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Archiv "Freiheit in der ärztlichen Berufsausübung" (24.04.1980)

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,Der ärztliche Beruf ist kein Ge- werbe, er ist seiner Natur nach ein freier Beruf.' Weil die Bun- desärzteordnung als Bundesge- setz für alle gilt, die im Gel- tungsbereich dieses Gesetzes den ärztlichen Beruf ausüben, ist damit unzweifelhaft festgestellt, daß alle Ärzte aus der Natur ihrer Berufsausübung zu den freien Berufen zu zählen sind. Also nicht nur die in eigener Praxis niedergelassenen, in engerem Sinne freiberuflich tätigen Ärzte, sondern ebenso die als Ange- stellte oder auch als Beamte ar- beitenden Ärzte.

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DEUTSCHE S ÄRZTEBLATT

Ärztliche Kitteilungen

Herausgeber: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung

Freiheit in der

ärztlichen

Berufsausübung

Karsten Vilmar

Wie in allen anderen Bereichen menschlichen Zusammenlebens gibt es auch in der ärztlichen Berufsausübung keine grenzenlose, uner- schöpfliche, absolute Freiheit. Die Freiheit des einzelnen wird viel- mehr überall dort begrenzt, wo die Freiheit eines anderen beein- trächtigt wird. Das gilt für die Freiheit in der ärztlichen Berufsaus- übung in ganz besonderem Maße. Denn dabei können nicht nur die Freiheit eines anderen, seine Möglichkeit zur Selbstbestimmung und zur freien Entfaltung seiner Persönlichkeit oder gar „nur" sein Besitz und Eigentum berührt werden, sondern es kann Gesundheit und Leben eines anderen Menschen gefährdet werden, der sich in einer für sein Leben möglicherweise existentiellen Frage dem Arzt anvertraut.

Die Gefährdung von Leben oder Gesundheit wiegt aber zweifellos nicht nur deshalb schwerer, weil Gesundheit eines der höchsten Güter und Leben für jeden Menschen wichtigstes Gut sind, sondern auch deshalb, weil entstandener Schaden möglicherweise irreversi- bel und durch materielle Entschädigungen nur höchst unvollkom- men auszugleichen ist. Diese besonderen Gefährdungsmöglichkei- ten bei der ärztlichen Berufsausübung und das besondere Vertrauen des Patienten, der sich dem Arzt in einem sonst unter Menschen kaum vorkommenden Umfang anvertraut, erfordern daher vom Arzt eine außerordentlich sorgfältige, alle individuellen Umstände jedes einzelnen Menschen berücksichtigende Gewissensentscheidung, die Beschränkungen der Freiheits- und Persönlichkeitsrechte des Patienten in den für die Behandlung der Krankheit oder der Beschwerden unumgänglich notwendigen Grenzen hält.

Für diese Gewissensentscheidung — auch die gewissenhafte Ent- scheidung — benötigt der Arzt aber wiederum im wohlverstandenen Interesse seines Patienten ein hohes Maß an Freiheit, damit er tatsächlich eine von fachfremden, administrativen Einflüssen freie

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Bericht und T einung Freiheit im Beruf

und nicht auf Gegenleistung und Gewinn gerichtete Gewissensent- scheidung treffen kann. Die Frei- heit des Arztes ist also Vorausset- zung und Gewähr für die Beach- tung und Unverletzlichkeit der Freiheits- und Persönlichkeits- rechte des einzelnen Menschen und besonders des Kranken in der Phase der Wehr- und Hilflosigkeit, der Angst und der Verzweiflung.

Aus gutem Grund hat daher der Gesetzgeber unter der Überschrift

„Der ärztliche Beruf" in der Bun- desärzteordnung im Paragraphen 1 folgende Bestimmung verankert:

„Der ärztliche Beruf ist kein Ge- werbe; er ist seiner Natur nach ein freier Beruf." Weil die Bundesärz- teordnung als Bundesgesetz für alle gilt, die im Geltungsbereich dieses Gesetzes den ärztlichen Beruf ausüben, ist damit unzwei- felhaft festgestellt, daß alle Ärzte aus der Natur ihrer Berufsaus- übung zu den freien Berufen zu zählen sind. Also nicht nur die in eigener Praxis niedergelassenen, in engerem Sinne freiberuflich tä- tigen Ärzte, sondern ebenso die als Angestellte oder auch als Be- amte arbeitenden Ärzte.

Diese Zugehörigkeit aller Ärzte zu den freien Berufen folgt nicht aus- schließlich nur dem Selbstver- ständnis der Ärzte, sie ist auch nicht in erster Linie in der Tatsa- che begründet, daß nahezu alle Ärzte nach ihrer staatlichen Zulas- sung zur Berufsausübung auf der Grundlage der Bundesärzteord- nung zunächst als Angestellte in Krankenhäusern tätig sind, bevor sich ein Großteil von ihnen in eige- ner Praxis niederläßt. Der ärztliche Beruf ist vielmehr „seiner Natur nach ein freier Beruf". Mit dieser Feststellung wollte der Gesetzge- ber sicher nicht den Ärzten einen vordergründigen Gefallen tun, sondern er hat bewußt damit den im Wortsinn vitalen Interessen der Patienten Rechnung getragen. Die Freiheit des Arztes ist unbedingte Notwendigkeit für eine von fach- fremden äußeren Einflüssen freie Gewissensentscheidung über er-

forderliche Behandlungsmaßnah- men, sie ist Freiheit für etwas, nämlich Freiheit für den Patienten, sie ist gewissermaßen eine Schutzbestimmung für den Pa- tienten.

Bestimmt durch die Bedürfnisse des Patienten

Die Freiheit der ärztlichen Berufs- ausübung wird also wesentlich be- stimmt und damit auch begrenzt durch die Behandlungsnotwen- digkeiten des einzelnen Patienten, seine Bedürfnisse, Sorgen, Nöte und Wünsche. Der Entschei- dungsspielraum in der ärztlichen Berufsausübung wird dabei zu- sätzlich durch rechtliche Bestim- mungen verdeutlicht. So ist der Heileingriff nicht in positivem Sin- ne gesetzlich geregelt: Eingriffe bei einem anderen Menschen zäh- len vielmehr zunächst nach den Bestimmungen des Strafgesetzbu- ches zu den Körperverletzungen;

sie werden erst nach entsprechen- der Aufklärung des Patienten und dessen Zustimmung zu einem er- laubten Heileingriff. Auf die Zu- stimmung des Patienten kann nur dann verzichtet werden, wenn der Patient zum Beispiel im Zustand der Bewußtlosigkeit nicht in der Lage ist, seinen Willen zu bekun- den und Gefahr für Leib und Le- ben im Verzuge ist. Jedoch muß der Arzt sich auch dann nach dem mutmaßlichen Willen des Patien- ten und nach dessen vermutli- chem Interesse richten.

Die Freiheit der ärztlichen Berufs- ausübung wird natürlich auch we- sentlich mitbestimmt durch die Entwicklung der Wissenschaft.

Trotz allen Fortschritts haben wir doch auch heute noch keineswegs einen abgeschlossenen Erkennt- nisstand, und selbst im Rahmen unseres gesicherten Wissens ist keineswegs alles möglich und

„machbar", weil es wiederum durch die Natur vorgegebene Grenzen gibt, denen der Mensch — Patient wie Arzt — unterliegt. Alte-

rungsvorgänge und die Endlich- keit des Lebens setzen unüber- windbare Grenzen.

Die enormen Fortschritte in der Medizin und in der Medizintechnik haben aber neben den von der Na- tur gesetzten Begrenzungen wei- tere Grenzen erkennbar werden lassen, die sich aus den für den Sektor Gesundheit in einer Gesell- schaft im Rahmen des Bruttoso- zialproduktes zur Verfügung ste- henden oder zur Verfügung ge- stellten Finanzmitteln ergeben. Es ist heute nicht mehr möglich, all das zu finanzieren, was aufgrund der wissenschaftlichen Entwick- lung in die Tat umgesetzt werden könnte. Nicht nur für den Arzt, sondern für alle Verantwortlichen resultiert daraus die Notwendig- keit zu neuen Überlegungen, da- mit auch angesichts der künftig begrenzten Ressourcen möglichst vielen Menschen möglichst wirk- sam geholfen werden kann. Das sind Überlegungen, wie sie bis- lang nur für den Kriegs- oder Kata- strophenfall angestellt werden mußten, Überlegungen, die aber auch nicht ausschließlich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten angestellt werden dürfen, sondern in besonderem Maße humanitäre Aspekte einbeziehen müssen.

