Deutsches Ärzteblatt
|
Jg. 107|
Heft 11|
19. März 2010 197M E D I Z I N
Sehr richtig weist er darauf hin, dass es für die The- rapie des Hörsturzes keine sicheren Belege gebe. Hier rächt sich die Methode einer selektiven Literaturrecher- che. Die Arbeiten von Desloovere (1), die neben der zi- tierten von Klemm et al. einen Nutzen einer Behand- lung mit Plasmaexpandern widerlegen, bleiben dabei nicht erwähnt. Nicht hinzunehmen ist, aus Studien mit Negativevidenz ex post Subgruppen herauszusuchen, um daraus doch noch positive Empfehlungen abzulei- ten. Die Empfehlung, HAES-Infusionen, von denen man weiß, dass sie mit Nierenschäden (2) und lebens- lang persistierendem Juckreiz (3) einhergehen können, als IGeL-Angebot auf den Markt zu bringen, hat mei- nes Erachtens in einem Fortbildungsartikel nichts ver- loren,
DOI: 10.3238/arztebl.2010.0196c LITERATUR
1. Desloovere C, Lörz M, Klima A: Sudden sensorineural hearing loss—influence of hemodynamical and hemorheological factors on spontaneous recovery and therapy results. Acta Otorhinolaryngol Belg 1989; 43(1): 31–7.
2. Bundesärztekammer – Arzneimittelkommission der deutschen Ärzte- schaft: Rückenschmerzen bei Anwendung Hydroxyethylstärke-halti- ger Infusionslösungen. Dtsch Arztebl 1995; 92(19): A-1402.
3. Reimann S, et al.: Hydroxyethylstärke-Speicherung in der Haut unter besonderer Berücksichtigung des Hydroxyethylstärke-assoziierten Juckreizes. Dtsch Med Wschr 2000; 125: 280–5.
4. Suckfüll M: Perspectives on the pathophysiology and treatment of sudden idiopathic sensorineural hearing loss [Hörsturz – Erwägung zur Pathophysiologie und Therapie]. Dtsch Arztebl Int 2009; 106 (41): 669–76.
Dr. med. Günther Egidi Huchtinger Heerstraße 41 28259 Bremen
E-Mail: familie-egidi@nord-com.net
Unsicherheit und Angst
Durch die Übersicht des Kollegen Suckfüll zum Hör- sturz wird deutlich, dass sowohl Ätiologie als auch Ri- sikofaktoren und vor allem Behandlungsmöglichkeiten bei diesem immerhin häufigen Krankheitsbild (160 auf 100 000 Einwohner) (1) noch nicht wirklich wissen- schaftlich erforscht sind und gleichzeitig der Anteil von Spontanheilungen beträchtlich ist.
Auffällig heraus ragt (dafür) in der Literaturüber- sicht die zugespitzte und durch eine CME-Frage ver- stärkte Formulierung, „...dass das Phänomen des Hör- sturzes ein frühes Warnsignal für einen Schlaganfall darstellen“ soll. Suckfüll zitiert dazu eine Veröffentli- chung (2), die anhand eines in Taiwan etablierten Mel- desystems retrospektiv und nach genauer Alters- und Geschlechterzuordnung 1 423 Patienten, bei denen ein
„sudden sensorineuronal hearing loss“ verschlüsselt wurde, mit 16 413 Appendektomie-Patienten vergli- chen hat.
Dabei erlitten nach mehr als zwei bis zu fünf Jahren 12,7 % einen Schlaganfall, während dies nur bei 7,8 % der Appendektomie-Patienten eintrat. Daraus wird ein
„1,64-fach erhöhtes Schlaganfallrisiko“ abgeleitet.
Während die Autoren der Originalarbeit diesen – noch als Spekulation benannten – Zusammenhang wesent-
lich vorsichtiger beurteilen und auf die „Limitierun- gen“ ihrer Datenbasis hinweisen, verstärkt Suckfüll die Aussage und fragt diesen Zusammenhang in der CME Anlage mit einer eindeutigen Aussage ab.
Es ist durchaus sinnvoll, gerade Hörsturzpatienten internistisch und neurologisch zu untersuchen, um vor- liegende vaskuläre Risikofaktoren frühzeitig erkennen und gegebenenfalls behandeln zu können. Dies war in der Originalarbeit von Lin (2) die wesentlichste Schlussfolgerung.
Wir sind besorgt, dass durch einen undifferenzierten und als bewiesen hingestellten Zusammenhang zwi- schen Hörsturz und Apoplex bei den nicht ständig mit dem Thema beschäftigen Ärzten vor allem Unsicher- heit und Angst in der Beratung der Patienten größer werden.
DOI: 10.3238/arztebl.2010.0197 LITERATUR
1. Klemm E, Deutscher A, Mösges R: A present investigation of the epi- demiology in idiopathic sudden sensorineural hearing loss. Laryngo- Rhino-Otol 2009; 88: 524–7.
2. Lin HC, Chao PZ, Lee HC: Sudden sensorineural hearing loss increas es the risk of stroke: a 5-year follow-up study. Stroke 2008;
39(10): 2744–8.
3. Suckfüll M: Perspectives on the pathophysiology and treatment of sudden idiopathic sensorineural hearing loss [Hörsturz – Erwägung zur Pathophysiologie und Therapie]. Dtsch Arztebl Int 2009; 106 (41): 669–76.
Prof. Dr. med. Gerhard Hesse Dr. med. Helmut Schaaf
Chefarzt Ohr und Hörinstitut Hesse(n) und der Tinnitus Klinik im Krankenhaus Arolsen Große Allee 50
34454 Arolsen
E-Mail: ghesse@tinnitus-klinik.net
Interessenkonflikt
Die Autoren aller Diskussionsbeiträge erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.
Die Autoren des Beitrags haben auf ein Schlusswort verzichtet.