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Archiv "Ethnomedizin in der Bundesrepublik Deutschland" (08.01.1990)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Fachgebiet und Ziele

Ethnomedizin stellt die kulturel- le Vielfalt menschlichen Erlebens und Strebens nach Bewältigungsfor- men von Krankheiten in Medizin- theorie und Medizinpraxis dar und erfaßt die subjektive Bewertung die- ses Bemühens. Die große Vielfalt von Krankheitskonzepten und The- rapieformen in verschiedenen Kultu- ren — allein schon im Bereich der Staaten der Europäischen Gemein- schaft — eröffnet im Gegensatz zum universalen Formalismus der moder- nen (Hochschul-)Medizin einen Reichtum an Modellen des Umgangs mit Krankheit, der in seiner struktu- ralen Vereinheitlichung ein allge- meinmenschliches Verhalten darlegt und in seiner Vielfalt der Schulmedi- zin neue Impulse zu vermitteln ver- mag.

Dabei steht der transkulturelle Vergleich des Umgangs mit Krank- heit und der Gesundheitspolitik im Vordergrund. Er gibt einen Einblick darin, wie in verschiedenen Kulturen gesellschaftspolitisch die Bewälti- gung von Krankheit organisiert wird.

Daneben werden die subjektiven Be- mühungen der Kranken und ihrer Familien und die subjektive Zufrie- denheit der Bevölkerung mit ihrer Gesundheit als Aspekt von Lebens- qualität untersucht.

E

thnomedizin ist dieje- nige Wissenschaft, die die Heilkunde in ihren kulturellen Verschieden- heiten darstellt und die Wechselwirkung zwischen Heilkunde und Kultur zum Gegenstand ihrer Forschung gewählt hat. Sofern der re- gionale Schwerpunkt der Forschung auf Heilkunde und Kulturen in Europa liegt, wird von der Europäischen Ethnomedizin gesprochen.

Sich und Diesfeld (4) sehen ein Hauptanliegen der Ethnomedizin darin, festzustellen, daß Medizin und ihre verschiedenen Komponen- ten über die biologisch-naturwissen- schaftlichen Dimensionen hinaus ein kulturelles Produkt, ein kulturelles System, sind.

Heilkunde

Inhaltlich werden verschiedene Aspekte der Heilkunde und der Kul- tur untersucht. Heilkunde wird phä- nomenologisch insbesondere unter dem Blick ihrer kulturspezifischen

Ausprägung sowie kausal unter ihrer kulturellen Prägung (von Kultur ge- prägt als auch kulturprägend) er- forscht. Die untersuchten Aspekte von Heilkunde gibt Tabelle 1 (auf der nachfolgenden Seite) wieder.

Die Teilaspekte Krankheitserle- ben, Krankheitsbewertung sowie theoretische und praktische Krank- heitsbewältigung sind mit ihren ge- nannten Untergruppen vertraut. Die subjektive Vermögens- und Verhal- tensbewertung (coping, locus of con- trol) ist dagegen ein junger For- schungsbereich innerhalb der Ethno- medizin, der transkulturelle Verglei- che zur Zufriedenheit mit dem kul- tureigenen, privaten und institutio- nalisierten Gesundheitswesen, der Gesundheitsversorgung in verschie- denen Ländern und dem sozio-kultu- rellen Entwicklungsstand erlaubt.

Die negative Bewertung des Bemü- hens, Krankheiten beherrschen zu können, äußert sich als Angst (Hilf- losigkeit). Somit wird Angst vor Krankheit meßbarer Ausdruck der Kontrollüberzeugung einer Gesell- schaft. Sie entspringt der Bewertung der Mitglieder einer Kultur über die in ihrer Gesellschaft gegebenen Möglichkeiten, Gesundheit zu för- dern und Krankheit zu bewältigen beziehungsweise zu verhindern.

Angst vor Krankheit kann als so- zialer und kultureller Indikator des Entwicklungsstandes einer Gesell- schaft angesehen werden. Dieser In- dikator ist universal, allgemein- menschlich und intersubjektiv gültig, denn die Wiederherstellung von Ge- sundheit gilt als allgemein-soziales Bedürfnis einer jeden Gesellschaft.

