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Pilotstudie zur nachhaltigen Entwicklung von Nachkriegssiedlungen (1945 - 65) unter besonderer Berücksichtigung von Flächenökonomie und Flächenmanagement

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Forschungsbericht FZKA-BWPLUS

Pilotstudie zur nachhaltigen Entwicklung von

Nachkriegs-siedlungen (1945 – 65) unter besonderer Berücksichtigung von

Flächenökonomie und Flächenmanagement

von ARGE

Forschungsgruppe Stadt + Umwelt Prof. Günther Schöfl Dipl.-Ing. Sandra Schluchter

Dipl.-Ing. Markus Schöfl Dipl.-Ing. Steffen Speidel Blumenstraße 6, 71638 Ludwigsburg

LMR a.D. Hansjörg Rist Obere Weinsteige 26, 70597 Stuttgart

Leibniz Institut für ökologische Raumentwicklung IÖR Dipl.-Math. Irene Iwanow

Dipl.-Ing. Daniel Eichhorn Weberplatz 1, 01217 Dresden

Psychologisches Institut der Universität Tübingen Prof. Dr. Wilhelm Glaser

Dr. Margrit Glaser

Friedrichstraße 21, 72072 Tübingen

Förderkennzeichen: BWW 24004

Die Arbeiten des Programms Lebensgrundlage Umwelt und ihre Sicherung werden mit Mitteln des Lan-des Baden-Württemberg gefördert

(2)
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Kurzfassung

Im Rahmen des Projekts wurden Grundlagen zur Strukturierung des kommunalen

Flächenmanagements als Instrument der Revitalisierung von Nachkriegssiedlungen erarbeitet. Aus der Analyse von 11 Fallstudien wurden drei Strategien der nachhaltigen Sicherung und Entwicklung erarbeitet:

1. Einfache Modernisierung - Minimale Wohnkosten für Transferleistungsempfänger

2. Modernisierung und Umbau der Bestände für den Zukunftsmarkt.

3. Abbruch und Neubau - grundlegende Veränderung der Wohnform, der Haus- und Energietechnik.

Es wurden Grundlagen für die ortsspezifischen Anteile der einzelnen Strategietypen und die zeitliche Ordnung der Maßnahmen der Revitalisierung erarbeitet.

Die Befragung von Schlüsselpersonen der Bauverwaltungen und der Wohnungswirtschaft ergab die Notwendigkeit der Revitalisierungsmaßnahmen und des kommunalen Managements. Die

demographischen Untersuchungen in den Fallstudien - vertieft am Beispiel Reutlingen, Orschel-Hagen, verweisen auf die Dringlichkeit des Problems, denn mit dem anstehenden Generationswechsel bieten sich günstige Handlungsoptionen für die nachhaltige Entwicklung der Gebäudebestände und ihres Umfeldes. Wenn sie ungenutzt bleiben, entstehen soziale Brennpunkte, Segregation und Leerstände wie in der Fallstudie Mannheim-Schönau. Das abzuwenden erfordert schnelles, vorstrukturiertes Handeln.

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Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung 1 - 1

1. Einführung 1 - 2

1.1 Einführung in das Forschungsfeld Nachkriegssiedlungen 1 - 2 1.2 Gründe für anwendungsorientierte Forschung über Nachkriegssiedlungen

und Ziele des Forschungsvorhabens BWW 24004 1 - 6

1.3 Stand der Forschung 1 - 8

2. Methodischer Ansatz des Forschungsprojekts 2 - 1

2.1 Interdisziplinäre Aufteilung der Arbeitsgebiete 2 - 1 2.2 Projektaufbau und Handlungsfelder des kommunalen

Flächenmanagements 2 - 1

2.3 Kommunales Flächenmanagement und Flächenökonomie 2 - 7

3. Schriftliche Befragung von Akteuren aus Verwaltung und

Wohnungswirtschaft 3 - 1 3.1 Allgemeines 3 - 1 3.2 Vorgehen 3 - 2 3.3 Rücklauf 3 - 2 3.4 Auswertung 3 - 3 3.5 Ergebnisse 3 - 3

3.6 Zusammenfassung der wichtigsten Resultate 3 - 32

4. Trends der demographischen Veränderung und ihre Folgen für die

Wohnungsnachfrageentwicklung 4 - 1

4.1 Prognose der Nachfrageentwicklungen in den Fallstudienstädten 4 - 3 4.2 Prognose der Nachfrageentwicklung im Wohngebiet Orschel-Hagen in

der Stadt Reutlingen 4 - 13

4.3 Fazit 4 - 37

5. Fallstudien 5 - 1

5.1 Biberach, Mittelberg 5 - 7

5.2 Marbach am Neckar, Hörnle 5 - 17

5.3 Neckarsulm, Viktorshöhe 5 - 27

5.4 Reutlingen, Orschel-Hagen 5 - 35

5.5 Aalen, Triumphstadt 5 - 47

5.6 Esslingen, Zollberg 5 - 57

(5)

5.8 Waiblingen, Rinnenäckersiedlung 5 - 79

5.9 Mannheim, Schönau-Mitte 5 - 91

5.10 Pforzheim, Obere Au 5 - 103

5.11 Stuttgart, Giebel 5 - 115

5.12 Zusammenfassung der Fallstudien 5 - 127

6. Bewertung der Untersuchungsergebnisse und Hinweise zur 6 - 1

Flächenökonomie und zum kommunalen Flächenmanagement

6.1 Alterungsprozesse und Revitalisierung 6 - 1

6.2 Demographische Besonderheiten und Generationswechsel 6 - 11 6.3 Ziele nachhaltiger Entwicklung älterer Wohnungsbestände 6 - 15 6.4 Steuerung der Innenentwicklung und Schaffen von Rechtssicherheit 6 - 18 6.5 Flächenökonomie und Optimieren des Nutzwerts in der Praxis des

Flächengewinns 6 - 22

6.6 Flächenmanagement in der Praxis 6 - 30

6.7 Zusammenfassung des Handlungsbedarfs in NKS 6 - 33

7. Forschungs- und Entwicklungsbedarf zum Thema

Nachkriegssiedlungen in Baden-Württemberg 7 - 1

7.1 Themenblock Flächengewinne bei der Ertüchtigung und Erneuerung

der Wohnungsbestände 7 - 2

7.2 Themenblock Flächenökonomie und Flächenmanagement in der Praxis 7 - 3 7.3 Konzeption eines Modellvorhabens exzellenter Revitalisierungspraxis

für verdichteten Flachbau und Geschossbau der 50er Jahre 7 - 5

Literaturliste Lit - 1

Anlagen A - L:

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1 - 1

Vorbemerkung

Das Forschungsvorhaben BWW 24004 wird von den Autoren im Kontext bisheriger baden-württembergischer Forschungsvorhaben zum kommunalen Flächenmanagement bearbeitet1. Die hierbei entwickelte Terminologie wird an die Spezifika der Nachkriegssiedlungen (NKS) ange-passt. Innerhalb des Zielkatalogs nachhaltiger Stadtentwicklung als Innenentwicklung nimmt die „Optimierung des Nutzwertes“ eine dominierende Funktion ein. Der im Antrag verwendete Beg-riff der „Flächenökonomie“ wird abgegrenzt gegen den Terminus „Optimieren des Nutzwertes von Flächen“2. Die Ergebnisse sollen der Forschung zur Innenentwicklung eine weitere Fassette hinzufügen. Die Pilotstudie strukturiert den bisher nicht systematisch bearbeiteten Siedlungstyp aus der Zeit 1945 – 1965 für die Erprobung des kommunalen Flächenmanagements in Pilotmaß-nahmen3 und Modellvorhaben4. Der dafür erforderliche Praxisbezug wird über Fallstudien her-gestellt.

Die Aktualität des Forschungsthemas bestimmt der spezifische Altersaufbau in Nachkriegssied-lungen (40-60 Jahre nach der Aufsiedlung. Die damals 20-40-Jährigen stehen am Ende ihrer Le-benserwartung). Daher vollzieht sich ein Generationenwechsel, der kommunaler Steuerung be-darf.

Flächengewinne und die nachhaltige Sicherung und Entwicklung eines Viertels bis eines Drittels der heutigen Wohnungsbestände in Städten stammen aus der hier untersuchten Epoche. Damit ist das Forschungsfeld von eminenter Bedeutung für die Wohnraumversorgung breiter Schichten der Bevölkerung.

Ziel der Pilotstudie ist das Bewußtmachen der Dringlichkeit nachhaltiger Sicherung von unange-passten Wohnungsbeständen aus der Nachkriegszeit. Das erfordert einen ganzheitlichen Ansatz der Revitalisierung, um Flächen zu gewinnen bzw. für den Generationenwechsel zu ertüchtigen. In einer zweiten Stufe soll die Vertiefung der zentralen Problemfelder und die Überprüfung der Ergebnisse in der Praxis folgen.

1

Bisherige Forschungsvorhaben zu den Themen Innenentwicklung und Flächenmanagement: Vgl.: Landes-hauptstadt Stuttgart, Stadtplanungsamt in Verbindung mit dem Ministerium für Umwelt und Verkehr B-W (Hg.): Nachhaltiges Bauflächenmanagement Stuttgart (NBS) Schlussbericht, Ein Projekt im Rahmen des Forschungs-programms BW-PLUS des Landes Baden-Württemberg (BW 20022), April 2003; Gloger, Stefan; Wolff, Gerd: Bo-denschutzkonzept Stuttgart BOKS, Ministerium für Umwelt und Verkehr, Stuttgart, Amt für Umweltschutz, Stutt-gart, 2003; Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg, gefördert durch UVM W, WM B-W: Modellprojekt Regionaler Gewerbeflächenpool Neckar-Alb, Abschlussbericht, Juni 2004; Baldauf, Gerd: Innen-entwicklung PUR, Planen und Realisieren, Stuttgart, August 2003; Vgl. auch: Dokumentation des Fachkongresses Innen- vor Außenentwicklung, Stuttgart, 2003; Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg (LfU) (Hg.): Kommunales Flächenmanagement – Arbeitshilfe, Bodenschutz 8 und 13, Karlsruhe, 2003.

2

LFU 2003, Bodenschutz 8, kommunales Flächenmanagement - Thema II, S. 17ff.

3

Pilotmaßnahmen erproben Lösungen für spezifische Einzelprobleme von NKS.

4

Modellvorhaben erproben das kommunale Flächenmanagement von NKS am Kontext einer ganzheitlich angeleg-ten nachhaltigen Entwicklung.

