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Archiv "Wer hat Angst vor Psychopharmaka?" (13.07.1984)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

EDITORIAL

Wer hat Angst vor Psycho- pharmaka?

Rainer Täfle

Kranke und Gesunde werden zunehmend skeptisch gegen- über Medikamenten, viele gar ängstlich. Die Skepsis des Pa- tienten wird im Gespräch mit dem Arzt laut (hier hat der Pa- tient wenigstens den richtigen Gesprächspartner), die Skepsis der Öffentlichkeit in Fernseh- sendungen und Büchern, neu- erdings auch in Nachschlage- werken für den Laien, deren Autoren nicht immer fachlich gut beraten sind.

Empfinden Ärzte nicht vielfach gleicherweise? Denn wer wüßte besser, welche Folgen leichtfer- tiger Umgang mit Medikamen- ten hat? Und welcher Arzt kennt die Pharmakologie und Toxikologie so gut, daß er nicht immer wieder besorgt und ängstlich sein müßte, mögliche Komplikationen zu verkennen und Nebenwirkungen zu über- sehen? Viele Ärzte sind heute geneigt, die allgemeine Skepsis gegenüber Pharmaka zu teilen.

Solche Zweifel treffen den Kern. Denn Pharmakotherapie macht den größten Teil der Be- handlung überhaupt aus. Der Arzt gibt Arznei. Medizin ist das gleiche Wort für Pharmakon und Heilkunde im ganzen. Wir wissen von alters her, wie nahe Heilmittel und Gift beieinander liegen, oft in der gleichen Sub- stanz, nur durch wenige Dosie-

rungsschritte entfernt. So gilt auch das Wort „drug" für Phar- maka und Suchtmittel. Der Arzt muß demnach kritisch einge- stellt sein: gerade das Alltäg- liche seines Handelns bedarf am dringendsten der bewußten Aufmerksamkeit und selbstkriti- schen Einstellung.

Hier soll speziell von den Psy- chopharmaka die Rede sein.

Gemeint sind vor allem Tranqui- lizer, Neuroleptika und Antide- pressiva. Psychopharmaka scheinen heute in besonderer Weise Skepsis und Angst aus- zulösen und sind wohl daher bevorzugte Zielscheibe der öf- fentlichen Kritik.

Was sind die Gründe? Psycho- pharmaka waren noch nicht lange entdeckt und eingeführt worden, als die erste Drogen- welle begann, in die auch The- rapeutika einbezogen wurden, insbesondere Tranquilizer. The- rapeutische Psychopharmaka werden nun mit mißbräuchlich verwendeten Psychotropika in eine Reihe gestellt, als ob alle gleich seien (dabei wird aller- dings eine Substanz in auffälli- ger Weise von der Kritik ausge- nommen und geschont, näm- lich das Psychopharmakon mit Tranquilizerwirkung namens Äthanol oder Alkohol). Zwar gibt es ein Überschneidungsge- biet dieser Formenkreise, grö- ßer aber sind — fachlich gese- hen — die Unterschiede. Aus der Sicht des Laien mag das oft anders erscheinen.

Die Skepsis des Patienten hat aber noch andere Gründe. Die Hauptmotivation liegt wohl in der gewandelten Einstellung des Patienten zum Arzt. Viel- fach ist heute von Vertrauens- verlust, von Mißtrauen und

überhaupt gestörter Arzt-Pa- tient-Beziehung die Rede. Ge- nauer besehen handelt es sich meist nicht primär um Miß- trauen gegenüber dem Arzt, sondern um das Bedürfnis des Laien, mehr über die Krankheit und die Behandlung, insbeson- dere aber über die Medikamen- te zu wissen, um die Behand- lung verstehen und dann ak- zeptieren zu können. Welche weiteren Beweggründe für die- se Einstellung, die man heute auch in anderen Lebensberei- chen antrifft, maßgeblich sind, mag hier dahingestellt bleiben.

Wichtig ist, daß sich der Arzt auf dieses Patientenbedürfnis einstellt. Die Zeit, in der Patien- ten dem Arzt unbesehen glaub- ten und unkritisch vertrauten, scheint vorbei zu sein.