Kultur

In ethnomedizinischen Untersu- chungen wird Kultur als ein System von Werten angesehen, das seinen konkreten und praktischen Nieder- schlag in Regeln und Institutionen zur Lebensführung einer Gesell- schaft findet. Kultur stellt sich als das umfassende Gesamtsystem von Gesellschaften dar, innerhalb dessen

*) Aus dem Institut für Geschichte der Medizin der Heinrich-Heine-Universität Düssel- dorf (Prof. Dr. med. Hans Schadewaldt)

Norbert Kohnen*)

Ethnomedizin in der Bundesrepublik Deutschland

Ethnomedizin ist ein in der Bundesrepublik Deutschland noch jun-

ges Wissenschaftsgebiet, das vereinzelt an den Universitäten ge-

lehrt, aber - im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten von Amerika

- noch nicht durch eine eigene Studienrichtung vertreten ist. Aller-

dings gibt es deutsche Wissenschaftler, die für diese Disziplin habi-

litiert sind. Im folgenden sollen wissenschaftliche Ziele, Forschung

und Lehre, Gesellschaften und Forschungsförderung der Ethnome-

dizin in der Bundesrepublik Deutschland erläutert werden. Insbe-

sondere der Europäischen Ethnomedizin werden durch das Zusam-

menwachsen der Europäischen Gemeinschaft mit dem Vergleich

ihrer verschiedenen Medizinsysteme neue Aufgaben gestellt.

(2)

andere Systeme differenziert werden können wie das soziale System, das Gesellschaftssystem, das Wirt- schafts- und Rechtssystem sowie das medizinische System. Innerhalb des kulturellen Systems leiten sich Nor- men und Werte - also Verhaltens- vorschriften - aus der tradierten Weltanschauung ab.

Es gibt nicht nur große Unter- schiede zwischen den rezenten Kul- turen in der Bedeutung und Bewer- tung einzelner kultureller Subsyste- me, es zeigen sich vielmehr auch sol- che Unterschiede in historischer

Sicht, etwa die verschiedenen Beur- teilungen, Ordnungen und Klassifi- kationen von Gesundheit und Krankheit in der Geschichte einzel- ner Kulturen (1).

Ethnomedizin untersucht im kulturellen Bereich historische und rezente Ausprägungen der Institu- tionen, die die Gesundheitsversor- gung einer Gesellschaft sicherstellen und erhalten sollen, die Modelle der Gesundheitsversorgung innerhalb der verschiedenen kulturgebunde- nen Weltsichten und die Regeln und Werte, mit denen diese in die Praxis

umgesetzt werden. Diesbezügliche Untersuchungsthemen sind in der Tabelle 2 (nächste Seite) zusammen- gefaßt.

Im Vordergrund ethnomedizini- scher Untersuchungen stehen inter- und transkulturelle (weltweite) Ver- gleiche zwischen modernen und tra- ditionellen Heilsystemen, was dieses Fach gegenüber der Sozialmedizin unterscheidet.

Ethnomedizin beschränkt ihre Untersuchungen nicht auf außereu- ropäische Kulturen. An unserem In- stitut in Düsseldorf ist gerade Euro- päische Ethnomedizin ein For- schungsschwerpunkt. Sie untersucht in verschiedenen Ländern der Euro- päischen Gemeinschaft unter ande- rem Gesundheits- und Krankheits- konzepte sowie Therapieformen.

Dabei werden Kognition und Klassi- fikation von Anatomie- und Krank- heitsbegriffen mit bekannten medi- zintheoretischen Ordnungen und Denkmodellen verglichen. So kann die kulturelle Prägung der abendlän- dischen Heilkunde bei Laien und Wissenschaftlern nachgewiesen wer- den. Transkulturell werden das kul- turspezifische (offizielle und inoffi- zielle) Angebot der Heilinstanzen und die Bewertung der kulturspezifi- schen Gesundheitssysteme aus Pa- tientensicht erforscht.

Ethnomedizinische Forschung und ihre Institutionalisierung

Institute für Ethnomedizin gibt es in Deutschland nicht. Gesell- schaftlich-kulturelle Themengebiete der Ethnomedizin werden vor allem in der Sozialmedizin und Medizinso- ziologie bearbeitet, wobei diese aber nicht den transkulturellen Vergleich suchen und ihren Forschungsschwer- punkt auf die Hochschulmedizin le- gen.