(7)

1 - 2

1. Einführung

1.1 Einführung in das Forschungsfeld Nachkriegssiedlungen

Nach dem 2. Weltkrieg entstanden unter restriktiven Bedingungen in großer Zahl neue Sied-lungen, um aus der Zwischenkriegszeit verschleppte Wohnungsbaudefizite auszugleichen und insbesondere auch die Unterbringung der Vertriebenen aus den Ostgebieten zu bewerkstelligen. 5 Mit dem ersten Wohnungsbaugesetz wurde 1950 die Grundlage für eine umfassende Förderung des sozialen Wohnungsbaus geschaffen. In sechs Jahren wurden in der BRD zwei Millionen Wohnungen gebaut. Nachdem anfänglich der Schwerpunkt auf Geschosswohnungsbau gelegt wurde, erhielten in den 60er Jahren die Kräfte des freien Marktes im "Gesetz über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Miet- und Wohnrecht" (1960) sowie im „Wohnungsbauänderungsgesetz“ (1965) mehr Gewicht. Der Eigenheimbau wurde breiten Schichten der Bevölkerung ermöglicht. Die durchschnittliche Wohnfläche pro Person stieg von unter 15 qm im Jahre 1950 auf durchschnittlich 23 qm pro Person 19686. Fast ein Drittel des heutigen Wohnungsbestandes Baden-Württembergs wurde nach dem Krieg bis Mitte der 60-er Jahre gebaut. Mit der Rezession von 1965/66 ging dieser Abschnitt des Wohnungsbaus in West-deutschland zu Ende.

Nachkriegssiedlungen (1945-65) umfassen zu Beginn einen Zeitraum großer materieller Not und hohen Bedarfs an Wohnungen. Eine Konsolidierungsphase schloss in der zweiten Hälfte der 50-er Jahre und zu Beginn d50-er 60-50-er Jahre an. Bis weit in die Mittelschicht wuchsen Ansprüche an Wohnungsgröße und -ausstattung rasch an. Privatheit und Individualität des Wohnens gewannen wieder mehr Gewicht. Die schnelle Verbreitung des Automobils eröffnete mehr Chancen, die eigenen Wohnwünsche im Umland der Städte zu verwirklichen. Die Wahl des Wohnstandorts und des Arbeitsplatzes war Mitte der 60-er Jahre nicht mehr an den ÖPV gekoppelt.

Eine tiefe Rezession beendete die Epoche der Nachkriegssiedlungen. Die Zäsur fiel mit zuneh-mender Kritik des städtebaulichen Leitbildes der gegliederten und aufgelockerten Stadt7

zusam-men. Auch auf dem Gebiet der staatlichen Finanzhilfen und der Gesetzgebung werden in der ers-ten Hälfte der 60er Jahre neue Bedingungen geschaffen8

.

5

Hafner, Thomas; Wohn, Barbara; Rebholz-Chaves, Karin: Wohnsiedlungen, Birkhäuser, Basel Berlin Boston, 1998, S. 12.

6

Baldermann, Joachim; Hecking, Georg; Knauss, Erich; Seitz, Ulrich: Wohnflächennachfrage und Siedlungsent-wicklung, Schriftenreihe 12 des städtebaulichen Instituts der Universität Stuttgart, Karl Krämer Verlag, Stuttgart, 1980, S. 36ff.

7

Vgl. beispielsweise: Mitscherlich, Alexander: Die Unwirtlichkeit unserer Städte – Anstiftung zum Unfrieden, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1965.

8

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1 - 3

Aus der europäischen Geschichte der Gartenstadtbewegung im 19. Jahrhundert, hatten sich in der Entstehungszeit der Nachkriegssiedlungen Normen und Konventtionen geringer Siedlungs-dichte verfestigt. Die politische Forderung nach „gesunden Wohnverhältnissen für breite Schich-ten der Bevölkerung“ (1. Wohnungsbaugesetz von 1950) stützte dies.

Das städtebauliche Leitbild der gegliederten und aufgelockerten Stadt, das die Stadtplanung der Nachkriegszeit bestimmt hat, verfolgte das Prinzip der Funktionstrennung9

. In Nachkriegssied-lungen sah die Planung monofunktionaler Wohngebiete (WR und WA) vor. Sie enthielten nur „Wohnfolgeeinrichtungen“ außer Wohngebäuden.

Die Trennung der städtischen Grundfunktionen und ihre Verbindung durch leistungsfähige, zu-meist anbaufreie Hauptverkehrsstraßen oder ÖPNV-Trassen ermöglichte die funktionale Opti-mierung von Wohn-, Arbeits- und Erholungsstandorten nach je eigenen Gesetzmäßigkeiten. Er-kauft wurde dieser Vorteil durch eine erhebliche Zunahme des Verkehrs und der dafür erforder-lichen Siedlungsflächen.

Die Optimierung des Wohnwertes erbrachte in den Siedlungen abgestufte Erschließungssysteme von Sammelstraßen über Wohnstraßen zu Wohnwegen. Die funktionalistische Ausdifferenzie-rung des Erschließungssystems für ganz bestimmte Gebäudetypen wurde in den NKS weiterent-wickelt. Geschossbau, Reihenhaus und freistehendes Einfamilienhaus haben je eigene Wegenetz-Konfigurationen. Dadurch konnten teilweise auch die Belastungen durch den motorisierten Indi-vidualverkehr (MIV) verringert werden. Die Spezialisierung ermöglichte die Reduktion des Ver-kehrsflächenanteils in den Quartieren. Das geht allerdings zu Lasten der Flexibilität des Er-schließungsnetzes bei Nutzungsänderungen und erschwert die Beseitigung des Stellplatzdefizits. Das neue Leitbild der 60-er und 70-er Jahre – „Urbanität durch Dichte“ zielte auf eine deutliche Anhebung des Maßes der baulichen Nutzung. Die Fehleinschätzung der sozialen und ökologi-schen Wirkungen hoher Dichte in monofunktionalen Strukturen führten nicht zu der in Altstäd-ten erlebAltstäd-ten „Urbanität“. Der eminent hohe ökonomische Nutzen für Investoren und Bauträger verhalf – trotz Mitscherlichs Warnung – dieser Verdichtungsdokrin zum Erfolg. Viele dieser Großsiedlungen sind heute soziale Brennpunkte.

Die konservative Gegenbewegung zurück zur europäischen Stadt – in den 70-er und 80-er Jahren brachte der städtebaulichen Erneuerung große Erfolge. Die Bändigung des MIV in den Kernge-bieten durch Fußgängerzonen und andere Mittel der Verkehrsberuhigung ermöglichte dort auch wieder innerstädtisches Wohnen. NKS waren zu dieser Zeit ganz aus der Diskussion – ein abge-schlossenes Kapitel der Stadtbaugeschichte.

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1 - 4

In den 90er Jahren, als Neubaugebiete wieder in größerem Umfang erschlossen wurden, schloss die postmoderne Beliebigkeit breit angelegte Modelle nach einem Leitbild aus.

Seit Mitte der 90-er Jahre entstehen Siedlungen, die als Weiterentwicklung der Nachkriegssied-lungen zu werten sind. Dichter und in ihrer Architektursprache vielfältiger lösen sie konsequent Probleme der weit verbreiteten Motorisierung (>600 PKWs auf 1000 Einwohner). Öffentliche, halböffentliche und private Bereiche werden kleinräumig gegliedert, Verkehrsflächen minimiert. Es wird begonnen, Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich in die Wohngebiete zu integrieren. Neue Gebäude- und Wohnformen stellen sich dem sozialen Wandel des 20. Jahrhunderts.

Chancen und Risiken der Stadtentwicklung und der Flächeninanspruchnahme in Bezug auf Nachkriegssiedlungen (1945-65)

2003 wurden in Deutschland knapp 130 ha pro Tag neu in Siedlungs- und Verkehrsflächen um-gewidmet. Die Wohnbauflächen haben daran einen Anteil von 48,5 ha pro Tag oder 38 % des gesamten Zuwachses an Siedlungs- und Verkehrsflächen. Daher haben Einsparungen an Flä-chenneuerschließungen im Wohnungsbau hohe Priorität.

Die Dringlichkeit der Reduktion von Siedlungsflächenerweiterungen10

beruht auf negativen öko-logischen, sozialen und ökonomischen Wirkungen der Flächeninanspruchnahme:

• Freiräume sind quantitativ und in ihrer Lebensraumqualität zu schützen und zu verbessern • Landschaftszerschneidung und Denaturierung von Lebensräumen sind zu minimieren

• Versiegelung ist zu vermeiden und zu verringern, denn durch sie steigt die Hochwassergefahr • Emissionen, die von Siedlungsflächen ausgehen, sind schrittweise abzubauen – keinesfalls zu

vermehren.

Erweiterungen von Siedlungsflächen angesichts einer langfristigen Schrumpfungs- und Alte-rungstendenz der Bevölkerung wirft auch gravierende ökonomische und soziale Probleme auf: • Die infrastrukturelle Erschließung und Unterhaltung immer neuer Siedlungs- und

Verkehrs-flächen belasten die öffentlichen Haushalte. Im Bestand von SiedlungsVerkehrs-flächen liegen jedoch erhebliche Flächen brach.

• Die Ausdehnung der Infrastruktur und die zunehmende räumliche Trennung der Stadtfunkti-onen wird bei einem Rückgang der Altersgruppen unter 40 Jahren Erweiterungen als Stück-werk zurücklassen. Unterhaltung und Anpassung der Infrastruktur sind sehr teuer.

10

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1 - 5 t.

• Die Folgen der Funktionstrennung und Zersiedelung sind erhöhte Mobilitäts- und Zeiterfor-dernisse im Alltag. Sie mindern den Erholungswert der Landschaft und führen in den histori-schen Siedlungskernen zu Funktionsverlusten und Verlust an Attraktivität.

Die Bereitstellung und Bebauung von siedlungsinternen Flächen erhöht die stadtwirtschaftliche Effizienz, stärkt die Infrastruktur und verkürzt die täglichen Wege. Diese Erkenntnis setzt sich angesichts der dramatischen Entwicklung in den neuen Bundesländern durch. Leerstände im Wohnungs- und Gewerbebau, Fehlinvestitionen in Gewerbeflächen, die keine Käufer finden, verweisen auf Risiken einer wachstumsorientierten Planungskultur in Zeiten der Schrumpfung.

Gemessen an heutigen Standards bestehen in Nachkriegssiedlungen erhebliche Probleme:

• Zu kleine Räume und Wohnungen, geringe gebäudetechnische und energetische Standards, bauphysikalische und konstruktive Mängel werden vom zukünftigen Wohnungsmarkt nicht akzeptiert.

