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Archiv "NS-Zeit: In Gütersloh und Warstein" (08.04.2011)

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A 768 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 14

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8. April 2011

Die mutige Aufklärerin

Im IPPNW-Forum Nr. 124, Dezem- ber 2010, S. 12–13 steht, dass in dem 1948 herausgegebenen Buch von Dr. med. Alice von Platen die erste geschlossene Darstellung der Euthanasie-Verbrechen vorliegt mit dem Titel „Die Tötung Geisteskran- ker in Deutschland“. Beschrieben wird es als ein epochemachendes Werk einer mutigen Aufklärerin.

Das Buch wurde ignoriert, sabo- tiert, eingestampft. Es war nur we- nigen bekannt und wurde 1992 neu herausgegeben.

Die kritische Erforschung der Psy- chiatrie in der NS-Zeit erfolgte also nicht erst 1980, wie Schneider be- schrieb.

Ich hoffe, dass die Psychiater zu diesem Thema nicht nur ein „Bußri- tual“ vornehmen, sondern zutiefst erschrecken, welche Gefahren im ärztlichen Berufsstand liegen. Für die Familien der Ermordeten und für unser Land ist es gut, dass die zweite Ärztenachfolgegeneration jetzt bekennt.

Dr. Dietmut Thilenius, 65812 Bad Soden

Wiedergutmachung geboten

Sie schreiben mit Recht, dass es seit langem bekannt ist, dass und auch in welchem Umfang Psychia- ter an den medizinischen Verbre- chen im Nationalsozialismus betei- ligt waren beziehungsweise aktiv mitgewirkt haben. Im Rückblick ist es aber besonders beschämend, wie es bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts großen Teilen der etablierten Psychiatrie gelingen konnte, diejenigen entweder auszu- grenzen oder totzuschweigen, die schon in den 60er Jahren nicht nur auf die Verbrechen hingewiesen ha- ben, sondern aufgrund von Unter- suchungen und Forschungen die Anerkennung insbesondere der Zwangssterilisierten als Verfolgte des Naziregimes und zu Entschädi- gende nach dem Bundesentschädi- gungsgesetz (BEG) gefordert ha- ben. Kolle (1958) als einer der ers- ten und dann von Baeyer, Häfner und Kisker in ihrer Monografie

„Psychiatrie der Verfolgten“ (1964)

forderten, da das im BEG veranker- te Prinzip der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts auf leib-seelische Beeinträchtigun- gen infolge Zwangssterilisation keine zureichende Anwendung fin- de, man solle entsprechend dem Wiedergutmachungsgedanken

„Zwangssterilisierten eine Basis- entschädigung . . . gewähren und zusätzliche Entschädigung . . . , wenn krankhafte beziehungsweise krankheitswertige Folgen . . . nach- weisbar sind . . .“.

Ich selbst habe in einer Studie „Fol- gen der Sterilisation – Zur Frage der Entschädigung Zwangssterili- sierter nach dem Bundesentschädi- gungsgesetz“ (1967) . . . anhand ka- suistischer Untersuchungen nach- weisen können, dass „die Zwangs- sterilisation zwangsläufig und re- gelhaft zu einer tiefgreifenden Per- sönlichkeitsstörung führen muss.

Die Gesamtpersönlichkeit ist irre- versibel in ihrem Kern betroffen;

wesentliche Lebens- und Erlebens- möglichkeiten sind diesen Men- schen für immer verschlossen. Das Postulat eines Vomhundertsatzes der Erwerbsminderung geht am Kern des Problems vorbei. Die re- gelhaften Beeinträchtigungen der Zwangssterilisierten sind als erheb- liche Schäden an Körper und Ge- sundheit anzusehen. Allen Zwangs- sterilisierten, die zum Geltungsbe- reich des BEG gehören, sollte grundsätzlich eine Basisentschädi- gung als Kapitalabfindung gewährt werden“. Diese Arbeit konnte mein Lehrer Walter Ritter von Baeyer (von 1956 bis 1972 Ordinarius für Psychiatrie in Heidelberg) in dem von ihm mitherausgegebenen „Ner- venarzt“ nicht publizieren, da sich einer seiner Mitherausgeber, der Frankfurter Ordinarius Jürg Zutt mit allen Mitteln dagegen wehrte;

denn er war in der Nazizeit als Psy- chiater in die Zwangssterilisation verwickelt, und das durfte auf kei- nen Fall öffentlich werden. Meine Arbeit, dann in zwei Folgen in der

„Medizinischen Klinik“ (62, Nr. 34 und Nr. 35, 1967) veröffentlicht, wurde von den Fachgesellschaften und den tonangebenden Psychiatern totgeschwiegen, während die Stel- lungnahmen der wenigen Fachkol-

legen, die gerade auch das von Psy- chiatern begangene Unrecht an den Zwangssterilisierten anprangerten, verhallten . . .