Der Arzt darf nicht

alles tun, was wissenschaftlich möglich ist

Daraus resultiert eine weitere, au- ßerordentlich wichtige Begren- zung der Freiheit ärztlicher Be- rufsausübung. Der Arzt darf kei- nesfalls alles das machen, was wissenschaftlich oder technisch möglich, vielleicht auch beson- ders interessant, oder was noch nicht erforscht und deshalb mit unwägbaren Risiken verbunden ist. Die ethisch-moralische Be- grenzung gibt bei solchen Überle- gungen Art und Ausmaß der Ge- fährdungs- und Schädigungsmög- lichkeit für den Patienten, die Ab- grenzung des für ihn aufgrund sei- ner Erkrankung bestehenden Risi- kos und die Abgrenzung der mög-

1082 Heft 17 vom 24. April 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Bericht und Meinung Freiheit im Beruf

licherweise aus neuen Verfahren für den Patienten zu erwartenden Vorteile an. Denn bei allen ärztli- chen Maßnahmen gilt seit alters her das Gebot des „nil nocere"!

Erinnert sei an den hippokrati- schen Eid, der seit rund 2500 Jah- ren Richtschnur für ärztliches Handeln ist. Erinnert sei aber auch an die Deklaration des Weltärzte- bundes von 1964 aus Helsinki, die 1975 in Tokio überarbeitet wurde und die zu Fragen wissenschaftli- cher Untersuchungen mit thera- peutischer Zielsetzung, aber auch zu Fragen reiner Grundlagenfor- schung Stellung nimmt. Dabei wird auf die Zulässigkeit unter ethisch-moralischen Prinzipien abgestellt, wenn Schäden bei frei- willigen Versuchspersonen nicht mit Sicherheit auszuschließen sind. Die Beurteilung der grund- sätzlichen Zulässigkeit soll dabei immer dann, wenn Zweifel mög- lich sind, nicht der Entschei- dung eines einzelnen überlassen werden, sondern unabhängigen Ethik-Kommissionen vorbehalten bleiben, die in der Bundesre- publik Deutschland auf Empfeh- lung der Bundesärztekammer bei den Landesärztekammern gebil- det werden sollen und bereits in Bildung begriffen sind.

Die ethisch-moralische Verpflich- tung des Arztes, Leben zu erhalten und Leiden zu lindern, ist wichtig- stes Fundament für das Vertrauen des Patienten in ärztliches Han- deln. Ohne diese Gewißheit könn- te kein Patient das nicht nur bei großen Eingriffen, sondern bei je- der Verordnung einer Arznei und jedem ärztlichen Rat notwendige Vertrauen aufbringen. Angesichts gerade der Entwicklung der Medi- zintechnik mit früher unbekannten Möglichkeiten, auch dann noch wesentliche Funktionen des menschlichen Körpers in Gang zu halten, wenn es nicht mehr darum gehen kann, das Leben zu retten, sondern nur die Verlängerung des Sterbens bewirkt wird, sind außer- ordentlich schwere, jedem Einzel- fall angemessene ärztliche Gewis- sensentscheidungen zu treffen.

Jeder Mensch hat nicht nur das Recht, in Würde zu leben, er muß auch das Recht haben, in Würde und ohne medizinische Belästi- gung zu sterben. Der Arzt ist ver- pflichtet, seinen Patienten auch in diesem letzten Lebensabschnitt beizustehen und deren Leiden zu lindern.

Das kann und darf aber keinesfalls bedeuten, den Arzt etwa auf ge- setzlicher Basis zu ermächtigen, oder vielleicht sogar zu verpflich- ten, seine Bemühungen zu einem bestimmten Zeitpunkt einzustellen und ihn auf diese Weise zum Rich- ter über Leben und Tod zu ma- chen. Derartige Gewissensent- scheidungen erfordern Freiheit, sie können nicht auf Anordnung getroffen werden, sie entziehen sich wegen der Individualität jedes einzelnen Menschen gesetzlichen Regelungen, sie können und müs- sen daher auch und gerade in aus- weglosen Situationen stets indivi- duell getroffen werden. Die von der Bundesärztekammer heraus- gegebenen Richtlinien zur Sterbe- hilfe können dabei die außeror- dentlich schwere Entscheidung erleichtern.

Selbstverständlich kann es bei diesen Entscheidungen für den Arzt niemals darum gehen, Leben aktiv zu beenden, und auch bei der Entscheidung über eine Or- ganentnahme zu Transplanta- tionszwecken handelt es sich nicht um eine Abwägung eines Le- bens gegen ein anderes, denn das Leben des zur Organentnahme vorgesehenen Menschen ist dann bereits unwiderruflich erloschen.

Technische Spezialisierung — Abhängigkeit der Spezialisten Die mit der Entwicklung der Tech- nik enorm erweiterten Möglichkei- ten der Medizin haben aber nicht nur Veränderungen bei der Be- handlung einzelner Patienten be- wirkt und den Arzt gerade durch die Eröffnung vieler neuer Mög- lichkeiten in Diagnostik und The- rapie vor früher ungeahnte Proble-

me ganz anderer Art gestellt, son- dern sie haben auch die Arbeit der Ärzte in der Gesamtheit in erhebli- chem Umfang beeinflußt, so sehr auch strukturell beeinflußt, daß sich die Fragen nach Freiheit in der Berufsausübung und in der Berufsstellung schon allein quan- titativ noch nachhaltiger stellen als vor 20 oder gar 50 Jahren.

Prägende Wirkungen hatten dabei selbstverständlich auch die in an- deren Bereichen unseres Lebens mit der zunehmenden Industriali- sierung verbundenen strukturel- len Veränderungen. Die enorme Wissensausweitung bewirkte eine rasch zunehmende Differenzie- rung in eine sich schnell erwei- ternde Zahl von verschiedenen Spezialdisziplinen in der Medizin.

Der Einsatz moderner Technik machte einen zeitlich immer aus- gedehnteren Einsatz einzelner Ärzte oder ganzer Ärztegruppen erforderlich. Die komplizierten technischen Apparaturen bewirk- ten ständig steigende Investitio- nen und daher die Konzentration in bestimmten Schwerpunktberei- chen. War früher ärztliche Tätig- keit vielfach auf die Beratung des Patienten beschränkt, war sie ge- wissermaßen Hilfe zur Selbsthilfe, so veränderte sich dies dahinge- hend, daß der Arzt jetzt in vielen Bereichen ständig komplizierteste Technik „rund um die Uhr" über- wachen und bedienen muß, um dem Patienten wirksam helfen zu können.

Das hatte natürlich vielfache wei- tere Veränderungen zur Folge. Die Zahl der Ärzte stieg verglichen mit der Bevölkerungszahl überpropor- tional stark an, da die ärztliche Ar- beit sich nicht nur qualitativ verän- derte, sondern quantitativ außer- ordentlich zunahm. Wurden 1930 im damaligen Reichsgebiet nur rund 50 000 Ärzte gezählt, so er- höhte sich diese Zahl 30 Jahre später in der Bundesrepublik Deutschland bereits auf rund 82 000. In den letzten 20 Jahren erfolgte dann bis 1980 fast eine Verdoppelung dieser Zahl auf

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Bericht und Meinung Freiheit im Beruf

rund 153 000. Dieser steile Anstieg ist zu einem Teil dadurch bedingt, daß sich viele ärztliche Tätigkeits- bereiche von der freien Praxis in das Krankenhaus verlagerten, und zwar nicht nur wegen der Entwick- lungen in der Medizin, sondern vor allem auch durch die mit der Industrialisierung verbundenen Veränderungen der Familien- und Wohnstrukturen, die zur Auflö- sung der früher üblichen Großfa- milien führten, für die in den soge- nannten familiengerechten 2- bis 4-Zimmer-Wohnungen der Miets- kasernen in den großen Ballungs- gebieten kein Platz mehr war.