• Gebäudetypen, Wohnungsgemenge und die funktionale Gliederung der Wohnungen sind auf die traditionelle Haushaltsstruktur der Entstehungszeit ausgerichtet. Wohnflächenansprüche der Haushalte waren durch Förderrichtlinien auf niedrigem Niveau normiert.11 Inzwischen haben sich neue Haushaltsstrukturen herausgebildet und neue Formen der Sozialisation entwickel

• Die Prägung der Nachkriegssiedlungen durch den Funktionalismus in Verbindung mit der Normung nach verordneten Flächengrößen, hatte eine serielle und dadurch monotone Archi-tektur zur Folge. Die Individualisierung der heutigen Gesellschaft findet in der seriellen Ar-chitektur keine Entsprechung.

• Das Leitbild der gegliederten und aufgelockerten Stadt, das die Nachkriegssiedlungen prägte, sah mono-funktionale Siedlungen mittlerer bis geringer Dichte vor. Dem stehen heutige Leitvorstellungen der Stadtentwicklung wie Multifunktionalität, höhere Dichte, individuelle Mobilität und eine anpassungsfähige Infrastruktur entgegen.

Der gesellschaftliche und technologische Wandel seit der Aufsiedlung 1945-65 erfordert ei-ne Aufdifferenzierung des Wohnungsangebots. Aus der heutigen Situation werden folgende Schlussfolgerungen gezogen:

1. Ein Teil des Wohnungsbestandes muss Haushalten mit sehr geringem Budget (Transfer-leistungsempfänger) vorbehalten bleiben. Bestandserhaltende Maßnahmen sind durch Be-triebskosten minimierende Investitionen (Energie, Wasser, etc.) zu ergänzen.

2. Der größere Teil des Bestandes muss für den Zukunftsmarkt ertüchtigt werden. Der Gene-rationenwechsel ist durch Flächenmanagement, verbesserte soziale Infrastruktur der Kin-derbetreuung und der Versorgung zu befördern.

11

Vgl.: Erstes Wohnungsbaugesetz vom 24. April 1950, BGBI. 1950, S. 83, Teil I Allgemeine Vorschriften, § 17.: Wohnungsgrößen sind mit: „... mindestens 32 Quadratmeter und höchstens 65 Quadratmeter ...“11 vorgeschrieben.

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1 - 6

3. Irreparable Bauschäden, Standortdefizite oder Imageprobleme erfordern Abbruch und Neubau von Gebäuden und Quartieren. Hier können beispielhafte Lösungen des zeitgemä-ßen Wohnens und der Nutzungsdifferenzierungen realisiert werden.

1.2 Gründe für anwendungsorientierte Forschung über

Nachkriegssied-lungen und Ziele des Forschungsvorhabens BWW 24004

Der Zuwachs an Wohnbauflächen erfolgt überwiegend in den Randzonen der Verdichtungsräu-me. Dort wurden zu noch akzeptierten Grundstückspreisen vor allem freistehende Einfamilien-häuser gebaut - die flächenintensivste Wohnform. Dieser Trend schwächt sich in jüngster Zeit ab. Der seit den 60er Jahren beobachtete Wanderungsverlust der Großstädte kehrt sich um. Zwi-schen 1999 und 2002 haben nahezu alle baden-württembergischer Großstädte Einwohner hinzu-gewonnen. Das Statistische Landesamt meldet 2001 und 2002 auch in Mittelstädten höhere Wanderungsgewinne als in ihrem Umland.

Anwendungsorientierte Forschung muss die Auswirkungen des demographischen Wandels auf Nachkriegssiedlungen im Kontext gesamtstädtischer und regionaler Entwicklungen bewusst ma-chen.

Die Flexibilisierung des Wohnungsangebotes ist die notwendige Antwort auf die gesellschaftli-chen Veränderungen. Im Gegensatz zur funktionalistisch organisierten "Minimalwohnung", die in ihren Grundtypen in den 20-er Jahren entstand und die Wohnungsproduktion seit den 30er Jahren und dann wieder in der Nachkriegszeit beherrschte, werden anpassungsfähige, interprä-tierbare Wohnungen der Pluralisierung der Haushaltstypen gerecht.

Anwendungsorientierte Forschung muss die Ziele der Revitalisierung von Nachkriegssiedlungen und die Methoden der Ertüchtigung der Wohnungsbestände für den Zukunftsmarkt ergründen. Sie muss auch Kriterien für Abbruch und Neubau von Gebäuden liefern.

Die starke Prägung der Nachkriegssiedlungen durch den Funktionalismus, die fast ausschließli-che Orientierung des Wohnungsgemenges an der ideal typisausschließli-chen Kernfamilie - Eltern und 2-3 Kinder - widerspricht diesen Erfordernissen einer pluralen Gesellschaft mit ihren weit aufdiffe-renzierten Wohnwünschen. Die Wohnungen sind in ihrer ursprünglichen Form nicht mehr marktgerecht. Daher besteht die Gefahr, dass die ursprünglich für breite Schichten der Bevölke-rung gebauten Siedlungen von den jungen, potenten Haushalten nicht mehr angenommen wer-den. Nur noch Randgruppen und Zuwanderer akzeptieren die nicht mehr zeitgemäßen Standards. Segregation, Wertverfall und Funktionsverlust der Infrastruktur sind Risiken dieser Entwicklung. Der demographische und gesellschaftliche Wandel seit den 50-er Jahren, die gravierenden tech-nologischen Fortschritte in der Energetik, der Umwelttechnik insgesamt sowie neue Ziele des

(12)

1 - 7

Biotop- und Artenschutzes in der Stadtlandschaft erfordern die Umsetzung der Ergebnisse von Grundlagenforschung in operale, verallgemeinerbare Maxime nachhaltiger Stadtentwicklung. Es müssen infrastrukturelle, baurechtliche und siedlungsökologische Randbedingungen erforscht werden, damit heutige und zukünftige Wohnstandards in den Nachkriegssiedlungen erreicht werden. Die Siedlungsflächen müssen nachhaltig gesichert werden. Andernfalls drohen sozialer Abstieg, Leerstand und Verfall der Infrastruktur. Das Flächenmanagement in Nachkriegssied-lungen ist deshalb vor allem eine Frage der Erhaltung von Siedlungsflächen und Infrastrukturen, nur sekundär eine Frage der Nachverdichtung, also der Erhöhung der Bruttogeschossfläche und Siedlungsdichte.

Das Forschungsprojekt BWW 24004 hat als Pilotstudie zur nachhaltigen Entwicklung von Nachkriegssiedlungen zum Ziel, die jetzt anstehende Revitalisierung vorzubereiten. Die Pilot-phase

(1) erarbeitet Methode, um unausgeschöpfte Flächenpotenziale zu ermitteln, zu bewerten und zu mobilisieren.

(2) klärt die Anwendung von Flächenökonomie und Flächenmanagement im Rahmen eines ganzheitlich angelegten Revitalisierungsprozesses.

(3) transponiert Methoden zur Optimierung des Nutzwertes auf die spezifischen Bedingungen der Nachkriegssiedlungen.

(4) klärt auf über verlässliches Baurecht und kommunale Steuerung der Anpassungsprozesse (5) ermittelt Randbedingungen für den Generationenwechsel als Schlüssel zur nachhaltigen

Sicherung der Nachkriegssiedlungen als Wohnstandorte für breite Schichten der Bevölke-rung.

(6) bereitet die wissenschaftliche Begleitung von Pilotmaßnahmen und Modellprojekten in der zweiten Stufe vor. Dort sollen auch wichtige Forschungsfragen aus den Fallstudien eine ver-tiefte Beantwortung erfahren.

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1 - 8

1.3 Stand der Forschung

Die umfänglichen Forschungsvorhaben im Lande Baden-Württemberg zum kommunalen Flä-chenmanagement und zur nachhaltigen Bewirtschaftung von Siedlungsflächen wurden dem Pro-jekt BWW 24004 zugrunde gelegt. In der Anwendung auf Nachkriegssiedlungen korrespondiert vor allem das Thema „Optimieren des Nutzwertes von Flächen“12 mit der hier bearbeiteten

The-matik. Auch das Modellvorhaben „Eindämmung des Landschaftsverbrauchs durch Aktivierung des innerörtlichen Potenzials“ hat die Gewinnung von Flächen für die Innenentwicklung zum Gegenstand.

Wichtige Forschungsvorhaben zu Flächenmanagement und Flächenökonomie in Baden-Württemberg sind:

1) Innenentwicklung PUR – Planen und Realisieren. F+E-Vorhaben des Wirtschaftsministe-riums Württemberg und des MinisteWirtschaftsministe-riums für Umwelt und Verkehr Baden-Württemberg, Stuttgart. Baldauf, Gerd 2003.

2) Win-Win-Lösungen im Flächenmanagement – kooperatives Flächenmanagement zwischen Wirtschaft, Verwaltung und Bürgerschaft: Problemtypologien, Einigungspotenziale und Akteurskonstellationen in Baden-Württemberg. Langer, Kerstin e.a. 2003.

3) Nachhaltiges Bauflächenmanagement Stuttgart (NBS), Band 1, Förderkennzeichen: BWC 20022 – Die Arbeiten des Programms Lebensgrundlage Umwelt und ihre Sicherung wer-den mit Mitteln des Landes Bawer-den-Württemberg gefördert, April 2003. Beck, Torsten e.a. 2003.

4) Flächenverbrauch in Baden-Württemberg – gestern, heute und morgen. Statistisch-prognostischer Bericht, vorgelegt vom Statistischen Landesamt Baden-Württemberg, Stuttgart. Landesregierung Baden-Württemberg 2002. Landesregierung Ba-Wü 2002.

5) Ökologische Stadt- und Gemeindeentwicklung – Modellvorhaben des Landes BadenWürt-temberg, Stuttgart. Wirtschaftsministerium, Ministerium für Umwelt und Verkehr und Mi-nisterium Ländlicher Raum Baden-Württemberg 2001.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat ein Modellvorhaben mit acht Fallbeispielen zum Thema 50-er Jahre Siedlungen in Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Schließlich haben sich d50-er Städtetag und der Bund deutscher Architekten mit dieser Epoche deutschen Wohnungsbaus auseinander-gesetzt.13

12

Vgl. Landesanstalt für Umweltschutz: Kommunales Flächenmanagement – Arbeitshilfe, Bodenschutz 8, Karlsru-he, 2003 und Bodenschutz 13 – Strategie und Umsetzung.

