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Archiv "Ästhetisch-kosmetische Medizin: Schönheit hat ihren Preis" (01.07.2011)

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S

abine Gübler* ist eine Frau, nach der sich sicher viele Männer auf der Straße umdrehen:

groß, schlank, schulterlanges brau- nes Haar, strahlende Augen. Auch an ihrem Outfit passt alles zusam- men, inklusive der hochhackigen Lederstiefel. Niemand, der ihr be- gegnet, würde denken, an ihr sei etwas „nicht echt“. Doch die 40-Jährige hat nicht nur ein wenig nachgeholfen. Eigentlich ist sie

„rundum erneuert“.

Angefangen hatte es 2008 mit ei- ner Brustvergrößerung. Nachdem sie ihr drittes Kind abgestillt hatte, sei von ihrer ohnehin kleinen Brust nicht mehr viel übrig gewesen, be- richtet sie. Das wollte sie ändern.

2009 ließ sie sich dann die Nase operieren. „Der Nasenhöcker war eigentlich schon seit meiner Jugend ein Thema“, sagt Gübler. Wenig später folgte ein vergleichsweise kleiner Eingriff, das Unterspritzen

von Wangen und Stirn. Zuletzt, im Januar dieses Jahres, strafften ihr die Chirurgen noch Bauchdecke und Augenlider. Von dem Ergebnis ist sie absolut begeistert. „Es sieht nicht gemacht aus“, meint sie.

Nicht maskenhaft, sondern natür- lich. Sie habe ja auch nicht ganz an- ders aussehen wollen. Nach den Eingriffen habe sich ihr Lebens - gefühl verändert. Sie sei viel selbst- bewusster geworden. Was die Ope- rationen gekostet haben, kann sie nicht sagen. „Da müssen Sie mei- nen Mann fragen.“

Sabine Gübler ist Patientin der

„Mang Medical One Schönheitskli- nik“ in Düsseldorf. Ein entschei- dender Grund dafür, dass sie schon so oft hier war, ist Dr. med. Uwe Herrboldt, Facharzt für Chirurgie sowie Plastische und Ästhetische Chirurgie und Leiter der Einrich- tung. Sie vertraue ihm vollkommen, sagt Gübler. Tatsächlich ist die At- mosphäre familiär. „Das schätzen die

Patienten“, berichtet Herrboldt. Die Klinik liegt in einem Ärztehaus in der Innenstadt und hat fünf Betten.

Zwei Ärzte und vier Pflegekräfte küm - mern sich um die Patienten. Anäs- thesisten für die Operationen kom- men aus einer Praxis einige Stock- werke tiefer. Eine Vergrößerung der Brüste kostet hier circa 7 000 Euro.

Die Mang-Klinikkette steht exemplarisch für einen Bereich der Medizin, der immer stärker nach - gefragt wird. Die Schönheitschirur- gie boomt. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft der Plasti- schen, Rekonstruktiven und Ästhe- tischen Chirurgen (DGPRÄC) stand Deutschland im Jahr 2009 inter - national bei ästhetischen Eingriffen auf Platz acht: nach den USA, Bra- silien, China, Indien, Mexiko und Südkorea (1).

Genaue Zahlen zu ästhetischen Eingriffen gibt es nicht. Die Gesell- schaft für Ästhetische Chirurgie Deutschlands (GÄCD) schätzt die ÄSTHETISCH-KOSMETISCHE MEDIZIN

Schönheit hat ihren Preis

Die Schönheitschirurgie ist ein boomender Markt – und ein Grenzbereich.

Wenn Ärzte ohne medizinische Indikation operieren, treten sie nicht

mehr als „Heiler“ auf, sondern als „Wunscherfüller“. Das verändert das Arztbild.

Foto: Mauritius

*Name geändert

(2)

Zahl der allein durch ihre 450 Mit- glieder vorgenommenen Eingriffe für 2009 auf circa 400 000, inklu - sive Faltenbehandlungen, wie eine Sprecherin mitteilte. Auch lässt sich nur vermuten, wie viele Ärzte ästhe - tisch- kosmetisch tätig sind: Mehr als 2 000 waren es einem Gutachten zufolge, das das Bundesministeri- um für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) in Auftrag gegeben hatte (2). Die Zahl bezieht sich auf das Jahr 2006.