So konnte vielfach die Pflege erkrankter Familienangehöriger nicht mehr im häuslichen Milieu erfolgen, selbst dann nicht, wenn dazu zunächst noch eine Bereit- schaft bei den Familienangehöri- gen bestand, die jedoch immer ra- scher im Schwinden begriffen ist.

Darüber hinaus trug der für eine Behandlung nach dem neuesten Stand der Wissenschaft nötige ap- parative Aufwand dazu bei, daß immer mehr Patienten nicht mehr zu Hause behandelt werden konn- ten und folglich Aufnahme in Krankenhäusern finden mußten.

Die Aufgliederung der Arztzahlen spiegelt diese Entwicklung wider.

Noch im Jahre 1930 übten 37 237 Ärzte, das waren seinerzeit 75 Pro- zent aller Ärzte, ihren Beruf in freier Praxis aus. Seitdem stieg die Zahl der freipraktizierenden Ärzte zwar über 45 320 im Jahre 1960 auf 57 509 im Jahre 1979 steil an, ihr Anteil an der Gesamtärzte- schaft verringerte sich aber auf 43,6 Prozent aller berufstätigen Ärzte im Jahre 1979.

Entsprechend veränderten sich die Zahlen der Krankenhausärzte.

Betrug deren Gesamtzahl 1930 noch 9977, das waren seinerzeit 19,9 Prozent der Ärzteschaft, so stieg ihre Zahl im Jahre 1979 auf 62 474 oder 47,4 Prozent aller be- rufstätigen Ärzte steil an. Dabei

veränderte sich die Zahl der leiten- den Ärzte von 2803 auf 8145, die Zahl der sogenannten nachgeord- neten Ärzte von 7174 im Jahre 1930 auf 54 329 im Jahre 1979.

Diese Zahl erreicht damit heute et- wa die gleiche Größenordnung wie die Zahl der in freier Praxis niedergelassenen Ärzte.

Die Gegenüberstellungen dieser Zahlen zeigen andererseits aber auch deutlich, daß die Bereit- schaft junger Ärzte, sich nach vor- übergehender Krankenhaustätig- keit in freier Praxis niederzulas- sen, weiterhin besteht, sonst hätte die Zahl der in eigener Praxis nie- dergelassenen Ärzte sich in den vergangenen 50 Jahren nicht nur ergänzen, sondern sogar um rund 54 Prozent erhöhen können. Die von interessierter politischer Seite verschiedentlich vorgebrachte Be- hauptung, die Niederlassung in freier Praxis habe an Attraktivität verloren, weil die Zahl der Kran- kenhausärzte stark ansteige, er- weist sich also als falsch.

Der außerordentlich starke An- stieg der Zahl der Krankenhaus- ärzte hat ganz andere Gründe. Die Zahl der Studienabgänger hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert. Betrug die Zahl der er- teilten Approbationen im Jahre 1946 noch 1538, so hat sie über einen Tiefstand im Jahre 1957 von 490 über den Höchststand im Jah- re 1970 mit 9752 im Jahre 1977 6590 erreicht. Sie wird in den kom- menden Jahren weiter ansteigen und voraussichtlich im Jahr 1983 die Zahl 8800 erreichen.

Mit dieser Entwicklung fiel zusam- men, daß die Zahl der Planstellen in den Krankenhäusern wegen des stark zunehmenden Arbeitsanfal- les, aber auch wegen der 1961 erstmals auch in Krankenhäusern eingeführten Arbeitszeitbegren- zung und der seitdem erfolgten Arbeitszeitverkürzung, enorm aus- geweitet wurde. Dabei hat sich die Zahl der leitenden Krankenhaus- ärzte in den vergangenen 50 Jah- ren etwa verdreifacht, die Zahl der sogenannten nachgeordneten

Ärzte stieg dagegen in der glei- chen Zeit um das Siebeneinhalbfa- che. Eine noch stärkere Zunahme der Krankenhausärzte in nichtlei- tender Stellung wäre schon heute zu verzeichnen, wenn die tarifver- traglich vereinbarte Arbeitszeit tat- sächlich auch eingehalten werden könnte. Das ist bislang jedoch nicht der Fall. Die in den Kranken- häusern zu leistende Arbeit ist al- so nur durch eine große Zahl über die normale Dienstzeit hinaus ge- leisteter Stunden und durch zu- sätzliche Bereitschafts- und Ruf- bereitschaftsdienste zu bewäl- tigen.

Weitere starke Verschiebungen zugunsten der Zahl der nichtlei- tenden Ärzte sind zu erwarten, wenn höchstrichterlich festge- stellt werden sollte, daß auch auf Ärzte die Vorschriften der Arbeits- zeitordnung anzuwenden sind und die Zahl der Bereitschafts- dienste drastisch auf vier im Mo- nat zulässige Dienste verringert wird. Um derartigen Vorschriften zu genügen, wäre eine Auswei- tung der heutigen Stellenpläne um weitere rund 20 000 Planstellen nötig mit der Folge, daß die Zahl der nichtleitenden Krankenhaus- ärzte dann auf rund 75 000 gegen- über heute rund 57 000 in freier Praxis niedergelassenen Ärzten anschwellen könnte.

Mit steigender Arztzahl Reglementierungen für die Berufsfreiheit?

Angesichts dieser Überlegungen kann natürlich im Denkmodell be- zweifelt werden, ob die vielzitierte

„Ärzteschwemme" tatsächlich überschwappen wird. Anderer- seits ist jedoch schon heute abzu- sehen, daß die aufgezeigten Ent- wicklungstendenzen die Art der ärztlichen Berufsausübung so- wohl im Krankenhaus wie auch in freier Praxis nicht unberührt las- sen können und außerdem auch Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Patient und Arzt, beson-

• Fortetzung auf Seite 1089

1084 Heft 17 vom 24. April 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Baden- t>erg Bayern 'Bele tBrernen flambu, I Hessen

Bundesärztekammer

Deutscher Ärztetag

Landesärztekammern (250 Delegiertet

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Deutscher Sponarne- bund Deutschet

Kassenutmerband

Bundesverband de Arzle des odereehen ...Aheisdenstes

Bundesverband Deutsche Betegarzte

Bericht und Meinung

Wie

funktioniert ein

Präsident

Zum Beispiel Karsten Vilmar

Vilmar hat um das Amt des Präsi- denten der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages nie gebuhlt, er hat sich nicht einmal darum „beworben". Wie selbstver- ständlich war er — Vizepräsident seit 1975 — da, als er gebraucht wurde; er stellte sich zur Wahl und wurde zweimal, 1978 bis 1979 und schließlich 1979 für vier Jahre, je- weils mit überwältigenden Mehr- heiten, gewählt. Seither „präsi- diert" er also dem Vorstand der Bundesärztekammer und dem Präsidium des Deutschen Ärzte- tages.

Der Vorstand der Bundesärzte- kammer: Das sind kraft Amtes die zwölf Präsidenten der nach Lan- desgesetzen gebildeten Ärztekam- mern; dazu die vom Deutschen Ärztetag jeweils für vier Jahre ge- wählte „Spitze" — der Präsident sowie die beiden Vizepräsidenten

— und zwei Vertreter der Gruppe der angestellten Ärzte, um deren Repräsentanz im Vorstand der Bundesärztekammer jedenfalls auch dann sicherzustellen, wenn unter den in ihren Landesberei- chen gewählten Kammerpräsiden- ten kein angestellter Arzt wäre.

(Von 1959 bis 1973 war schon ein- mal ein Krankenhausarzt, Prof. Dr.

med. Dr. h. c. Ernst Fromm, Chef- arzt der Bakteriologisch-Serologi- schen Abteilung am Allgemeinen Krankenhaus Hamburg-Harburg, Präsident der Bundesärztekam- mer wie jetzt Dr. med. Karsten Vil- mar, Oberarzt der Unfallchirurgi- schen Klinik am Zentralkranken- haus Sankt-Jürgen-Straße der Kli- niken der Freien Hansestadt Bremen.)