13

Vgl. www.melap.de; Arbeitsgruppe KOOPERATION BDA – DST – GdW: Bund Deutscher Architekten, Deut-scher Städtetag, Bundesverband deutDeut-scher Wohnungsunternehmen e.V.: Zukunftsfähige Modernisierung von Wohn-siedlungen der 50-er Jahre als Gemeinschaftsaufgabe von Wohnungswirtschaft und öffentlicher Hand – Aktuelle Herausforderungen und Handlungsempfehlungen, Arbeitspapier der AG KOOPERATION, Berlin und Köln, 10.06.2004; Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen: Perspekti-ven und Erneuerungsstrategien – 50er-Jahre-Siedlungen in Nordrhein-Westfalen, Kerber Verlag, Bielefeld, 2003

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1 - 9

Das Problem des richtigen, „nachhaltigen“ Umgangs mit den Nachkriegssiedlungen ist keines-falls ein Problem, das sich nur in Deutschland, beziehungsweise Baden-Württemberg stellt. Europaweit existieren Untersuchungen und Vorschläge zur sinnvollen Lösung der Probleme des Alterns der Bewohner und des technischen und funktionalen Standards dieses Wohnungsbestan-des.

Am Projekt „Sureuro“14 beispielsweise, welches 1999 in Schweden seinen Anfang nahm,

betei-ligen sich Wohnungsgesellschaften und Stadtforschungsinstitutionen aus mindestens sieben Länder der EU, aus Deutschland die LUWOGE, das Wohnungsunternehmen der BASF, Lud-wigshafen. Es sollen systematische, übertragbare Vorgehensweisen für die nachhaltige Sanie-rung und den Umbau von Siedlungen der Nachkriegszeit entwickelt werden. Auch in den Nie-derlanden, deren Sozialwohnungsbau nach dem zweiten Weltkrieg nochmals auflebte, ist das Thema des Umgangs mit dem Bestand an Nachkriegssiedlungen sehr aktuell.15. Eine Vielzahl

der Siedlungen in den Niederlanden werden bereits abgerissen oder rückgebaut.

Ein großer Teil der Forschungen des Bundes bezieht sich auf ostdeutsche Stadtstrukturen. Natür-lich existieren zu den Themen Schrumpfung, Überalterung und Leerstand in Verbindung mit der Nachkriegsarchitektur zahlreiche Untersuchungen im Osten Deutschlands. Durch das Bund-Länder-Programm „Stadtumbau Ost“ sind die Folgen von Leerstand und verschiedene Möglich-keiten des Rückbaus bekannt. Das Programm „Stadtumbau West“ behandelt erstmalig auch schrumpfende Stadtstrukturen im Westen Deutschlands. Vor allem strukturschwache Regionen (wie das Saarland) oder Regionen mit einem starken Rückgang an Industrie (Ruhrgebiet) sind dort vertreten, Baden-Württemberg mit der Stadt Albstadt.16 Die Probleme der

Nachkriegssied-lungen in Baden-Württemberg haben verglichen mit SiedNachkriegssied-lungen der Nachkriegszeit in einem ostdeutschen Bundesland oder auch in anderen Regionen wie dem Ruhrgebiet oder der Region Salzgitter/Braunschweig jedoch andere Gewichtungen.

14

Vgl.: www.sureuro.com, Zugriff am 09. November 2004.

15

Von Februar bis Mai 2004 war im Niederländischen Architektur Institut (NAI) eine Ausstellung über den gang mit Nachkriegssiedlungen zu sehen. Vgl auch: Tellinga, Jacqueline: „De grote Verbouwing“ (Der große Um-bau) Beschreibung von 160 Nachkriegssiedlungsprojekten, NAI Uitegevers, Rotterdam, 2004.

16

Vgl.: zum Bund-Länder-Programm Stadtumbau Ost:

www.bbr.bund.de; Vgl. auch: Kil, Wolfgang: Kleinkrieg um die Mieter – In Halle-Neustadt werden die Ungemüt-lichkeiten des Stadtumbau Ost sichtbar, 2003, sowie auch: Hill, André; Wiest, Karin: Segregation und Gentrification in der schrumpfenden Stadt – Ein Längsschnittbetrachtung in Leipziger Altbauvierteln, 2003, aus: Arbeitsmateria-lien zum Wettbewerb shrinking cities für die Region Halle-Leipzig, www.shrinkingcities.de.

zum Stadtumbau West:

www.stadtumbauwest.de: „Im Rahmen des Forschungsprogramms Experimenteller Wohnungs- und Städtebau (ExWoSt) hat der Bund das Forschungsfeld "Stadtumbau West" eingerichtet. In Pilotprojekten soll geklärt werden, wie den rückläufigen Entwicklungen in nicht mehr durch Wachstum geprägten Stadtregionen, Städten und Stadttei-len entgegen gewirkt werden kann.“, Zugriff: 17.11.2004.

(15)

1 - 10

Das Problem des kollektiven Alterns der Bewohner und der damit notwendigen Bildung „alters-gerechter“ oder „barrierearmer“ Wohnungen wurde erforscht von Susanne Edinger und Helmut Lerch und mit dem Titel „Barrierearme Wohnkonzepte für Geschosswohnbauten der 50-er Jah-re“, Verlagsanstalt Alexander Koch, 2003. Edinger/Lerch beschäftigen sich vor allem mit den bautechnischen Aspekten der Geschosswohnungsbauten der 50-er Jahre. Energieverbessernde und technische Maßnahmen am Wohnungsbestand können ebenfalls als weitgehend erforscht betrachtet werden. Allerdings fehlen Untersuchungen über Nahwärmekonzepte wie die Unter-nutzung der Geothermie oder Biomasse.

Der demographische Wandel und die in diesem Rahmen notwendig werdende Umsetzung der Bewohner in „barrierearme Wohnungen“ wurde von der Schader Stiftung am Beispiel des Stadt-teils Nordweststadt Frankfurt gründlich untersucht. Des Weiteren existieren eine Vielzahl an Publikationen sowie auch reale Wohnprojekte zum Thema „Wohnen im Alter“.17

Derzeit sind viele Wohnungsgesellschaften mit unterschiedlichen Ansätzen damit beschäftigt, ihren Nachkriegsbestand attraktiver zu gestalten.

So sind vom Abriss des Bestandes über eine energetische Sanierung und/oder Wohnungszusam-menlegungen bis hin zur Nachverdichtung (meist durch Aufstockung der Gebäude) viele Mög-lichkeiten vertreten. Die Wohnungen nur geringfügig zu modernisieren und auf ihrem niedrigen Wohnungsstandard zu belassen, ist eine weitere Möglichkeit, den diversen Anforderungen des Marktes gerecht zu werden. Günstige Wohnungen in unteren Marktsegmenten sind in vielen Städten sehr gefragt und unersetzbar. So besitzt beispielsweise die Volkswohnung Karlsruhe noch zirka 2.000 Wohnungen ohne Zentralheizung, die sie auf Grund der hohen Nachfrage nicht vom Markt nehmen kann.

Auf drohenden Leerstand im Geschosswohnungsbau wird sehr häufig mit Nachverdichtung durch Aufstockung oder/und einem Anbau eines Treppenhauses und einer neuen Einheit mit Wohnungen reagiert18.

17

Vgl.: Publikationen des empirica-Institutes u.a. von Krings-Heckemaier, Marie-Therese, www.empirica.de; vgl. BauWohnberatung Karlsruhe (BWK); Schader-Stiftung Darmstadt (Hg.), Andritzky, Michael; Hauer, Thomas: Neu-es Wohnen fürs Alter – Was geht und wie Neu-es geht, Anabas Verlag, Frankfurt am Main, 2004; vgl.: Etzold, Sabine: Wir von der Demenz-WG, in: Die Zeit, 46/2004 oder Kruse, Katrin: Zum Henker mit der Einsamkeit, in: FAZ, 27/2004.

18

Vgl.: Die Volkswohnung Karlsruhe reagiert in ihrem Bestand an Geschosswohnungsbauten „Edelbergstraße“ mit anteiligem Abriss und Neubebauung durch Reihenhäuser und neuen Geschosswohnungsbau, aber auch durch Mo-dernisierungs- und Sanierungsmaßnahmen. Im Bestand „Nordstadt“ wurde „nachverdichtet“ durch Aufstockung, Anbau eines Treppenhauses und weitere Wohneinheiten sowie der Neuordnung des ruhenden Verkehrs durch Tief-garagen. Vgl. auch andere Wohnungsbaugesellschaften wie die LUWOGE, Ludwigshafen oder die SWSG Stuttgart, die in ihrer Siedlung Bockelstraße in Stuttgart-Heumaden auch durch Modernisierung, Aufstockung sowie Neubau-ten und eine Neuordnung des ruhenden Verkehrs durch Tiefgaragen auf drohenden Verfall reagierte.

(16)

1 - 11

Das Thema „Denkmalschutz und Qualität der Gestaltung“ bildet ein Konfliktpotenzial, in wel-chem Klärungsbedarf besteht. Denn die Nachkriegssiedlungen bilden typische architektonische, städtebauliche wie auch soziale Zeugnisse aus der Zeit der Wiederaufbauphase nach dem zwei-ten Weltkrieg. Eine Diskussion um die Frage des Denkmalschutzes erscheint deshalb unumgäng-lich. Bei einer Umstrukturierung des Bestandes für den heutigen Wohnungsstandard ist es jedoch beinahe unmöglich, tiefgreifende Veränderungen der Gebäudehülle oder der Wohnungszuschnit-te zu verhindern. Der Umgang mit diesem Thema ist nicht abschließend geklärt und bedarf einer weitergehenden Vertiefung19.

Weitgehend unerforscht ist der sinnvolle Umgang mit den zahlreichen Einfamilienhausgebieten, die nach dem zweiten Weltkrieg erbaut wurden. In diesen zeichnet sich ebenfalls – verglichen mit dem Geschosswohnungsbau zur Miete vielleicht sogar stärker – das Problem der kollektiven Überalterung der Bewohnerschaft ab. Dies mag darin begründet liegen, dass es sich bei Einfami-lienhäusern meist um Einzelbesitz handelt und die Fluktuation der Bewohner dort geringer ist. Hier stellt sich die Frage, welche Handlungsspielräume sich für die Stadtverwaltungen ergeben, die durch die Eigentumsverhältnisse nur einen bedingten Zugriff auf die meist für heutige Stan-dards zu kleinen Grundstücke und zu kleinen Häuser haben. Die Verwaltungen befürchten vor allem in diesen Fällen Leerstände und die räumliche Segregation sozialer Randgruppen.

Das Altern der Bewohner bringt nicht nur die Schließung von Kindergärten, Schulen und Spiel-plätzen mit sich sondern auch eine Verminderung der Kaufkraft und die Schließung von Läden zur Grundversorgung. Es stellt sich grundsätzlich die Frage, welches Konzept zur Revitalisie-rung für diese Gebiete zu erstellen ist.

