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Archiv "Interview mit Dieter Best und Jürgen Doebert, Psychologische Psychotherapeuten in der KBV-Vertreterversammlung „Wir hätten uns von dem Gesetz mehr Schutz gewünscht“" (18.07.2011)

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A 1564 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 28–29

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18. Juli 2011

„Wir hätten uns von dem Gesetz mehr Schutz gewünscht“

Die beiden berufspolitisch aktiven Psychotherapeuten über die vermuteten Auswirkungen des Versorgungsstrukturgesetzes, die Vergütungsreform und die Stimmung in der KBV-Vertreterversammlung

Ziel des Versorgungsstrukturgesetzes ist die Verbesserung der Versorgung. In der Psychotherapie kann es im Durch- schnitt aber drei Monate dauern, bis ein Patient einen Termin bekommt.

Schafft das Gesetz Bedingungen, die die Versorgung psychisch Kranker ver- bessern helfen?

Dieter Best: Nach dem, was bisher vorliegt, nicht. Im Gegenteil, wir befürchten einen Abbau von Thera- pieplätzen dadurch, dass die Kas- senärztlichen Vereinigungen (KVen) künftig ein Vorkaufsrecht in über- versorgten Gebieten erhalten, um Praxissitze aufzukaufen und stillzu- legen. In der Psychotherapie be- steht fast überall Überversorgung, jedenfalls den Berechnungen der Bedarfsplanung zufolge. Real ist das nicht, es widerspricht den lan- gen Wartezeiten. Es handelt sich vielmehr um ein statistisches Arte- fakt, entstanden mit dem Psycho- therapeutengesetz, als 1999 die Ver- hältniszahlen für die Bedarfspla- nung festgelegt wurden, die jedoch nicht dem tatsächlichen Versor- gungsbedarf entsprachen.

Die Bundespsychotherapeutenkammer hat ausgerechnet, dass 5 800 der Psy- chotherapeutensitze oder 30 Prozent aller Praxissitze aufgekauft werden könnten, wenn die Praxisinhaber in Ruhestand gehen oder aufhören.

Schwarzmalerei – oder eine berech - tigte Befürchtung?

Best: Das wäre der Worst Case, wenn alle Sitze dort stillgelegt würden, wo der Versorgungsgrad über 110 Prozent liegt, und das ist fast über-

all der Fall. Aber das wäre natürlich ein Feldzug gegen die Psychothera- peuten.

Wie realistisch ist die Sorge also? Die KVen haben einen Sicherstellungsauf- trag und kennen die Wartezeiten in der Psychotherapie ja auch.

Jürgen Doebert: Schon. Aber wir hätten uns gewünscht, dass sich die Bundesregierung im Versorgungs- gesetz besonders der Versorgung psychisch Kranker annimmt und die Besonderheiten der Psychotherapie in den Regelungen zur Bedarfspla- nung, zur Vergütung und zur Bereit- stellung von Honoraren berücksich- tigt. In den KVen, die ja unter dem Druck aller Arztgruppen stehen, müssen wir fürchten, zu kurz zu kommen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir, um unsere In - teressen durchzusetzen, immer wie- der vor das Bundessozialgericht zie- hen müssen. Ansonsten haben wir wenig Schutz, und den hätten wir uns vom Gesetzgeber gewünscht.

Statt der Stichtagsregelung sollen künftig sachgerechte Kriterien zur Festlegung der Verhältniszahlen heran- gezogen werden: die Altersentwicklung der Bevölkerung zum Beispiel sowie die räumliche und soziale Struktur ei- nes Planungsbereiches. Ist das in Ih- rem Sinne?

Best: Uns fehlt der Bezug zur Mor- bidität. Wir wissen, dass die Präva- lenz von psychischen und auch von psychosomatischen Erkrankungen steigt. Auch das muss bei einer Überarbeitung der Verhältniszahlen berücksichtigt werden.

INTERVIEW

mit Dieter Best und Jürgen Doebert, Psychologische Psychotherapeuten in der KBV-Vertreterversammlung

Dipl.-Psych. Dieter Best, niederge- lassenener Verhaltenstherapeut in Ludwigshafen, ist Vorsitzender der Deutschen Psychotherapeutenvereini- gung (8 500 Mitglieder). Best ist Mit- glied der KBV-Vertreterversammlung, Vorsitzender des Beratenden Fachaus- schusses Psychotherapie und stellver- tretendes Mitglied im Bewertungsaus- schuss der KBV.

Dipl.-Psych. Jürgen Doebert, nie- dergelassener Psychoanalytiker in Reutlingen, ist im Vorstand des Bun- desverbands der Vertragspsychothe- rapeuten (4 200 Mitglieder, darunter ärztliche Psychotherapeuten), Mitglied in der KBV-Vertreterver- sammlung, im Beratenden Fachaus- schuss Psychotherapie und stellver- tretendes Mitglied im Bewertungs- ausschuss der KBV.

