Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 42|
18. Oktober 2013 A 1933D
ie Krankenkassen malen einmal mehr den Teufel an die Wand. Genau wie nach der Bundestags- wahl 2009 warnen sie auch jetzt vor einer erheblichen Finanzierungslücke in der gesetzlichen Krankenversi- cherung (GKV). Damals war die Lobbyarbeit der Kas- sen sehr erfolgreich: Um vermeintlich drohende krisen- bedingt hohe Einnahmeausfälle auszugleichen, flutete die Bundesregierung das System mit Geld. So erhöhte Schwarz-Gelb zunächst den Bundeszuschuss in den Gesundheitsfonds und anschließend den Beitragssatz in der GKV. Im Ergebnis verfügen Gesundheitsfonds und Kassen heute über immense Finanzreserven: 11,1 Mil- liarden Euro beim Gesundheitsfonds und 16,6 Milliar- den Euro bei den Kassen (Stichtag: 31. Juli 2013).Diesmal verweisen die Kassen auf angeblich erhebliche Ausgabenrisiken in der GKV. Die Intention ist klar: Die sich gerade findende neue Bundesregierung soll früh- zeitig für die Belange der Kassen sensibilisiert werden.
Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen war sich diesmal nicht zu schade, den GKV-Schätzerkreis für seine Interessen zu instrumentalisieren. Dieses Ver- waltungsgremium – besetzt mit Experten aus dem Bun- desgesundheitsministerium (BMG), dem Bundesversi- cherungsamt (BVA) und dem GKV-Spitzenverband – bewertet zweimal jährlich die Entwicklung der Einnah- men und Ausgaben des laufenden Jahres in der GKV und prognostiziert die Entwicklung im Folgejahr. Basis dafür sind amtliche Statistiken. Für taktische Spielchen sollte hier also wenig Raum sein. Doch weit gefehlt.
Weil die Kassen sich quer stellten, kam der Schätzer- kreis bei seiner Sitzung am 10. Oktober zu keiner ein- vernehmlichen Prognose der GKV-Ausgaben für das Jahr 2014. Die Prognose, aus der sich unmittelbar die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds an die einzel- nen Kassen ableiten, kam vielmehr durch Mehrheitsbe- schluss zustande. So gehen das BMG und das BVA von einer Erhöhung der Zuweisungen im Jahr 2014 um 7,7 Milliarden auf insgesamt 199,6 Milliarden Euro aus.
Der GKV-Spitzenverband forderte (vergeblich) rund 9,2 Milliarden Euro mehr, also insgesamt 201,1 Milli- arden. Die Einnahmen des Gesundheitsfonds im Jahr
2014 wurden dagegen einvernehmlich geschätzt: auf 202,2 Milliarden Euro. Etwaige Überschüsse fließen der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds zu.
Der Schätzerkreis habe die zu erwartenden Einnah- men des Gesundheitsfonds und die zu erwartenden Ausgaben der Krankenkassen realistisch zu schätzen, betonte BVA-Präsident Dr. Maximilian Gaßner. Hierbei seien außerordentliche Effekte, wie zum Beispiel der Wegfall des Preismoratoriums und der erhöhten Phar- marabatte im Jahre 2014, zu berücksichtigen. Gaßner:
„Es ist jedoch nicht Aufgabe des Schätzerkreises, durch eine Überschätzung der Ausgaben Einfluss auf die poli- tische Festlegung zur Höhe des Bundeszuschusses zu nehmen, oder die außerordentliche Finanzlage einzel- ner Krankenkassen zu verbessern.“
Der GKV-Spitzenverband sieht sich auch deshalb genötigt, die künftige Ausgabenentwicklung zu drama- tisieren, weil längst nicht alle 134 Kassen über üppige Finanzpolster verfügen. So fürchtet manche wirtschaft- lich schwächere Kasse, bald einen Zusatzbeitrag erhe- ben zu müssen – was erfahrungsgemäß massive Ab- wanderungen von Versicherten nach sich zieht und die Existenz gefährden kann. Da ist es bemerkenswert, dass der GKV-Spitzenverband in seinen 14 Positionen für eine Krankenhausreform soeben gefordert hat, nicht mehr bedarfsnotwendigen Krankenhäusern eine „Markt- austrittshilfe“ zu zahlen (Artikel in diesem Heft).
KRANKENKASSEN
Durchsichtiges Manöver
Jens Flintrop
Jens Flintrop Redakteur für Gesundheits- und Sozialpolitik