Eine weitere Einflußgröße ist zu beachten: die Medien. Ei- nerseits gab und gibt es in Presse, Funk und Fernsehen kritische Berichterstattung, die fachlich fundiert und informativ ist. Auf der anderen Seite ste- hen Berichte, die mehr auf Sen- sation und Emotion abzielen, und hierfür bieten manche The- men der psychiatrischen Thera- pie willkommene Gelegen- heiten. Solche Themen waren stereotaktische Hirnoperationen (sogenannte Psychochirurgie), Elektrokrampfbehandlung und dann Psychopharmaka. Ein trauriger Höhepunkt war der ungeheuerliche Bericht eines Magazins über neuroleptische Medikamente unter dem Titel

„Der sanfte Mord". Inzwischen scheint diese Medienwelle ab- zuklingen. Was sie aber bewirkt hat, was die Allgemeinheit hier- von aufgenommen hat, das kommt nun — mit einiger La- tenzzeit, wie so oft — mit ganzer Macht auf den Patienten und

2180 (68) Heft 28/29 vom 13. Juli 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

EDITORIAL

auf den Arzt zu. Wenigstens was die Psychopharmaka an- geht, sind Skepsis und Angst noch nie so groß gewesen wie heute.

Aber warum sollten Ärzte nicht mit der Pharmakaskepsis der Patienten zufrieden sein? Hilft nicht heute mancher Patient selbst dem Arzt bei einer über- legten und sparsamen Pharma- kotherapie? Das trifft gewiß oft zu. Andererseits aber können sinnvolle und notwendige Be- handlungen durch die Angst des Patienten, seiner Angehöri- gen und manchmal auch des Arztes verhindert werden. Wie verhält sich das im einzelnen?

Die Tranquilizer sollen das er- ste Beispiel sein. Sie erfüllen zwei alte Wünsche des Men- schen: sie befreien von unan- genehmen Emotionen wie Spannungsgefühl und Angst;

sie harmonisieren sozusagen das Seelenleben. Und sie sind Schlafmittel, sogar besser noch: schlafanstoßende Mittel ohne nachfolgenden Kater. Die- se Wirkungskombination muß verführerisch sein, zumal die Nebenwirkungen recht gering sind. Im Vergleich zu herkömm- lichen Schlafmitteln sind Be- gleiteffekte und Risiken kleiner einzuschätzen, aber doch nicht so geringfügig, wie man zuwei- len denkt. Wenn zum Beispiel ein Benzodiazepin-Tranquilizer in der bescheidenen Dosierung von nur 1 bis 2 Tabletten über längere Zeit eingenommen wur- de, können beim Absetzen sehr erhebliche Entziehungserschei- nungen auftreten, insbesondere Angst und auch Entfremdungs- erleben. Es kann auch nicht mehr bezweifelt werden, daß es eine Tranquilizer-Abhängigkeit gibt. Dabei kann nur wenig trö-

sten, daß Tranquilizer anschei- nend relativ seltener zur Abhän- gigkeit führen wie herkömm- liche Schlafmittel oder Alkohol.

Grund genug also, Tranquilizer behutsam zu verschreiben und den regelmäßigen Gebrauch über längere Zeit hin mit Argus- augen zu beobachten. Vorsicht ist auch gegenüber der Wer- bung angebracht. Wenn zum Beispiel wieder einmal ein neu- er Tranquilizer auf den Markt gebracht und dessen Überle- genheit gerühmt wird, handelt es sich keineswegs immer um einen neuartigen Stoff; es kann auch sein, daß das Wirkungs- profil nicht anders ist als bei bisherigen Tranquilizern, daß aber in einer Tablette eine hö- here Dosis als bisher üblich un- tergebracht wurde. Hierdurch soll die Überlegenheit gewähr- leistet werden. — Dieses pro- blematische Vorgehen liegt in der allgemeinen Tendenz, Tran- quilizer zu hoch zu dosieren.

Ein anderes Beispiel: Ein be- reits bekanntes Antidepressi- vum wird neuerlich zusammen mit einem Tranquilizer als Kom- binationspräparat eingeführt.

