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Archiv "Angst des Irdischen: Zum Thema „Angst“ in der Philosophie" (04.12.1980)

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Aufsätze Notizen

Kierkegaard: vielfältige

„Sprachformen" der Angst

In der Medizin hatte die Angst als krankhaftes Allgemeingefühl noch keine Bedeutung bei den Ärzten er- langt. Zur vollen Aufblühung gelang- te die Anschauung über dieses Phä- nomen ja erst durch die Theorien der modernen Psychoanalyse und die Erkenntnisse über die vielfälti- gen „Sprachformen" der Angst. Als ein entscheidender Wegbereiter die- ser späteren Erkenntnisse ist Kierke- gaard (1813-1855) zu nennen.

Die Angst, das Urphänomen Kierke- gaards, tritt damit als erste Selbst- entlarvung unseres Zeitalters in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts plastisch vor uns in Erscheinung.

Kierkegaards Werk „Der Begriff Angst" (17) wurde im Juni 1844 pu- bliziert, als sein Autor 31 Jahre alt war. Die Antizipierung des Phäno- mens Angst als eines Daseinsge- fühls des 19. und 20. Jahrhunderts blieb den Zeitgenossen Kierke- gaards dennoch unbekannt.

Hatte schon Kierkegaard in mehre- ren seiner vorausgegangenen Wer- ke ein biblisches Thema behandelt, so handelte seine Arbeit „Begriff Angst" von der Geschichte des Sün- denfalls bei Adam und Eva. Sehen wir davon ab, daß der Autor sich mit dem Niederschreiben dieses Werkes von persönlichen Erlebnissen loszu- lösen suchte, wie sie ihm in der Be- gegnung mit der jungen Regine 01- sen erwachsen waren, so bedeutete Angst für Kierkegaard Vorausset-

zung der Erbsünde, ferner eine

„rückwärts gewendete Erklärung der Erbsünde in Richtung auf deren Ursprung" (18). Die Angst wird dem

„träumenden Geist" zugerechnet und gehöre — so Kierkegaard — in die Psychologie hinein.

Kierkegaard, auf den sich Jaspers (19) u. a. in ihrer Unterscheidung der Begriffe Furcht und Angst berufen, trennte erstmals die Termini in dem bekannten Sinne. Mit einem Unter- ton von Empörung stellt er fest — wie recht hatte er vom medizinhistori- schen Standpunkt her: „Den Begriff Angst sieht man fast niemals in der Psychologie behandelt . . . " „Angst (ist) die Wirklichkeit der Freiheit als Möglichkeit für die Möglichkeit"

(20). Angst hält Kierkegaard für eine

„sympathetische Antipathie" und ei- ne „antipathetische Sympathie". Die

„süße Beängstigung" bei dem „Su- chen nach dem Abenteuerlichen, dem Ungeheuren, dem Rätselhaf- ten" (21) finde sich vorzüglich bei Kindern, die träumen können und unschuldig sind.

Wie wird nun der Mensch schuldig?

fragt sich Kierkegaard. Denn „der, der durch die Angst schuldig wird, ist ja unschuldig". Die Angst tritt als Macht von außen an den Menschen heran, „eine Macht, die er nicht lieb- te, sondern vor der er sich ängstigte;

— und doch ist er ja schuldig, denn er versank in der Angst, die er doch liebte, indem er sie fürchtete". Kier- kegaard bezeichnet diesen „quali- tativen Sprung" als „psychologi- sche Erklärung".

PREISE

Ernst-Jung-Preis für Medizin 1980

—Die Ernst-Jung-Stiftung für Wissen- schaft und Forschung verlieh in Hamburg diesen mit 300 000 DM do- tierten Preis an Prof. Dr. Eberhard Dodt vom Max-Planck-Institut für physiologische und klinische For- schung, W. G. Kerckhoff-lnstitut, Bad Nauheim, an Prof. Dr. Bruno Speck, Hämatologe in Basel, und an den Chirurgen Sir Alan Parks, Lon- don, zu gleichen Teilen.

Prof. Dodt erhielt den Preis in Würdi- gung seiner richtungsweisenden Ar- beiten über die Physiologie und Pa- thologie des Lichtsinns sowie seiner erfolgreichen Bemühungen um ei- ne umfassende Weitergabe seiner Kenntnisse, welche die Vorausset- zung dafür bieten, daß Elektrophy- siologie in der Augenheilkunde heu- te ein entscheidendes Hilfsmittel bei der Erkennung von Erkrankungen des Auges und der visuellen Seh- bahn geworden ist.