Weitere Forschungs- und Pilotprojekte drehen sich vor allem um den Umgang mit dem Stigma, das diesen Siedlungen anzuhaften scheint: Das niederländische Projekt Wimby! (Welcome into my Backyard!) in der Satellitenstadt Hoogvliet, südlich von Rotterdam, soll den Bewohnern ein Zugehörigkeitsgefühl, und das Gefühl, selbst mitentscheiden zu können, vermitteln. Das Projekt wird deshalb durch partizipative Veranstaltungen mitgestaltet. Auch der von der Wohnungsge-sellschaft LUWOGE, Ludwigshafen ausgeschriebene Wettbewerb „Neues Erscheinungsbild Pfingstweide – Lebendige Stadt im Grünen“, in der Vorschläge, die „das Image und die Attrakti-vität der Pfingstweide aus der Außensicht nachhaltig verbessern“20 gesucht waren, zeugt von der

Anstrengung, die Nachkriegssiedlung von einem schlechten Image befreien zu müssen.

Das Forschungsprojekt „Zeilen-Umbruch“ an der Technischen Universität Berlin untersucht vor allem sozial-ökonomische Aspekte der Geschosswohnungsbauten der 50-er Jahre. Fallbeispiele sind Siedlungen im Umfeld Berlins.21

Mit welchem Erfolg und in welchem Umfang partizipative

19

Vgl. die Fallbeispiele Marbach am Neckar, Hörnle und Aalen, Triumphstadt; sowie auch die Publikation des Mi-nisteriums für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen: Perspektiven und Erneue-rungsstrategien – 50er-Jahre-Siedlungen in Nordrhein-Westfalen, 2003, S. 21.

20

Vgl.: www.luwoge.de Pfingstweide ...

21

(17)

1 - 12

Maßnahmen in Baden-Württemberg zur Stärkung der Bewohnerstruktur in Nachkriegssiedlun-gen durchgeführt werden, ist wenig erforscht.

Das Thema Flächenmanagement wurde von der Stadt Stuttgart mit dem Forschungsvorhaben NBS und von der Studie Innenentwicklung PUR im Auftrag des Ministeriums für Umwelt und Verkehr Baden-Württemberg und des Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg behandelt22.

Hierbei geht es um die Ermittlung und systematische Kartierung innerörtlich brachliegender Grundstücke, leerstehender Gebäude und Freiflächen sowie um die Benennung der für die Akti-vierung der Flächen erforderlichen städtebaulichen und rechtlichen Instrumentarien. Lösungsan-sätze wurden verwirklicht. Für die Aktivierung freier innerörtlicher Flächen wurde mit dem Pro-jekt MELAP ein weiterer Ansatz entwickelt23.

Die Wiederholung der Bautypen und der Probleme innerhalb der Nachkriegssiedlungen lässt ei-ne Übertragbarkeit der Lösungsansätze auf andere Siedlungen zu. Die Frage nach eiei-ner übertrag-baren, sinnvollen Erfassung und Bewertung freigefallener Flächen in den Nachkriegssiedlungen steht unweigerlich in enger Verbindung mit sozialen wie auch ökonomischen Aspekten. Flä-chenpotenziale können zwar ausfindig gemacht werden; der Zugriff auf diese Flächen, die Frage nach einer sinnvollen Beteiligung der Bewohner und ihrer Mitwirkungsbereitschaft ist aufwen-dig und konfliktreich. Das Problem, die Bewohner vom Nutzen einer baulichen Maßnahme zu überzeugen oder eine soziale wie ethnische Durchmischung der Bewohnerschaft durchzusetzen, sind schwierige Aspekte innerhalb des Themas „Flächenmanagement“. Ihre Lösung ist Voraus-setzung für eine nachhaltige Entwicklung der Siedlung. Der beinahe wichtigste Aspekt, die fi-nanzielle Situation der jeweiligen Wohnungsgesellschaft oder die ökonomischen Mittel der Be-sitzer, ihrer Erben und der Käufer ist bei der Entwicklung von Flächen zu berücksichtigen. Die Pilotstudie BWW 24004 grenzt sich durch ihren Ansatz von anderen Forschungen zum Flä-chengewinn ab. Die Beschreibung der Situation der Nachkriegssiedlungen in elf Fallstudien in Verbindung mit Prognosen zur Wohnungsmarktentwicklung und einer dezidierten Befragung von Entscheidungsträgern sollen ein möglichst vollständiges Bild der Situation der Nachkriegs-siedlungen in Baden-Württemberg ergeben. Vor allem soll das Zusammenwirken der verschie-denen Belange der Akteure und das Ineinandergreifen der Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. So sollen möglichst praxisnahe und umsetzbare Handlungsempfehlungen ausgesprochen werden. Forschungsergebnisse zu Fördermöglichkeiten, bedarfsgerechtem Wohnen im Alter o-der auch technische und energetische Sanierungen von Nachkriegsbauten etc. fließen unterstüt-zend ein.

22

Vgl.: Landeshauptstadt Stuttgart, Stadtplanungsamt in Verbindung mit dem Ministerium für Umwelt und Verkehr B-W (Hg.): Nachhaltiges Bauflächenmanagement Stuttgart (NBS) Schlussbericht, Ein Projekt im Rahmen des For-schungsprogramms BWPLUS des Landes Baden-Württemberg (BW 20022), April 2003; und Innenentwicklung PUR, Innen- vor Außenentwicklung Scholl. ...

23

(18)

2 - 1

2. Methodischer Ansatz des Forschungsprojekts

2.1 Interdisziplinäre Aufteilung der Arbeitsgebiete

Das komplexe Thema der Revitalisierung von Nachkriegssiedlungen erfordert ein breites Spekt-rum der verschiedener Kompetenzen. Die beschränkten Mittel der Pilotstudie ließen nur die Be-setzung der dafür erforderlichen Kernkompetenzen zu.

Die Kenntnis baulicher, städtebaulicher und stadtplanerischer Interdependenzen in Nachkriegs-siedlungen, die ökologische Dimension nachhaltiger Entwicklung wird von der Forschungsgrup-pe Stadt + Umwelt repräsentiert. Sie koordiniert die angeschlossenen Disziplinen. LMR a.D. Hansjörg Rist hat darin die Expertenrolle im Bau- und Planungsrecht übernommen.

Eng damit verbunden ist die Befragung der Akteure aus Stadtverwaltung und Wohnungswirt-schaft durch die Psychologen Prof. Dr. Glaser und Frau Dr. Glaser. Dem Fragenkatalog lag die Hypothese zugrunde, dass die Dringlichkeit von Revitalisierungsmaßnahmen von beiden Rollen unterschätzt wird (s. Kapitel 3).

Schließlich ist die demographische Entwicklung der Städte ein entscheidender Faktor bei der Abschätzung von Wohnungsangeboten und der Nachfrage aus der schwindenden Zahl junger Haushalte. Das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung ist für diesen Teil des Projek-tes verantwortlich. Frau Dipl.-Math. Iwanow und Herr Dipl.-Ing. Eichhorn haben langjährige Er-fahrungen mit kleinräumigen Prognosen – auch in Baden-Württemberg (s. Kapitel 4).

2.2 Projektaufbau und Handlungsfelder des kommunalen

Flächenma-nagements

Der Aufbau der Pilotstudie (Abb. 1) sieht eine zentrale Schrittfolge der Grundlagenentwicklung und zwei flankierende Felder des Erfahrungsgewinns aus der Praxis vor. Diese Felder werden in den Fallstudien durch eine demographische Komponente sowie durch Interviews mit Schlüssel-personen aus der Bauverwaltung und der Wohnungswirtschaft ergänzt. Das Vorgehen wird durch die Abfolge „Ermitteln“, „Bewerten“ und „Aktivieren“ definiert.

(19)

Literaturauswertung

Ermitteln und Bewerten der Potenziale

Aktivierung der Potenziale

Allg. Strategie zur Nachhaltigen Entwicklung

und Sicherung von NKS durch kommunales Flächenmanagement Allgemeine Empfehlungen zur nachhaltigen Sicherung von NKS durch komm. Flächenmanagement Fallstudien in 11 Nachkriegssiedlungen Demographische Szenarios

2015

Raum-Zeit-Ebene Akteursebene

Befragung der Schlüsselpersonen in

Stadtverwaltungen und Wohnungsunternehmen Ca. 30 Städte bez . Nachkriegssiedlungen Ende Pilotphase Kommunikation PM 1 PM 2 PM 3 PM 4

Schwerpunkte der Aktivierung, erprobt in Pilotmaßnahmen

M 1 M 2

M 3 M 4

Modellvorhaben zur Erprobung des kommunalen Flächenmanagements Erprobungsphase Expertenworkshop Empfehlung zur Durchführung von Pilotmaßnahmen und Modellvorhaben

Abb. 2.1. Aufbau der Pilotstudie BWW 24004. Der Expertenworkshop wurde ersetzt durch Einzelgespräche.

Einteilung in drei Gebäudetypen und drei Handlungsebenen

Die wichtigsten Aufgaben des Flächenmanagements in Nachkriegssiedlungen umfassen die schwierige Ertüchtigung des Einzeleigentums für den Zukunftsmarkt und die Abwägung, ob im Geschossbau Abbruch und Neubau erforderlich ist. Sie umfassen auch die Erweiterung des Mo-dernisierungsprogramms im Geschossbau für Ältere und das breite Spektrum junger Haushalte, das aus dem Wandel der Sozialisationsformen und der Individualisierung der Lebensentwürfe resultiert. Diese Zukunftsaufgaben werden in der Pilotstudie problematisiert. Sie formuliert Schwerpunkte des Forschungsbedarfs und die Struktur zukünftiger Feldforschung.

Die Gebäudetypen in Nachkriegssiedlungen wiederholen sich häufig. Durch Gesetze, Verord-nungen und Rationalisierung wurde die Variationsbreite in engen Grenzen gehalten. Klassenbil-dungen sind zweckmäßig. Die Gebäudebestände beschränken sich auf drei Grundtypen:

freiste-hende Einfamilienhäuser, Reihenhäuser - beide meist in Besitz von privaten

Einzeleigentü-mern – und Geschosswohnungsbau, meist in Besitz von Wohnungsgesellschaften oder Genos-senschaften. Die Fallstudien können somit nach Handlungsfeldern und Akteuren differenziert

(20)

und generalisiert werden, denn die Struktur und Effektivität des kommunalen Flächenmanage-ments wird von den Eigentumsformen entscheidend bestimmt. Daher wird im Folgenden eine Hierarchie von Handlungsebenen vorgeschlagen.

Abb. 2.2. Freistehendes Einfamilienhaus, Reihenhaus und Geschosswohnungsbau

Kleinstes Handlungsfeld ist die Parzelle und ihr Eigentümer – die Mikroebene. Zweites Hand-lungsfeld – die Mesoebene – erfordert das koordinierte Handeln mehrerer Akteure auf mehreren Parzellen oder einer ganzen Bauzone. Die nach Bauzonen und Infrastruktur gegliederte Siedlung als Ganzes, das dritte Handlungsfeld, wird als Makroebene bezeichnet.