Der Deutsche Ärztetag, Hauptver- sammlung der Bundesärztekam- mer (Arbeitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärztekammern), ist die Gesamtrepräsentanz der Ärzteschaft in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin

(West). Zur Vorbereitung und Durchführung der Deutschen Ärz- tetage wurde ein Präsidium gebil- det, in dem alle relevanten Grup- pierungen der Ärzteschaft reprä- sentiert sind. (Das Schaubild auf dieser Seite verdeutlicht die Orga- nisation.) Die Beschlüsse der Deutschen Ärztetage sind verbind- lich für die Bundesärztekammer und ihren Präsidenten. Sein Funk- tionieren ist Pflicht, selbst einmal gegen eigene Meinung. Aber so etwas kommt kaum vor; schließ- lich besteht ein umfassender Kon- sens zwischen der weit überwie- genden Mehrheit der wählenden Ärzte und ihrem gewählten Präsi- denten.

Präsident der Bundesärztekam- mer und des Deutschen Ärzteta- ges — das ist kein Repräsentier- posten, sondern schon allein mehr als ein Full-time-Job (von einer 40- Stunden-Woche in diesem Amt kann nicht die Rede sein) voller harter Arbeit, und zwar in einem Geschäft, das anderes und mehr verlangt als der erlernte Arztberuf (allerdings inhaltlich tief in diesem wurzelnd): Reden und Schreiben, Diskutieren und Verhandeln, Ta- gen und Abstimmen, Fahren und Sitzen, Lesen, und wieder: Erläu- tern und Bekräftigen, Zuhören und Leiten, Fordern und Leisten.

Und immer wieder auch am Ope- rationstisch; Vilmar: „In den letz-

ten Monaten leider recht selten."

Aber gerade in diesen Monaten und Wochen ist die ärztliche Selbstverwaltung gefordert wie selten, das verlangt letzten Einsatz gerade vom obersten „Funktio- när" dieser Selbstverwaltung, auch unter Hintanstellung der per- sönlichen Berufsausübung.

Reden: Von einem Präsidenten er- wartet man wohlgesetzte, aber auch pointierte Reden, Vorträge, die einerseits „staatsmännisch"

sein sollen, andererseits auch nicht zu lang, verbindlich im Ton und keineswegs unverbindlich in ihrem Gehalt. Sachlichkeit ist Vil- mars Stil. Aber Wortwitz darf sein, Schlagfertigkeit muß sein. Denn ohne kontroverse Diskussion geht gar nichts mehr. Und vom Präsi- denten wird stets der Wortsieg er- wartet.

Grußworte: Noch etwas „Mündli- ches" wird immer wieder vom Prä- sidenten erwartet — ein Grußwort zu jeder relevanten Veranstaltung.

Und der Veranstalter: aber „per- sönlich" kommen und sprechen!

Eine besonders zeitraubende Übung, die aber natürlich der Festigung von Beziehungen dien- lich ist.

Schreiben: Von mehr oder weni- ger emotionalen Ergüssen einmal abgesehen, die sich fast von selbst

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So funktioniert ein Prä- sident, z. B. Karsten Vilmar: eine der unge- zählten Sitzungen, hier die Delegiertenver- sammlung in Bremen (links); nicht immer ist ein Interview so be- quem wie im Studio (links unten); Studium im eigenen (häusli- chen!) Aktenkeller (links); Stimmabgabe für die Ärzte der Bun- desrepublik Deutsch- land beim Weltärzte- bund (unten)

Fotos: Bohnert-Neusch (4), Gordian Vilmar (2), Darchinger (1), Munker (1), Stoss (1)

"

Bericht und Meinung

niederschreiben (auch und gerade an den Präsidenten!) — es kostet manchen Arzt schon einige Über- windung, einmal einen Leserbrief zu schreiben, wenn er etwas Klu- ges mitzuteilen hat —, von einem Präsidenten erwartet man mehr:

wohlüberlegte, ausgefeilte Aufsät- ze, die wegen ihrer Differenziert- heit — der Diffenziertheit der Be- rufs-, Gesundheits- und Sozialpo- litik entsprechend — oft viele Druckseiten beanspruchen (und die Absatz für Absatz noch nach Jahren politisch zitierfähig sein sollen und müssen). Jede Zeit- schrift von Rang und Namen er- wartet vom Präsidenten nicht nur einen Originalbeitrag, sondern auch einen originellen.

Gespräche: Gespräche sind Vil- mars besonderer Stil. „Wegen der im Einzelfall außerordentlich

schwierigen Sachverhalte und der leider noch nicht zum Allgemein- gut gewordenen Erkenntnis, daß auch im Gesundheitswesen die Bäume nicht in den Himmel wach- sen und wir daher einen möglichst effizienten Einsatz der begrenzten Ressourcen erreichen müssen, führt ein Abtausch von Schlagwor- ten nicht weiter. Es sind vielmehr intensive Gespräche mit allen Be- teiligten, insbesondere Politikern und politischen Parteien, Kran- kenkassen und Versicherungen, Gewerkschaften und Verbänden, nötig, wenn sachgerechte Lösun- gen gefunden werden sollen.

Selbstverständlich gehört dazu auch eine intensive Information der Öffentlichkeit, für die das Ver- ständnis der Medien eine ent- scheidende Voraussetzung ist." — Das waren programmatische Sät- ze nach der Präsidentenwahl.

Wie viele Gespräche dieser Art Vil- mar seither führte, hat niemand mitgezählt (aber welcher Arzt ad- diert schon alle seine Einzellei- stungen). Daß ein Präsident sein Programm realisiert, ist eine Selbstverständlichkeit. Vilmar ver- sucht daher seine Überzeugungs- kraft an allen: Er sprach mit Car- stens, Kohl, Brandt und Genscher so intensiv wie mit Frau Huber, mit Ehrenberg, Wehner, Mischnik oder Scheel (um nur ein paar Na- men aus dem breiten Gesprächs- spektrum zu nennen, das selbst- verständlich auch die Fachpoli- tiker aller Fraktionen und alle gesellschaftspolitisch relevanten Gruppen umfaßt).

Vom Präsidenten erwartet man al- lerdings nicht nur, daß er etwas tut, sondern daß dies dann auch etwas bewirkt. Hat es also etwas

1086 Heft 17 vom 24. April 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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... in weiteren Funktionen: als Redner (1.); bei einer Ärztetagssitzung, umringt von Mitarbeitern und Delegierten (oben); optischer Kontrast: bei der Ausübung seines Arztberufes (r. 0.); im Gespräch mit politischer Prominenz, z. B. mit Bundesministe- rin Antje Huber (I. u.) und mit Bundespräsident Prof. Dr. Karl Carstens — quasi ein „Schultreffen" zweier Bremer (siehe auch Seite 1153 dieses Heftes)

genutzt? Zwischenbilanz: Tat- sächlich hat sich bei manchem Partner, um nicht zu sagen: Geg- ner, die Bereitschaft zu einem Ge- spräch überhaupt erst einmal ent- wickelt. Das Angebot zu einem sachlichen Dialog hat die Sach- lichkeit beim Partner, sogar beim Gegner, gefördert. Und: Die Ärzte- schaft hat bei manchem Ge- sprächspartner einiges Verständ- nis für ihre Argumente gefunden;

Polarisierungen sind abgebaut worden, ohne jedes Aufgeben grundsätzlicher Positionen.

Selbstverständlich führt nicht je- des Gespräch gleich zu einem handfesten Ergebnis, zum hand- greiflichen Nutzen für Arzt und Pa- tient. Wie überhaupt dieser Prozeß der sachlichen Auseinanderset- zung deutlich macht, daß die Ärz- teschaft keinesfalls die totale Be-

friedigung eines Gruppeninteres- ses von der Öffentlichkeit erhoffen darf, so wenig wie dies die eine oder andere Ärztegruppe von der Gesamtärzteschaft erwarten kann.

Im Verhältnis zur Öffentlichkeit, auch diese Erkenntnis verbreitet sich, hat „der Arzt" keine isolierte Stellung, quasi im luftleeren Raum; es besteht eine unleugbare Wechselbeziehung zwischen ihm und der Gesellschaft, die ihn selbstverständlich mehr und bes- ser akzeptiert, wenn sichtlich ho- he Leistung erbracht wird.

Öffentlichkeitsarbeit: Selbstver- ständlich gibt es im Dialog mit der Öffentlichkeit auch Rückschläge, eher aber aus Mißverständnissen resultierend. Jedenfalls wird nicht länger jede Äußerung der ärztli- chen Selbstverwaltung pauschal mit dem Schlagwort abgetan, das

alles sei nur „Interessenpolitik".