1923 in Bielefeld geboren, kam er 1956 als Assistent an das Kerckhoff- Institut in Bad Nauheim, wurde außerplanmäßiger Professor und schließlich Honorarprofessor an der Universität Gießen und 1962 wissen- schaftliches Mitglied der Max- Planck-Gesellschaft. 1968 über- nahm Prof. Dodt als Direktor die Lei- tung der 2. Physiologischen Abtei- lung am Kerckhoff-lnstitut und grün- dete im Jahr darauf die ophthalmo- logische Station dieses Instituts an der Augenklinik der Universität Frankfurt, und zwar als eine Mög- lichkeit, die Verbindung zwischen klinischer und theoretischer For- schung im Bereich der experimen- tellen Ophthalmologie herzustellen.

Bei systematischen Untersuchun- gen am visuellen System gelang es ihm nachzuweisen, daß das Corpus pineale ein Sinnes- und Drüsenor- gan ist, welches über einfallendes Licht körpereigene Regulationen zu steuern vermag.

Von besonderem klinischen Interes- se sind die von Prof. Dodt erarbeite- ten neu rc ophthalmologischen, nichtinvasiven Untersuchungsme- thoden. WK

GESCHICHTE DER MEDIZIN

Angst des Irdischen

Zum Thema „Angst" in der Philosophie

Klemens Dieckhöfer

Fortsetzung von Heft 48/1980, Seite 2882 ff.

2936 Heft 49 vom 4. Dezember 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(2)

Aufsätze • Notizen

„Angst" in der Philosophie

„Die Angst erlöst durch den Glauben"

Unschuld ist für Kierkegaard die Un- wissenheit, „das aber kann die Un- schuld natürlich nicht verstehen",

„. . . die Angst hat gleichsam ihre erste Beute" (22). Das Verbot (das die Lust erweckt) hat Adam nach Kierkegaards Auffassung geäng- stigt, weil das Verbot die Möglich- keit der Freiheit in ihm erweckte.

Und Schlag auf Schlag bemächtigt sich nun die Angst des ersten Men- schen: die Verdammung, das Ster- ben ist gewiß, denn das war ja die Strafe. Wenn auch Adam unverstän- dig vor dieser Androhung des Ster- bens stehen mußte, das Entsetzen, die Angst blieb bestehen. Mit dem Sündenfall, den die Psychologie nicht erklären könne, sei der quali- tative Sprung erfolgt: Das Sexuelle sei in die Welt hineingekommen.

Und weiter folgert Kierkegaard: „.

ohne Sünde keine Sexualität und ohne Sexualität keine Geschichte".

Hier wird besonders auf die Mög- lichkeit, zu können, hingewiesen.

Angst wird als gesteigerte Erbsünde angesehen.

Im Kontinuierlichsein der Sünde wird die Möglichkeit der Ängstigung erblickt. Das Dämonische wird als

„Angst vor dem Guten" (24) gese- hen und als „das Verschlossene und das unfreiwillig Offenbare" (25), als

„das Inhaltslose, das Langweilige"

(26) bezeichnet. Aber bei der Angst vor dem Bösen wähle das Individu- um, so Kierkegaard, seine Zuflucht bei der Erlösung. In seinem letzten Kapitel V (27) drückt er es klar aus:

Die Angst erlöst durch den Glauben.

Ähnlich sieht es auch der Dichter- philosoph Miguel des Unamuno (1864-1936) (28). Für ihn ist glauben schöpfen, wie es das spanische Wortspiel sagt: „Creer es crear". Für Unamuno steht auch Don Quijote im Bewußtsein seiner Persönlichkeit:

„Ich weiß, wer ich bin." Hier geht es also um die „esencia", das Wesen des Menschen. Ein Morgen, eine Zu- kunft existiert nicht. Für Kierkegaard wie für Unamuno ist die Zukunft im Leben des Einzelnen die Angst. Die Zeit ist das Tragische. Der Mensch

steht in der Spannung zwischen Zeit und Ewigkeit. Existent ist aber nur, was ewig ist, versichert uns Unamu- no. Im Kräftefeld der Drohung der Nicht-Existenz aber bemächtigt sich des Menschen die Angst, woraus er nur seine Rettung in sehnsüchtigem Verlangen nach Unsterblichkeit fin- den kann (29).

