Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 28–29|
18. Juli 2011 A 1549U
m eine vermeintlich drohende Unterfinanzierung des Gesundheitsfonds in Höhe von elf Milliarden Euro im Jahr 2011 abzuwenden, hat der damalige Bun- desgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) im Spät- sommer 2010 das GKV-Finanzierungsgesetz auf den Weg gebracht. In der Folge stieg der einheitliche Bei- tragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zum 1. Januar 2011 von 14,9 auf 15,5 Prozent.In Verbindung mit Kostendämpfungsmaßnahmen sollte so gewährleistet werden, dass der durchschnittliche Zu- satzbeitrag der Krankenkassen 2011 bei null Euro liegt.
Inzwischen erwartet der GKV-Spitzenverband für das laufende Jahr über die gesetzlich vorgeschriebenen Rücklagen hinaus einen Überschuss im Gesundheits- fonds in Höhe von zwei Milliarden Euro. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft prognostiziert sogar einen Überschuss in Höhe von 5,8 Milliarden Euro.
Hat der heutige Wirtschaftsminister den konjunktu- rellen Aufschwung und das damit steigende Beitrags- aufkommen in der GKV damals so grob unterschätzt?
Oder aber hat Rösler das drohende Defizit im Gesund- heitsfonds bewusst dramatisiert, um der Gesundheitsre- form einen liberalen Stempel aufdrücken zu können?
Für letzteres spricht, dass ein deutlich steigender GKV- Beitragssatz der altbekannten FDP-Forderung in die Karten spielt, wonach die GKV-Finanzierung von den Lohnnebenkosten abgekoppelt werden müsse, um lang- fristig Arbeitsplätze zu sichern. Und in der Tat: Mit In- krafttreten des GKV-Finanzierungsgesetzes wurde der Arbeitgeberbeitrag zur GKV auf 7,3 Prozent festge- schrieben, steigende GKV-Ausgaben haben bis auf weiteres keine Auswirkungen mehr auf die Lohnneben- kosten der Unternehmen. Sämtliche über die Einnah- meentwicklung hinausgehenden Ausgabensteigerungen müssen die GKV-Mitglieder nun allein finanzieren – über einkommensunabhängige Zusatzbeiträge, deren Höhe nicht mehr begrenzt ist.
Doch auch wenn Rösler die Unterfinanzierung des Gesundheitsfonds womöglich überakzentuiert hat, ist sein Nachfolger Daniel Bahr (FDP) gut beraten, dem
Drängen nach einer Absenkung des einheitlichen GKV- Beitragssatzes nicht nachzugeben.
Denn die Rücklagen des Gesundheitsfonds versetzen den neuen Bundesgesundheitsminister in die komforta- ble Lage, sich frei von akuten Finanzzwängen in der GKV den drängenden Versorgungsfragen widmen zu können; eine Situation, von der seine Vorgängerinnen und Vorgänger nicht zu träumen wagten. Bahr sollte sich diesen finanziellen Spielraum erhalten, um das be- reits in den parlamentarischen Prozess eingebrachte Versorgungsstrukturgesetz zu einem guten Ende zu bringen – im Sinne der langfristigen Sicherstellung der flächendeckenden medizinischen Versorgung.
Darüber hinaus würde eine Beitragssatzsenkung die Beitragszahler wohl vor allem verwirren. Drohte nicht noch vor kurzem ein Milliardenloch in der GKV? Heißt es nicht immer, dass die Beitragssätze in einer älter wer- denden Gesellschaft in Verbindung mit immer neuen Möglichkeiten in der Medizin zwangsläufig steigen müssen? Und musste deshalb nicht erst jüngst erstmals eine Krankenkasse wegen Zahlungsunfähigkeit Insol- venz anmelden? Ein über vier, fünf Jahre stabiler Bei- tragssatz böte hingegen die Chance, verloren gegange- nes Vertrauen zurückzugewinnen. Es wäre ein Ausdruck von Kontinuität und ein Zeichen für die Funk - tionsfähigkeit des GKV-Systems.
ÜBERSCHUSS IM GESUNDHEITSFONDS
Den Spielraum erhalten
Jens Flintrop
Jens Flintrop Redakteur für Gesundheits- und Sozialpolitik