Die Deklaration als „Breitband- Antidepressivum" ist wenig be- gründet. Noch problematischer ist, daß zugleich versprochen wird, die Compliance sei nun verbessert. Wird hier das mit dem Tranquilizer gegebene Ab- hängigkeitsrisiko ins Spiel ge- bracht, wenn verläßliche Ein- nahme durch den Patienten zu- gesagt wird? Die Beispiele lie- ßen sich mehren. Aufmerksam- keit und Kritik sind angebracht.

Trotz alledem ist es fachlich nicht begründet, Tranquilizer total zu verteufeln, was immer häufiger geschieht. Abgesehen

von spezifischen Indikationen in der Neurologie und Psychiatrie (z. B. Anfälle) und auch in ande- ren medizinischen Gebieten muß auch die Verwendung als Ataraktikum und schlafansto- ßendes Mittel erhalten bleiben.

Man denke nur an die Beruhi- gung Schwerkranker oder die Schlafstörungen alter Men- schen. Fatalerweise werden nun in diese doch mindestens zum Teil berechtigte Tranquili- zer-Kritik auch die Neuroleptika einbezogen, obwohl sie — phar- makologisch wie klinisch gese- hen — ganz andere Medikamen- te sind. Das kann mit der ameri- kanischen Bezeichnung „minor tranquilizer" für Neuroleptika zusammenhängen, mehr aber noch mit dem Mißbrauch psychiatrischer Behandlungs- methoden (darunter auch Neu- roleptika) zu politischen Zwek- ken, weiterhin mit gewissen Tendenzen, den Krankheitscha- rakter von Psychosen zu verleugnen und dann konse- quenterweise der Pharma- kotherapie die Berechtigung abzusprechen.

Diese und möglicherweise wei- tere Einflüsse haben dazu ge- führt, daß Angst vor Neurolepti- ka und Verweigerung einer un- zweifelhaft notwendigen Be- handlung häufiger geworden sind. Der Arzt braucht immer mehr Zeit, um den Patienten über den wahren Sachverhalt, über Wirkungen und Nebenwir- kungen dieser Medikamente zu informieren. Allerdings ist diese Zeit nicht schlecht aufgewandt, weil der überzeugte Patient ver- läßlicher beim Einnehmen ist.

Problematische Situationen ent- stehen aber, wenn bei schwer- sten und akuten schizophrenen Psychosen mit vitaler Gefähr- dung die sicher wirksame neu-

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 28/29 vom 13. Juli 1984 (69) 2181

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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roleptische Behandlung durch Einspruch •infolge Vorurteil oder Angst vereitelt wird.

Die Skepsis rührt am meisten von den Nebenwirkungen der Neuroleptika her. Angst provo- zieren können Beipackzettel, die Nebenwirkungen nicht auf- grund wissenschaftlicher Er- kenntnisse, sondern allein im Hinblick auf juristische Absiche- rung aufführen. Laienhaft anti- psychiatrische Formulierungen wie chemische Keule oder che- mische Zwangsjacke sind maß- lose Übertreibungen. Wer sol- che Worte benutzt, sollte an den Kranken denken, der nicht umhin kommt, diese Medika- mente einzunehmen. Was ge- meint ist, kennt der Arzt seit langem: eine gewisse Einen- gung von Affektivität und An- trieb kann mit der neurolepti- schen Therapie verbunden sein.

Sie ist unerwünscht und fast immer vermeidbar, wenn das Neuroleptikum mit Bedacht ge- wählt und dosiert wird. Bei fachgerechter Anwendung en- gen Neuroleptika nicht ein, son- dern sie machen den von der Psychose betroffenen Men- schen freier.

Ohne Zweifel sind Neuroleptika in der Lage, akute psychotische Syndrome, insbesondere bei Schizophrenie in kurzer Zeit und sehr wirksam zu beeinflus- sen. Darüber hinaus hat eine neuroleptische Langzeitmedika- tion eine präventive Funktion:

Rezidive sind dann die Ausnah- men, ohne Neuroleptika aber die Regel. Diese Möglichkeit, eine der schwersten Krank- heiten des Menschen wirksam zu beeinflussen zu können, darf nicht durch unbedachte Skep- sis, einseitige Vorurteile und hiermit geschürte Ängste beein- trächtigt werden.