In der Praxis sind einige der ge- nannten heilkundlichen Themenge- biete der Ethnomedizin auch bereits in eigenen wissenschaftlichen Insti- tuten angesiedelt. Dies hat histori- sche Gründe. Im Gegensatz zu der dargestellten Gliederung nach Sach- gebieten steht die reale, historisch Tabelle 1: Heilkundliche Aspekte (in ihrer kulturellen Prägung)

Untersuchungsobjekt: Patient/Heiler

1. Krankheitserleben (Kranksein im kulturellen Zusammenhang) - anthropologische Grunderfahrung des Krankseins

- Erleben und Ausdruck von Schmerzen und Leid 2. Krankheitsbewertung

- Bewertung von „krank" und „gesund"

- Bestimmung der Indikatoren von Gesundheit und Krankheit 3. theoretische Krankheitsbewältigung (Kognition)

- Perzeption körperlicher und seelischer Abnormitäten - Benennung normaler und abnormer Zustände

- Konzeptualisierung und Klassifizierung medizinischer Termini (zum Beispiel Anatomie- und Krankheitsbegriffe)

- Organbedeutung und Vorstellungen zur Organfunktion - Symbolgehalt von Krankheit und Krankheiten

- Erklärungsmodelle von Krankheit und Krankheiten - Diagnoseverfahren und Diagnosesicherung - Wissen über Krankheiten

- Behandlungskonzepte

4. praktische Krankheitsbewältigung (Handeln und Verhalten im Krankheitsfall)

- Allgemeinverhalten von Menschen bei und zu Krankheiten (Options-, Bewältigungsbewußtsein und Fatalismus)

- individuelle Gesundheitsplanung (Gesundheitsvorsorge-, -fürsorge, -versorgung)

- Heiler, ihre Persönlichkeit und ihr Verhalten - Heilformen und Heilmittel

- Wahl von Heilern und Heilmethoden (Dokumentation und Entschei- dungsmodelle)

- Krankenpflege

- Umwelteinflüsse (Ökologie, Epidemiologie, Enährung)

- Wirksamkeit wirkstoffgebundener und nicht wirkstoffgebundener Heilformen

5. Vermögens- und Verhaltensbewertung Bewertung (beziehungsweise Zufriedenheit)

- des kulturspezifischen Gesundheitssystems - der gesellschaftlichen Hilfe im Krankheitsfall

- des Einbindens von Kranken in die sozialen Strukturen - Kontrollüberzeugung von Gesunden und Kranken

(Hilflosigkeit und Angst vor Krankheiten)

A-26 (26) Dt. Ärztebl. 87, Heft 1/2, 8. Januar 1990

(3)

begründete Gliederung des ethno- medizinischen Fachgebiets in:

O Medizinische Anthropologie (Medizinethnologie)

Zum Beispiel am Institut für Tropenhygiene und öffentliches Ge- sundheitswesen in Heidelberg unter dem Thema „Kulturvergleichende medizinische Anthropologie"

Q Moderne Medizin in tradi- tionalen Gesellschaften

Tropenmedizin an den Tropen- instituten in Hamburg, Heidelberg, Tübingen und München; öffentliches Gesundheitswesen, Gesundheitspla- nung und Medizin für die Dritte Welt am Heidelberger Institut; Pub- lic Health: Postgraduierten Studien- gänge in Public Health werden zur Zeit in Berlin, Bielefeld, Bochum, Düsseldorf, Hannover und Heidel- berg aufgebaut.

Traditionelle Medizin in mo- dernen Gesellschaften

Untersuchungen der Wirksam- keit und Wirkweise traditioneller Heilkunde und ihrer Methoden mit Methoden moderner Wissenschafts- medizin jeweils in den verschiedenen medizinischen Fachgebieten.

Die herausragenden histori- schen Ergebnisse dieses letztgenann- ten ethnomedizinischen Teilaspekts sind noch nicht zusammenfassend dokumentiert.

