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Archiv "Bioethik-Konvention des Europarats: Ein schwieriges Unterfangen" (12.05.1995)

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THEMEN DER ZEIT

technischer, terminologischer Art zu sein. Dadurch wird das eigentliche moralische Problem verdeckt, das sich mit der Entscheidung für oder gegen einen bestimmten Wert stellt.

Ziel einer Diskussion um ethi- sche Fragen muß es sein, Wertent- scheidungen — für oder gegen eine Weiterbehandlung Todkranker, für oder gegen die Möglichkeit der Ab- treibung unter bestimmten Bedin- gungen — als solche zu diskutieren, nicht unter dem Deckmantel techni- scher Lösungen. Wie kann aber in solchen Situationen ein Konsens er- reicht werden?

Prioritäten in

Forschung und Versorgung Jede Wertentscheidung hängt im höchsten Maße vom jeweiligen gesellschaftlichen Kontext ab. Das zeigte sich in den Vorlesungen und besonders in den Diskussionsbeiträ- gen in Nijmegen. Bulgaren und US- Amerikaner zum Beispiel können sich kaum verständigen, wenn es um Werte geht.

Darf in einer pluralistischen Gesellschaft jeder seinen eigenen Werten folgen? Beim Aufeinander- treffen unterschiedlicher Wertvor- stellungen ist die Gefahr groß, daß Entscheidungen ganz blockiert wer- den: Man kann sich nicht einigen, al- so wird nicht entschieden. Schließ- lich wird die Entscheidung dann oh- ne die Beteiligung der Öffentlich- keit und der Betroffenen gefällt. So wäre es denkbar, daß wissenschaftli- che Versuche mit geistig Behinder- ten ohne deren Zustimmung durch- geführt würden, und dies, obwohl große Teile der Gesellschaft aus gu- ten Gründen dagegen sind.

Vor ganz gewaltigen Entschei- dungsproblemen werden wir — auch in Deutschland — stehen, wenn es darum geht, die Ressourcen im Ge- sundheitswesen zu verteilen. Schon jetzt wird verteilt. In Forschung und

Versorgung werden Prioritäten ge- setzt, ohne dies öffentlich zu disku- tieren. Man muß kein Prophet sein, um zu sehen, daß bei der derzeitigen Expansion des Gesundheitswesens Entscheidungszwänge in neuen Di- mensionen kommen werden. Im

BERICHTE

US-Bundesstaat Oregon gibt es be- reits eine Prioritätenliste für medizi- nische Maßnahmen. Das „Medi- caid"-Programm zur Versorgung von Kranken unterhalb der Armuts- grenze stellt nur noch bestimmte Teile des medizinischen Angebots unentgeltlich zur Verfügung. Daß ein Teil dessen, was die moderne Medizin zu bieten hat, dabei heraus- fällt, empört uns, die wir in Deutsch- land schon über Seehofer empört sind. Was also darf, kann, soll als un- antastbare Basis kostenlos für den einzelnen bleiben? In-vitro-Fertili- sation, Homöopathie, Zahnbehand- lung, Behandlung von Sportverlet- zungen — wo könnte eine Kostenbe- teiligung des Patienten toleriert wer- den? Ist es mit wichtigen Werten zu vereinbaren, bestimmte Gruppen von Menschen (Raucher und Trin- ker, über 70jährige?) teilweise von Behandlungsmöglichkeiten auszu- schließen?

Dies sind nur einige der Proble- me, die in Nijmegen diskutiert wur- den. Es konnte nicht darum gehen, sie zu lösen. Wichtig ist in solchen Veranstaltungen der Aufbau einer Diskussionskultur. Im Rahmen ei- ner breiten Diskussionskultur wird es vielleicht möglich, derartige Fra- gen nicht den Ethikexperten allein zu überlassen. Ein größerer Kreis von Menschen kann lernen, selbst zu erkennen, wo das zu entscheidende Problem liegt, welche Werte mit be-

Seit mehr als vier Jahren arbeitet der Europarat in Straßburg an einer Bioethik-Konvention, die erstmals ei- nen international verbindlichen Ver- haltenskodex für den Umgang mit Biologie und medizinischer For- schung erstellen soll. Doch das Unter- fangen erweist sich als äußerst schwie- rig. Denn die Einstellungen zu For- schung an menschlichen Embryonen, Gentests oder der Transplantation

stimmten Entscheidungen mögli- cherweise aufgegeben werden. In- teressengegensätze könnten trans- parenter werden. Dadurch werden vielleicht die Chancen zur Durchset- zung von Interessen gerechter ver- teilt.

