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Archiv "Forschungsbewertung: Fairness für forschende Chirurgen: ein Plädoyer" (21.03.2008)

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Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 1221. März 2008 A625

D

as Bewertungsverfahren für die mit öffentlichen Mitteln geförderte medizinische Forschung hat zu einer Bevorzugung der pati- entenfernen Grundlagenforschung geführt. Der Mangel an qualitativ hochwertiger klinischer und speziell chirurgischer Forschung wird seit zehn Jahren verstärkt beklagt, in sei- nen Ausmaßen aber erst jetzt er- kannt. Trotz einer steigenden Nach- frage nach chirurgischen Leistun- gen zeichnet sich derzeit ein Mangel an Chirurgen in Deutschland ab.

An den Universitätskliniken im Bundesgebiet sind die chirurgischen Disziplinen nicht nur fachlich inno- vativ und erfolgreich, sondern auch ökonomisch profitabel und zumeist mit mehr als 50 Prozent an den Umsatzerlösen beteiligt. Umgekehrt werden deutlich weniger als ein Viertel der verfügbaren Drittmittel in die chirurgische Forschung inves- tiert. Dies betrifft sowohl die bun- desweit vergebenen Mittel als auch – soweit bekannt – die universitäts- internen Förderprogramme. Das hat bereits heute an allen Universitäts- kliniken spürbare Auswirkungen.

Die Zuweisung von Forschungsmit- teln ist für ambitionierte Berufsan- fänger eine konkrete Absicherung auf dem akademischen Lebensweg.

Mit fehlenden Forschungsmitteln geht der akademischen Chirurgie der Nachwuchs verloren.

Vielfach wird das Problem noch nicht als Systemproblem erkannt, sondern als ein lokal begrenztes Individualproblem angesehen: Von mangelnder Forschungsbefähigung bis hin zu mangelndem Forschungs- interesse der Chirurgen reichen die Argumente von Kollegen, die oft Nutznießer des bestehenden Sys- tems sind. Mancherorts gibt es das Bemühen, eine faire universitätsin- terne Balance der Landeszuweisun- gen zu erreichen; so werden zum Beispiel bei fachbereichsinternen Bewertungen Bonuspunkte für chir- urgische Anträge vergeben. Ein wichtiger Ansatz zur Verbesserung der akademischen Perspektiven des chirurgischen Nachwuchses besteht – wie etwa in Mainz – in einer fach- gebietspezifischen Bewertung der habilitationsrelevanten Publikations- organe. All diese korrigierenden

Eingriffe lösen das Problem aber nicht, sondern perpetuieren oder verstärken es ungewollt.

Die Impact-Punkte-Falle Zur Forschungsbewertung hat sich in der Medizin das „Impact-Punkte- System“ durchgesetzt. Nicht nur die Qualität der Forschungsleistung selbst wird nach Impact-Punkten bewertet, sondern vor allem die Auswahl der Wissenschaftler, die über die Forschungsleistung anderer Wissenschaftler urteilen, verläuft nach diesem System.

Als Folge hat sich in den zurück- liegenden zwei Jahrzehnten so et- was wie eine „gefühlte Hierarchie der medizinischen Wissenschaften“

entwickelt. Scheinbar legitimiert durch Impact-Punkte, meinen man- che Wissenschaftler einer medizini- schen Fakultät, wichtige von un- wichtigeren Wissenschaftszweigen innerhalb der Medizin unterschei- den zu können. Ein akademischer Chirurg wird in eine defensive Rolle gedrängt und muss begründen, war- um er durch die Zeitschriften, in de- nen er publiziert, keine hinreichen-

FF O O R R S S C C H H U U N N G G S S B B EE W W EE R RTT U U N N G G

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Das Impact-Punkte-System hat sich in der Medizin durchgesetzt. Forschungsanträge aus der Chirurgie ohne molekularbiologisches Beiwerk oder ohne Kooperationen mit höher bewerteten Fachrichtungen haben nur geringe Förderungschancen.