Abb. 2.3. Scoping der Handlungsfelder

Auf der Mikroebene werden der Ist-Zustand der baulichen Nutzung und die Grundstücksgröße als Basiswerte ermittelt. Die potenziell zusätzlich ergänzbare Bruttogeschossfläche wird im

(21)

genden als Potenzialfläche bezeichnet. Diese Potenzialfläche wird mit Hilfe der Grundstücks-fläche und der BruttogeschossGrundstücks-fläche aus der im B-Plan festgesetzten GFZ ermittelt. Diese sind unter den satzungsrechtlichen Bedingungen des geltenden Bebauungsplans baurechtlich sicher. Allerdings müssen auch Festsetzungen der Baugrenzen und der Gebäudehöhe bei der Ermittlung der Potenzialfläche Berücksichtigung finden.

Abweichungen machen Befreiungen von den Festsetzungen des B-Plans notwendig. Dafür nennt der § 31 BauGB ausdrücklich vorgesehene Befreiungstatbestände. Da die Rechtslage breit inter-pretiert wird, bleibt vor Bewilligung von Ausnahmen oder Befreiungen für den Antragsteller ein Restrisiko. Um sicheres Baurecht zu schaffen, ist die Änderung des Planungsrechts auf der Basis von Testentwürfen der empfehlenswerte Weg. (> ??? KAPITEL 6.3 Rechtssicherheit)

Die planungsrechtlichen Festsetzungen reichen häufig nicht aus, um die marktgerechte Wohnflä-chenerweiterung (Wohnfläche = 0,75 x Bruttogeschossfläche) zu erreichen. Das Planungsrecht behindert die Anpassung an Markterfordernisse insbesondere im Einzeleigentum.

Abb. 2.4. Potenzialflächen

Das tatsächliche Flächenpotenzial muss nach Erfahrungswerten ermittelt werden. Dabei sind städtebauliche, architektonische und nachbarschaftsrechtliche Kriterien sowie auch wohnungs- und immobilienwirtschaftliche Erfordernisse nicht zuletzt demographische Veränderungen in den Abwägungsprozess einzubeziehen.

(22)

2 - 5 Ziel der Abwägung ist der optimale Nutzwert1

einer Parzelle. Für die Stadtverwaltungen erge-ben sich dabei drei Aufgaerge-ben:

• Die Dokumentation der Potenzialflächen nach Parzellen (Bauzonen).

• Bewertung und Festlegung des optimalen Nutzwertes der Fläche durch Testentwürfe bzw. typenbezogene Untersuchungen städtebaulich verträglicher Erweiterungen.

• Abwägung, ob Befreiung nach § 31 BauGB oder Änderung des B-Plans.

• Erarbeitung einer Strategie des Flächengewinns, die ökonomische, soziale und ökologische Erfordernisse bei der Bemessung des Flächenpotenzials berücksichtigt.

Diese Aufgaben eines kommunalen Flächenmanagements2 an gebauten und bewohnten

Quar-tieren kann Teil eines gesamtstädtischen Flächenmanagements sein. Gleichzeitig ist es ein wich-tiges Instrument des Quartiermanagements in Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf (vgl. das Programm Soziale Stadt).

Abb. 2.5. Flächenpotenzial - Ergebnis der Optimierung des Nutzwerts

1

vgl. LFU 2003, Bodenschutz 8 und 13, kommunales Flächenmanagement

2

(23)

2 - 6

Die Ziele einer nachhaltigen Sicherung und Entwicklung umfassen Konzeptionen und Maßnah-men auf drei unterschiedlichen Handlungsfeldern:

Auf den Parzellen privater Eigentümer sollen die erforderlichen Wohnflächen zur Anpassung der Raum- und Wohnungsgrößen mobilisiert werden. Nachhaltige Sicherung und Entwicklung erfordern auch Investitionen in die Gebäudehülle, in die Haustechnik, in die Qualität der Freiflä-chen, in die architektonische Qualität.

Die verfügbaren Mittel zur Realisierung individueller Ziele und Raumprogramme sind nur in weiten Grenzen generalisierbar. Der Zeitpunkt des Generationenwechsels ist nicht planbar. Er ist jedoch der Zeitpunkt grundlegender Anpassungsleistungen für zukunftssichere Standards des Wohnflächenbedarfs, der Haustechnik und des Umweltschutzes. Kommunales Flächenmanage-ment hat die Aufgabe, die Rahmenbedingungen für privates Handeln zu schaffen. Das sind ins-besondere:

• Die Beseitigung planungs- und bauordnungsrechtlicher Hemmnisse für grundstücksbezogene Intensivierung der baulichen Nutzung einschließlich der Möglichkeit, Wohnen und Arbeiten auf der Parzelle zu verbinden,

• beratend und fördernd den Generationenwechsel zu begleiten,

• Wege der Ertüchtigung aufzuzeigen, um die energetischen und andere ökologische und öko-nomische Eigenschaften bei der Modernisierung des Anwesens in vollem Umfang zu verbes-sern.

Daneben muss kommunales Flächenmanagement in Nachkriegssiedlungen auf der

Quartiers-ebene die Qualität des Wohnumfeldes, des ruhenden Verkehrs, insbesondere aber die

notwendi-gen Strukturveränderunnotwendi-gen durch Bodenordnung, gegebenenfalls durch Abbrüche und Neubau-ten unterstützen. Soweit erforderlich, ist das Instrumentarium des besonderen Städtebaurechts (BauGB, 2. Kapitel, § 136 - § 191) einzusetzen, um Quartiere neu zu ordnen und den zukünfti-gen Erfordernissen anzupassen. In Abstimmung mit den betroffenen Eizukünfti-gentümern sind zu orga-nisieren:

• Wohnumfeldmaßnahmen und andere Maßnahmen einfacher Stadterneuerung

• Neuordnung von nicht mehr marktfähigen Wohnquartieren durch parzellenübergreifende Eingriffe in die Bausubstanz bis hin zur vollständigen Neubebauung von Quartieren

• Veränderung der mono-funktionalen Nutzungsstruktur zu effizienten Formen der Funkti-onsmischung, Schaffung von flexiblen Frauenarbeitsplätzen, um den Generationenwechsel durch günstige Lebensbedingungen für Eltern mit Kindern zu fördern.

Die beiden Handlungsebenen kommunalen Flächenmanagements müssen durch stadtteilbezoge-ne Maßnahmen für eistadtteilbezoge-ne funktionsfähige, soziale Infrastruktur eistadtteilbezoge-ne leistungsfähige Grundver-sorgung mit Waren und Diensten flankiert werden. Zu den stadtteilbezogenen

(24)

Randbedingun-2 - 7

gen gehören auch gemeindliche und ehrenamtliche Formen der verlässlichen Betreuung von

Äl-teren und Kindern. Sie sind Voraussetzung für das erfolgreiche Zusammenleben der Generatio-nen und die kontinuierliche Zuwanderung, um Leerstände und soziale Brennpunkte zu vermei-den. Ziel der Forschung ist auf diesem Handlungsfeld die Definition von Randbedingungen zu klären, die bestehen müssen, um auf den beiden anderen Handlungsfeldern Parzelle und Quartier die Generationenfolge und die Aktivierung der Flächenpotenziale zu ermöglichen.

2.3 Kommunales Flächenmanagement und Flächenökonomie

Nach der Definition der LfU3 ist kommunales Flächenmanagement die Strategie einer

Kom-mune, mit Flächen und Boden effizient und wirtschaftlich umzugehen. Von den sieben Unterzie-len ist für Nachkriegssiedlungen die Optimierung des Nutzwerts4 der Immobilienbestände

be-sonders wichtig.

Ziel der Flächenökologie ist es, ein gesellschaftlich akzeptiertes und ökologisch verträgliches Maß der baulichen Nutzung zu erreichen. Dabei darf die ökonomische Komponente die nachhal-tige Siedlungsentwicklung nicht dominieren. Zu dichte Quartiere weisen soziale und ökologische Defizite auf. Flächenökonomie verfolgt das komplexe Ziel, Wohnstandorte für „breite Schichten der Bevölkerung“ funktionsfähig zu halten. Denn nur dann sind soziale Konflikte, Leerstände und Verfall der Infrastruktur auf Dauer abzuwenden.

Die Optimierung des Nutzwerts bezieht sich auf einzelne Gebäude und Parzellen oder Gebäude-gruppen. Ihr Ergebnis kann im Sinne einer Angebotsplanung nach §34 BauGB umgesetzt werden oder als Festsetzung eines B-Plans Teilbereiche planungsrechtlich determinieren.

Flächenökonomie wird hier als Abwägungsgebot der Nachhaltigkeit baulicher Nutzung im

Stadtteilmaßstab verstanden. Wirtschaftliche Ziele der Akteure sind auf ihre Sozial- und Um-weltverträglichkeit zu überprüfen.

Die kritische Haltung und Proteste zu Nachverdichtungen in den hoch verdichteten Großsiedlun-gen der 60er und 70er Jahre sind ein Indiz für Grenzen der gesellschaftlichen Akzeptanz bauli-cher Dichte. Im Nachbarschaftsrecht werden vor allem Kriterien der Besonnung, des Sozialab-standes und der Einschränkung des Gebrauchswerts zur Abwägung herangezogen. Zu ökologi-schen Grenzen der Verdichtung liegen bisher verschiedene Methoden der Bemessung von Ein-griffstiefe und dafür erforderlichem Ausgleich vor (§ 1a – Bodenschutz, Naturschutzrechtliche Eingriffsregelung, FFH Richtlinie, § 2 (4) Umweltprüfung), die sinngemäß anzuwenden sind.

3

LfU, Bodenschutz 13, Kommunales Flächenmanagement, S. 7ff.

4

(25)

2 - 8

Das Prinzip der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ war die Reaktion auf die ökonomisch determinierten Verdichtungen der Gründerzeit. Die 20-er Jahre entdecken die Besonnung der Aufenthaltsräume und intensiv genutzter Freiflächen als Kriterien zur Beschränkung der Dichte. Der Zeilenbau löste die klassische Blockrandbebauung ab. Die Abstände zwischen den Häusern werden größer und geben jeder Wohnung den Blick auf das grüne Umfeld frei. Der geschlossene Stadtraum löst sich auf in eine Stadtlandschaft – vergleichbar der Verselbständigung der Bauteile in den offenen Grundrissen avantgardistischer Häuser der 20-er und 30-er Jahre. Die Korridor-straße der alten europäischen Stadt gilt als Sanierungsfall. Solitärbauten im Landschaftspark bestimmen das Leitbild der gegliederten und aufgelockerten Stadt. Das undifferenzierte Grün geht über in die Kulutrlandschaft. In diesem Modell bedeutet Flächenökonomie Stapelung in so-litären Hochhäusern – eine Konsequenz, die in der untersuchten Epoche nur vereinzelt und an ihrem Ende gezogen wird.

