.de

Naiver Trugschluss

Die Studien zu den Alzheimer-Medika- menten Donezepil, Rivastigmin, Galan- tamin und Memantin würden die höch- ste Evidenzstufe erfüllen, so schlussfol- gern Riepe et al. in ihrem vom Kompe- tenznetz Demenz finanzierten Beitrag.

Die Autoren beklagen, dass nur etwa 20 Prozent der leicht bis mittelschwer von der Alzheimer-Erkrankung Betroffenen mit einem cholinerg wirkenden Medika- ment behandelt würden. Dabei seien si- gnifikante Therapieeffekte in etlichen Studien und Cochrane-Reviews doku- mentiert. Einsparungen im Gesund- heitssystem seien nicht zulasten geistig Beeinträchtigter und damit wenig wehr- hafter Mitbürger auszutragen. Letzterer Aussage stimmen wir vorbehaltlos zu.

Ansonsten liegt dem Aufsatz jedoch ein naiver Trugschluss zugrunde: Evidenz- basierte Medizin wird als Hierarchisie- rung von Studiendesigns fehlinterpre- tiert. Ganz oben an der Spitze der wis- senschaftlichen Beweiskraft ist demnach die Metaanalyse aus randomisiert-kon-

trollierten Studien angesiedelt, ungeach- tet der methodischen Qualität der klini- schen Studien und der klinischen Rele- vanz der Ergebnisse. Kaduszkiewicz et al. (1) haben kürzlich unter Anwendung rigoroser Beurteilungskriterien die man- gelhafte Qualität der randomisiert-kon- trollierten Studien zu Cholinesterase- hemmern festgestellt. Die Cochrane Re- views zum Thema haben die methodi- sche Qualität der Einzelstudien nur un- zureichend gewürdigt. Auch von robu- sten, klinisch relevanten Effekten der Alzheimer-Medikamente kann nicht die Rede sein. Vielmehr berichten die Wirk- samkeitsnachweisstudien von geringfü- gigen Verbesserungen der auf psycho- metrischen Skalen erhobenen Werte.

Gewinne in Höhe von 1,5 bis 3,9 Punk- ten auf dem ADAS-Cog (Skala 0 bis 70 Punkte) sind zu verzeichnen. Die Ergeb- nisse, auch wenn sie statistisch hoch sig- nifikant sein mögen, liegen unter dem, was Experten konsensuell als Minimum klinischer Relevanz definieren. Dem fehlenden Nutzen sind die nicht uner- heblichen unerwünschten Wirkungen gegenüber zu stellen (1).

Entgegen den Behauptungen von Riepe et al. ist die Verordnung aus Sicht der evidenzbasierten Medizin überaus strittig. So strittig, dass das britische Na- tional Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) angekündigt hat, auf- grund der unzureichenden Beweislage zum Nutzen der Cholinesterasehemmer auf klinisch relevante Endpunkte seine Verschreibungsempfehlung zurückzu- nehmen (2). Die derzeit in Durchführung befindliche Bewertung von Choline- sterasehemmern, Ginkgo und Memantin durch das IQWIG (3) wird von uns mit Spannung erwartet.

Literatur

1. Kaduszkiewicz H, Zimmermann T, Beck-Bornholdt HP, van den Bussche H: Cholinesterase inhibitors for pa- tients with Alzheimer’s disease: systematic review of randomised clinical trials. BMJ 2005; 331: 321–7.

2. Kmietowicz Z: NICE proposes to withdraw Alzheimer’s drugs from NHS. BMJ 2005; 330: 495

3. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesund- heitswesen. http://www.iqwig.de/de/auftraege/arznei mittel_/Auftragsliste_1.html

Dr. phil. Gabriele Meyer Universität Hamburg

MIN-Fakultät, Fachwissenschaft Gesundheit Martin-Luther-King-Platz 6

20146 Hamburg

E-Mail: Gabriele.Meyer@uni-hamburg.de

Wissenschaftlicher Nachweis nicht erbracht

Es ist erfreulich, wenn im Deutschen Ärzteblatt eine Therapieübersicht über eine so wichtige Erkrankung wie die Alz- heimer-Demenz nach den Kriterien der evidenzbasierten Medizin erfolgt.

Den Ausführungen von Riepe und Kollegen ist jedoch vehement zu wider- sprechen. Bei Sackett heißt es: „Die Pra- xis der evidenzbasierten Medizin bedeu- tet die Integration individueller klini- scher Expertise mit der bestmöglichen externen Evidenz aus systematischer Forschung“ (1). Es ist also gerade die Synthese aus individueller Erfahrung des Arztes, persönlichen Präferenzen des Pa- tienten und externer Evidenz, die das ärztliche Handeln leiten sollte.

Riepe et al. setzen eine „Therapie mit der Brechstange“ dagegen: Ihrer Auffas- sung nach müsste unabhängig von Kon- trollen im Einzelfall das Ergebnis rando- misierter Studien umgesetzt werden. Es sei gar nicht sinnvoll, den Effekt einer medikamentösen Demenzbehandlung zu überprüfen, weil die entsprechenden Tests durch Müdigkeit oder Verschlech- terungen des Stoffwechsels beeinflusst sein könnten und außerdem die neuro- psychologischen Tests schlecht wieder- holt werden könnten (2).

Diese Haltung ist in keiner Weise ak- zeptabel, weil sie dem individuellen Pati- enten nicht gerecht wird. Eine kognitive Verschlechterung kann durchaus im natürlichen und eben nicht entscheidend durch Antidementiva beeinflussbaren Verlauf der Alzheimer-Erkrankung lie- gen und ist nur in seltenen Fällen durch Ereignisse wie das zitierte subdurale Hä- matom verursacht.

Bezüglich der neuropsychologischen Tests ist der Artikel unlogisch: Einerseits berufen sich Riepe et al. auf die Ergeb- nisse evidenzbasierter Studien, anderer- seits sprechen Sie den Tests eine Bedeu- tung in der Überprüfung der Effekte ei- ner medikamentösen Behandlung ab.

Die Ergebnisse der Studien basieren aber doch gerade auf solchen Tests. Un- terlagen die Probanden dieser Studien nicht der Beeinträchtigung durch Mü- digkeit, Stoffwechselverschlechterungen und anderen Nebenwirkungen?

Ferner zitieren Riepe et al.Weyer (2), nach dem für eine sichere Änderung im M E D I Z I N

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A858 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 13⏐⏐31. März 2006

Referenzen

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