Nach Umfragen der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-plasti- sche Chirurgie (DGÄPC) aus den Jahren 2004 und 2010 werden etwa 80 Prozent der Schönheitsoperatio- nen in Deutschland an Frauen vor- genommen, die meisten sind unter 41 Jahren. Auf Platz eins stehen demnach Eingriffe an der Brust (Augmentation, Reduktion), ge- folgt von Liposuktion, Lidstraf- fung, Bauchdeckenstraffung und Nasenkorrekturen (3). Hinzu kom- men Faltenbehandlungen mit Botox - injektionen und Unterspritzungen mit „Fillern“ wie Hyaluron-, Poly- milchsäure oder Alginaten. Die Ten- denz bei diesen Behandlungen ist steigend, vor allem bei Männern.

Ungefähr ein Drittel der Nachfrager ist höchstens 30 Jahre alt (Grafik).

„Die ästhetische Chirurgie ist ein wachsender Markt“, bestätigt Herr- boldt. Mang Medical One ist heute eine Kette mit 18 Standorten in Deutschland, davon sind acht sta - tionäre Einrichtungen (97 Betten) und zehn ambulante Ästhetikcenter.

Mang Medical One hat 220 Mitar- beiter, darunter 25 Fachärzte. Im Jahr werden circa 10 500 Eingriffe vorge-

nommen, von Anti-Anging-Maßnah- men wie Botoxapplikationen bis zu chirurgischen Eingriffen wie Korrek- turen der Brust oder Fettabsaugun- gen. Der Namensgeber des Unter- nehmens, Prof. Dr. med. Werner Mang, arbeitet in der Bodenseekli- nik. Der Nettoumsatz des Unterneh- mens liegt bei 28 Millionen Euro.

Aus Sicht von Herrboldt hat das zunehmende Interesse an ästhetisch- kosmetischer Medizin vor allem so- ziokulturelle Ursachen. Die Bevöl- kerung werde immer älter, bleibe aber lange vital. „Viele Menschen sind nicht bereit, die altersbeding- ten Veränderungen an ihrem Körper

hinzunehmen.“ Allerdings beobach - tet er auch ein Interesse an Opera- tionen, die es früher kaum gegeben hat. Dazu zählten intimchirurgische Eingriffe, meist Verkleinerungen der Schamlippen. „Da gab es vor 20 Jahren überhaupt noch keine Nachfrage“, erklärt er. Heute führe er in seiner Einrichtung im Jahr etwa 15 Labienverkleinerungen durch.

Ein Grund dafür, dass die Anzahl dieser Eingriffe zunehme, liegt sei- ner Meinung nach unter anderem daran, dass sich heute viele Frauen

im Intimbereich rasieren. Erst da- durch empfänden die Betroffenen ihre kleinen Schamlippen als zu groß oder unförmig.

Herrboldts Erfahrung deckt sich mit der Einschätzung der Deut- schen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG). Die An- zahl kosmetischer Eingriffe am weiblichen Genitale nehme zu. Im BMELV-Gutachten wurde die Zahl der Schamlippenkorrekturen für 2005 auf circa 1 000 geschätzt, mit erheblicher Dunkelziffer. Die GÄCD gibt für 2009 die Zahl der intim - chirurgischen Eingriffe allein durch ihre Mitglieder mit 1 454 an.

Die DGGG sieht diese Entwick- lung mit Sorge. In einer Stellung- nahme zur Intimchirurgie heißt es:

„Risikoeinschätzungen und Kom - plikationsraten bei allen kosmeti- schen Operationen am weiblichen Genitale fehlen.“ Zwar seien Komplikationen bei erfahrenen Chirurgen offenbar nicht häufig, sie ließen sich aber nicht ausschließen und würden teilweise ungenügend dokumentiert.

Nicht nur für die Intimchirurgie, sondern für die gesamte ästhetische Chirurgie gilt: Es gibt keine aktuel- len, belastbaren Zahlen zur Häufig- keit der verschiedenen Komplika- tionen in Deutschland. „Leider ist es sehr schwierig, die Kolleginnen und Kollegen zu Meldungen von unerwünschten Folgen ästhetischer Eingriffe zu motivieren“, sagt Dr.

med. Matthias Gensior (Korschen- broich), Generalsekretär der GÄCD.