Die Beliebtheit der Gründerzeitquartiere nach ihrer „Entkernung“ und Modernisierung in den 70er Jahren verweist auf das breite Spektrum gesellschaftlicher Akzeptanz städtebaulicher Dich-te. Flächenökonomie als Abwägungsprinzip nachhaltiger Innenentwicklung folgt den relevanten Bewertungsregeln des Nachhaltigkeitsgebotes in der Stadtentwicklung. Flächenökonomie wertet darin die in der Bauleitplanung verwendeten Parameter städtebaulicher Dichte wie Maß der bau-lichen Nutzung, Geschosszahl und maximale Gebäudehöhe, Breite und Tiefe des Baufeldes, im Hinblick auf Kriterien wie Sozialabstand, Besonnung und Belichtung, Versiegelungsgrad, Effi-zienz des Energieeinsatzes, die Dichte begrenzen.

Nachkriegssiedlungen sind – im Gegensatz zu vielen Wohnanlagen, die dem Leitbild der

„Ur-banität durch Dichte“ folgten – von ihren Bewohnern akzeptiert. Die moderate

Nachverdich-tungen zur je individuellen Erweiterung auf den eigengenutzten Grundstücken stößt nicht auf grundsätzliche Ablehnung. Sie erfordert allerdings Rücksichtnahme auf unmittelbar betroffene Nachbarn. Dies wird insbesondere in verdichteten, ebenerdigen Wohnformen wie dem Reihen-haus, dem Hofhaus etc. zum Problem.

Flächenökonomie bereitet die Feinabstimmung, wie sie der Begriff „Optimieren des Nutzwertes“ in der LFU-Literatur definiert, großräumig vor. Daher werden in BWW 24004 die beiden ver-wandten Begriffe in ihrer räumlichen Anwendung abgegrenzt. Flächenökonomie als siedlungs-weit anzuwendendes Prinzip der Nachhaltigkeit wägt die dichtebestimmenden Parameter der Bauleitplanung in Quartieren oder Bauzonen ab. Es dient der Sicherung sozialer und ökologi-scher Belange im Maßstab der Bauleitplanung. Die Optimierung des Nutzwertes als Angebots-planung eröffnet dem Grundstücksbesitzer Möglichkeiten der Nachverdichtung unter Einhaltung der Abwägungsergebnisse der flächenökonomischen Bewertung des städtebaulichen Kontextes.

(26)

2 - 9

Praktische Anwendung finden beide Begriffe bei der Aufstellung oder Änderung des Bebau-ungsplans, bei Wertung von Bauanträgen nach § 34 BauGB und – in einer notwendigen Neuori-entierung der Befreiungspraxis5.

Aus den großräumigen Belangen der Flächenökonomie und den typologisch und situativ durch Testentwürfe erarbeiteten Ergebnis der Nutzwertoptimierung ergeben sich Flächenpotenziale. Die aktuellen Anforderungen des Wohnungsmarktes sind dabei zu berücksichtigen. Am Beispiel des Reihenhauses mit seinen engen, nachbarrechtlichen Bedingungen wird diese zweistufige Form der Abwägung relevant für die Prozesse der Nachverdichtung durch Ertüchtigung der ein-zelnen Häuser in der Zeile.

Die intensivere Erforschung der Ertüchtigungsprozesse sind eine vorrangige Aufgabe. Es gilt, einen in der Praxis der Fallstudien als besonders schwierig erkannten Problemkom-plex weiter aufzudifferenzieren.

In veränderter Problemstellung betrifft das zweistufige Abwägungsverfahren auch die Frage von Abbruch und Neubau von Etagenwohnungen. Hier ist Aufgabe der Flächenökonomie, abzuwä-gen, ob eine Erhöhung der Dichte ökologisch verträglich und marktkonform wäre oder ob der Wechsel der Wohnform sowohl gesellschaftlich als auch ökonomisch geboten sei („Instandset-zung, Wohnwertverbesserung und Maßnahmen der Energieeinsparung führen in der Summe zu Baukosten, ... die sich ... durchgehend im Bereich vergleichbarer Neubaukosten bewegen“). Denn es bringt weder ökonomischen noch sozialen Nutzen, eine vom Gebietstyp und der Lage her unangemessene Wohnform durch überhöhte Modernisierungskosten zu erhalten oder am fal-schen Standort unter falscher Einschätzung des Nutzwertes wieder aufzubauen. Zweckmäßiger ist es, neue weniger dichte ebenerdige Wohnformen wie das „Stadthaus“ an Stelle der Geschoss-bauzeilen in geringerer Dichte herzustellen

Innerhalb der Begriffe zum kommunalen Flächenmanagement in Baden-Württemberg wird das „Optimieren des Nutzwerts“ als eine Strategie des „inneren Wachstums“ bezeichnet, die es zu optimieren gilt. ‚Damit soll eine allgemeine Aufwertung der bestehenden Siedlungsgebiete ver-folgen. Diese Definition6 enthält eine qualitative Komponente. In dem angeführten Beispiel7

enthalten Bebauungspläne im Sinne einer Angebotsplanung im Innenbereich freibleibende Mög-lichkeiten, die von den Besitzern der zumeist eigengenutzten Immobilien nach ihren qualitativen Zielen und wirtschaftlichen Möglichkeiten genutzt werden oder auch ungenutzt bleiben.

• Bei den Gebäudetypen „freistehendes Einfamilienhaus“ und „Reihenhaus“ überwiegen Nachverdichtungen durch Anbau und Aufstockung. Die Erhöhung der Bruttogeschossfläche

5

50er Jahre-Siedlungen in NRW – Perspektiven und Erneubauungsstrategien (Ministerium für Städtebau und Woh-nen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen: Kerber Verlag, Bielefeld, 2003).

6

LFU 2003 identisch mit Seite 2-4 – obige Seite 13.

7

(27)

2 - 10

auf dem Grundstück „optimiert den „Nutzwert“ bzw. das Maß der baulichen Nutzung um ca. 10 - 40%: Dieses positive Ergebnis verbessert, in Verbindung mit anderen Maßnahmen, vor allem die Wohnqualität. Quantitative und qualitative Vorteile gehen Hand in Hand.

• Im Geschossbau - zumal in höherer Verdichtung - mit Mängeln im Wohnungsgemenge, den Wohnungsgrößen sowie konstruktiven Mängeln kann auch bei negativer Flächenbilanz eine deutliche Qualitätsverbesserung erreicht werden. Optimieren des Nutzwerts ist mit einem ge-ringeren Maß baulicher Nutzung erkauft, das wird durch einen Wechsel oder eine Mischung der Gebäudetypen im Quartier erreicht.

• Bei hohen Stellplatzdefiziten müssen Bauflächen manchmal ganz aufgegeben werden, um Platz für PKW-Stellplätze oder Garagen zu schaffen. Der Verzicht auf eine bauliche Nutzung führt zu verträglichen Verhältnissen im Wohnumfeld. Auch hier wird eine Qualitätsverbesse-rung zu Lasten des Maßes der baulichen Nutzung erreicht.

Diese Beispiele zeigen, dass die Optimierung des Nutzwerts nicht ausschließlich auf die Auswei-tung der Bruttogeschossflächen bzw. die Erhöhung des Maßes der baulichen Nutzung ausgerich-tet sein kann. In einer auf mittlere Sicht schrumpfenden Gesellschaft ist die qualitative Verbesse-rung von Wohngebieten zentrales Ziel der Anpassungs- und Erhaltungsinvestitionen. Flä-chen“gewinne“ werden in NKS auf zwei Wegen erzielt:

• Erweiterung der Bruttogeschossflächen auf den Grundstücken durch Aufstockung oder Anbauten sowie durch konsensfähige Überbauung von erschlossene Freiflächen für junge Haushalte mit zusätzlichem Flächenbedarf.

• Nachhaltige Sicherung der Funktionsfähigkeit gefährdeter Gebäudebestände und sozia-ler Milieus, um Leerstände im Altbestand bei gleichzeitiger Flächeninanspruchnahme für den Wohnungsneubau zu vermeiden.

Der erste Weg erschließt beträchtliche Potenziale auf zumeist selbst genutzten Einfamilienhaus-parzellen, insbesondere in den Reihenhausbeständen. Das „Gebrauchthaus“ muss als kostengüns-tige Variante des „Neubaus im Grünen“ im öffentlichen Bewußtsein verankert werden. Dazu wä-re es notwendig, für die Generalmodernisierung eines Reihenhauses verbindliche Angebote zu den Kosten, Terminen und zu den Qualitätsstandards vorzulegen. Bauteams aus Planenden und Handwerkern haben hier ein lohnendes Tätigkeitsfeld.

Der zweite Weg erfordert Augenmaß in der Belegungspolitik der Mietwohnungsbestände. Mode-rate Modernisierungsinvestitionen in Etagenwohnungen halten die Mieten auch für untere Ein-kommen bezahlbar. Ältere Mieter benötigen zur selbständigen Lebensführung in der eigenen Wohnung Hilfe und Betreuung. Um sie als Mieter zu behalten, bieten Wohnungsgesellschaften ihre Dienste an. Schließlich signalisiert der steigende Anteil von ausländischen Mietern die Ge-fahr von Segregation und Imageverlust für einzelne Quartiere. Ihnen muss mit Integrationshilfen begegnet werden, um die Bestände mit preisgünstigen Mieten nachhaltig zu sichern.

(28)

3 Schriftliche Befragung von Akteuren aus

Verwal-tung und Wohnungswirtschaft

3.1 Allgemeines

Um die geeigneten Siedlungen für Fallstudien zu finden, aber auch um einen genaue-ren Einblick in die Sicht der Akteure und Experten zum Thema „Nachkriegssiedlung“ zu er-halten, wurden in zirka 20 Städten ausführliche Interviews mit den Geschäftsführern von Wohnungsbaugesellschaften und den Verantwortlichen in den Planungsbehörden geführt. Dabei ergab sich ein breitgefächertes Meinungsbild der Experten. So reichten die Vorstellun-gen zur zukünftiVorstellun-gen Rentabilität dieser SiedlunVorstellun-gen von ausgesprochenem Pessimismus (Leer-stand oder Abriss) bis zu einem ausgeprägten Optimismus, sie durch entsprechende Moderni-sierungsmaßnahmen zukunftsfähig erhalten zu können. Das gleiche galt für Probleme der Überalterung, des Images dieser Siedlungen, ihrer Infrastruktur und der Möglichkeit, Flä-cheneinsparpotenziale zu realisieren.