Dennoch: Es ist und bleibt schwie- riger, der breiten Öffentlichkeit den Ärztestandpunkt klarzuma- chen als etwa einem fachlich ver- sierten Politiker. Ungezählt blie- ben die Pressekonferenzen und -gespräche, die Besuche in Re- daktionen, die Namensartikel für Zeitungen und Illustrierte, Inter- views aller Art, die wohlvorbereite- ten und die unter besonderem Zeitdruck (die verdammten Tele- foninterviews mitten in anderer Ar- beit) — mühevolle Kleinarbeit, de- ren Ergebnis oft den am meisten enttäuscht, der sie leistet.

Da gibt es zwar die schriftliche Presseerklärung; diese müßte am ehesten die exakte Verbreitung der eigenen Meinung garantieren,

— meint man. Da aber jede Pres- seagentur, jeder Journalist sol-

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Wie funktioniert ein Präsident

chen Text im Hinblick auf den er- warteten Leserkreis und nach ei- genem Stilempfinden umformu- liert - und sei es nur, um nicht wortwörtlich dasselbe zu verbrei- ten wie die "Konkurrenz" -, ver- mitteln "die Medien" selten einen bekanntgegebenen Beschluß, ei- ne kundgegebene Meinung genau so, wie sie postuliert waren. Wer nicht selbst Akten, Urkunden, Do- kumente im Orignial liest, sondern

auf "die Medien" angewiesen ist,

der kann sich gar nicht vorstellen, wie mehr oder weniger weit er ge- legentlich von "der Wahrheit" ent- fernt ist.

Absichtliche Aussage- und Tatsa- chenverdrehungen sind indes sel- ten. Sie beschränken sich in der Regel auf den Agitationsjournalis- mus in einigen "Magazinen". Agi- tationsjournalismus kommt aber auch in der medizinischen Presse vor, sei es, daß eine besonders ge- schäftstüchtige Wochenzeitung aus kommerziellen Gründen prin- zipiell alles, was in ärztlicher Selbstverwaltung geschieht, pole- misch attackiert, sei es, daß einzel- ne Gruppeninteressen (und seien es auch nur vermeintliche) in ex- tremer Schärfe gegen die mehr- heitliche Meinungsbildung inner- halb der Selbstverwaltung und oh- ne Rücksicht auf die Gesamtinter- essen der Ärzteschaft propagiert werden.

Am besten artikuliert sich der Prä- sident natürlich in der "eigenen"

Presse -obgleich auch dort nicht jeder Bericht über ihn, jeder Satz, jedes Wort "amtlichen" Charakter hat. Auch das Ärzteblatt ist schließlich nur ein "Medium". Zu- dem: Eine Zensur findet nicht statt.

~ Wer es auf Punkt und Komma genau wissen will, was der Präsi- dent vertritt, der braucht nur zu lesen, was er schreibt, beispiels- weise: in diesem Heft. Lesen muß man allerdings selbst - was übri- gens Gegner der Ärzteschaft und deren Selbstverwaltung beson- ders aufmerksam tun!

ÄRZTEKAMMER BREMEN

KÖRPERSCHAFT DES ÖfFENTLICHEN RECHTS DER PRÄSIDENT

Herrn Dr. med.

und Frau Dr. med.

28oo Bremen

28 BREMEN, DEN 8. April 1980

SCHW ... CHHAUSfll. HEEIISTR. 20/28

~:LzE:~~~:0051 Dr. V. /M.

Sehr verehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege!

Ich bestätige den Eingang Ihrer Kammerbeiträge für 1980.

Da Sie die Beitragszahlungen mit dem Vermerk "unter Zwang gezahlter Beitrag für 1980 als Zwangsmitglied" gekenn- zeichnet haben, möchte ich Sie iiber die Zusammenhänge aufklären. Sie sind Bürger der Bundesrepublik Deutschland und nicht etwa Zwangsbürger, denn im Gegensatz zu einem anderen deutschen Staat können Sie diese Bundesrepublik Deutschland jederzeit verlassen. Solange Sie aber freiwillig in der Bundesrepublik Deutschland bleiben wollen, müssen Sie sich nach den in diesem Staat geltenden "Spielregeln" richten, die durch Bundes- und Landesparlamente in Gesetzen auf der Basis unseres Grundgesetzes und der Landesverfassungen ge- regelt sind.

So müssen Sie als Bürger dieses Staates z. B. Steuern,nicht etwa Zwangssteuern zahlen und Sie sind - hoffentlich - nicht etwa mit einem Zwangs-Ehe-Partner verheiratet.

Wenn Ihnen bei aller Freiheit in unserem Staat dennoch die Mitgliedschaft in der Ärztekammer Bremen und daraus resul- tierende Beitragspflicht als Zwang erscheint, können Sie sich dieses Zwanges ohne weiteres entledigen.· Sie brauchen nur auf rhre Approbation als Arzt zu verzichten und damit auf die ärztliche Berufsausübung und sind schon von der Kammermit- gliedschaft und der Beitragszahlung befreit. Sie befreien sich damit zugleich von dem Zwang, Honorare oder Gehälter für ärztliche Arbeit entgegennehmen zu müssen, woraus wiederum eine Reduzierung Ihrer Zwangs-Verpfiichtungen gegenüber unserem Staat resultiert.

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich gelegentlich wissen ließen, welchen der Ihnen aufgezeichneten Wege Sie zu be- schreiten gedenken oder ob Sie von Ihren Zwangs-Vorstellungen Abstand nehmen wollen.

Mit freundlichen Grüßen Ihr

(Dr. Vilmar)

Verteidigung der freiheitlichen Selbstverwaltung aus tiefster Überzeugung

Übrigens wird vieles in der ärztli- chen Presse auch mit dem Blick auf eine mitlesende Öffentlichkeit geschrieben. So funktioniert ein Präsidenten-Aufsatz sowohl nach innen als auch nach außen ...

Eine-Minute-Interview: Extremer Gegensatz zu allen schriftlichen Äußerungen - das "Eine-Minute- Fernsehinterview" (auch hier hat- außer den Sekunden - niemand mitgezählt). Vom Präsidenten wird erwartet, daß er auf eine x-beliebi- ge Frage hin innerhalb eines "50- Sekunden-Statements" den ärztli- chen Standpunkt darlegt, fachlich korrekt (für die zuschauenden Kol- leginnen und Kollegen) und allge- meinverständlich {für alle anderen Zuschauer und Zuhörer). Zwanzig

Sekunden zu lange gesprochen, das beschwört dann die Gefahr ri- goroser Kürzung herauf. Man merkt einen solchen "Schnitt", wenn die Satzmelodie nicht tief, sondern hoch endet- und der ln- halt dem Kenner höchst unvoll- ständig erscheint. Letzteres ist aber auch unvermeidbar, wenn die Interviewzeit von 60 Sekunden ex- akt eingehalten wird, worin ein Präsident (oder Vorsitzender) Routine entwickelt. Das undank- barste aller "Präsidentengeschäf~

te". Aber es gibt nur eine Wahl:

Mitmachen, oder die Stimme der Ärzteschaft bleibt völlig ungehört.

Grundsatz-Programm: Derselbe Präsident sitzt stunden-, tage- und nächtelang bei der Arbeit an ei-

1088 Heft 17 vom 24. April1980 DEUTSCHES ARZTEBLATT

(9)

nem Dokument, das wirklich ein- mal „den ganzen ärztlichen Stand- punkt", in aktueller Fassung, dar- stellen wird. Hier hat er allerdings, im Gegensatz zu seinen persönli- chen, mündlichen oder schriftli- chen Äußerungen, etliche Helfer.

Gemeint ist, beispielhaft für viele andere schriftliche Stellungnah- men zu Einzelthemen, die Arbeit am „Blauen Papier", den zusam- mengefaßten „Gesundheits- und sozialpolitischen Vorstellungen der deutschen Ärzteschaft", die beim nächsten Deutschen Ärzte- tag im Mai in Berlin von den 250 Delegierten aus allen Kammerbe- reichen beraten und verabschie- det werden sollen. Eine Heidenar- beit, von außerordentlicher Be- deutung. Da wurde zwei Jahre lang entworfen und verworfen, formuliert und gestrichen, zur Dis- kussion gestellt und abgestimmt.