Angst und Freiheit, die bei Kierke- gaard zum beherrschenden Thema seiner Philosophie wurden, sind von einem dialektischen Wirken inner- halb der Existenz des Menschen ge- prägt. Geist (Geist ist für Kierke- gaard identisch mit Entscheidungs- möglichkeit) und Körper, die im Zu- stand der Unschuld ursprünglich ungetrennt sind, erfahren durch die Ahnung von der Freiheit und der sie bedingenden Möglichkeiten kraft ei- gener Entscheidung ihre Trennung quasi dadurch, daß der Mensch ent- deckt, daß er Herr seines eigenen Geschickes geworden ist. So steigt die Angst ihm auf. Das Mittel, der Angst durch die Freiheit Herr zu wer- den, sieht Kierkegaard nur im christ- lichen Glauben.

Heideggers Definition der Angst und der Furcht

Dieser Ausweg durch den christli- chen Glauben existiert für den Exi- stenzphilosophen Heidegger nicht.

Heidegger (30) erblickt in dem Phä- nomen der Angst (der Furcht schreibt er eine Zeitlichkeit zu) eine Grundbefindlichkeit des Menschen, die ihn vor das Nichts stellt.

In anthropologischer Sicht hat v.

Gebsattel (31) die Angst ja einmal den „Gradmesser für den Sog des Nichts" genannt. Der Mensch erlebt Heidegger zufolge „sein eigenstes Geworfensein", das In-der-Welt- Sein läßt in seiner Unheimlichkeit die Angst sich entfalten. Heidegger legt Wert auf die Definition, daß das Wovor der Angst schon da sei, eben das Dasein selbst (32).

Das nackte Dasein der Geworfenheit ist also hier das Kriterium für die Angst, die der Einzelne erfährt. Die Angst als eigentliches Seinkönnen

sei auch wiederholbar, für die Furcht hingegen sei das Vergessen konstituierend. Die Angst wird als gegenwärtig angesehen, die sich

„nicht an ein Besorgbares verlieren"

könne wie die Furcht. Während die Furcht vom Innerweltlichen her den Menschen überfalle, erhebe sich die Angst „aus dem In-der-Welt-Sein als geworfenem Sein zum Tode". Für den Entschlossenen gibt es nach Heidegger zwar keine Furcht, aber der Entschlossene versteht die Mög- lichkeit der Angst als Stimmung.

Angst befreie von „nichtigen" Mög- lichkeiten und lasse freiwerden für eigentliche.

Im Hinblick auf die Zeitigung der Angst sagt Heidegger, daß diese aus der Zukunft der Entschlossenheit entspringe, die Furcht aber aus der verlorenen Gegenwart.

Interessant erscheint ein Hinweis Heideggers in bezug auf eine Gleichgültigkeit der Stimmungsla- ge. Dieses Dahinleben, das alles sein läßt, wie es ist, gründe in einem ver- gessenen Sichüberlassen an die Ge- worfenheit. Hier herrscht also die Macht des Vergessens in der All- tagsstimmung des Menschen vor.

Fassen wir Heideggers Anschauung von der Angst zusammen, so kön- nen wir festhalten, daß für ihn die Angst die Überlassenheit dem Da- sein gegenüber als solcher ist. Das

„Wovor" der Angst wird mit dem In- der-Welt-Sein selbst identifiziert.

„Das Sein zum Tode ist wesenhaft Angst" (33), darin kulminiert die An- schauung Heideggers; mithin in dem Ausgehaltensein ins Nichts be- greift der Mensch seine Ungesi- chertheit, womit er zugleich sein ei- gentliches Wesen und Dasein er- fährt. Die Angst hat für den Men- schen kein „Hier" und kein „Dort", aus dem der Charakter des Bedrohli- chen erkennbar wäre. Das Bedro- hende ist eben nirgends (das nicht nichts bedeutet), das ist das Spezifi- kum des „Wovor" der Angst, ohne daß die Richtung der bedrohenden Angst sichtbar würde. Das In-der- Welt-Sein selbst ist die Erklärung dafür, wovor die Angst sich ängstigt.