Während Botoxinjektionen seiner Ansicht nach sehr sicher seien, wür- den die Risiken von Unterspritzun- gen mit „Fillern“ möglicherweise unterschätzt. Seiner Kenntnis nach komme es bei 20 bis 30 Prozent die- GRAFIK

Altersstruktur bei Schönheitsoperationen in Deutschland

0–17 Jahre 18–30 Jahre 31–40 Jahre 41–50 Jahre 51–60 Jahre 61 und älter

0 5 10 15 20 25 30 35

0,9 %

31,6 % 25,5 %

21,8 % 11,0 %

9,2 %

Quelle: DGÄPC (Statistik für 2010; 854 befragte Patienten) – Grafik: Michael Peters, DÄ

Medizin ist heute ein Stück weit Geschäft – ob wir das nun wollen oder nicht.

Uwe Herrboldt (Düsseldorf), Klinik „Mang Medical One“

(3)

ser Behandlungen zu unerwünsch- ten Effekten wie stärkeren Lokal - reaktionen, Knötchenbildung und Ulzerationen.

Ein dramatischer Zwischenfall ereignete sich im Januar dieses Jah- res. Eine 23-jährige Frau aus Ham- burg starb an den Komplikationen der fünften Brustvergrößerung. Ihr Busen sollte mit Hilfe von Implan- taten auf ein Volumen von circa 800 Millilitern vergrößert werden – pro Seite. Solch extreme Brustaug- mentationen werden von den meis - ten plastisch-ästhetischen Chirur- gen abgelehnt. Nicht nur, weil sie zu einem unnatürlichen Erscheinungs- bild führen, sondern auch, weil sie die Haut und – wegen der anomalen Gewichtsverteilung – den Rücken belasten. „Völlig unverantwort- lich“, nennt Prof. Dr. med. Peter Vogt (Hannover), Präsident der DGPRÄC, das Verhalten der Ärzte.

Bei Frauen mit Kochsalz- oder Silikonimplantanten in der Brust haben Mediziner aus den USA kürzlich ein sehr geringes, aber sta- tistisch signifikant erhöhtes Risiko für eine seltene Form von Lymph- drüsenkrebs gefunden, das groß - zellige anaplastische T-Zell-Lym- phom (ALCL). „Man muss bei ent- sprechendem Therapiewunsch nun auf dieses Risiko hinweisen, auch wenn es minimal ist“, sagt Gensior.

Bei periprothetischen Late-onset- Serombildungen, unklaren Schwel- lungen oder Kapselfibrosen gelte es, entsprechend den Empfehlun- gen aus den USA an die Diagnose eines ALCL zu denken.

Warum setzen sich Menschen den potenziellen Risiken solcher Eingriffe immer häufiger aus? So - zialpsychologen hielten den Trend zur Körperveränderung mit chirur- gischen Mitteln für eine Folge der Individualisierung und des Anspruchs an immer höhere Flexibilität, erläu- tert die Medizinpsychologin Dr.

phil. habil. Dipl.-Psych. Ada Bor- kenhagen aus Berlin (4). „Die meis- ten Menschen, die ästhetische Me- dizin in Anspruch nehmen, möch- ten nicht ihre Identität ändern. Im Allgemeinen möchten sie ihren Körper dem Lebensentwurf anpas- sen, vergleichbar einem Kleid“, sagt Borkenhagen im Gespräch mit

dem Deutschen Ärzteblatt. „Tradi- tionelle Bindungen lösen sich auf.

Der Körper wird zum Investitions- gegenstand, den man im Rahmen der Berufskarriere und der Partnersu- che mehrfach im Leben anbietet.“

Borkenhagen sieht ästhetisch- medizinische Eingriffe vor allem

dann kritisch, wenn psychiatrische Erkrankungen als Ursache für den Wunsch übersehen werden. Publi- zierte Studien, aber auch eigene veröffentlichte Daten zur Lebens- qualität von Frauen nach Brustre- duktionsplastiken weisen nach Auf- fassung von Borkenhagen darauf hin, dass die meisten Klienten mit dem Ergebnis zufrieden seien (6, 7). Unzufrieden äußerten sich Pa- tienten vor allem dann, wenn es Komplikationen gebe. Allerdings könne der Trend zur ärztlich unter- stützten Verjüngung eine Alters - diskriminierung fördern und eine Aufspaltung der Gesellschaft in Menschen, die sich Jugendlichkeit und gutes Aussehen leisten können – oder eben nicht.