Ein schwieriger, langwieriger Ar- beitsprozeß, einer gesonderten Würdigung wert —, aber warten wir mit allen künftigen Lesern das Er- gebnis dieser Arbeit noch einige Wochen ab.

Ämter: Bedenkt man den Kraft- und Zeitaufwand all dieser Aktivi- täten, dann wird verständlich, daß Vilmar seit seiner jüngsten Wahl zum Präsidenten der Bundesärzte- kammer und des Deutschen Ärzte- tages kein Amt dazugenommen, sondern eines abgegeben hat.

Vier Jahre (ab 1975) war er 1. Vor- sitzender des Verbandes der ange- stellten und beamteten Ärzte Deutschlands — Marburger Bund;

Ende 1979 stellte er sich dort nicht mehr zur Wiederwahl, zu groß wa- ren die Belastungen, einerseits im Beruf und andererseits im Präsi- dentenamt, das wirklich kein

„Pöstchen" ist.

Selbstverwaltung: Der Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages steht an ei- ner Spitze der ärztlichen Selbst- verwaltung, um nicht zu sagen: an

der Spitze (neben der in den Kam- mern öffentlich-rechtlich begrün- deten allgemeinen ärztlichen Selbstverwaltung gibt es ja auch die ebenfalls öffentlich-recht-

Wie funktioniert ein Präsident

lich konstituierte kassenärztliche Selbstverwaltung). Vilmar war schon ein engagierter Fürspre- cher der ärztlichen Selbstverwal- tung, als er in ihr noch keineswegs eine Spitzenfunktion hatte. Man kann vermuten, daß diese Grund- haltung aus dem Elternhaus stammt: der Vater war bis vor we- nigen Jahren niedergelassener Arzt in Bremen. So etwas prägt:

Individuelle Krankenversorgung, das ist eben kein Funktionärs- schlagwort — freiheitliche Selbst- verwaltung des Arztberufs, das ist eben kein Funktionärsargument, sondern beides ist erlebte Berufs- wirklichkeit und -notwendigkeit.

Selbstverwaltung in Freiheit und Verantwortung, das ist für Vilmar wie für* die weit überwiegende Mehrheit der deutschen Ärzte ein Garant für die Sicherung des frei- heitlich-sozialen Systems unserer Gesellschaftsordnung auch im Be- reich des Gesundheitswesens. Da- bei dient weder „die Selbstverwal- tung" noch ihr Präsident Grup- peninteressen. Vilmar vertritt das Ganze, wie es seiner Grundüber- zeugung entspricht: „In allgemein soziologischen, berufsrechtli- chen, berufsethischen Fragen kann es keinen Unterschied zwi- schen der ärztlichen Berufsaus- übung in freier Praxis und in An- gestellten- oder beamteten Posi- tionen geben, solange die dem Freien Beruf eigentümliche beruf- liche Entscheidungsfreiheit exi- stiert und jederzeit ein Wechsel in die Freiberuflichkeit möglich ist, der Beruf also nicht ausschließlich in abhängiger Stellung ausgeübt werden muß."

Der Auftrag: Der Deutsche Ärzte- tag hat 1978 in einer Erklärung konstatiert: Die berufspolitische Arbeit in der Verteidigung der frei- heitlichen Berufsausübung des Arztes, als entscheidender Beitrag zur Wahrung der berechtigten In- teressen der Patienten, wird kon- sequent weitergeführt. Das war ei- ne einmütige Bekundung des Wil- lens der Delegierten und ein Auf- trag: der Präsident erfüllt ihn, er funktioniert. R/DÄ

Freiheit

in der ärztlichen Berufsausübung

• Fortsetzung von Seite 1084

ders im Zusammenhang mit der gleichzeitig forcierten Weiterent- wicklung der Medizintechnik be- fürchtet werden müssen.

Wenn die in den nächsten Jahren möglicherweise über den Bedarf hinaus die Hochschulen verlas- senden Studienabgänger keine Arbeitsmöglichkeit im Kranken- haus finden, sondern genötigt sind, sich nach Abschluß ihrer Ausbildung sofort in freier Praxis niederzulassen, kann dadurch nicht nur die für freiberufliche Tä- tigkeit erforderliche wirtschaftli- che Existenzgrundlage berührt werden, es sind vielmehr auch Einschränkungen der beruflichen Freiheit vorstellbar, wenn etwa Entscheidungen getroffen werden sollten, die nicht von dem Gedan- ken an Gegenleistung und Gewinn frei sind. Eine derartige Ein- schränkung beruflicher Freiheit ist natürlich ebenso im Angestellten- verhältnis denkbar, wenn Konkur- renzdruck und Existenznot dazu führen sollten, daß fachfremde ad- ministrative Einflüsse bei der Ge- staltung der Arbeitsbedingungen der Ärzte akzeptiert werden müs- sen. Diesen, in erster Linie für den Patienten schädlichen Entwick- lungen ist nicht mit subtilen büro- kratisch-technokratischen Rege- lungsmechanismen zu begegnen.

Verwalteten Ärzten entsprechen verwaltete Patienten. Im Interesse des Gestaltungsfreiraumes und der Individualität eines jeden Men- schen und der gerade angesichts von Krankheit, Leiden und Tod höchst unterschiedlichen Bedürf- nisse der Patienten müssen daher alle dem Pluralismus und der Ge- staltungsmöglichkeit für den ein- zelnen Menschen verpflichteten

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Freiheit im Beruf

Kräfte in unserer Gesellschaft dar- auf hinwirken, in diesem wichti- gen Gebiet berufliche Freiheit und

Freiberuflichkeit nicht nur zu er- halten, sondern zu stärken.

Die Freiheit der ärztlichen Berufs- ausübung kann aber auch beein- trächtigt werden durch immer um- fassendere Regelungen in unse- ren sozialen Sicherungssystemen, zumal dann, wenn diese sich im- mer mehr an einem willkürlich festgesetzten „Bedarf" ausrichten und sich immer weniger an den Bedürfnissen des einzelnen Pa- tienten orientieren. Die allumfas- sende Sicherung über die Solidar- gemeinschaft wird dazu führen, daß das „bedarfsgerecht" flächen- deckend ausgebreitete Netz der sozialen Sicherheit immer weniger die Auffangfunktion eines Netzes erfüllt, sondern immer mehr zur Fessel der Eigeninitiative wird und, je feinmaschiger es gewirkt wird, die Eigenverantwortung schließlich erstickt. Die Entzie- hung fast aller individuellen, den unterschiedlichen Bedürfnissen entsprechenden Sicherungsmög- lichkeiten führt gleichsam zur Ent- eignung der Persönlichkeit mit al- len daraus resultierenden psychi- schen Schäden. Wenn darüber hinaus eine vorwiegend unter den Aspekten der Administrationsver- einfachung und der Ökonomie konzipierte Richtlinienmedizin nicht nur für Arzneimittelverord- nungen, sondern auch für eine Vielzahl anderer diagnostischer oder therapeutischer Verfahren entwickelt und für allgemein ver- bindlich erklärt werden sollte — wobei wissenschaftlich anerkann- te Regeln natürlich nicht gemeint sind —, ist es nicht nur um die wegen der individuellen Bedürf- nisse des Patienten erforderliche Therapiefreiheit des Arztes schlecht bestellt, sondern um die Freiheit der Menschen schlecht- hin. Denn in Konsequenz derarti- ger Entwicklungen müßte letztlich eine umfassende Regelung aller Lebens- und Verhaltensweisen er- folgen, um mit den nach Ansicht der Administration aus Fehlverhal- ten resultierenden Kosten nicht

die Solidargemeinschaft zu bela- sten. Am Ende einer solchen Ent- wicklung stünde eine Gesund- heitsdiktatur mit den für ein Indivi- duum in einem Termitenstaat ge- gebenen Gestaltungsmöglichkei- ten, wenn nicht gar den Zwängen für ein Versuchstier.