Hierzu zählen unter anderem die Vielzahl der Pflanzen, die Rei- sende und Mediziner (frühe „Ethno- mediziner") in der Vergangenheit gesammelt haben und die uns heute oft nur noch als Reinsubstanzen be- kannt sind wie zum Beispiel das Co- cain aus der Cocapflanze, das Chinin der Chinarinde, das Emetin aus der Ipecacuanha-Wurzel, das Reserpin der Rauwolfia-serpentina-Wurzel, das Physostigmin aus der afrikani- schen Kalabarbohne, das Strophan- tin aus afrikanischen Strophantussa- men oder der Ginko-Extrakt aus dem Ginkobaum.

Neuere Untersuchungen, die auf ethnomedizinische Beschreibungen zurückgehen, haben wertvolle wis- senschaftliche Erkenntnisse für un-

sere Wissenschaftsmedizin erbracht.

So wurden bestimmte Verhaltens- weisen von Patienten in anderen Kulturen bei der Geburt und Schmerzbewältigung erforscht: die hockende oder vertikale Geburtstel- lung der Kreißenden, eine Gebär- stellung, die sich wissenschaftlich als physiologischer und effektiver bei der Austreibung des Kindes erwie- sen hat (2).

Erinnert sei auch an die ausge- dehnten Schmerzstudien von Larbig (3), der mit technischen biomedizini- schen Mitteln Feuerläufer aus Grie- chenland, Fakire Indiens und das Hakenschwungphänomen aus Sri Lanka erforschte.

Von der Schulmedizin sind in- zwischen die Erfolge der Akupunk- tur zumindest auf dem Gebiet der

Schmerzbekämpfung anerkannt, die ebenfalls auf ethnomedizinische Ak- tivitäten und Einbringung in die westliche Medizin zurückzuführen sind.

So konnten beispielsweise bei ei- ner Studie am Evangelischen Kran- kenhaus Köln-Kalk Weiers et al. (6) die Wirksamkeit der Moxibustion zur inneren (physiologischen) Wen- dung von Steiß- und Beckenendla- gen bei Schwangerschaftsende nach- weisen.

Unter Moxibustionsmaßnahmen können nicht nur vermehrte Kinds- bewegungen getastet und in der So- nographie nachvollzogen werden;

durch Moxibustion kann mit hochsi- gnifikantem Erfolg gegenüber Spon- tanwendungen eine Wendung des Kindes ausgelöst werden.

Tabelle 2: Kulturgebundene Reaktion auf Krankheit Untersuchungsobjekt: Heilinstitutionen

1. Gesellschaftlich-kultureller Umgang mit Gesundheit - Offizielle Definitionen von Gesundheit und Krankheit - Bestimmung der Patientenrolle und des Patientenverhaltens

- öffentliche Gesundheitsplanung (Vorsorge, Fürsorge und Versorgung von Gesunden)

2. Gesellschaftlich-institutionalisierter Umgang mit Krankheit

- Vielfalt des Heilangebots (Schulmedizin, naturheilkundliche und alter- native Systeme)

- Professionalisierung, Meclikalisierung, Institutionalisierung von Heil- kunde

- gesellschaftliche Sicherung im Krankheitsfall (Krankenversicherung) - Organisation von Gesundheitserhaltung und Krankheitsversorgung - Organisation von Notfallmedizin

- öffentliche Finanzierung des Gesundheitswesens (privat/staatlich, Ge- sundheits- und Krankheitssektor)

- Anzahl, Dichte, Verfügbarkeit privater und gesellschaftlich getragener Heilinstanzen

3. Beurteilung der Heilinstitutionen einer Kultur und ihr Einfluß auf die Bevölkerung

- Beurteilung der gesellschaftlichen Hilfe durch verschiedene Heilin- stanzen

- Formen der Anerkennung des Kranken in seiner Krankheit

- körperlicher und seelischer Gesundheitszustand in verschiedenen Kulturen (Krankheitsstatistiken, Epidemiologie)

- Krankheitsverhalten in verschiedenen Gesundheitssystemen - Patient-Heiler-Kommunikation in verschiedenen Heilinstitutionen - Reaktion der Bevölkerung auf Verordnungen im Gesundheitswesen

und Gesundheitsanspruch

4. Medizin und Gesellschaft im kulturellen Wandel - Veränderungen der heilkundlichen Aspekte

- Veränderungen der gesellschaftlichen Reaktion auf Krankheit - Veränderungen der subjektiven Beurteilung gesellschaftlicher Reak-

tionen auf Krankheit (Zufriedenheit mit dem Gesundheitssystem)

(4)

Die genannten Teilgebiete, die Gegenstand der Ethnomedizin sind, fallen thematisch in verschiedenste wissenschaftliche Fachbereiche und werden an deutschen Universitäten nicht einheitlich unter einer einigen- den Sicht unterrichtet.