Aus Sorge über die Folgen über- zogener Schönheitsideale hat die Bundesärztekammer (BÄK) 2005 die „Koalition gegen den Schön- heitswahn“ initiiert. Gemeinsam

haben Vertreter aus Politik, Kirchen und medizinischen Fachgesell- schaften an die Medien appelliert, über ästhetisch-chirurgische Ein- griffe verantwortungsbewusster zu berichten und vor allem Kinder und Jugendliche nicht als Zielgruppe anzusprechen.

Den zunehmenden Trend zur Körperoptimierung durch die Medi- zin sieht Borkenhagen zwar in ers- ter Linie durch die Medien vermit- telt. Werbung vonseiten der Medi- zin könne aber auch dazu beitragen.

„Willkommen in der Zukunft:

Brustvergrößerung mit Stammzel- len, gewonnen aus eigenem Fett“, lautet zum Beispiel ein Slogan auf der Homepage der Kölner „T-Kli- nik am Rudolfplatz“ (5). Auf der Website des Unternehmens Mang Medical One findet man Formulie- rungen wie „der sanfte Weg zur Schönheit“ und „Schönheitschirur- gie ist Wohlfühlchirurgie“. Dass aber die Werbung das Wachstum in der Branche maßgeblich generiere, glaubt Klinikchef Herrboldt nicht.

Den Ausschlag gäben gesellschaft- liche Prozesse. Dass sein Unterneh- men Patienten offensiv Finanzie- rungsmodelle mit der Möglichkeit zur Ratenzahlung anbietet, findet er nicht verwerflich. Das ermögliche lediglich einer breiteren Bevölke- rungsschicht, die ästhetische Chir - urgie in Anspruch zu nehmen.

Bestimmte Formen der für je - dermann zugänglichen Werbung wie „Vorher-nachher“-Fotos ver- bietet das Heilmittelwerbegesetz (8). Grundsätzlich sei eine offensi- ve Werbung für ästhetisch-kosmeti- sche Medizin innerhalb der Fach - gesellschaften umstritten, sagt Gen- sior. Einige Klinikketten seien

„deutlich merkantiler“ ausgerichtet als Ärzte, die in niedergelassener Praxis tätig sind oder mit Kliniken der Regelversorgung zusammenar- beiteten.

Für Behandlungen, die nicht me- dizinisch indiziert sind, hat der So- zialphilosoph Prof. Dr. phil. Matthi- as Kettner den Begriff „wunsch - erfüllende Medizin“ geprägt. Diese reagiert auf die zunehmende Nach- frage von Patienten nach „Vitalopti- mierung“, wie es Kettner nennt (9).

Mit Lifestyle-Leistungsangeboten Korrekturen der

Nase sind häufige Eingriffe unter den Schönheitsopera - tionen.

Fotos: Lajos Jardai

(4)

entferne sich der Arzt von seinen Kernaufgaben: der Prävention und Therapie von Krankheiten, dem Mindern von krankheitsbedingten Leiden und der Fürsorge für Patien- ten, wenn Heilung nicht möglich sei.

In einer öffentlichen Anhörung zum Thema Schönheitsoperationen und Verbraucherschutz vor dem Gesundheitsausschuss des Deut- schen Bundestages im April 2008 wurden die Übergänge zwischen medizinisch notwendigen Behand-

lungen und ästhetischen Eingriffen allerdings als „fließend“ bezeichnet (10). Ästhetisch-chirurgische Ein- griffe können medizinisch indiziert und damit auch über die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) abzu- rechnen sein, zum Beispiel Korrek- turen der Ohren, wenn sie zur Stig- matisierung führen, oder eine Straf- fung der Oberlider bei massiven Gesichtsfeldbeeinträchtigungen. Es gibt in diesem Bereich individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL), zum Beispiel Brustreduktionen bei Ma- kromastie, abzurechnen nach der Amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Bestimmte Kliniken oder rein ästhetisch-medizinische Institute haben auch Pauschalhono- rare außerhalb der GOÄ.