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18. Juli 2011 A 1565 Die Demografie ist eines der

wichtigsten Kriterien für eine neue Bedarfsplanung. Das klingt gut, führt aber in der psychotherapeuti- schen Versorgung zu negativen Ef- fekten. Ältere Menschen sind, statis- tisch betrachtet, seltener in Psycho- therapie als jüngere. Daraus wird ge- schlossen, dass man weniger Psy- chotherapie braucht, wenn die Be- völkerung älter wird. Es wird nicht berücksichtigt, dass es eine Dynamik gibt, nach der auch ältere Menschen einen Therapeuten aufsuchen und wir natürlich auch dafür werben, mit den Vorbehalten aufzuräumen: Psy- chotherapie bei Älteren ist hilfreich.

Doebert: Wer heute mit 40 zum Psychotherapeuten geht, der geht auch mit 70 wieder, wenn er ein psychisches Problem hat. Der Be- darf wird folglich in einigen Jahren viel höher sein. Das Bild verfälscht sich, wenn ich für die jetzt 70-Jähri- gen analysiere, wie viel Psychothe- rapie sie in Anspruch nehmen und das hochrechne.

Ist das zu geringe Angebot an Psycho- therapie in ländlichen Gegenden nicht so problematisch wie in der Medizin, weil die Menschen vom Dorf sich viel- leicht lieber in Therapie in ein etwas städtischeres, also anonymeres Umfeld begeben?

Doebert: Es stimmt schon, dass Menschen vom Lande, wenn sie eine Psychotherapie machen wollen, eher in die nächste Stadt gehen. Trotzdem ist die Versorgung auf dem Land ins- gesamt, also auch in kleineren Städ- ten meist verbunden mit sehr langen Wartezeiten, zum Teil bis zu einem Jahr in sehr abgeschiedenen Gebie- ten. Besonders kritisch ist die Unter- versorgung in der Kinder- und Ju- gendlichenpsychotherapie auf dem Land. Das ist nicht akzeptabel.

Geht der psychotherapeutische Nach- wuchs denn aufs Land?

Doebert: Ja, unsere Leute würden schon aufs Land gehen. Doch es gibt dort für uns nach den Regeln der Be- darfsplanung keine offenen Praxissit- ze. Teilweise herrscht in ländlichen Gebieten bei einem Verhältnis von vier Therapeuten auf 100 000 Ein- wohnern bereits Überversorgung.

Das heißt, Sie sind in Bezug auf Ihren Nachwuchs in einer besseren Situation als die Ärzte, können diesen Vorteil aber nicht ausspielen, weil die Psycho- therapeuten keine Niederlassungsmög- lichkeiten haben?

Doebert: Richtig. Wir haben kein Nachwuchsproblem. Es gibt derzeit 11 000 Psychotherapeuten in Aus- bildung; jährlich verlassen 1 500 junge Menschen die Ausbildungs- institute. Wie sich bei der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeu-

tenquote gezeigt hat, waren die frei gewordenen Praxissitze – etwa 800 – relativ schnell besetzt, auch in ländlichen Gebieten.

Was müsste getan werden?

Doebert: Man müsste die Verhält- niszahlen ändern, denn die sind das Hauptproblem. Die gewachsenen Strukturen, so wie sie 1999 mit dem Psychotherapeutengesetz einfach festgeschrieben wurden, bilden nicht den Bedarf ab. Die Verhältniszahlen müssten vor allem der Morbidität und den sozialen und regionalen Be- sonderheiten angepasst werden.

Das Versorgungsgesetz sieht mehr Einfluss der Länder bei der Bedarfspla- nung vor. Eine positive Entwicklung?

Doebert: Eher nein. Die KBV und der Gemeinsame Bundesausschuss wissen, dass sie für ganz Deutsch-

land verantwortlich sind und Rege- lungen finden müssen, die eine ge- wisse Gerechtigkeit zwischen den Ländern herstellen. Die Länder wer- den sehr unterschiedlich handeln.

Wir fürchten, dass dies nicht zuguns- ten der psychisch Kranken sein wird.

Es könnte aber doch sein, dass die Länder andere Impulse einbringen und darauf drängen, dass die psychothera- peutische Versorgung einen anderen Stellenwert erhält.

Best: Wenn es so kommt, wie es ge- plant ist, kann es sein, das die Län- der eine neutrale Position einneh- men und ein Interesse an einer funk- tionierenden Versorgung haben. Die Versorgungssteuerung allein den KVen und Krankenkassen zu über- lassen – da bin ich eher skeptisch.

Zumal wir Psychotherapeuten in den KVen gar nicht in der Verhand- lungsposition sind, dort an entschei- dender Stelle mitzusprechen. Es gibt zwar beratende Fachausschüsse in den KVen, aber ob die dann wirk- lich gehört und ernst genommen werden, das bezweifle ich.

Sie fühlen sich nicht ausreichend vertreten in den KVen?

Best: Kein Psychotherapeut ist in einem KV-Vorstand vertreten. Und die Vorstände führen ja die Ver- handlungen in den Landesausschüs-

Auch die Morbidität muss bei einer Überarbeitung der Verhältniszahlen berücksichtigt werden.

Dieter Best

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18. Juli 2011 sen. Ich wüsste nicht, wie wir dort

unseren Einfluss geltend machen könnten.