Aufbauend auf diesen Gesprächen wurde ein Fragebogen konstruiert, um zusätzlich zu den qualitativen Ergebnissen der Interviews exakte, quantitative Daten erheben zu können. Es wurden zwei Versionen des Bogens erstellt, die sich an zwei verschiedene Personengruppen wandten: Zum einen an die Verantwortlichen in den Planungsbehörden Baden-Württembergs, zum anderen an die Geschäftsführer von Wohnungsbaugesellschaften, von denen uns bekannt war, dass sie in den für die Fallstudien ausgewählten Nachkriegssiedlungen Geschossbauten besitzen. Die Fragen bezogen sich in diesem Fall nur auf den Geschosswohnungsbau, da wir davon ausgingen, dass nur wenige Wohnungsbaugesellschaften im Besitz von Reihen- oder Ein- und Zweifamilienhäusern sein dürften.

Im Fragebogen für die Wohnungsbaugesellschaften wurden folgende Themen behan-delt:

• Modernisierungsmaßnahmen in den letzten 10 Jahren, • Fluktuation, Nachfrage, Miethöhe, Image der Siedlung, • Soziodemographische Charakteristika der Mieter, • Soziale und städtebauliche Probleme,

• Städtische und staatliche Fördermaßnahmen, • Zukunftschancen der Nachkriegssiedlungen, • Einschätzung des Flächeneinsparpotenzials,

• Bereits realisierte oder geplante Maßnahmen zur Ausweitung von Wohnflächen durch Neubau, Umbau, Abriss/Neubau.

Die Befragung erlaubt es, die Erkenntnisse, die die Forschungsgruppe Stadt + Umwelt auf der Mikroebene bei der Untersuchung der ausgewählten Nachkriegssiedlungen in den Fallstudien gewonnen hat, in jedem Einzelfall zur Sichtweise der Eigentümer „vor Ort“ in Beziehung zu setzen. Neben dieser Detailanalyse können die Daten aller Wohnungsbaugesell-schaften, die an der Befragung teilgenommen haben, zu einer Gesamtauswertung zusammen-gezogen werden und ergeben dann einen allgemeinen Überblick über die Einschätzung der Situation der Nachkriegssiedlungen aus der Sicht der Wohnungsbaugesellschaften.

(29)

Die zweite Version des Fragebogens richtete sich an die Planungsbehörden der 114 einwohnerstärksten Gemeinden Baden-Württembergs, um quantifizierbare Informationen zu deren Meinung zum Thema Nachkriegssiedlung und Flächenmanagement zu erhalten. Der Fragebogen hierzu stellte im Wesentlichen eine Parallelversion dessen für die Wohnungsbau-gesellschaften dar, um in möglichst vielen Fragen beide Gruppen direkt vergleichen zu kön-nen, er wurde aber zusätzlich ergänzt um wichtige Fragen zur Handhabung des geltenden Bau- und Planungsrechts, zu Bebauungsplänen, Flächenmanagement und Flächeneinsparpo-tenzialen in Nachkriegssiedlungen.

Vorteil dieses zweistufigen Verfahrens ist es dabei, dass eine detailreiche, präzise, lo-kale Analyse einzelner Siedlungen ergänzt wird durch eine allgemeine Sicht auf das komple-xe Thema „Nachkriegssiedlungen“. Im Unterschied zu den Wohnungsbaugesellschaften wur-den die Befragten in wur-den Planungsbehörwur-den nicht um ihre Meinung zu einer bestimmten Nachkriegssiedlung gebeten, sondern um eine generelle Einschätzung aller Nachkriegssied-lungen ihrer Kommune, was neben Geschossbauten auch Reihenhäuser und Ein- und Zwei-familienhäuser einschloss.

3.2 Vorgehen

Am 10. April 2005 wurden 114 Planungsbehörden Baden-Württembergs angeschrie-ben und gebeten, an der Befragung teilzunehmen. Darunter befanden sich auch die Städte, die an den 11 Fallstudien mitgewirkt hatten. Um den Fragebogen möglichst direkt an die zustän-dige Stelle zu senden, wurden die genauen Adressen – sei es Stadtbauamt, Stadtplanungsamt, Amt für Stadtentwicklung, Baudezernat usw. - von der Forschungsgruppe Stadt + Umwelt durch Anruf bei den jeweiligen Stadtverwaltungen ermittelt. Als Abgabetermin wurde der 28. April 2005 vorgegeben.

Desgleichen wurden am 11. April 39 Bögen an Wohnungsbaugesellschaften ver-schickt. Darunter waren sowohl diejenigen, die in den Siedlungen der 11 Fallstudien Ge-schossbauten besitzen, als auch solche, von denen die Forschungsgruppe Stadt + Umwelt in Erfahrung bringen konnte, dass sie in anderen Nachkriegssiedlungen Baden-Württembergs Eigentümer von Geschosswohnungsbauten sind. Auch in diesen Fällen wurden den Gesell-schaften im Anschreiben eine konkrete Siedlung vorgegeben, die sie zu beurteilen hatten. Als Abgabetermin wurde der 29. April 2005 vorgegeben.

3.3 Rücklauf

Da der Abgabetermin 28. April von vielen Behörden nicht eingehalten wurde - in vie-len Fälvie-len wurde der Fragebogen wohl auch der Zuständigkeit wegen an andere Stelvie-len wei-tergeleitet – traf der letzte Fragebogen erst am 4. Juni bei der Universität Tübingen ein. Dafür wurden aber 57 ausgefüllte Fragebögen zurückgesandt, was einem Rücklauf von 50 % ent-spricht. Dies ist für eine schriftliche Befragung, bei der normalerweise nur ungefähr 10 % zu erwarten sind, ein sehr erfreuliches Ergebnis. Das gleiche gilt für die Wohnungsbaugesell-schaften: 19 Bögen wurden zurückgesandt, was wiederum ungefähr 50 % Rücklauf entspricht (genau sind es 48,7 %).

Eine Gesamtzahl von 57 Bögen ergibt für die statistische Auswertung eine recht gute Datenbasis, während bei den 19 Bögen der Wohnungsbaugesellschaften bei der Interpretation der Prozentzahlen Vorsicht geboten ist. Eine Antwort mehr oder weniger bedeutet bereits eine Differenz von 5,3 %. Es sollten daher nur größere Zahlen und Zahlenunterschiede interpretiert werden.

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3.4 Auswertung

Die Ergebnisse der Befragung werden hauptsächlich in graphischer Form dargestellt. Die Abbildungen folgen dabei im Wesentlichen der thematischen Gliederung der beiden Fra-gebögen. Um das Verständnis der Abbildungen, die nicht immer völlig selbsterklärend sind, zu erleichtern, werden sie jeweils in zusammenfassender Form erläutert und interpretiert. Re-sultate, die eindeutig und ohne weiteren Kommentar aus den Abbildungen entnommen wer-den können, werwer-den nicht in jedem Fall diskutiert. In wer-den Darstellungen sind zum Teil statisti-sche Kenngrößen aufgeführt. Hierbei bedeutet:

• M = Mittelwert bzw. Durchschnittswert der Zahlen in der Abbildung.

• s = Standardabweichung (definiert als die Wurzel aus der durchschnittlichen quad-rierten Abweichung aller Zahlen vom Mittelwert), ein Maß für die Breite der Ver-teilung.

• N = Zahl der Teilnehmer, Antworten u. ä., auf der die Abbildung beruht bzw. auf Grund deren die Kenngrößen berechnet wurden.

Unter den 19 Wohnungsbaugesellschaften befanden sich zwei, die in zwei von uns vorgegebenen Nachkriegssiedlungen Geschossbauten besaßen und daher zwei Bögen – einen für jede Siedlung – ausfüllten. Dies erschien uns unproblematisch, solange sich die Antworten auf konkrete Siedlungen bezogen, die ja durchaus unterschiedlich bewertet werden können. Anders sieht dies bei allgemeinen Fragen aus, wie z. B. bei der Frage danach, wie sich nach Meinung der Befragten der zukünftige Flächenverbrauch in den Innenstädten und in Neubau-gebieten entwickeln dürfte. Hier handelt es sich um allgemeine Einstellungen, die in beiden Bögen vermutlich zu den gleichen Antworten führen dürften (was bei einer Durchsicht der Daten auch tatsächlich der Fall war, während sich die Antworten zu konkreten Siedlungen zum Teil erheblich unterschieden). Wir haben daher die Antworten dieser beiden Gesellschaf-ten bei den allgemeinen Fragen nur einmal gezählt. Damit ergibt sich für N (Zahl der Teil-nehmer, Zahl der Antworten) in einigen Darstellungen (z. B. Abb. 3.38) die Zahl 17 und nicht wie sonst üblich, wenn alle Teilnehmer ausgewertet werden, die Zahl 19.

3.5 Ergebnisse

Im Folgenden soll der Schwerpunkt der Auswertung auf die Ergebnisse der Planungs-behörden gelegt werden, da eine Stichprobe von 57 Teilnehmern eine belastbarere Datenbasis darstellt als eine Stichprobe von nur 19 Teilnehmern wie im Falle der Wohnungsbaugesell-schaften. Da beiden Gruppen in den meisten Fällen die gleichen Fragen gestellt wurden, wer-den aber bei allen Themen, wo dies möglich ist, direkt im Anschluss an die Resultate der Pla-nungsbehörden die Ergebnisse der Wohnungsbaugesellschaften referiert bzw. die Daten bei-der Gruppen in einer Abbildung dargestellt, um die allgemeine Sichtweise bei-der Behörden zu den konkreten Erfahrungen der Wohnungsbaugesellschaften in Beziehung zu setzen. Zu erin-nern ist dabei nochmals daran, dass sich die Angaben der Planungsbehörden auf die Nach-kriegssiedlungen ihrer Gemeinden im Allgemeinen, die der Wohnungsbaugesellschaften je-weils auf Geschossbauten in einer konkreten Nachkriegssiedlung beziehen, die von der For-schungsgruppe Stadt + Umwelt im Anschreiben vorgegeben worden war.

Da die der Befragung vorangegangenen Interviews gezeigt hatten, dass es eine recht hohe Streubreite in den Nachkriegssiedlungen hinsichtlich städtebaulicher und sozialer As-pekte gibt, wurde bei den meisten Fragen, die den Behörden gestellt wurden, zusätzlich die Antwortkategorie Variiert sehr stark vorgegeben, die sie dann verwenden sollten, wenn sich ihrer Meinung nach die Nachkriegssiedlungen ihrer Gemeinde so stark voneinander unter-schieden, dass ein Durchschnittsurteil nicht sinnvoll erschien.

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