Zuletzt zu den antidepressiven Medikamenten. Sie werden bis- her auffallend geschont, nur re- lativ selten kommt es vor, daß ein Antidepressivum unüberlegt abgesetzt oder vor antidepres- siven Medikamenten überhaupt gewarnt wird. Liegt das daran, daß depressives Erkranken in- zwischen geläufig geworden ist und damit auch antidepressive Behandlung eher akzeptiert wird? Auch die sonst geläufige Kritik unter Berufung auf Ne- benwirkungen wird bezüglich der Antidepressiva kaum laut, obwohl doch auch diese Mittel mit unerwünschten psychischen Begleiterscheinungen und lästi- gen vegetativen Nebenwirkun- gen einhergehen. Es bestätigt sich auch hier, wie wenig ratio- nal Vorurteile und hieraus ent- stehende Ängste sind.

Ein Bedenken wird nun aller- dings bezüglich auch der Anti- depressiva inzwischen häufiger ausgesprochen: Wenn man ein Medikament so lange nimmt, dann muß man doch abhängig werden. Jedoch ist Abhängig- keit von Antidepressiva und von Neuroleptika mit Sicherheit ausgeschlossen worden.

Angst ist ein schlechter Ratge- ber. Kritisches Abwägen hinge- gen ist in der Psychopharmaka- Therapie nicht nur verständlich, sondern geradezu erwünscht.

Damit aus unkritischer Angst nun angstfreie Kritik wird, muß der Arzt den Patienten sorgfäl- tig und geduldig informieren und sich selbst natürlich auch.

Prof. Dr. med. Rainer Tölle Klinik für Psychiatrie der Westfälischen Wilhelms-Universität

Albert-Schweitzer-Straße 131 4400 Münster

Alkoholkonsum und Krebs

In einer prospektiven Studie mit 8006 japanischen Männern auf Hawaii von 1965 bis 1980 wurde der Alkoholkonsum in Bezie- hung gesetzt zur Erkrankung an den fünf häufigsten Krebsarten in dieser Bevölkerungsgruppe:

Magen-, Kolon-, Rektum-, Lun- gen- und Prostata-Karzinom.

Personen, die 15 und mehr Li- ter Bier pro Monat tranken, er- krankten mehr als dreimal häu- figer an Rektum-Karzinom als Personen, die kein Bier tran- ken. Personen, die 1,5 Liter Whisky (oder ähnliche Geträn- ke) oder mehr pro Monat tran- ken, erkrankten 2,6mal häufiger an Lungenkrebs, solche, die mehr als 1,5 Liter Wein pro Mo- nat tranken, 2,2mal häufiger an Lungenkrebs als die entspre- chenden Nichttrinker. Die drei übrigen Krebsarten waren nicht signifikant erhöht. Der Zusam- menhang zwischen Alkoholver- brauch und bestimmten Krebs- arten ist nicht geklärt. Man ver- mutet für das Rektumkarzinom, daß die Aufnahme großer Men- gen an Alkohol mit einer ver- minderten Aufnahme von sol- chen Nährstoffen verbunden ist, die eine protektive Wirkung ge- genüber Krebs besitzen. Das gehäufte Auftreten von Lungen- krebs bei Whisky- und Weintrin- kern läßt sich auf diese Weise allerdings nicht erklären; mögli- cherweise spielen andere diäte- tische Faktoren (Vitamin A als Schutzfaktor?) eine Rolle. Alter und Raucherstatus wurden in der vorliegenden Studie be- rücksichtigt. Die Autoren wei- sen einschränkend darauf hin, daß der Alkoholverbrauch in der untersuchten Bevölkerungs- gruppe im Vergleich zur Ge- samtbevölkerung niedrig war.

khn

Pollack, E. S.; Nomura, A. M. Y.; Heilbrun, L. K.; Stemmermann, G. N. and Green, S. B.:

Prospective Study of Alcohol Consumption and Cancer. The New England Journal of Me- dicine 310 (1984) 617-621. Biometry Branch, National Cancer Institute, Landow Bldg., Rm.

5CO3, 7910 Woodmont Ave., Bethesda, MD 20205, USA

2182 (70) Heft 28/29 vom 13. Juli 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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