Christian-Friedrich Vahl

Foto:JOKER

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A626 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 1221. März 2008

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den Impact-Punkte für sich gene- riert. Theoretiker sehen in fehlenden Impact-Punkten ein Indiz für eine mangelhafte akademische Qualifi- kation seines Fachgebiets.

Notwendig wäre es daher, eine angemessene Sensibilität für die Ungerechtigkeit des derzeitigen Forschungsbewertungssystems zu entwickeln. Es geht nicht darum, Forschungsleistungen aus dem Blick- winkel der Chirurgie zu bewerten, wohl aber auch aus der Sicht einer Medizin, die das Primat der Krank- heitsbekämpfung nicht verdrängt, sondern zum Ziel hat.

Die von vielen gefühlte Hierar- chie in der Medizin führt dazu, dass ein Chirurg, der sich zur Finan- zierung seines Forschungsprojekts einem von der Deutschen For- schungsgemeinschaft (DFG) be- gleiteten Begutachtungsverfahren stellt, damit rechnen muss, dass er von nicht chirurgischen Medizinern begutachtet wird. Auch wenn oft keine direkte fachliche Qualifikati- on erkennbar ist, so sind diese Gut- achter durch die Zahl ihrer Impact- Punkte legitimiert.

Diese fachfremde Begutachtung begünstigt Interessenkonflikte. Wer-

den Anträge von Chirurgen durch Wissenschaftler anderer Diszipli- nen beurteilt, spürt man gelegent- lich eine sachfremde Berufspolitik.

Ergibt sich ein unmittelbarer Kon- flikt zwischen berufspolitischen In- teressen des Gutachters einerseits und der fairen Würdigung eines neuen, durch Forschung zu sichern- den chirurgischen Therapieange- bots andererseits, ist nicht immer vorhersehbar, welches Argument sich am Ende durchsetzt.

Erschwert wird das Begutach- tungsverfahren durch marktspezifi- sche Aspekte. Für eine Reihe von Er- krankungen gibt es chirurgische und internistische Optionen, die beide Vor- und Nachteile haben. Eine Ent- scheidung für eine chirurgische Op- tion ist immer auch eine Entschei- dung für einen „chirurgischen

Markt“. Unter diesen Gesichtspunk- ten ist es nachvollziehbar, dass ein fachfremder Gutachter, etwa aus der Kardiologie, in einen Konflikt gerät, wenn er einem Kardiovaskular- chirurgen Forschungsmittel zuge- steht, die dessen Marktanteil an sei- ner Universität vergrößern – unab- hängig von der wissenschaftlichen Qualität der Argumente des Chirur- gen. Und für die Medizinindustrie ist der Markt im Bereich der konserva- tiven Medizin ungleich größer als bei den chirurgischen Disziplinen.

Dabei ist es inakzeptabel, dass es heute für einen deutschen Chirurgen in jedem Stadium seines beruflichen Werdegangs leichter ist, chirurgi- sche Forschungsprojekte in den USA finanziert zu bekommen, als die gleichen Projekte in Deutschland durchzuführen.

Persönlichkeitsmerkmale des er- folgreichen Impact-Punkte-Samm- lers sind nicht immer förderlich für die Begutachtung eines chirurgi- schen Projekts. Aus theoretischen Instituten kommende, frühzeitig ha- bilitierte und politisch gewünschte Juniorprofessoren fühlen sich zur Beurteilung anderer Wissenschaft- ler geradezu berufen. Manche dieser

jungen Wissenschaftler, denen so- gar die Perspektive für ihr eigenes Fachgebiet – jenseits des mikromo- lekularen Zusammenhangs, dessen Bearbeitung sie gerade erfolgreich abgeschlossen haben – noch fehlt, werden kaum in der Lage sein, die Implikationen der Ablehnung eines chirurgischen innovativen Forschungsprojekts zu verstehen.

