A 828 Deutsches Ärzteblatt
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15. April 2011HARMONISIERUNG DES EU-ARZNEIMITTELMARKTS
Schwieriges Unterfangen
Einige Europaabgeordnete fordern, die Arzneimittelpreise in
der Europäischen Union zu vereinheitlichen. Dem Anliegen werden allerdings keine allzu großen Chancen eingeräumt.
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us den Reihen des Europä - ischen Parlaments (EP) könnte es schon bald einen Vorstoß geben, die Preise für Medikamente im eu- ropäischen Binnenmarkt zu harmo- nisieren. „Auf Dauer brauchen wir einheitliche Arzneimittelpreise in Europa“, fordern jedenfalls die ge- sundheitspolitischen Sprecher von CDU und CSU im Europaparla- ment, Dr. med. Peter Liese und Dr.jur. Anja Weisgerber. Im Sommer letzten Jahres hatten die Abge - ordneten beim Wissenschaftlichen Dienst des Parlaments eine Studie in Auftrag gegeben, die Aufschluss darüber geben sollte, wie die Chan- cen für eine Angleichung der Preise in der Europäischen Union (EU) stehen. Eine komplette Preisharmo- nisierung dürfte zwar schwierig sein, da sich die Mitgliedstaaten die
Kompetenzen für die Preisfestset- zung sowie die Kosten-Nutzen- Bewertung von Arzneimitteln wohl nicht aus der Hand nehmen lassen werden. Dennoch zeigt der Bericht Optionen auf, die zu einer stärkeren Angleichung der Preise führen könnten.
Die Kosten für verschreibungs- pflichtige Medikamente in den 27 EU-Staaten weichen zum Teil stark voneinander ab. Gemessen am Apothekenverkaufspreis waren es im Schnitt 25 Prozent, bezogen auf einen Warenkorb von 150 rezept- pflichtigen Medikamenten. Bei ein- zelnen Produkten, wie Krebsthera- peutika, betrug die Differenz sogar 50 bis 60 Prozent.
Deutschland gehörte der Studie zufolge zu den Ländern mit den höchsten Arzneimittelpreisen, ge- folgt von Irland, Schweden und Belgien. Rezeptpflichtige Medika- mente waren hierzulande im Unter- suchungszeitraum 2008 und 2009 durchschnittlich 23 Prozent teurer als in anderen EU-Staaten. Noch gravierender waren die Preisunter- schiede bei Generika. So kostete beispielsweise das Bluthochdruck- präparat Ramipril in Griechenland das 16-fache dessen, was Patienten in den Niederlanden für das Produkt bezahlen mussten.
Hohes Pro-Kopf-Einkommen bedeutet hohen Preis
Die Studie verdeutlicht ferner, dass die EU-Bürger nicht überall in glei- chem Maße und zum selben Zeit- punkt Zugang zu Arzneimittelinno- vationen und Nachahmerprodukten haben. „Es scheint, dass die Preise für Medikamente umso höher sind, je höher das Pro-Kopf-Einkommen eines Landes ist“, lautet ein Fazit der Studie. Auch hätten Patienten in kleineren und ärmeren EU-Mit- gliedstaaten einen eingeschränkte- ren Zugang zu Arzneimitteln, da diese Märkte für die Hersteller of- fenbar weniger attraktiv seien, so eine weitere Schlussfolgerung.
Die Studie gibt eine Reihe von Gründen für die Abweichungen an.
Dazu zählen das volkswirtschaft - liche Einkommen eines Staates, un- terschiedliche nationale Preisfest - legungssysteme, voneinander ab- GRAFIK
Arzneimittelausgaben pro Kopf der Bevölkerung 2008 gegenüber 2000
Griechenland Irland Frankreich Deutschland Österreich Spanien Italien Finnland Schweden Luxemburg Dänemark Portugal Niederlande Slowenien Slowakei Großbritannien Ungarn Tschechien Estland Polen
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2008■
20000 100 200 300 400 500 600 700 Euro pro Kopf
Quelle: Europäisches Parlament
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15. April 2011 weichende Mehrwertsteuersätze undVertriebssysteme, die Möglichkeit zur Rabattierung von nichtpatent- geschützten Medikamenten sowie unterschiedlich hohe Großhandels- und Apothekenspannen. Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Norwegen und Österreich berechnen beispiels- weise den vollen Mehrwertsteuer- satz für Arzneimittel, was in die - sen Ländern zwangsläufig zu ver- gleichsweise höheren Preisen führt.
Spitzenreiter ist Dänemark mit ei- nem Mehrwertsteuersatz von 25 Pro - zent (Deutschland 19 Prozent). In Großbritannien und Schweden fällt dagegen keine Mehrwertsteuer für Medikamente an.
