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Archiv "Gesetzliche Krankenversicherung: Kunsttherapie als Kassenschlager" (14.07.1997)

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Academic year: 2022

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aß der „solidarische Wettbe- werb“ der Krankenkassen als gesundheitspolitische Mißge- burt aus dem Jahre 1992 den Widerspruch in sich trägt und daher nicht funktionieren kann, wird auch auf Kassenseite kaum mehr ernst- haft bestritten. Wie hervorragend da- gegen der „unsolidarische Wettbe- werb“ funktioniert, das beweist eine immer größere Anzahl von Einzelkas- sen. Die jüngste Stilblüte stellt die IKK Hamburg vor: Kunsttherapie als Kas- senschlager.

Die gesetzlichen Krankenkassen sind in Deutschland Monopolanbie- ter für alle Bürgerinnen und

Bürger, deren Jahreseinkom- men unter der Versicherungs- pflichtgrenze liegt. Wegen dieser Monopolstellung ist Wettbewerb unter den einzel- nen Trägern des Monopols rechtlich nur sehr begrenzt möglich. Da Wettbewerb dem Bestreben der einzelnen

Kassen entgegenkommt, ihr eigenes wirtschaftliches Gedeihen allen ande- ren Zielen voranzustellen, ist er natür- licherweise darauf gerichtet, gute Risi- ken anzuziehen und schlechte Risiken, das heißt arme und kranke Menschen, auszugrenzen.

Lockangebote an die Kassenärzte

Während dennoch der Großteil der Krankenkassen gegenwärtig ver- sucht, durch Einsparbemühungen im Rahmen der Krankenversorgung die Beitragssätze auch für den Großteil der gesunden Mitglieder noch attrak- tiv zu halten, gehen die Innungskran- kenkassen – insbesondere die IKK Hamburg – einen anderen Weg: Sie versuchen trotz ebenfalls knapper fi- nanzieller Ressourcen durch gezielte Leistungserweiterung einen Kunden- kreis anzusprechen, der wegen hoher Einkommen und vergleichsweise ge- ringer Gesundheitsprobleme zu den

„besten Risiken“ überhaupt gehört:

die Nachfrager nach alternativen Be- handlungsverfahren.

Die IKK Hamburg schreckt da- bei nicht vor der mißbräuchlichen und damit rechtswidrigen Anwendung der sogenannten „Erprobungsregelun-

gen“ des Sozialgesetzbuches zurück.

In einer stark marketingorientierten Werbekampagne soll sie als Kasse für zum Beispiel anthroposophische Me- dizin, Kunsttherapie und Heileuryth- mie bekanntgemacht werden. Doch damit nicht genug: frei nach dem Mot- to „Wer will noch mal, wer hat noch nicht?“ heißt es im Werbeprospekt der IKK Hamburg: „Sollten Sie ,Ihre‘

Behandlung oder Therapie hier nicht wiederfinden, sprechen Sie unser Be- treuungsteam an.“ So können auch

Wünschelrutenfetischisten und Voo- doo-Anhänger noch hoffen, endlich die richtige Kasse gefunden zu haben.

Damit auch die Ärzte mitspielen, werden Vergütungssätze angeboten, die dem normalen Kassenarzt die Trä- nen in die Augen treiben. So firmiert unter der Rubrik „Akupunktur“ eine

„naturheilkundliche Erstanamnese“

zum Preis von 150 DM. Dafür muß der „normale“ Kassenarzt beim „nor- malen“ IKK-Patienten mindestens sieben Ganzkörperuntersuchungen erbringen.

Das Vorgehen der IKK Hamburg steht im krassen Widerspruch zum der- zeitigen Bemühen aller verantwortlich Handelnden, angesichts der existenti- ellen Krise der sozialen Sicherungssy- steme den Menschen in unserem Lan- de die Begrenztheit der verfügbaren Mittel zu verdeutlichen. Die IKK schwimmt hier bewußt gegen den Strom gesamtgesellschaftlicher Ver- nunft. Wie wenig es ihr mit dem Mo- dellversuch um Versorgungsqualität geht, zeigt das Verhalten ihres Bundes- verbandes: Der steht nämlich bereits seit Monaten in Verhandlungen mit der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung (KBV) über den Abschluß eines

Rahmenvertrages zur Erprobung von alternativen Behandlungsverfahren.

Da die KBV dabei stets die Notwen- digkeit der begleitenden Qualitätssi- cherung und der wissenschaftlichen Evaluation betont hat, wurden die Ge- spräche vom IKK-Bundesverband schließlich „ausgesetzt“, um die „Mo- dellversuche“ einzelner Innungskran- kenkassen nicht durch unabweisbare Qualitätsnormen zu belasten.

Geradezu verblüffend ist in die- sem Kontext die Naivität einiger ärzt- licher Verbände für alternative Heil- verfahren, die entsprechende Verträ- ge eingehen. Die Verbände haben of- fensichtlich nicht realisiert, daß sie lediglich austausch- bare Figuren im Marketing- konzept einer Einzelkasse sind. Es mag durchaus sein, daß die ärztlichen Körper- schaften der steigenden Nachfrage nach alternativen ärztlichen Heilmethoden bis- lang zu wenig Aufmerksam- keit geschenkt haben. Dieser Mangel kann jedoch nur durch geschlossenes und abgestimmtes Handeln der ärztli- chen Verbände und Körperschaften behoben werden.

Wer jetzt einen rechtswidrigen Vertragsabschluß seines Verbandes mit der IKK Hamburg als „Erfolg“

mißversteht, sollte wissen: Dieselben Innungskrankenkassen werden zu entschiedenen Gegnern einer lei- stungsgerechten ärztlichen Vergü- tung, wenn es etwa darum geht, die homöopathische Behandlung im EBM, also außerhalb der Sphäre ei- nes unsinnigen Kassenwettbewerbs, adäquat zu bewerten.

Die alternativmedizinischen Ex- kursionen der IKK Hamburg sind so- mit ein weiterer Beleg für den gefähr- lichen Unsinn eines „solidarischen Wettbewerbs“ der Monopolträger der GKV. Dieser steht allen Bemühungen im Wege, auf eine Effizienzsteigerung der bestehenden Versorgungsstruktu- ren hinzuwirken und den Versicherten angesichts der Dynamik von Demo- graphie und medizinischem Fort- schritt die Begrenztheit der verfügba- ren Mittel zu verdeutlichen.

Dr. med. Lothar Krimmel KBV, Herbert-Lewin-Straße 3 50931 Köln

A-1912 (16) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 28–29, 14. Juli 1997

P O L I T I K KOMMENTAR

Gesetzliche Krankenversicherung

Kunsttherapie als

Kassenschlager

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