Im Mittelpunkt der Bemühungen des Arztes muß jedoch immer der einzelne Mensch stehen, und auch aus der Addition einer größeren Zahl von Individien ergibt sich für den Arzt die Mehrzahl, die Vielfalt, der Pluralismus, jedoch niemals Masse, Kollektiv und Kollektivis- mus. Der Arzt muß daher immer Mitmensch und Partner des Pa- tienten sein, er muß sich dem Pa- tienten persönlich zuwenden. Der Arzt ist nicht Vorgesetzter des Pa- tienten, der Patient sollte ihn aber auch nicht als Schalterbeamten für den Zugang zu Sozialleistun- gen mißbrauchen.

Persönliche Zuwendung zum Patienten

ohne Fremdbestimmung

Grundlage wirksamer ärztlicher Tätigkeit ist die auf Vertrauen und persönlicher Zuwendung beru- hende duale Beziehung, die am leichtesten ohne Fremdeinflüsse in Freiberuflichkeit zu gestalten ist. Um auch in einem hochentwik- kelten Industriestaat und in einer Massengesellschaft einen allum- fassenden Kollektivismus zu ver- meiden, müssen Kräfte wirksam werden, die in Partnerschaft und mit besonderem Sachverstand den für die Entwicklung eines Ver- trauensverhältnisses nötigen Ge- staltungsfreiraum für den einzel- nen Menschen erhalten und die dafür notwendigen besonderen Voraussetzungen beachten.

Wegen der außerordentlichen Vielzahl und Vielfalt der dabei zu berücksichtigenden Probleme hat der Gesetzgeber wegen des bei den Beteiligten in besonderem Maße vorhandenen Sachverstan- des diese Aufgaben der Selbstver- waltung übertragen, die darauf zu

achten hat, daß nicht die zuneh- mende Technisierung zu einer In- dustrialisierung der Medizin führt, die den Arzt in einem indu- strieähnlichen Medizinbetrieb in die Rolle des Anbieters von Ge- sundheitsleistungen und den Pa- tienten damit notwendigerweise in die Rolle des Gesundheitsverbrau- chers brächte, oder den Patienten gar zu einem Werkstück in einem undurchschaubaren fließbandarti- gen Gesundheitssystem werden ließe.

In Partnerschaft mit den Selbst- verwaltungsgremien unseres ge- gliederten Sozialversicherungssy- stems ist es aber Aufgabe der ärzt- lichen Körperschaften, darauf hin- zuwirken, daß bei aller erforderli- chen Sicherung gegen Notfälle je- dem einzelnen ein seinen Bedürf- nissen entsprechender Gestal- tungsfreiraum verbleibt.

Entscheidende Voraussetzung da- für ist, daß wieder mehr als bisher Anreize zu Eigeninitiative und Ei- genverantwortung gesetzt wer- den, daß wieder mehr individuel- les Kostenbewußtsein erreicht und nicht der Anschein erweckt wird, als seien mehr oder weniger ko- stenlos und ohne jedes eigene Be- mühen alle Arten von Befindens- störungen und Stimmungs- schwankungen, die nur zu oft Fol- gen eigenen Fehlverhaltens sind, zu beheben und ewige Gesundheit und Glückseligkeit durch immer feingesponnenere Regelungsme- chanismen zu erreichen. An- spruchsniveau und Erwartungs- haltung der Patienten und der Öf- fentlichkeit dürfen nicht an Uto- pien ausgerichtet werden, son- dern müssen den trotz aller Fort- schritte begrenzten Möglichkeiten der Medizin, aber auch unseres Staates entsprechen. Wenn An- spruchs- und Leistungsniveau im- mer weiter auseinanderklaffen, ist Unzufriedenheit und allgemeine Verdrossenheit eine nahezu zwangsläufige Folge, die dazu führen kann, daß schließlich sogar Bewährtes und Erreichbares miß- achtet und über Bord geworfen und in einer Art Do-it-yourself-Be-

1090 Heft 17 vom 24. April 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Freiheit im Beruf

wegung mehr Schaden als Nutzen angerichtet wird — im Gesund- heitswesen wie in manchem ande- ren Bereich.

Weil Ärzte und damit auch ihre Selbstverwaltung aus der tägli- chen Arbeit sowohl um die großar- tigen Möglichkeiten, aber auch um die manchmal bis zu Hilflosig- keit und Ohnmacht reichenden Grenzen der Medizin wissen, mah- nen sie oft und für manchen viel- leicht zu oft zur Vorsicht bei der Beurteilung vieler Versprechen.

Sie handeln sich damit nicht sel- ten Unmut und Unzufriedenheit ein. Auf die Dauer ist es aber be- stimmt ehrlicher und erfolgver- sprechender, wenn der aufgeklär- te Bürger unseres Jahrhunderts sich nach sachlicher Information eine sachgerechte Meinung bilden und sich enstprechend entschei- den kann. Lautstark verkündete Heilslehren, das auf die Lebens- angst spekulierende Versprechen von umfassender Sicherheit und die an Wissenschafts- und Tech- nikgläubigkeit appellierenden Auf- rufe, daß Krankheit allein durch mehr Vorbeugung vermeidbar und somit bei gleichzeitiger Einspa- rung von Kosten geradezu ewige Gesundheit erreichbar sei, lassen sich nicht realisieren. Ihre Verkün- der werden über kurz oder lang als Phantasten erkannt. So ging es seinerzeit einem Herrn Gröning, der Leichtgläubigen Staniolku- geln für Wunderheilungen auf- schwatzte; so wird es auch man- chem Politiker gehen, der Glau- ben machen will, das gleiche sei z. B. mit „medizinisch-techni- schen Zentren" zu erreichen.

Schutz der Intimbereiche Aufgabe der ärztlichen Selbstver- waltungskörperschaften ist es, Entwicklungen entgegenzutreten, die über eine Totalerfassung aller Intimdaten der Bürger in Compu- tern Krankheit bekämpfen und Ge- sundheit erreichen wollen. Die aus einer derartigen Bloßstellung aller körperlichen und seelischen In- timbereiche, die nur als Sozialisie-

rung der Persönlichkeit bezeich- net werden kann, resultierenden psychischen und physischen Schäden können wir uns heute si- cher kaum vorstellen.

Die Organisationen der Ärzte küm- mern sich daher nicht aus vorder- gründigem Eigeninteresse um ei- ne sinnvolle Gestaltung der Ar- beitsbedingungen für Ärzte, auf die natürlich auch die Vergütungs- strukturen einen nicht unwesentli- chen Einfluß haben, es geht aber vor allem dabei um eine im Rah- men der vorgezeichneten Grenzen bestmögliche Versorgung der Pa- tienten.

Berufsfreiheit auch im Krankenhaus

Da Einzelregelungen in dem Sy- stem unserer sozialen Sicherung nur noch wenigen Menschen möglich sind, nehmen für den Be- reich der ambulanten ärztlichen Versorgung fast für die gesamte Bevölkerung auf dem Boden der Reichsversicherungsordnung die Kassenärztlichen Vereinigungen diese Aufgabe wahr. Die gemein- same Selbstverwaltung mit den Krankenkassen hat dabei so viel Flexibilität gezeigt, daß ohne ni- vellierende Gleichmacherei eine für die Welt beispielhafte Lei- stungsfähigkeit unseres Gesund- heitswesens erreicht werden konn- te und auch die Vergütungsstruk- turen trotz des Sachleistungssy- stems noch den eigentlich außen- stehenden Dritten kaum oder schwer nachfühlbaren Wert per- sönlicher Dienstleistungen in der Dualbeziehung zwischen Patient und Arzt erkennen lassen, dessen Freiberuflichkeit gewahrt ist.

Als weitaus schwieriger haben sich bislang alle Versuche erwie- sen, auch für den Bereich der sta- tionären ärztlichen Versorgung vergleichbare, den besonderen Ar- beitsbedingungen und Arbeitsab- läufen bei der Versorgung der sta- tionären Kranken entsprechende Regelungen zu finden. Da die Ärz- te im Krankenhaus überwiegend

im Status des Arbeitnehmers tätig sind und viele ärztliche Tätigkei- ten überdies nur im Krankenhaus verrichtet werden können, ein frei- beruflicher Status also für diesen Bereich auf absehbare Zeit aus- scheidet, müssen wegen der Be- stimmungen im Tarifvertragsge- setz kollektive Regelungen der Ar- beitsbedingung und der Vergütun- gen erfolgen. Das ist im Prinzip vergleichbar mit den von den Kas- senärztlichen Vereinigungen mit den Krankenkassen für den Be- reich der ambulanten ärztlichen Versorgung auf dem Boden der Reichsversicherungsordnung zu vereinbarenden kollektiven Rege- lungen.

