Zur Fortbildung Aktuelle Medizin
Katastrophenmedizin
ausgehenden Verweildauer höher- molekulare Dextran- und Stärkeprä- parate vorteilhafter. Eine Beeinflus- sung der Blutgerinnung droht, wenn größere Mengen hochmolekularen Dextrans gegeben werden. Wegen des hohen onkotischen Druckes sollte niedermolekulares Dextran zusammen mit Elektrolytlösung in- fundiert werden.
• Antibiotika — Die Meinungen über den Nutzen antibiotischer Pro- phylaxe sind uneinheitlich. Allge- mein darf jedoch angenommen wer- den, daß eine frühzeitige, möglichst intravenöse Antibiotikaapplikation die Inkubationszeit verlängert. Da- mit streckt sich das Zeitintervall bis zum Döbridement. Man hat festzu- halten, daß Antibiotikagaben das zeitgerechte und radikale Döbride- ment nicht ersetzen. — Die lokale An- tibiotikagabe hat keine Berechti- gung.
• Schmerzmittel — Alle Schmerz- mittel sollten bei Schockpatienten — und darum handelt es sich in der Mehrzahl — intravenös appliziert werden. Da die Wirkung schwer vor- aussehbar ist, sind kleine Einzeldo- sen zu bevorzugen. Opiate sind die besten und bekanntesten Schmerz- mittel, können aber die Atmung de- primieren. Daher Vorsicht beim Schädel-Hirn-Verletzten! Ruhigstel- lung und gut sitzende Verbände sind wertvolle Hilfen der Schmerzbe- kämpfung. Leitungsanästhesie oder Bruchspaltanästhesie — falls perso- nell vertretbar — sollten ebenfalls zum Repertoire der Schmerzstillung gehören.
• Immunisierung — Tetanus und Gasbrand dürften im Katastrophen- fall die gefährlichsten chirurgischen Infektionen sein. Beim Gasbrand ist die Immunisierung mit Gasbrandse- rum umstritten, die hyperbare 02-
Behandlung — in ihrer Wirkung noch nicht einheitlich beurteilt — scheidet aus. Antibiotika, breite Wunderöff- nung, Fasziotomie, Nekrosenentfer- nung, H 202-Spülung sind dagegen bewährte Behandlungsmethoden.
Beim Tetanus jedoch hat die Immu- nisierung eminente Bedeutung. Ar- meeangehörige sind prophylaktisch
immunisiert, sollten aber bei offener Wunde, Verbrennung und Erfrie- rung unter allen Umständen eine Auffrischung erhalten. Bei unzurei- chendem Schutz hat die Simultan- impfung mit Immunglobulin und Tetanustoxoid zu erfolgen. Die For- derung, übersichtliche Wundver- hältnisse zu schaffen, ist durch nichts ersetzbar.
Zusammenfassung
O Da sich Dringlichkeiten schnell ändern und logistische Faktoren ei- ne einmalige Entscheidung variieren können, ist die Triageentscheidung wiederholt zu überprüfen!
49
Die wichtigsten Grundzüge der modifizierten chirurgischen Technik sind das Döbridement und die offe- ne Wundversorgung in der ersten und der verzögerte Wundverschluß in der zweiten Phase.• Der zeitliche und technische Aufwand der chirurgischen Maßnah- men hat das Ziel, mit einfachen Maß- nahmen schnell transportfähig zu machen. Nur so wird für möglichst viele eine Definitivversorgung mög- lich.
• Die Einteilung in Dringlichkeits- stufen und Prioritäten sowie die Her- stellung der Transportfähigkeit kön- nen sich nur dann positiv auswirken, wenn ein schneller Abtransport or- ganisierbar ist.
Literatur
(1) Ahnefeld, F. W., Harte', W., Herfarth, Ch.
(Hrsg.): Polytrauma, Dringlichkeiten und Be- handlungstaktik, Perimed-Verlag, Erlangen (in Druck) — (2) Glinz, W.: Thoraxverletzungen. 2.
Auflage, Berlin — Heidelberg — New York, Springer-Verlag (1979) — (3) Lanz, R., und Ro- setti, M. (Hrsg.): Katastrophenmedizin, Ferdi- nand Enke-Verlag (1980) — (4) Rebentisch, E.
(Hrsg.): Wehrmedizin, Ein kurzes Handbuch mit Beiträgen zur Katastrophenmedizin, Mün- chen — Wien — Baltimore Schwarzenberg-Ver- lag (1980) — (5) Die Traumatologie im Katastro- phenfall, Vorträge 39-56 der 96. Tagung der Dtsch. Gesellschaft für Chirurgie, Langen- becks Archiv für Chirurgie 349 (1979) 197-270
Anschrift der Verfasser:
Oberstarzt Professor Dr. med.
Wilhelm Hartel
Oberstabsarzt Dr. med.
Reinhard Steinmann
Bundeswehrkrankenhaus Ulm Oberer Eselsberg 40
7900 Ulm/Donau
AUSSPRACHE
Tranquilizer
in der Depressions- Behandlung
Zu dem Beitrag von
Prof. Dr. med. Paul Kielholz und Prof. Dr. med. Walter Pöldinger in Heft 3/1981, Seite 84 ff.
Zu begrüßen ist, daß Kielholz und Pöldinger die Antidepressiva deut- lich von den Tranquilizern absetzen und die differentielle Indikation der Tranquilizer für die Behandlung der Depression beschreiben. Man ver- mißt aber einen eindringlichen Hin- weis auf die Gefahr der Gewöhnung und Abhängigkeit bei Tranquilizern.
Als psychiatrische Kliniker kennen wir viele Fälle von Entzugssyndrom nach längerer Verwendung von Tranquilizern. Dieser Entzug ist meist prolongierter als der nach Al- kohol und kann sich über 3 bis 6 Wochen erstrecken. — Das subjektiv sehr unangenehme Entzugssyn- drom kann man dem Patienten da- durch ersparen, daß man die Verord- nung von Tranquilizern auf wenige therapeutisch vertretbare Bereiche einengt. Eine solche Indikation liegt sicher bei Depressionen mit Angst, Unruhe und akuter Suizidalität vor, obgleich man einwenden könnte, daß in der Regel auch Neuroleptika wie Terazine (Taxilan) oder Thiorida- zine (Melleril) rasch ähnliche Wir- kungen entfalten können. Wenn dann die Wirkung der kombiniert verordneten Antidepressiva einsetzt, kann die Begleitmedikation schritt- weise abgesetzt werden. — Die Hauptgefahr der Tranquilizer liegt darin, daß gerade die beruhigende, entspannende, schlafinduzierende und wohl auch euphorisierende Wir- kung die Patienten dazu verführt, diese Mittel weiter zu nehmen und vom behandelnden Arzt ihre Ver- schreibung zu verlangen. — So er- scheint mir hier entscheidend das
„principiis obsta" zu sein!
Professor Dr. med. H. Dilling Direktor der Klinik für Psychiatrie der Medizinischen Hochschule Lübeck Ratzeburger Allee 160
2400 Lübeck 1
2294 Heft 48 vom 26. November 1981