„Die rein ästhetisch-kosmetische Chirurgie bewegt sich in einem Grenzbereich der Medizin“, sagt Vogt. „Meines Erachtens sind solche Eingriffe dann gerechtfertigt, wenn sie einen echten Zugewinn an Le- bensqualität erwarten lassen bei mi- nimalem Risiko. Da sich der Arzt ei- ne Erwerbsquelle erschließt, die über das GKV-System hinausgeht, besteht die Gefahr, den Nutzen zu überschätzen und mögliche Kompli- kationen unterzubewerten. Es gehört zur guten Versorgungsqualität, sehr gut über Risiken aufzuklären und dies zu dokumentieren.“

Am Begriff „Wunscherfüllungs- medizin“ stört sich Herrboldt. „Wir sind hier nicht im Kaufhaus, und das hier ist auch kein Wunschpro-

gramm“, sagt er. So lehne er Opera- tion ab, wenn er den Eindruck habe, dass die Erwartung des Patienten nicht erfüllt werden könne. Wichtig sei das intensive Gespräch vor dem Eingriff. Auch wenn seine Patienten Selbstzahler sind: „Kunden“ sind sie für Herrboldt nicht. Trotzdem steht für ihn fest: „Medizin ist heute – ob wir das nun wollen oder nicht – ein Stück weit Geschäft.“ Vor die- sem Hintergrund habe die ästheti- sche Chirurgie keine Sonderrolle.

Stichwort: IGeL im kassenärztli- chen Bereich. „Was wir hier ma- chen, ist nur deutlich erkennbarer Geschäft“, erklärt Herrboldt. Den- noch fühlt er sich eindeutig als Arzt.

Ärztlich-kosmetische Interven- tionen würden zunehmend sicherer, weniger invasiv und weckten damit auch neuen Bedarf, meint Borken- hagen. Kettner wird noch deutli- cher: Der Klient der wunscherfül- lenden Medizin entstehe aus dem

„Enhancement der Medizin selbst, aus der Erweiterung ihrer Zielbin- dung und ihres entgegenkommen-

den Angebots, zur Verwirklichung eines guten Lebens beizutragen, wie sich der Einzelne dies ausmalt“

(7). Denn irreversible Körpermodi- fizierungen durch medizinische In- tervention stellten Normen des Äs- thetischen und des Pathologischen infrage und seien damit ethisch be- deutsam.

Auch die Zentrale Ethikkommis- sion (ZEK) bei der BÄK „beobach- tet gravierende Veränderungen des ärztlichen Berufsbildes, die sich

durch ökonomische, technische und rechtliche Entwicklungen im Zu- sammenhang mit Werbung und neu- en Formen der technischen Kommu- nikation ergeben“, heißt es in einer Stellungnahme der ZEK vom Okto- ber letzten Jahres (11). Problema- tisch könne die „Erschließung neuer Märkte in der Medizin“ dann sein, wenn sie die unbegründete Hoff- nung wecke, der Patient könne seine Gesundheit und körperliche Leis- tungsfähigkeit ungeachtet wirkli- cher Gefährdungen nur durch meist selbst finanzierte, ärztliche Leistun- gen erhalten oder verbessern. Die ZEK verweist auf den im Vergleich zu anderen Berufen besonderen Ver- trauensvorschuss des Arztes und dessen besonderen professionellen Kompetenzvorsprung, was bei ärzt- licher Werbung im Vergleich zu ge- wöhnlicher Wirtschaftswerbung zu berücksichtigen sei.

Allein aufgrund der Zugehörig- keit zum Berufsstand „Arzt“ könne der Patient mit bestimmten Verhal- tensweisen rechnen, sagt der Medi- zinethiker Prof. Dr. Dr. phil. Urban Wiesing (12). Der Sinn eines ver- bindlichen Berufsethos liege gerade darin, dass es ein solches „antizipa- torisches Systemvertrauen“ ermög- liche. Umgekehrt sei aber das Ver- trauen in die Ärzteschaft nicht

zwingend schon deshalb gefährdet, weil der Krankheitsbezug fehle.