Den Menschen überkommt nun die-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 2938 Heft 49 vom 4. Dezember 1980

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Alfred Kubin: Angst, aus: E. W. Bredt: Alfred Kubin, Schmidt. München, 1922, Seite 31 Aufsätze • Notizen

„Angst” in der Philosophie

se Angst, er kann sie nicht absicht- lich herbeiführen (34). Die Todes- angst deutet Heidegger so: nur wer die Angst auf sich zu nehmen gewillt sei, mache sich frei für den Gedan- ken an den Tod, denn das eigentli- che Dasein ist als ein Vorlaufen in den Tod, das Sein zum Tode, defi- niert; der Mensch habe die sich ängstigende Freiheit zum Tode (35).

Sartre: Angst als Weg zur Freiheit Der Philosoph Sartre (1905-1980) lehnt sich weitgehend an Kierke- gaard und Heidegger an. Gleichwohl kommt es hier zu neuen Akzentu- ierungen. Freiheit bedeutet für ihn, wie er in seinem Werk „Das Sein und das Nichts" (36) darlegt, das Infrage- stellen des Seins durch einen nich- tenden Schritt nach rückwärts. Da- bei ist Freiheit für Sartre identisch mit Bewußtsein, das nur der Mensch besitze. In der Angst nun wird für den Menschen diese Freiheit offen- bar, eine Freiheit, die zu Entschei- dungen führt, wofür der Mensch die Verantwortung zu tragen hat, ohne daß ihm hierfür ein Rückhalt gebo- ten wird.

Scheler: Angst als tiefe

Gehemmtheit des Lebensgefühls Max Scheler (1874-1928), der das phänomenologische Zentralpro- blem der Intentionalität weiter för- derte, wandte sich der Wertewelt be- sonders zu. Mit dem Blick auf die Werte, ein Reich ideeller Gegenstän- de eigener Seinsweise, darin geleitet zu werden, zu leben und zu handeln, erschien für ihn Aufgabe des menschlichen Daseins (37).

In seinem Werk „Vom Umsturz der Werte" (38) nennt er die Furcht und die Angst sogenannte Verdrän- gungsmächte: da diese seelischen Mächte durch fortgesetzten Druck einer Autorität- objektlos werden, könne der Mensch auch nicht mehr angeben, wovor er sich ängstige.

Angst ist für Scheler tiefe Gehemmt- heit des Lebensgefühls. Auch die sogenannten Erscheinungswerte, also Geste, Kleid, Art zu reden, seien

in der Lage, Rache- und Haßimpul- se, aber auch Angst einzuflößen, die dann verdrängt werde, so daß oft- mals das Objekt des Hasses, der Angst oder der Achtung später nicht mehr auszumachen sei. Als Beispiel führt Scheler den Hauptmann von Köpenick an, dessen vage Erschei- nung allein (er sah wohl sicher nicht korrekt wie ein echter Hauptmann aus) dem Bürgermeister usw. Ach- tung und Angst einflößte (39).

Den Tod bezeichnet Scheler als Be- stätigung einer intuitiven Gewißheit (40), die ein Element alles Erlebens sei. Die Art der dabei geäußerten Af- fekte sei sekundär und hänge vom Einzelmenschen ab. Entscheidend ist also die jedem Menschen eigene

Todesgewißheit. Angst ist für den

„modernen westeuropäischen Men- schen", den Massentypus, wie ihn Scheler nennt, der Auslöser für die

„Rechenhaftigkeit der Lebensfüh- rung". Die Aufzehrung der antiken Weltliebe und des antiken Weltver- trauens wird nach Scheler durch die Lebensangst und die Sorge bedingt, die Welt technisch „in Griff zu be- kommen". Der „zivilisatorische Geist" ist in ihr vorherrschend, der nur dem Genius fremd sei, der, wie Schiller sagt, die „Angst des Irdi- schen" nicht besitzt (41).

Die Welt wird kühl berechnend „an- gepackt". Arbeiten, Schaffen und Erwerben begründen für den moder- nen Menschen eine neue Todesidee.>

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 49 vom 4. Dezember 1980 2839

(4)

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ZUR GESCHICHTE DER MEDIZIN FRAGMENTE

Jenners großer Erfolg

Der englische Landarzt Edward Jenner veröffentlichte seine Ent- deckung und sein Verfahren der Kuhpocken-Schutzimpfung ge- gen die Menschenblattern 1798.

Die Veröffentlichung machte nicht nur in England sofort Sen- sation, sie stieß zugleich auch auf dem Kontinent auf höchste Auf- merksamkeit.

