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Archiv "Absicherung des Pflegerisikos: Private machen den Anfang" (23.01.1985)

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Während der Gesetzgeber bei der bes- seren Absicherung des Pflegerisikos notgedrungen auf „Sparflamme" kocht, werden zahlreiche Unternehmen der pri- vaten Krankenversicherung voraussicht- lich in den nächsten Wochen spezielle Ta- rifwerke für eine Pflegekrankenversiche- rung auf den Markt bringen. Auch die Le- bensversicherer bereiten eine auf ihre Sparte zugeschnittene Pflegerentenversi- cherung vor (dazu auch vorab: „Pflege- versicherung — Alternativen der privaten

Kranken- und Lebensversicherungen", Heft 51/52/1984, Seite 3802). Die SPD in Bund und Ländern, die „Grünen", der Deutsche Landkreistag, die Verbände der Wohlfahrtspflege und der Deutsche Ge- werkschaftsbund (DGB) plädieren hinge- gen unvermindert für eine allgemeine Pflicht-Pflegeversicherung. Ein Zirkel or- doliberaler Sozialwissenschaftler befür- wortet ein Stufenkonzept, das die Ange- bots- wie die Finanzierungsseite gleicher- maßen und ausgewogen berücksichtigt.

THEMEN DER ZEIT

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Im Laufe des Frühjahrs 1985 wer- den verschiedene Unternehmen der privaten Krankenversicherung die ersten Tarife für eine „Pfle- gekrankenversicherung" anbie- ten. Um eine gewisse Einheitlich- keit und ein Mindestmaß des zu regelnden Versicherungsschut- zes herbeizuführen, hat eine außerordentliche Mitgliederver- sammlung des PKV-Verbandes

einstimmig entsprechende „Mu- sterbedingungen" gebilligt.

Die private Pflegekrankenversi- cherung, die als selbständige Sparte neben der privaten Krank- heitskostenversicherung einge- richtet wird, ist in Form einer Teil- risikenversicherung konzipiert.

Grundsätzlich ist es unerheblich, ob der Versicherungsfall durch Al-

ter, Krankheit oder durch Unfall- folgen entstanden ist. Die Versi- cherung leistet Ersatz der durch die Pflegebedürftigkeit verursach- ten Kosten oder ein Pflegetage- geld oder erbringt eine Kombina- tion beider Leistungen — je nach- dem, ob die Pflege stationär oder ambulant geleistet wird. Die Versi- cherungsleistungen kommen in Betracht für ambulante Pflege durch öffentliche oder freige- meinnützige oder Sozialstationen oder staatlich anerkanntes Pflege- personal oder durch nicht ausge- bildete Helfer, vor allem Angehö- rige. Versichert werden außerdem die Aufwendungen für stationäre Pflege in Heimen oder in Kran- kenhäusern. Ausgenommen sind die Grundkosten für Übernach- tung und Mahlzeiten.

Als pflegebedürftig gilt ein Versi- cherter, der so hilflos ist, daß er nach ärztlichem Urteil „für be- stimmte Verrichtungen des täg- lichen Lebens in erheblichem Umfang täglich der Hilfe einer an- deren Person bedarf". Diese Ver- richtungen sind in den Musterbe- dingungen in fünf Sachverhalten abschließend aufgezählt worden:

Aufstehen und Zubettgehen; An- und Auskleiden; Waschen, Käm- men und Rasieren; Einnehmen von Mahlzeiten und Getränken;

Stuhlgang und Wasserlassen.

Die Leistungen beginnen frühe- stens ab dem 92. Tag nach ärzt- licher Feststellung der Pflegebe- dürftigkeit und nach Ablauf der

Absicherung des Pflegerisikos

Private machen den Anfang

Tabelle: Pflegebedürftige Personen

Pflegehilfe in Einrichtungen erhielten:

1971: 105 000 Personen (= 0,9 Prozent der Bevölkerung über 60 Jahre)

1981: 169 000 Personen (= 1,4 Prozent der Bevölkerung über 60 Jahre)

Gesamtzahl von älteren Menschen in Altenkrankenhäusern und -pflegeheimen:

1984 ca. 250 000 Personen (Schätzung)

Anzahl der häuslich betreuten Pflegebedürftigen:

1981 ca. 1,1 Millionen Personen

Anteil der mit Rentnern belegten Krankenhausbetten:

50 Prozent, davon 8 Prozent bis 20 Prozent Pflegefälle (Schät- zung)

166 (30) Heft 4 vom 23. Januar 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Pflegerisiko

Wartezeit von drei Jahren. Die Ta- rifbedingungen

können allerdings auch einen späteren Leistungsbe- ginn vorsehen. Die Musterbedin- gungen sehen keine Kindernach- versicherung vor.