Schon lange nähmen Ärzte zum Beispiel Schwangerschaftsabbrüche oder Sterilisationen vor. Um das

„antizipatorische Systemvertrauen“

durch ästhetische Medizin nicht zu gefährden, müssten allerdings hohe Qualitätsanforderungen erfüllt sein, und bei Kindern und Jugendlichen sollten grundsätzlich ästhetische Korrekturen nur mit dem Ziel vor- genommen werden, Stigmatisierun-

„Schönheitschirurg“ ist kein geschützter Begriff. In der (Muster-)Weiterbildungsordnung gibt es den

„Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie“. Die Weiterbildung dauert insgesamt sechs Jahre.

Davon sind zwei Jahre Basisweiterbildung im Gebiet Chirurgie.

Neben der Facharztqualifikation existiert die Zusatzweiterbildung „Plastische Operationen“. Sie dau- ert zwei Jahre bei einem Weiterbildungsbefugten für Plastische Operationen. Erwerben können diese Bezeichnung Fachärzte für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde oder Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie.

Die Zusatzweiterbildung bezieht sich auf Eingriffe in der Kopf-Hals-Region. BH

DER „SCHÖNHEITSCHIRURG“

Ästhetisch-kosmetische Eingriffe sind nur dann gerechtfertigt, wenn sie einen echten Zugewinn an Lebensqualität erwarten lassen.

Peter Vogt, Medizinische Hochschule Hannover

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gen zu vermeiden, nicht aber, um mehr Aufmerksamkeit zu erzielen.

Bei der Anhörung vor dem Gesund- heitsausschuss 2008 sprach sich auch Dr. med. Cornelia Goesmann, damals Vizepräsidentin der BÄK, dafür aus, ästhetisch-chirurgische Eingriffe bei Minderjährigen nur mit medizinischer Indikation vor- zunehmen. „Reine Schönheitsope- rationen an Kindern und Jugendli- chen unter 18 Jahren, die nicht me- dizinisch indiziert sind . . . , sollte man verbieten“, sagte die als Sach- verständige geladene Ärztin. Das entspricht auch der aktuellen Hal- tung der BÄK.

Eine rechtliche Regelung dazu gibt es allerdings bis heute nicht, obwohl die Politik das Thema im- mer wieder mal aufgreift. So wurde zum Beispiel bei einer Klausurta- gung der Arbeitsgruppe Gesundheit der CDU/CSU-Fraktion im März 2010 „ein generelles Verbot von medizinisch nicht indizierten Schön- heitsoperationen an Minderjähri- gen“ vorgeschlagen.

Gegen ein generelles Verbot wehren sich die Fachgesellschaften.

Zum einen sei die Zahl der rein äs- thetischen Eingriffe an Minderjäh- rigen „ziemlich klein“, meinte Dr.

med. Joachim Graf von Fincken- stein von der DGÄPC vor dem Gesundheitsausschuss (10). Zum anderen könne der Leidensdruck

zum Beispiel bei fehlendem Brust- wachstum von weiblichen Minder- jährigen sehr hoch sein. Bei nicht abgeschlossenem Brustwachstum und noch nicht vollständig ausge- bildetem Körperbild sollte aller- dings das Einsetzen von Implanta- ten in die Brust verboten werden, forderte Prof. Dr. med. Marita Ei- senmann-Klein (Regensburg) von der DGPRÄC (10).

Darüber hinaus fordern Politik und Fachgesellschaften ganz gene-

rell einen besseren Verbraucher- schutz auf dem Gebiet der Schön- heitschirurgie. Die ästhetische Me- dizin sei für Patienten ein „kaum zu durchschauender Markt“, konsta- tiert die DGPRÄC mit Blick auf die Vielzahl der Leistungsanbieter und deren Qualifikation. Denn derzeit können Ärzte ohne Zusatzqualifi- kation schönheitschirurgische Ope- rationen vornehmen. Der Begriff

„Schönheitschirurg“ ist nicht ge- schützt. „Es muss gesichert sein, dass ein Arzt nur das macht, was er kann“, bekräftigt Vogt. „Die Appro- bation als Generalvollmacht für al- les – das ist nicht mehr zeitgemäß“, sagt Gensior (siehe Kästen).

Chirurg Herrboldt hält gerade ei- ne Klinikkette mit einem Filialsys- tem – wie bei Mang Medical One – für einen Garanten hoher Qualität.