Auch die Wissenschafts- und Medizingeschichte kann zu einem klareren Bild ethischer Fragen bei- tragen. Dies wurde im Seminar be- sonders deutlich, als es um den Kör- per ging und um den Tod. Ein Blick in die Vergangenheit lehrt uns, daß die uns so selbstverständlich schei- nenden Vorstellungen vom Körper oder vom Tod nur eine von vielen möglichen sind. Sie sind die Folge bestimmter Entwicklungen und Entscheidungen in der Vergangen- heit. Dies gilt für die gesamte mo- derne Medizin - Organtransplantati- on, Hirntod, Krankenversicherung, Reanimation, Abtreibung, Sterbe- hilfe, Menschenexperimente, Gen- technik — überall vertieft die histori- sche Dimension das Verständnis der aktuellen Situation, nimmt ihr die scheinbare Selbstverständlichkeit und macht sie hinterfragbar. Entge- gen einer verbreiteten Tendenz zur technisch-pragmatischen Lösung ethischer Fragen verleiht die histo- risch-philosophische Dimension der in Nijmegen gelehrten Herange- hensweise eine eigene (vielleicht eu- ropäische) Charakteristik.

Thomas Schlich

von Gewebe beispielsweise sind in den 34 Mitgliedsländern der Staaten- organisation sehr unterschiedlich. Vor allem in der Bundesrepublik hatte der im vergangenen Juni veröffentlichte Vorentwurf heftige Proteste hervor- gerufen, nicht zuletzt seitens der Kir- chen. Auf massive Kritik war in Deutschland die geplante Freigabe der Forschung mit menschlichen Em- bryonen bis zum 14. Tag der Entwick-

Bioethik-Konvention des Europarats

Ein schwieriges Unterfangen

A-1364 (26) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 19, 12. Mai 1995

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01

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Außenminister der Mitgliedstaaten

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Litauen Polen Slowakei , Schweden

Türkei Ungarn Zypern

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

Andorra Deutschland Irland Luxemburg Portugal 1,7/ WWWWWWW

Slowenien

© Erich Schmidt Verlag 712 001

THEMEN DER ZEIT

lung gestoßen sowie ein Passus über die Forschung an „nicht-einwilli- gungsfähigen Personen", also bei- spielsweise Koma-Patienten oder kleinen Kindern.

Nicht zuletzt auf Druck der deut- schen Mitglieder hat die Parlamenta- rische Versammlung des Europarats, der 239 Abgeordnete aus den 34 Mit- gliedsstaaten angehören, diesen Ent- wurf abgelehnt und eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen erarbeitet.

So soll medizinische Forschung bei nichteinwilligungsfähigen Personen

nach dem Willen der Parlamentarier nur erlaubt sein, wenn davon auch ein Nutzen für die Betroffenen selbst „er- wartet wird". Die Entnahme von re- generierbarem Gewebe bei nicht ein- willigungsfähigen Personen — bei- spielsweise kleinen Kindern — zum Nutzen eines anderen Patienten soll verboten werden, auch im Familien- kreis. Eingriffe in das menschliche Genom und Gentests sollen zu thera- peutischen, präventiven oder diagno- stischen Zwecken zugelassen werden

— vorausgesetzt, sie bezwecken kei- nen Eingriff in die Keimbahn Ein- griffe in die Keimbahn sind grundsäztlich verboten.