Staatlicher Einfluss auf die Arzneimittelpreise überwiegt
Während in den meisten EU-Staa- ten der Gesetzgeber die Preise be- stimmt oder die Hersteller bezie- hungsweise Großhändler die Arz- neimittelpreise mit dem Staat aus- handeln, waren Deutschland, Malta und Dänemark zum Untersu- chungszeitraum die einzigen EU- Länder, in denen die Hersteller frei entscheiden konnten, wie viel ein Medikament kosten soll. Die durch das Arzneimittelmarktneuordnungs - gesetz am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getretene Regelung, wonach die Pharmaindustrie die Preise für Innovationen nunmehr mit dem GKV-Spitzenverband aushandeln muss, fand noch keinen Eingang in die Studie. Das Gleiche gilt für den gesetzlich vorgegebenen erhöhten Herstellerabschlag von 16 Prozent (vormals sechs Prozent) für ver- schreibungspflichtige Arzneimittel ohne Preisobergrenze, was sich ebenfalls auf das Preisniveau in Deutschland auswirken dürfte.Eine wichtige Rolle spielt bei der Preisfestlegung in den meisten EU- Staaten der sogenannte externe Preisvergleich. Diesen Mechanis- mus nutzen 24 der 27 Mitgliedslän- der, mit Ausnahme von Deutsch- land, Großbritannien und Schwe- den. Die nationalen Preisbehörden orientieren sich hierbei an den nied- rigsten Produktpreisen in anderen Ländern und nehmen diese als Re- ferenz für die Preisfestsetzung und manchmal auch für Erstattungsent-
scheidungen. Dies hat der Studie zufolge immerhin dazu geführt, dass sich die Preise für patentge- schützte Medikamente in den zu- rückliegenden Jahren insgesamt ein wenig angenähert haben.
Die Autoren der Studie gehen nicht so weit, eine Harmonisierung der Systeme zu fordern, um die un- terschiedlichen Preisniveaus anzu- gleichen und allen EU-Bürgern gleichermaßen Zugang zum Arz- neimittelmarkt zu verschaffen. Sie empfehlen stattdessen vornehmlich eine frühere und breitere Marktein- führung von Generika sowie eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, vor allem bei der Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln.
Das wäre aus Sicht des Bundes- verbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI) auch vernünftig.
„Eine abgestimmte Nutzenbewer- tung wäre ganz im Interesse der Patienten“, sagt der Leiter des Brüs - seler BPI-Büros, Dr. jur. Alexander Natz. Für eine Harmonisierung der Preisfindungs- und Erstattungssys- teme besitze die EU dagegen keine Gesetzgebungskompetenz.
Der Europaabgeordnete Liese spricht sich dagegen für einen durchgängigen europäischen Bin- nenmarkt für Arzneimittel aus.
Was bei den Zulassungen bereits weitgehend Realität ist, sollte sei- ner Meinung nach auch für die Preiseregulierung und Kostener- stattung gelten. Die unterschiedli- chen Festsetzungssysteme in der EU seien zudem nicht nur unsozi- al, sondern auch aus Sicht der In- dustrie unsinnig. „Derzeit benöti- gen die Pharmafirmen ganze Stäbe von Mitarbeitern, um die unter- schiedlichen Preisregulierungssys- teme in den 27 Mitgliedstaaten zu bearbeiten“, betont Liese. „Diese Leute sollten besser in der For- schung und Entwicklung arbeiten.“
Sein Parteikollege Dr. med. Tho- mas Ulmer ist anderer Meinung.
Eine Angleichung der Preise hält er weder für sinnvoll noch für um- setzbar. „Ich bezweifle, dass wir dadurch auf gesamteuropäischer Ebene Geld sparen können“, meint der CDU-Europaabgeordnete. Bei einer Harmonisierung der Systeme
müssten zudem die Distributions- wege geändert werden, was den Verlust von Arbeitsplätzen zur Fol- ge hätte: „Das wollen wir unbe- dingt vermeiden.“
Eine engere Zusammenarbeit und Orientierung an bewährten Ver- fahren in der Arzneimittelpolitik hält Ulmer für den geeigneteren Weg. In Kürze würden die EU- Staaten mit der gemeinsamen Be- vorratung von Impfstoffen gegen Pandemien beginnen. „Dabei kön- nen wir beurteilen, wie starr oder flexibel die nationalen Systeme sind und ob eine verstärkte Zusam- menarbeit auch in anderen Berei- chen sinnvoll ist“, sagt Ulmer. Viel Geld ließe sich nach Meinung des Allgemeinarztes bei den Arzneimit- telausgaben auch durch eine ver- besserte Ausbildung in der Pharma- kotherapie und durch eine Abkehr von der Polypragmasie bei der Me- dikamentenbehandlung sparen.
Transparenz wichtiger als Harmonisierung
Die SPD-Europaabgeordnete Dag- mar Roth-Behrendt hält eine Har- monisierung der Preise innerhalb der EU ebenfalls für illusorisch.
Viel wichtiger sei es, Transparenz herzustellen, erklärt die Gesund- heits- und Verbraucherschutzexper- tin der Sozialdemokraten im EP.
Ein erster Schritt in diese Richtung ist bereits getan. Die Europäische Kommission prüft derzeit im Rah- men eines Konsultationsverfahrens, inwieweit die bestehende Transpa- renz-Richtlinie der EU überarbeitet werden soll. Die Richtlinie schreibt vor, dass Entscheidungen über die Preisfestlegung und Erstattung von Arzneimitteln in den 27 EU-Mit- gliedstaaten nach transparenten Re- geln erfolgen müssen. Dazu gehört etwa, dass die Preisfestsetzung in einem angemessenen Zeitrahmen erfolgen muss. Die Vorschriften sollen den freien Warenverkehr von Arzneimitteln im europäischen Binnenmarkt erleichtern und Dis- kriminierungen zwischen im Inland produzierten und aus anderen Mit- gliedstaaten eingeführten Arznei- mitteln verhindern. Die Richtlinie wurde letztmalig 1989 geändert. ■
Petra Spielberg