Somit ist der Fachbereich Eth- nomedizin wie kaum ein anderer Wissenschaftsbereich interdiszipli- när. Dies führt zu Kompetenzen- streit in der Lehre und zu methodi- schen Problemen in der Forschung, unter denen die Ethnomedizin in der Bundesrepublik Deutschland immer noch krankt.

Lehre

und Forschung

An deutschen Hochschulen ist Ethnomedizin nicht als eigenständi- ges Fach durch einen Lehrstuhl oder durch ein Institut vertreten wie in den Vereinigten Staaten von Ame- rika.

Dort gibt es Institute, die sich in Lehre und Forschung hauptamtlich der Medical Anthropology widmen (zum Beispiel an der Harvard Uni- versity und University of Massachu- setts in Boston, der University of De- laware, an der University of Califor- nia in San Francisco und an der Uni- versity of Hawaii at Manoa/Hono- lulu).

Lehre und Forschung leiden hierzulande nicht etwa an qualifi- ziertem Nachwuchs oder an man- gelndem Interesse: es gibt drei Medi- ziner, die sich an deutschen Universi- täten für dieses Fach habilitiert ha- ben.

Unter der Leitung von Sich ist sogar ein Curriculum für das Fach entworfen (4) und sind Grundlagen zu Seminaren in kulturvergleichen- der medizinischer Anthropologie er- arbeitet worden (5).

In der Bundesrepublik Deutsch- land wird Ethnomedizin innerhalb der Medizinischen Fakultät an Insti- tuten der Geschichte der Medizin, der medizinischen Psychologie und der Tropenhygiene sowie in der Phi- losophischen Fakultät an Völker- kundeinstituten gelehrt.

Regelmäßige ethnomedizinische Vorlesungen, Seminare für Medizin-

studenten und Doktorandenbetreu- ung finden unter der Leitung von Ethnomedizinern an der Universität Heidelberg im Institut für öffent- liches Gesundheitswesen und Tro- penhygiene (Sich), an der Heinrich- Heine-Universität in Düsseldorf im Institut für Geschichte der Medizin (Kohnen) und als Lehrauftrag an der Universität Freiburg/Breisgau (Ef- felsberg) statt.

Am Institut für medizinische Psychologie in München lehrt Schie- fenhövel, der lange Jahre der Vorsit- zende der Arbeitsgemeinschaft Eth- nomedizin war.

Ethnologische Institute mit eth- nomedizinischer Tradition sind das Seminar für Völkerkunde in Ham- burg (Pfleiderer) und das Kölner Völkerkundeinstitut.

In der letzten Zeit werden bei den Völkerkundlern zunehmend ethnomedizinische Seminare ange- boten, obwohl in der Ethnologie noch kein Wissenschaftler lehrt, der sich ausdrücklich für Ethnomedizin habilitiert hat.

Das Interesse der Ethnologen an diesem Fachgebiet ist so groß, daß im Frühjahr letzten Jahres (1989) von ethnologischen Instituten in Heidelberg und Berlin Ausschrei- bungen für C 3-Professuren mit eth- nomedizinischem Schwerpunkt er- folgten.

Völkerkundler beschränken den Schwerpunkt ihrer ethnomedizini- schen Lehre und Forschung aus mangelnden medizinischen Kennt- nissen jedoch oft nur auf kultur- und sozialanthropologische Aspekte des Faches.

Gesellschaften

Die Funktion einer Gesellschaft für Ethnomedizin kommt der Ar- beitsgemeinschaft Ethnomedizin (AGEM) mit Sitz in Heidelberg zu.