Kommen wir zum Thema Vergütung.

Dort soll künftig wieder regionalisiert werden. Welche Auswirkung wird das auf die Vergütung der Psychotherapeu- ten haben?

Doebert: Die größte Schwierigkeit ist, dass man es nicht gut vorhersa- gen kann. Wir können natürlich auf unsere weitgehend schlechten Erfah- rungen aus den Zeiten verweisen, in denen alles regional geregelt war, und sagen: Ein Jammer, dass die Re- gelung, die 2009 ein bundesweit ein- heitliches Honorar und eine einheit- liche zeitbezogene Kapazitätsgrenze für die Psychotherapeuten gebracht hat, wieder Makulatur wird. Das war für uns ein enormer Fortschritt.

Welchen Vorteil hat die bundesweit einheitliche Vorgabe gehabt?

Best: Wir haben seit der Gesund- heitsreform 2009 ein bundesweit ein- heitliches Honorar von 81 Euro je Sitzung. Früher hatte jede KV eigene Punktwerte, weshalb die Honorare bis zu 25 Euro differierten. Bei der Regelung zu den zeitbezogenen Ka- pazitätsgrenzen gibt es im Quartal ei- ne bestimmte Minutenzahl, innerhalb der man genehmigungspflichtige und nicht genehmigungspflichtige Leis-

tungen im freien Austausch anwen- den kann, so wie es die Praxisstruktur erfordert. Auch diese Regelung ist sehr begrüßt worden. Früher konnte man zum Teil nur noch eine probato- rische Sitzung pro Patient anbieten, weil nicht genehmigungspflichtige Leistungen im Extremfall nur mit Cent-Beträgen vergütet wurden.

Mit der jetzigen Honorarsituation sind Sie also zufrieden?

Best: Wir sind nicht damit zufrieden, dass eine angemessene Vergütung der genehmigungspflichtigen Leis- tungen immer nur dazu geführt hat, dass wir mit maximalem persönli- chem Einsatz höchstens den Durch- schnitt des Verdienstes der Fachärzte verdienen können. Leider oft nicht einmal das. Deshalb fordern wir bei der Vergütungsreform, den Passus

der angemessenen Vergütung so zu präzisieren, dass ein Psychotherapeut mit maximalem Einsatz wenigstens den Durchschnitt der Überschüsse der Fachärzte erreichen kann, und zwar aller Fachärzte, nicht nur be- stimmter ausgewählter Gruppen, bei denen die wirklich gut verdienenden Arztgruppen nicht dabei sind.

Doebert: Eine andere Ungerechtig- keit ist, dass wir seit zweieinhalb Jahren ein Honorar von 81 Euro be-

kommen, in der gleichen Zeit aber die Gesamtvergütung um Hunderte von Millionen Euro aufgestockt worden ist – eine Tatsache, die sich direkt auf die Einkommen der Ärzte niedergeschlagen hat.

Bei den Ärzten scheint die Aufstockung der Gesamtvergütung auch nicht ange- kommen zu sein, wenn man all die Kritiker hört.

Best: Ich habe die Honorarabrech- nungen in meiner KV Rheinland- Pfalz gerade noch mal analysiert:

Bei Psychotherapeuten sind es mi- nus 4,5 Prozent, bei den Ärzten im Durchschnitt plus vier Prozent.

Sie sind beide Mitglied in der KBV- Vertreterversammlung (VV). Wie ist die Wahl des Psychotherapeuten Hans Jochen Weidhaas zum Vorsitzenden der VV aufgenommen worden?

Best: Der erste Affekt der Ärzte war in etwa so, wie wenn bei einer Or- gantransplantation das Organ abge- stoßen wird. Zunächst gab es heftige Reaktionen gegen einen Psychologi- schen Psychotherapeuten als Vorsit- zenden der KBV-VV. Die Stimmung war sehr angespannt und hat sich vermischt mit der allgemeinen schlechten Stimmung in der VV, her- vorgerufen durch den Protest der so- genannten oppositionellen KVen Ba- den-Württemberg, Bayerns, Meck- lenburg-Vorpommern und Hessen.

Wir sind aber zuversichtlich, dass sich das wieder beruhigt. In Kiel, bei der öffentlichen Vertreterversamm- lung der KBV war davon nicht mehr viel zu spüren.

Warum hat sich das Ihrer Meinung nach wieder beruhigt?

Best: Weil Hans Jochen Weidhaas ein integrativer Mensch ist. Das hat er ja auch in seiner Antrittsrede in Kiel gezeigt – die Rede ist sehr po- sitiv aufgenommen worden. Und wohl auch, weil der erste Affekt vor über ist und sich die bessere Einsicht durchgesetzt hat.

Aber wir waren schon erschro- cken, wie dünn diese Oberfläche ist und fühlten uns zwölf Jahre zurück- versetzt. Die Reaktionen gegen unse- ren Berufsstand waren recht heftig. ■ Das Interview führten Petra Bühring

und Sabine Rieser.

Es gibt für uns auf dem Land nach den Regeln der Bedarfsplanung keine offenen Praxissitze.

Jürgen Doebert

Fotos: Georg J. Lopata

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