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Archiv "Englische Erfahrungen" (24.09.1981)

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Spektrum der Woche Aufsätze Notizen

BLICK ÜBER DIE GRENZEN

Englische Erfahrungen

Lieber Professor Arnold!

Sie hatten mir mit Ihrem Gutachten wesentlich dazu verholfen, ein Sti- pendium des Deutschen Akademi- schen Austauschdienstes (DAAD) zu erhalten, um ein Jahr in England stu- dieren zu können. Inzwischen bin ich wieder zu Hause und kann Ihnen versichern, daß meine dort gemach- ten Erfahrungen in einem erhebli- chen Gegensatz zu dem bei uns Üb- lichen und mir bis dahin Gewohnten stehen: Es war in England interes- sant, lehrreich, teilweise aufregend

— vielleicht genau so, wie man sich ein Medizinstudium nach dem Ab- itur vorstellt und wünscht. Wir soll- ten andere Länder zum Vorbild neh- men, um unsere eigenen Ausbil- dungsbedingungen zu verbessern!

Da werden in der Bundesrepublik in zahllosen Aufsätzen die Mängel des Medizinstudiums nach der Approba- tionsordnung beschrieben, For- schungsvorhaben zur wissenschaft- lichen Durchdringung der Probleme in Gang gebracht und theoretische Lösungsmöglichkeiten ausgiebig diskutiert — aber praktisch bleibt al- les beim alten.

So bemerkt der angehende Arzt in England nicht erst nach zwei Jahren aus seinen Lerngegenständen, daß er Medizin studiert — er hat schon in den ersten Semestern Kurse und Vorlesungen in Pharmakologie und Pathologie, und das macht sein Ler- nen von Anfang an „berufsbe- zogen".

Die Verteilung der Studenten auf viele Abschnitte und klinische Sta- tionen im Rahmen eines konsequent durchgeführten Blockunterrichtes läßt wirklich eine Kleingruppenbil- dung und sinnvolle Seminare zu.

Nicht von Universitätsprofessoren, sondern von den Mitgliedern der be- troffenen Institutionen erfuhren wir aus erster Hand etwas über den Na- tional Health Service (NHS). Nicht aus Büchern, sondern aus direkter Anschauung gewannen wir Einblik- ke in die Arbeitsmedizin, Gesund- heitserziehung, Umweltprobleme, Lebensmittelüberwachung, Allge-

meinmedizin usw. Von Einrichtun- gen der Royal Air Force bis zu jenen der pharmazeutischen Industrie reicht das Spektrum, um die soziale und medizinische Wirklichkeit des Alltages kennenzulernen. Eine Nacht lang habe ich einen Bereit- schaftsarzt auf seinen Einsätzen in London begleitet — das ist etwas an- deres als: 14tägig: N. N. „Erste Hilfe am Unfallort", Montags 18-19.30 Uhr, Großer Hörsaal Chirurgie.

Zwei Wochen war ich als Praktikan- tin bei einer Landärztin, sechs bis acht Patienten pro Stunde in den Praxiszeiten — Schwangerenfürsor- ge, Zervikalabstriche, Kleine Chir- urgie, Notfälle, viele geriatrische Pa- tienten. Mein „Doktor" hat sich eine unglaubliche Mühe gegeben, mich zu unterrichten, und das trotz ihrer großen zeitlichen Belastung!

Organisierte Großveranstaltungen für den theoretischen Unterricht spielen freilich eine untergeordnete Rolle: Alle zwei Wochen für alle Stu- denten „Topic Teaching" — Vorle- sungstage. Sonst aber eben: Praxis, Anschauung, Erleben, Handeln, Empfinden: Eine Zeit war ich auf der Krebsstation, eine weitere in einer Notfallambulanz, in der wir Studen- ten als erste die Patienten sahen, untersuchten und vorentscheiden konnten, das machte uns einerseits frei und gab uns andererseits Ver- antwortung. Probleme der Geriatrie

— wo werden die bei uns schon ein- gehend behandelt? — habe ich ken- nengelernt in: Altersheimen, Tages- klinik, Obdachlosenasyl, psychiatri- sches Spezialkrankenhaus für alte Patienten, Akutkrankenhaus und All- gemeinpraxis. Wir waren übrigens 11 in einer Gruppe: sieben Medizin- studenten, zwei Schwesternschüle- rinnen, zwei Krankengymnastinnen:

Da haben wir angehenden Ärzte auch mal etwas über Pflegeproble- me gehört. Eine Zeitlang war ich den Anästhesisten zugeteilt, mußte Handgriffe ausüben, Spritzen ge- ben, Infusionen legen, auch eine kleine Narkose selbst machen usw. — ich könnte Ihnen noch eine Reihe anderer Stationen meines Studiums nennen, die ähnlich interessant und lehrreich waren. Und glauben Sie

nicht, daß meine Konpraktikanten theoretisch schlechter ausgebildet wären als wir: Mir haben viele Vor- aussetzungen gefehlt, nicht meinen englischen Kommilitonen.

Sie werden meiner Darstellung ent- nehmen können, was ein solches Curriculum auszeichnet und was ei- nen interessierten Studenten daran begeistern kann: Die Phantasie, mit der ein weites Feld nicht nur der engeren Medizin, sondern der sozia- len Wirklichkeit dem Studenten als Lehrgegenstand zur Verfügung ge- stellt wird. Vergleichen Sie das ein- mal mit unserem formalisierten Stu- dium, mit der Examensorientiertheit im Lernverhalten deutscher Medi- zinstudenten, mit dem geforderten Perfektionismus bei der rechtlichen Absicherung des Praktischen Jah- res, mit der „Ausgewähltheit" der für die Lehre vorgesehenen Institu- tionen usw.

Könnte sich in der Bundesrepublik Deutschland nicht einmal wenig- stens eine Fakultät dazu entschlie- ßen, ohne langjährige Grundsatzdis- kussion und ohne feinsinnige theo- retische Basis ein solches Curricu- lum versuchsweise zu übernehmen?

Natürlich müßte man es im einzel- nen unseren Verhältnissen anpas- sen! Aber dann käme doch mal Be- wegung in die Landschaft und viel- leicht ließe sich im Laufe der Zeit allgemein etwas verbessern.

Erst wenn die Erfahrungen aus zahl- reichen Auslandsaufenthalten An- stöße für die Verbesserung der eige- nen Lage geben, bekommen sie nach meiner Überzeugung einen weitergehenden Sinn. Und an einer Verbesserung der augenblicklichen Situation bei uns sollte uns doch wohl allen gelegen sein!

Herzlichst Ihre F. 0.

Die vorstehende Darstellung der Studiener- fahrungen einer deutschen Medizinstudentin in England und die Formulierung der sich dar- aus ergebenden Fragen ist ursprünglich nicht in Briefform erfolgt. Der Brief stützt sich aber in seinen Sachaussagen ausschließlich auf den Studienbericht von Fräulein cand. med.

Felicitas Oberdorf, Tübingen, an den DAAD.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 39 vom 24. September 1981 1843

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