Statt Bußritualen wäre eine Wieder- gutmachung auch heute noch, da wenige Zwangssterilisierte noch le- ben, angezeigt. Und vielleicht eine Beschämung der Fachgesellschaf- ten darüber, dass sie lange diejeni- gen, die schon vor 50 Jahren ihre Stimme erhoben gegen den Flucht- versuch der Verdrängung, um Schuldentlastung durch Ungesche- henmachen, durch eine gigantische Beseitigung der Spuren, wie es Mit- scherlich treffend benannte, totzu- schweigen versuchten.

Dr. med. Helmut Kretz, 50321 Brühl

In Gütersloh und Warstein

Das Schuldbekenntnis von Prof.

Schneider anlässlich des Berliner Kongresses der DGPPN im Novem- ber 2010 – ein Meilenstein in der Geschichte der deutschen Fachge- sellschaft – verdient Respekt und Anerkennung. Die klare und unge- schminkte, mutige Bilanz erinnert daran, dass der verbrecherische Euthanasieplan des Naziregimes nur nach Vorarbeit und unter Mit- wirkung namhafter Psychiater reali- siert werden konnte. Abgesehen von wenigen Ausnahmen gab es seitens der damaligen Psychiatrieor- dinarien und Anstaltsleiter keinen nennenswerten Widerstand gegen den Abtransport und die Ermordung von über 250 000 Kranken und Be- hinderten – im Gegenteil betätigten sich mehr als 40 Kollegen eifrig an der gutachterlichen Selektion für die Berliner Zentrale.

Nach dem Krieg schmückte sich die Fachgesellschaft mit etlichen ihrer Protagonisten; man habe Schlim- meres verhüten wollen, lautete die übliche Entschuldigung – sofern es überhaupt ein Unrechtsbewusstsein gab. Jachertz verweist auf das eben- so hartnäckige wie irritierende Fest- halten an der Verleihung des Her- mann-Simon-Preises für soziale (!) Psychiatrie durch die DGPPN bis 2009 unter Bezug auf die – von Si- mon zwar nicht erfundene, aber ri- goros praktizierte – Arbeitstherapie in den Anstalten Warstein und Gü-

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Deutsches Ärzteblatt

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8. April 2011 A 769 tersloh. Spätestens seit den umfang-

reichen Recherchen der Kollegin Angela Grütter 1994/1995 war in- des das wiederholte, öffentliche Eintreten des überzeugten Rassen- hygienikers Simon für die „Aus- merze der Minderwertigen“ auch der DGPN bekannt. Bedauerlicher- weise gibt es weiterhin nicht nur die

„Hermann-Simon-Straße“ in Gü- tersloh, sondern auch das nach ihm benannte Rehabilitationsinstitut (!) der Warsteiner Psychiatrie.

Prof. Dr. Dr. Theo R. Payk, 53177 Bonn

Parallelen bei der PID

. . . Die Greuel der nationalsozialis- tischen Verbrechen sollen nicht durch einen Vergleich relativiert werden beziehungsweise die die PID befürwortenden Reprodukti- onsmediziner auch keinesfalls mit den Tätern oder vielen Mitläufern der damaligen Zeit in einen Tropf geworfen werden oder pauschal sol- cher Verbrechen verdächtigt wer- den.

Dennoch lohnt ein Vergleich, um Parallelen und frühe Fehlentwick- lungen zu erkennen beziehungswei-

se kritisch zu hinterfragen. Es geht bei der PID nun einmal um die Aus- merzung von kranken und behin- derten Kindern, mag man diese

„Diagnostik“, deren „Therapie“ in der Abtötung besagter Embryonen besteht, noch so schönreden . . . Man mag die Ängste der Eltern vor kranken oder behinderten Kindern und die Vermeidung von Leid von erkrankten Kindern vorschieben, die sicherlich bedacht werden kön- nen (auch wenn betroffene Kinder ihr „Leid“ oft ganz anders beurtei- len als ihre Eltern). Aber die Folge der PID ist dennoch eine Früheu - thanasie und Ausmerzung der Er- krankten und Behinderten. Man kann den Beginn der Entstehung menschlichen Lebens einfach auf einen späteren Entwicklungszeit- punkt nach der Befruchtung datie- ren – aber auf welchen eigentlich?