Verbieten will man per Konventi- on schließlich auch die Herstellung menschlicher Embryonen zu For- schungszwecken. Doch von dieser Formulierung abgesehen, sagt der

BERICHTE

nun vorliegende Entwurf nichts zur Embryonenforschung. Da die Parla- mentarische Versammlung sich nicht auf eine gemeinsame Position einigen konnte, klammerte sie den Bereich

„Embryonenforschung" einfach aus.

Für die Bundesrepublik sei diese Lö- sung „besonders unbefriedigend", sagte Günter Belchaus vom Bundes- justizministerium, einer der vier deut- schen Vertreter im Bioethik-Len- kungsausschuß. „Damit kann nun je- der Staat den Umgang mit Embryo- nen, etwa mit ‚überzähligen' Embryo-

nen aus In-vitro-Befruchtungen, re- geln, wie ihm das gefällt", kritisierte der Jurist. Die deutsche Delegation hatte sich vergeblich für ein generel- les Verbot der Forschung mit mensch- lichen Embryonen nach dem Beispiel des deutschen Embryonenschutzge- setzes eingesetzt. Derartiges wurde im Lenkungsausschuß, der die Kon- vention im Auftrag des Europarats erarbeitet, von einer Mehrheit der Mitglieder abgelehnt. Vor allem Großbritannien, Spanien und Schwe- den wehren sich heftig gegen eine sol- che Einschränkung.

„Das Grundübel ist, daß die Konvention nicht genau definiert, was ein ,human being' ist, das durch die Konvention geschützt werden soll", sagte Prof. Dr. med. Elmar Dop- pelfeld, der dem Lenkungsausschuß als Vertreter des Arbeitskreises medi-

zinischer Ethikkommissionen an- gehört. Der deutsche Standpunkt, wonach das menschliche Leben von Anfang an schützenswert ist, sei in dem Ausschuß nicht durchsetzbar.

„Mehrere große Mitgliedstaaten ha- ben klargemacht, daß sie der Konven- tion nicht beitreten werden, wenn sie ein Verbot der Embryonenforschung enthält", betonte der Nuklearmedizi- ner. Andererseits werde die Ausklam- merung dieses Punkts unweigerlich zu einer Abwanderung der Forschung in Länder mit liberaler Praxis führen.

Dringend verbesserungsbedürf- tig ist nach Auffassung Doppelfelds auch die Regelung über die Weiterga- be der Ergebnisse von Gentests. Nach dem vorliegenden Text können Gen- test-Ergebnisse an Stellen außerhalb des Gesundheitswesens beispielswei- se weitergegeben werden, wenn dies der „öffentlichen Sicherheit und Ord- nung" oder der Volksgesundheit dient. „Dies ist zu vage", betonte Doppelfeld. Nach seiner Auffassung sollte beispielsweise ein Verbot der Weitergabe solcher Angaben an Ar- beitgeber oder Versicherungsgesell- schaften in den Konventionstext auf- genommen werden.

Die Änderungsvorschläge der Parlamentarischen Versammlung werden nun im Lenkungsausschuß be- raten, der sich im Juni erneut in Straß- burg trifft. Bis dahin soll sich auch der Deutsche Bundestag in einer An- hörung erneut mit dem Entwurf befas- sen. Zur Unterschrift ausgelegt wer- den soll die Konvention noch vor En- de dieses Jahres. Ob die Bundesregie- rung den Text unterzeichnen wird, ist derzeit noch nicht abzusehen. „Einer- seits ist jeder Staat frei, strengere Re- geln anzuwenden. Das heißt, das deut- sche Embryonenschutzgesetz wird durch die Konvention keinesfalls aus- gehobelt", betonte Ludger Honnefel- der, Philosophieprofessor an der Uni- versität Bonn und Mitglied des Len- kungsausschusses. Andererseits müs- se sich jeder Staat die Frage stellen, ob er einer Konvention beitreten will, die er in wichtigen Punkten nicht billige.

Grundsätzlich sieht sich Honnefelder in seinen Skrupeln am Sinn der Kon- vention bestätigt: „Mit Mitteln des Völkerrechts eine ethische Grundsat- zerklärung zu erarbeiten, das muß ein- fach schiefgehen." Elisabeth Braun A-1366 (28) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 19, 12. Mai 1995

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