Gerade ein akademischer Begutach- tungsprozess verlangt nach ausge- glichenen, gereiften Persönlichkei- ten. Hierbei kommt es ganz wesent- lich auf Kommunikation und auch auf Gefühle ebenso wie auf Vertrau- en in die Fantasie und Leistungs- fähigkeit des zu Begutachtenden an.

Und zur Wahrnehmung von Per- spektive und Potenzial eines ande- ren Wissenschaftlers bedarf es ne- ben der fachlichen Qualifikation ei-

ner gewissen Sensibilität, Reife und Lebenserfahrung.

Da chirurgietypische Publikati- onsorgane für den Chirurgen kei- nen Impact-Punkt-Ertrag erbringen, suchten Chirurgen nach Lösungs- strategien. Was lag näher, als chirur- gisches Resektionsmaterial an Theo- retiker weiterzugeben, um dann – nach mehr oder weniger vorher be- sprochenem Modus – als Ko-, Erst- oder Letztautor genannt zu werden.

Manche Chirurgen sagen sogar of- fen, dass sie „ihren Theoretiker ha- ben, der ihnen die Forschung macht“. Aber ist es wirklich chirur- gische Forschung, Resektionsmate- rial abzugeben und in onkologischen Zentren analysieren zu lassen? Un- bestritten ist, dass die Forschungs- leistung des Chirurgen, der Gewebe- proben zur Analyse weggibt, heute ungleich höher bewertet wird, als die eines Chirurgen, der in einem auf- wendigen Forschungsprojekt mit Großtierversuchen neue operative Verfahren entwickelt oder evaluiert.

Das hat unmittelbare Auswirkun- gen auf Berufungsverfahren: Soll ein Lehrstuhl für Chirurgie an einer Universität neu besetzt werden, kommt es mancherorts zu offenen Konflikten in Berufungskommis- sionen und Fachbereichen, in denen die Theoretiker darauf drängen, den Impact-Punkte-Besten zu berufen, selbst wenn sich dieser de facto we- der als Chirurg noch als Wissen- schaftler qualifiziert hat.

Das sich bundesweit etablierende Impact-System durchdringt und verändert auch die lokale Wissen- schaftskultur der Universitäten. In Förderungsprogrammen wird dort wiederholt, was bundesweit ge- schieht: Chirurgische Forschungs- anträge ohne molekularbiologisches Beiwerk oder ohne Kooperationen mit hoch hierarchisierten Wissen- schaftlern haben nur geringe Förde- rungschancen. Die Beantragung notwendiger Forschungsgroßgeräte von Chirurgen hat – anders als zum Beispiel die von Kardiologen oder Radiologen – oft nicht einmal die Chance, die Großgerätekommissio- nen der Universität zu passieren.

Die Fachgesellschaften haben in der Vergangenheit den in sie gesetz- ten Erwartungen nicht entsprochen.

Der institutionelle Rahmen der Forschungsbewertung

und -förderung muss radikal reformiert werden.

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A628 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 1221. März 2008

T H E M E N D E R Z E I T

Sie wiederholten die hierarchisieren- den Argumente, indem sie sich selbst jeweils für die bedeutsamste Fachge- sellschaft hielten. Am Beispiel der In- teraktion von Kardiologie und Herz- chirurgie lässt sich nachvollziehen, dass ungeachtet der Studienlage und vor allem ungeachtet der konsentier- ten Leitlinien beider Fachgesell- schaften in der Praxis eine Form uni- versitärer Forschung und Therapie angeboten wird, bei der Markt- und Industrieinteressen über ärztlich in- haltliche Positionen triumphieren können. Auch dem Wissenschaftsrat oder dem Senat der DFG fehlt es zu- weilen an der Sensibilität für diese Probleme, sodass hier eine nicht ab- weisbare Mitverantwortung an der

Fehlentwicklung in der universitären Forschungslandschaft zulasten der Chirurgen gesehen werden muss.