Diese Gesellschaft hat mehr als 300 Mitglieder und veranstaltet zweijähr- lich Internationale Symposien zu ethnomedizinischen Themen. Die Deutsche Gesellschaft für Völker- kunde widmet sich der Ethnomedi- zin seit Jahren auf ihren zweijährlich abgehaltenen Kongressen in eigenen Arbeitsgruppen und einer eigenen

Sektion. Ausgehend vom Missions- Krankenhaus in Würzburg finden jährlich „Würzburger Ethnomedizi- nische Tage" statt. An der Würzbur- ger Universität bestand bis vor kur- zem auch ein Lehrauftrag für Ethno- medizin.

Forschungsförderung

Die Deutsche Forschungsge- meinschaft (DFG) förderte bisher ethnomedizinische Vorhaben unter- schiedlich. Sofern Förderungsanträ- ge von Medizinern gestellt wurden, sind sie in den letzten Jahren oft ne- gativ beantwortet worden. Anthro- pologische und kulturanthropologi- sche Studien oder von Ethnologen beantragte ethnomedizinische Vor- haben werden dagegen gefördert, auch wenn die Anträge fundierte medizinische Sachkenntnisse vermis- sen lassen.

Dies liegt möglicherweise daran, daß die Deutsche Forschungsge- meinschaft keine für Ethnomedizin habilitierte Gutachter besitzt.

In den letzten Jahren hat sie ei- ne Unterstützung der „Internationa- len Fachkonferenzen Ethnomedizin"

der Arbeitsgemeinschaft Ethnome- dizin sogar abgelehnt.

Dagegen hat die Stiftung Volks- wagenwerk (Wolfsburg) ethnomedi- zinische Forschungsvorhaben und Tagungen bisher in erfreulichem Umfang unterstützt. Die Stiftung verfügt auch über eigene sachkundi- ge ethnomedizinische Gutachter.

Die Kübel-Stiftung übernahm mehrfach die Finanzierung ethno- medizinischer Forschungen. Die Ro- bert-Bosch-Stiftung (Stuttgart) hat bis zum Jahre 1986 auch rein ethno- medizinische Feldforschungen geför- dert. Zur Zeit ist eine Förderung nur im Rahmen naturkundlicher Medi- zin vorgesehen.

Praktiken

Die in letzter Zeit häufiger er- scheinenden Berichte westlicher Ärzte über die Tätigkeit in der Drit- ten Welt und die Schilderung ihrer Schwierigkeiten bei dem Angebot westlicher Medizin in fremden Kul- A-28 (28) Dt. Ärztebl. 87, Heft 1/2, 8. Januar 1990

(5)

Mathematik 12,6

11,6

WA

Elektrotechnik

Wirtschaftswissenschaften 10,6 10,6 Theologie

11,2

k

Zahnmedizin

11,2 Rechtswissenschaft

8,0 Realschule

Grund- und Hauptschule 6,6 9.2 7,6 Architektur

Sozialwesen 6,4

7,0

WA

Maschinenbau Diplom und

entsprechende Prüfungen

13,6 13,4 13,4 13,2 12,6

N

13,0

12,8 12,8 12,8 12,6 Chemie

Maschinenbau 11,4 ,

Psychologie 12,0

11,2 11,2

Diplom (FH) 9,6

Studiengang Prüfungsjahr 1977 1986

Staatsexamen Humanmedizin 12,8

12,0 11.4

13,4

Staatsexamen Lehramt

Wirtschaftswissenschaften 6,8

8,4 8,4

-7,8 7,4

13,0 11,2 12,4 Germanistik

Physik 13,0 I

11,0

W

Gymnasium

Die Fachstudienzeit in der Bundesrepublik wird immer länger Quelle: Statistisches Bundesamt

DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT KURZBERICHT

turen sind wertvolle Einzeldarstel- lungen, doch erfüllen sie oft nicht den Anspruch an Wissenschaftlich- keit, den die an den Universitäten gelehrte Fachdisziplin Ethnomedizin fordert.

• Deshalb werden jungen, an Ethnomedizin interessierten Wissen- schaftlern und Medizinstudenten, die Auslandsaufenthalte zu Feldfor- schungen nutzen wollen, die genann- ten Seminare an deutschen Hoch- schulen zur methodischen Ausbil- dung in diesem Gebiet empfohlen.

• Dringend erforderlich in der Bundesrepublik Deutschland ist ein Institut für Ethnomedizin oder für Europäische Ethnomedizin, an dem die Vielfalt der ethnomedizinischen Teilgebiete in Forschung und Lehre einheitlich vertreten werden kann.