„Sie setzten sich damit ja einer un- geheuren Gefahr aus: Wenn an ei- nem Standort etwas schiefgeht, fällt das auf das Gesamtunternehmen zurück“, betont er. Insofern gebe es innerhalb des Unternehmens klare Vorgaben und Standards für Proze- duren. Das Qualitätsmanagement- verfahren sei TÜV-zertifiziert. Qua-

litätssichernd wirke auch, dass die Einrichtungen im Anschluss an die Operation die Nachsorge übernähmen.

Da die ästhetische Chirurgie im

„Selbstzahler“-Bereich stattfindet, fehlen bestimmte sozialrechtliche Vorgaben bezüglich der Qualität.

Während in der GKV Ärzte und Krankenhäuser, die gewisse Anfor- derungen nicht erfüllen, ihre Leis- tungen nicht abrechnen können, entfällt dieser Kontrollmechanis- mus bei der Schönheitschirurgie.

Für Ärzte machen gerade die Frei- heiten der ästhetischen Chirurgie das Fachgebiet interessant. Für Herrboldt stand schon während des Studiums fest, dass er Chirurg werden wollte. In sein heutiges Arbeitsfeld kam er eher zufällig, merkte dann aber recht schnell, dass ihm das Fach lag und Spaß machte – auch unter operativ-handwerk lichen Aspekten.

„Die ästhetische Chirurgie hat den Vorteil, dass sie außerhalb des Kran- kenkassensystems stattfindet“, gibt er offen zu. Im rein privatärztlichen Be- reich habe man ganz andere Möglich- keiten, sich „als Arzt auszuleben“, etwa mehr Zeit, sich dem einzelnen Patienten angemessen zu widmen.

Und Sabine Gübler? Wird sie sich noch einmal operieren lassen? Sie ist unentschlossen. Derzeit sei sie sehr zufrieden mit sich und ihrem Kör- per, sagt Gübler. Aber vielleicht in ein paar Jahren. Wer weiß. ■

Dr. med. Birgit Hibbeler, Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze

@

Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit2611

Die Approbation als Generalvollmacht für alles – das ist nicht mehr zeitgemäß.

Matthias Gensior, ästhetisch-chirurgisch tätiger Arzt in Korschenbroich

Schönheitsoperationen darf nur vornehmen, wer dafür qualifiziert ist. Klingt einfach, wird aber in der Praxis unterschiedlich ausgelegt. Das zeigte sich kürzlich in einem Urteil des Bundesverfas- sungsgerichts (Az.: 1 BvR 2383/10). Die Richter gaben einem Facharzt für Mund-, Kiefer- und Ge- sichtschirurgie recht, der Verfassungsbeschwerde eingelegt hatte.

Der Kläger, approbierter Arzt und Zahnarzt, be- treibt eine Praxis, in der er Operationen im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich durchführt.

Daneben ist er jedoch Geschäftsführer einer Schönheitsklinik, wo er auch Eingriffe an der Brust sowie Bauch- und Oberarmstraffungen vor- nimmt. Das Hamburgische Berufsgericht für Heil- berufe erteilte ihm daraufhin einen Verweis und verhängte eine Geldbuße von 1 500 Euro. Er ha- be gegen das Berufsrecht verstoßen, weil er au-

ßerhalb seines Fachgebietes tätig war. Der Arzt ging in Berufung und zog bis vor das Bundesver- fassungsgericht. Das entschied: Die Verurteilung war nicht zulässig. Dabei verweisen die Richter auf das Grundrecht auf Berufsausübungsfreiheit.

Die Qualität ärztlicher Tätigkeit werde durch die Approbation sichergestellt. Der Anteil an fachge- bietsfremden Operationen liege unter fünf Prozent und bewege sich damit noch im geringfügigen Bereich.

Eine Klarstellung erhofft sich die Bundesärzte- kammer durch eine Änderung der (Muster-)Be- rufsordnung. Der Deutsche Ärztetag in Kiel be- schloss folgende Formulierung: „Eine gewissen- hafte Ausübung des Berufs erfordert insbesonde- re die notwendige fachliche Qualifikation und die Beachtung des anerkannten Standes der medizi-

nischen Erkenntnisse.“ BH

URTEIL DES BUNDESVERFASSUNGSGERICHTS

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