Eine wesentliche Ursache für die- se rasche Verbreitung war zwei- fellos die schon seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts an- haltende lebhafte öffentliche Dis- kussion zu der aus dem Orient eingeführten Schutzimpfung mit menschlicher Blatternmaterie. In dieser breitangelegten Diskus- sion hatte sich bereits seit Jahr- zehnten der größte Teil der Zei- tungs- und Journalpublizisten für die Impfung eingesetzt. In vielen Staaten hatte aber auch die Ob- rigkeit die Schutzimpfungen be- reits systematisch gefördert und darüber eine kontinuierliche Me- dizinalstatistik geführt.

Gleichwohl wollten die Mahner nicht verstummen, die immer wieder auf Impfzwischenfälle, auf die an heutigen Anforderungen an Sicherheit prophylaktischer Maßnahmen gemessene hohe Sterblichkeitsrate unter den Impflingen hinwiesen.

Die Entdeckung Jenners fiel also auf einen höchst fruchtbaren wis- senschaftlich und publizistisch

bestens vorbereiteten Boden. Sie löste eine ganze Flut wissen- schaftlicher und populärer refe- rierender Aufklärungsschriften auch in Deutschland aus. Sie ver- anlaßte spontane Zeitschriften- gründungen, die sich nur diesem Thema widmeten und Über- sichtsartikel, statistisch-gesund- heitspolizeiliche Nachrichten, ethische Disputationen sowie breite Kasuistik brachten und da- mit die verhältnismäßig rasche Einführung der Impfpflicht in einigen deutschen Staaten för- derte und veranlaßte.

Titelseite des von Hessert und Pilger seit 1801 in Gießen herausgegebenen

„Archiv für die Kuhpockenimpfung"

Aufsätze • Notizen

„Angst" in der Philosophie

Der Mensch, der sich tausendfach gegen den Tod versichert, der im Arbeits- und Erwerbstrieb erstickt, narkotisiert sich gegen den Tod:

Seine Idee wird „weggefürchtet",

„der unsichtbar gewordene Anwe- sende" wird „bis zur ,Nichtexistenz' ,zerfürchtet` " (42).

Jaspers:

„Sprung aus der Angst in die Ruhe"

Für Karl Jaspers (1883-1973) schließlich ist das Phänomen der Angst unter verschiedenen Aspek- ten von Bedeutung (43).

Zunächst stellt er fest, daß, je ge- sünder der Mensch sei, eher naive Angstlosigkeit vorherrsche. Es handle sich aber nur um ein Verges- sen, nicht Verschwinden der Angst (44). Zwei Formen erscheinen ihm wesentlich: die Daseinsangst und die existentielle Angst (45). Während die Daseinsangst ihm Angst vor dem Tode als Schaudern vor dem Nicht- sein bedeutet, untersucht Jaspers die existentielle Angst eingehender.

Nur der Einzelne kann sie für sich erfahren, der Tod als Vorgang seiner selbst ist unerfahrbar für das Indivi- duum. Der eigene Tod hat „Grenzsi- tuation". Lösung von der Todes- angst würde alle andere Angst auflö- sen (46). Ohne Angst wiegt sich der Mensch aber in nur scheinbarer Si- cherheit, Angst ist also als notwen- dig anzusehen. Der Glaube an eine Transzendenz befreit den Menschen aus der Angst und gewährt Ruhe. Da aber diese Transzendenz sich einer objektiven Erfahrung verschließt, kann die Angst für den Menschen nicht sistieren (47).

So gipfelt die Jasperssche Existenz- philosophie der Angst in diesen Worten:

„Der Sprung aus der Angst in die Ruhe ist der ungeheuerste, den der Mensch tun kann. Daß es ihm ge- lingt, muß seinen Grund über die Existenz des Selbstseins hinaus ha- ben; sein Glaube knüpft ihn unbe- stimmbar an das Sein der Transzen- denz" (48).

In den nächsten Heften des DEUT- SCHEN ÄRZTEBLATTES folgen Mit- teilungen über die Angstaspekte in der Kunst. Wir können die Linie auch dort weiterverfolgen, die sich uns seit dem 19. Jahrhundert schon in der Philosophie zeigte.

(Die in Klammern gesetzten Ziffern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das den Son- derdrucken beigelegt wird.)

• Wird fortgesetzt

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Klemens Dieckhöfer Medizinhistorisches Institut Sigmund-Freud-Straße 25 5300 Bonn 1

2940 Heft 49 vom 4. Dezember 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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