Auf die zwölfte SSW? Auf die Ge- burt? Auf das Erreichen staatsbür- gerlicher oder personaler Eigen- schaften, wie Singer postuliert, Ei- genschaften, die aber Kranke, Be- hinderte und alte Menschen auch nach der Geburt oft nicht (mehr) er- füllen können? Warum soll ein

Kind mit einer genetischen Erkran- kung wie Mukoviszidose etc. heute gar nicht mehr geboren werden dür- fen, obwohl sich die Prognosen sol- cher und weiterer Erkrankungen so verbessert haben? . . .

Eines muss bei Zulassung der PID klar sein: Der Schutz menschlichen Lebens, welches nicht die zurzeit aktuellen Kriterien von „gesund“

und „erwünscht“ erfüllt, wird dann noch einmal löchriger und eine Ab- wärtsspirale fortgesetzt, deren trau- rige Auswirkungen aus dem Aus- land bekannt sind (wo durch die PID Menschen ausselektioniert werden, die womöglich Brustkrebs irgendwann bekommen könnten, das falsche Geschlecht aufweisen oder aber nicht die gewünschten Er- satzteile für ein bereits geborenes Kind aufweisen . . .)

Ihr Artikel ändert mit dem nachden- kenswerten Satz „Ein Gemeinwe- sen ist dann am stärksten, wenn es vom Schwächsten her denkt“. Mö- ge dies auch für Kinder in ihrem frühesten Entwicklungsstadium vor ihrer Geburt gelten, die in der Tat Schwächsten und Wehrlosesten . . .

Dr. med. Michael Kiworr, 68199 Mannheim

OPHTH ALMO C HIRURGIE

Eine Reihe von Au- genmuskeleingriffen – wie die Strabis- muschirurgie – kann minimalinvasiv durchgeführt wer- den (DÄ 4/2011:

„Die Miniaturisierung schreitet voran“

von Ronald D. Gerste).

Ein Meilenstein

Die „minimally invasive strabismus surgery“ (MISS), auch als Knopf- lochchirurgie bezeichnet, beschreibt Kollege Gerste anschaulich. Er möchte wohl den erfahrenen Au- genmuskelchirurgen ermuntern, auf diese Technik umzusteigen.

Einige Aussagen in dem Bericht möchte ich etwas anders beleuchten.

Es ist nicht so, dass beim heutigen Stand der alten Technik die Binde- hauthämatome fast ein Kennzei- chen der Schieloperationen sind.

Bei MISS auftretende Blutungen sind nicht seltener und auch nicht häufiger als bei den traditionellen Verfahren, sofern ein geübter Ope- rateur schonend am Werke ist. Die Muskelklemme müsste zumindest bei den Eingriffen an den recti doch schon lange unbenutzt geblieben sein. Die Webnahttechnik dazu (nach de Decker) ist fast 30 Jahre bekannt.

Zur Operation nach MISS sind Pa- tienten jeder Altersgruppe uneinge- schränkt geeignet. Also vom ersten Lebensjahr bis ins hohe Alter. Ich selbst habe den Eindruck, dass sich Patienten jenseits des 40. Lebens- jahres besonders gut mit der Schlüssellochtechnik operieren las- sen. Zu viel Tenongewebe bei klei- nen Kindern ist kein Hindernis. Es dauert halt einige Minuten länger, freie Sicht durch die Schlüssellö- cher zu bekommen und dabei die kleinen Gefäße zu schonen. Binde- hautrisse treten auch bei noch so al-

ten Patienten nur bei falscher (zu grober) Technik auf.

Entgegen der Aussage vom Kolle- gen Gerste besteht keine Kontrain- dikation für die MISS bei früheren Schieloperationen. Auch Mojon sieht gerade hier zwingende Grün- de, die MISS-Technik bei Revisio- nen zu wählen.

Ob nun üblicher, aber zeitgemäßer Türflügelschnitt oder die neue MISS-Technik, Augenmuskelopera- tionen waren und sind eigentlich immer ambulant durchzuführende Tätigkeiten.

MISS kann am Operationsmikroskop oder mit einer sehr guten individuell angepassten Lupenbrille durchge- führt werden, vorausgesetzt, die Nahsehschärfe des Operateurs liegt bei mindestens 1,20. Die Vergröße- rung sollte dann etwa vierfach sein.

Wäre die generelle Anwendung von MISS ein Meilenstein in der Au- genmuskelchirurgie? Ja!

Dr. med. Uwe Wulff, 12353 Berlin

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E g – m m d d Die Miniaturisierun

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Referenzen

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