Dabei muß ebenfalls versucht wer- den, den Begriff der Leistung nicht einfach durch die Einheit Ar- beitszeit zu ersetzen. Zeit, die ja immer auch Lebenszeit ist, ist zwar wie die Gesundheit eines der wichtigsten Güter, sie kann aber kein Maßstab für geistige Lei- stung, für persönliche Dienstlei- stung, für seelische Leistung oder Zuwendung sein. Wer die Zeit als Leistungsmaßstab langfristig ak- zeptiert, muß eine Verschiebung der Wertskalen als zwangsläufige Folge hinnehmen. Reines Arbeits- zeitdenken wäre unausweichlich eine Entwicklung, die leider nicht allzu selten heute schon im Kran- kenhaus, aber durch die dort ge- prägten Verhaltensformen ebenso schon in der freien Praxis zu beob- achten ist und die gleichzeitig die weitere Polarisierung in Arbeitge- ber und Arbeitnehmer fördert, da- mit das Betätigungsfeld freier Be- rufe weiter einengt und System- veränderern Vorschub leistet.

Wenn der Ruf nach mehr Humani- tät bei der Krankenversorgung ernstgenommen werden soll, müs- sen Lösungen gefunden werden, die Fleiß und Leistung im besten Sinne des Wortes honorieren. Das hat nichts mit dem nur als grobe Simplifizierung zu verstehenden Vorwurf gewerkschaftlichen Den- kens zu tun, das eigentlich unärzt- lich sei. Es geht vielmehr gerade darum, gleichmacherischen Ten-

(12)

Freiheit im Beruf

denzen entgegenzuwirken, Moti- vation und Engagement zu för- dern, berufliche Freiheit und Frei- beruflichkeit zu sichern!

Angesichts der in den letzten 50 Jahren eingetretenen Relations- verschiebungen in der Ärzte- schaft, die an Zahlenbeispielen belegt wurden, der Verlagerung großer ärztlicher Tätigkeitsgebiete in das Krankenhaus und damit in einen tarifgebundenen Bereich, aber auch angesichts der Tatsa- che, daß eine rasch zunehmende Zahl weiterer „Gesundheitsberu- fe" die heutigen Inhalte von beruf- licher Freiheit und Freiberuflich- keit nachhaltig verändern könnte, sollten auch andere freie Berufe die daraus möglicherweise für ihre eigene Existenz resultierenden Folgen erkennen und sich ge- meinsam mit den Ärzten unter stärkerer Besinnung die alle freien Berufe verbindenden, tragenden Fundamente in ihr Bewußtsein zu- rückrufen. Auf diese Weise wer- den sie nicht nur einen Beitrag zur Sicherung ihrer eigenen Existenz leisten, sondern darüber hinaus die Grundlagen unserer plura- listischen, freiheitlich-demokrati- schen Grundordnung nachhaltig festigen.

Dr. med. Karsten Vilmar Präsident der Bundes- ärztekammer

und des Deutschen Ärztetages Haedenkampstraße 1

5000 Köln 41 (Lindenthal)

Die Bundesärztekammer veranstaltete im März ein Symposium „Freiheit im Be- ruf", zu dem Politiker, Wissenschaftler, Publizisten und Vertreter der Freien Be- rufe beitrugen. Der Präsi- dent der Bundesärztekam- mer behandelte dabei das Thema aus Sicht des ärztli- chen Berufes.

NACHRICHTEN

Krankenhausfinanzierung:

Ärzteschaft

erneut ausgeschaltet

Ähnlich unzufrieden wie Kranken- kassenspitzenverbände und die Deutsche Krankenhausgesell- schaft (DKG) — allerdings mit um- gekehrten Vorzeichen — hat sich die Bundesärztekammer zu der vom Deutschen Bundestag (am 20. März) verabschiedeten Novelle zum Krankenhausfinanzierungs- gesetz (KHG), Bundestagsdruck- sache 8/2067, geäußert. In einem detaillierten Protestbrief an die Bundesratsmitglieder hat der Prä- sident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages, Dr.

Karsten Vilmar, noch vor dem zweiten Durchgang im Bundesrat am 18. April darüber geklagt, daß die Mitentscheidung und Verant- wortung für die Krankenhausfi- nanzierung und -bedarfsplanung weitgehend den gesetzlichen und privaten Krankenkassen, den Trä- gern der Krankenhäuser, deren Bundes- und Landesverbände so- wie den Bundesländern übertra- gen werden soll. Die Ärzteschaft, die von den Regulativen dieses Gesetzes in erster Linie mitbetrof- fen würde, liefe einmal mehr Ge- fahr, ausgeschlossen zu bleiben.

Der Ärztekammerpräsident bejaht zwar die Zielsetzung des neuen Gesetzes, soweit damit die Wirt- schaftlichkeit im Krankenhauswe- sen gefördert und die Bedarfspla- nung — unter unmittelbarer und entscheidender Mitwirkung der Ärzteschaft — verbessert werden kann, die Bundestagsbeschlüsse beinhalten seiner Ansicht nach da- zu aber wenig Konkretes. Die KHG-Novelle trage zudem nicht hinreichend der Tatsache Rech- nung, daß sich ökonomische Ge- setze und gesamtwirtschaftliche Orientierungsgrößen nicht einfach auf die besonderen Kostenstruktu- ren im Gesundheits- und Kranken- hauswesen übertragen ließen.

Trotz verbaler Beteuerungen von amtlicher Seite sieht Vilmar im Gleichklang mit den Krankenhaus- trägern nicht gewährleistet, daß

das erst 1972 gesetzlich festge- schriebene Prinzip der vollen Ko- stendeckung der ärztlich-medizi- nisch notwendigen und wirt- schaftlich vertretbaren Kosten des einzelnen Krankenhauses durch den vorgegebenen Finanzierungs- rahmen und die gesetzlichen Grundlagen garantiert wird. Insbe- sondere sei überhaupt noch nicht absehbar, wie sich der (begrü- ßenswerterweise) aufgehobene sogenannte Halbierungserlaß (vol- le Kostenübernahme bei Unter- bringung und Behandlung psy- chisch Kranker durch Sozialhilfe- träger und Krankenkassen) auf die fortgesetzt angespannte Haus- haltslage des Bundes und der Ko- stenträger auswirken wird.

Für ebenso „absolut unvertretbar"

hält die Bundesärztekammer sol- che Regelungen, die „maßgebli- che Organisationsentscheidun- gen" auf dem Gebiet der Kranken- versorgung ausschließlich an Be- hörden sowie an Krankenhaus- und Kostenträger übertragen. Die- se Macht- und Kompetenzver- schiebung ließe sich, so Vilmar, auch nicht mit dem Hinweis der Länderzuständigkeiten und dem beabsichtigten „Ausbau" der Selbstverwaltung bemänteln. Da in erster Linie die Ärzte für eine ordnungsgemäße stationäre Kran- kenversorgung nicht nur mora- lisch, sondern auch juristisch und organisatorisch verantwortlich seien, sei es folgenotwendig, die- se Berufsgruppe oder deren öf- fentlich-rechtliche Berufsorgani- sationen an allen krankenhausre- levanten Entscheidungen auf Lan- des- und Bundesebene unmittel- bar und sachkompetent mitwirken und mitentscheiden zu lassen. Ins- besondere fordert die Bundesärz- tekammer (BÄK) eine Mitentschei- dung der Landesärztekammern beim Aufstellen der Krankenhaus- bedarfspläne der Länder; zumin- dest seien diese in die beabsich- tigte enge Zusammenarbeit zwi- schen den Verbänden der Kran- kenhausträger und Kostenträger einzubeziehen. Ferner sollten sich die Kompetenzen der Ärzteschaft auch auf die Aufstellung der Inve-

1092 Heft 17 vom 24. April 1980 DEUTSCHES ARZTEBL ATT

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