Stand Juli 1989

(Adressen der Gesellschaften und Institute im Sonderdruck, der beim Verfasser oder bei der Redak- tion angefordert werden kann.)

Studenten sollen sich beeilen

Mit Sondervergütungen und Leistungsanreizen sollen die Studen- ten zum kürzeren Studium angehal- ten werden. Schließlich sind sie we- sentlich älter als ihre europäischen Kollegen wenn sie die Hochschulen verlassen - im Schnitt 28 Jahre, stellt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW), Köln, fest. Die Italiener sind mit 27 Jahren fertig, die französi- schen Studenten mit 26, und die Bri- ten verlassen ihre „universities"

durchschnittlich bereits mit 23 Jah- ren - weshalb deutsche Unterneh- men gelegentlich schon jetzt Absol- venten besonders gefragter Studien- gänge aus Frankreich und Großbri- tannien einstellen. Nur, weil sie ih- ren Abschluß meist sehr viel früher in der Tasche haben als deutsche.

Dabei steigt die durchschnittliche Fachstudienzeit an deutschen Uni- versitäten permanent (allerdings dif- ferieren die Zahlen je nach Studien- fach, Hochschulort und Absolven-

tenjahrgang beträchtlich). Zu den längsten Studiengängen zählen Ma- thematik, Germanistik, Architektur und Humanmedizin (Grafik).

Als Maßnahmen für den Abbau zu langer Studienzeiten nennt das Institut eine neue hochschulinterne Verteilung der Sachmittel nach lei- stungsbezogenen Kennzahlen (in Abstimmung jedoch mit dem jeweili- gen Wissenschaftsministerium), Er- mutigung des Lehrpersonals mittels Sondervergütung, das Ausbildungs- angebot auszuweiten, um die Uber- lastsituation zu mildern, und eine neue Regelung zum BAföG, nach der der Darlehenserlaß für Studen- ten, die schnell ihr Studienziel errei- chen, sich an dem Quotienten aus Fachstudiendauer und Examensnote orientieren sollte: „Mehr als bisher sollte verdeutlicht werden, daß gute Abschlußnoten immer auch im Ver- gleich zur Studienzeit gesehen wer- den müssen." Bislang wird der Dar- lehenserlaß allein von der Note ab- hängig gemacht, was einen indirek- ten Anreiz zur Studienverlängerung bedeute, vermutet das IW. iwd/rör

Literatur

1. Effelsberg, W.: Die Entenbilharziose in me- dizinanthropologischer Perspektive. Inter- viewaussagen als Grundlage seuchenhygieni- scher Maßnahmen. Öff. Gesundh.-Wes. 51 (1989) 123-127

2. Kohnen, N.: Traditionelle Geburt und Ge- burtshilfe aus geschichtlicher und ethnome- dizinischer Sicht. Actes, Proceedings, Kon- greßberichte des XXX. Internationalen Kon- gresses für Geschichte der Medizin. Düssel- dorf 1988 p. 687-700

3. Larbig, W.: Schmerz. Grundlagen - For- schung - Therapie. 1. Aufl., Kohlhammer, Stuttgart 1982

4. Sich, D.; Diesfeld, H. J.: Unterricht in trans- kultureller medizinischer Anthropologie (Ethnomedizin) am Institut für Tropenhygie- ne . . . MMG 13 (1988) 58-65

5. Sich, D.; Diesfeld, H. J.; Deigner, A.; Haber- mann, M. (Hrsg.): Medizin und Kultur. Drei Grundseminare in kulturvergleichender Anthropologie. 1. Aufl., Institut für Tropen- hygiene und Öffentliches Gesundheitswesen Heidelberg 1988

6. Weiers, H.; Zähres, K.; Nolden, H.; Wever, H.: Erfahrungen mit der Moxibustion zur Korrektur der Beckenendlagen. Akupunktur- arzt Aurikulotherapeut 15 5/6 (1989) 132- 134

Anschrift des Verfassers:

Privatdozent

Dr. med. Norbert Kohnen Institut

für Geschichte der Medizin Moorenstraße 5

4000 Düsseldorf 1

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