Je komplexer und umfassender ein System der Wissenschaftsförde- rung wird, umso mehr entzieht sich dieses System unmittelbarem Ein- wirken und umso schwächer werden die Aussichten auf Akzeptanz und Unterstützung kritischer Aktionen gegen dieses System. Längst ist die DFG Teil dieser Wissenschaftsin- dustrie geworden, die alles erfasst und auch die Nischen möglicher Kritik bereits institutionalisiert und

besetzt hält. Der Impuls zur Innova- tion entsteht erwartungsgemäß bei den vom System Benachteiligten.

Das ist eine Chance für die Chirur- gie. Die Chirurgen dürfen jedoch nicht als Oppositionelle oder Außen- seiter auftreten, sondern als reflek- tierende Teilnehmer des Systems.

Sie dürfen nicht länger enttäuschte distanzierte Betrachter sein, sondern Reformer, ohne dabei zu propheti- schen Empörern zu werden.

Die wissenschaftlichen Fachge- sellschaften müssen sich ihrer Ver- antwortung für die gesamtuniver- sitäre Forschungslandschaft stellen und aktiv zu einer umgehenden Re- lativierung des Impact-Punkt-Sys- tems beitragen. Respekt vor der Leis-

tung der Nachbardisziplinen wird dazu führen, dass Internisten oder Molekularbiologen von sich aus die Begutachtung chirurgischer For- schungsprojekte ablehnen, sodass die geforderte Begutachtung chirur- gischer Forschungsprojekte durch Chirurgen Standard wird. Eine di- rekte Kennzeichnung der tatsächli- chen Forschungsleistung wird den Forscher publik machen, der meint, sich als Präparatelieferant akade- misch qualifizieren zu können.

Nach Jahren bewusst in Kauf ge- nommener Fehlentwicklungen geht

es jetzt darum, die Sensibilität für eine (Re-)Emanzipation chirurgi- scher Forschung zu wecken und zu erhalten. Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass sich in einer seit mehr als 40 Jahren von Theore- tikern und konservativen Medizi- nern beherrschten Medizinkultur nicht per Deklaration eine Gleich- stellung des Werts chirurgischer Praxis und chirurgischer Forschung, ja klinischer Forschung insgesamt herstellen lässt. Auch die in die unterschiedlichsten Medizinzweige unentwirrbar hineingeflochtenen In- dustrieinteressen an der Beibehal- tung Gewinn versprechender For- schungsrichtungen sind nicht per Dekret aufzuheben. Eine Entflech- tung der medizinischen Forschung von den Interessen der Industrie ist aber ein notwendiges Ziel.

Die notwendige und unausweich- liche öffentliche Diskussion wird zeigen, dass es nicht die medizi- nisch wissenschaftlichen Leistun- gen sind, die eine Benachteiligung der Chirurgen rechtfertigen könn- ten, sondern dass ein extrem erfolg- reicher und innovativer Zweig der Medizin durch verkrustete Struktu- ren der Allokation von Forschungs- mitteln an seiner Weiterentwicklung gehindert wird. Die Chirurgen ha- ben die Chance und Aufgabe, den institutionellen Rahmen der For- schungsbewertung und -förderung radikal zu reformieren oder neu zu entwerfen. Wünschenswertes Er- gebnis wären neue „wissenschafts- rechtliche“ Regelungen, deren Ver- bindlichkeit darauf beruht, dass die Betroffenen (Chirurgen, konservati- ve Mediziner, Grundlagenforscher und alle Bürger) diesen zustimmen oder diese für sinnvoll und ziel- führend halten. Denn nur dann kann dem akademischen Nachwuchs in den chirurgischen Fächern eine aka- demische Perspektive vermittelt werden, die auch im Interesse der Allgemeinheit liegt.

❚Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2006; 105(12): A 625–8

Anschrift des Verfassers Prof. Dr. med. Christian-Friedrich Vahl Direktor der Klinik und Poliklinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie der Johannes-Gutenberg- Universität Mainz

Langenbeckstraße 1, 55131 Mainz

Foto:picture-alliance

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