Grundsätzlich werden die nach- gewiesenen, durch eine reine Pflegebedürftigkeit verursachten Kosten bis zu einem Tageshöchst- satz (etwa 50 DM) ersetzt. Die Ver- sicherten müssen sich mit einer Selbstbeteiligung von mindestens 20 Prozent an den durch die Pfle- gebedürftigkeit entstandenen Ko- sten beteiligen. Außerdem ist eine absolute Begrenzung vorgese- hen. Auch hier gilt der Grundsatz der Subsidiarität und einer risiko- bezogenen Interessenquote des Leistungsempfängers.

Die Beiträge werden alters- und geschlechtsabhängig kalkuliert und richten sich nach den vorge- sehenen und durch den Versi- cherten gewählten Leistungen.

Dabei spielt es zum Beispiel auch eine Rolle, ob auch für die Pflege durch Nichtfachkräfte geleistet werden soll. Allerdings zählen die Prämien (noch) nicht zu den un- beschränkt abzugsfähigen Son- derausgaben nach § 10 EStG. Ein auf 50 DM begrenztes Pflege- krankentagegeld erfordert für Frauen bei einem Eintrittsalter von 30 Jahren einen Monatsbei- trag von 20 DM; bei Eintrittsalter von 40 wird ein Beitrag von 35 DM und bei einem Eintrittsalter von 50 Jahren von 50 DM monatlich fällig.

Die Beitragssätze sind wegen der geringeren Lebenserwartung bei Männern vergleichsweise niedri- ger. Bei einem Eintrittsalter von 30 Jahren zahlen Männer 18 bis 20 DM; bei Eintrittsalter 40 30 DM und bei Eintrittsalter 50 ungefähr 45 DM monatlich.

Allianz für eine Pflichtversicherung

Unterdessen geht das Tauziehen unter den Sozialpolitikern um ei- ne allgemeine Abdeckung des Pflegerisikos weiter. Noch in der vergangenen Legislaturperiode

ist eine solche Absicherung als

„vorrangige sozialpolitische Re- formmaßnahme" beschworen worden. Nachdem der Bericht der Bundesregierung zur Lage der Pflegebedürftigen in der Bundes- republik Deutschland (vom Sep- tember 1984) jedweden „großen"

und umfassenden Lösungen in Form einer Pflichtversicherung ei- ne Absage erteilt hatte und statt dessen ein ganzes Bündel aufein- ander abgestimmter familien- und steuerpolitischer Initiativen sowie eine Erweiterung des Leistungs- rahmens der Krankenversiche- rung empfahl, gibt es eine wach- sende Allianz einer sozialversi- cherungsrechtlichen Absicherung und von Befürwortern eines „Bun- despflegegeldgesetzes". Die Ko- sten einer allgemeinen Pflichtver- sicherung werden auf einen Be- trag zwischen 16 und 30 Milliar- den DM jährlich veranschlagt.

Einen gemeinsamen Vorstoß zur Propagierung einer sozialversi- cherungsrechtlichen Absicherung des allgemeinen Lebensrisikos

„Pflegebedürftigkeit" hat der Deutsche Landkreistag zusam- men mit Sprechern des Deut- schen Gewerkschaftsbundes (DGB), des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e. V., Frankfurt, und dem Landes- verband der Ortskrankenkassen in Bayern (LdO) unternommen.

Die Bundestagsfraktion „Die Grü- nen" hat Mitte Dezember 1984 ei- nen Gesetzentwurf eines „Bun- despflegegesetzes" eingebracht, das als Bundesleistungsgesetz konzpiert ist (wie der Vorschlag vom hessischen Sozialminister Armin Clauss, SPD). Finanzie- rungsmehrbedarf für Bund und Länder: 6,7 Milliarden DM!

Die Befürworter einer obligatori- schen Pflegeversicherung haben eine gesetzgeberische Sofortini- tiative jenseits aller finanzpoliti- schen Erwägungen verlangt. Ko- stenpunkt dieses Projekts nach Schätzung der kommunalen Spit- zenverbände: mindestens sieben Milliarden DM p. a. Dies würde ei-

ne Beitragserhöhung um mehr als einen Prozentpunkt bedingen. Al- lerdings meinen die Ortskranken- kassen (W1d0-Gutachten), das Pflegerisiko könne durch Einspa- rungen und „Umbuchungen" in der Krankenversicherung kosten- neutral aufgefangen werden.

Vor der Presse in Bonn zitierte Ot- to Fichtner (Frankfurt), der Vorsit- zende des „Deutschen Vereins", einige markante Zahlen: In der Bundesrepublik Deutschland gibt es heute mehr als zwei Millionen dauerpflegebedürftige Bundes- bürger, von denen allein 260 000 in Heimen untergebracht sind.

Mehr als 11 Milliarden DM werden Jahr für Jahr (mit steigender Ten- denz!) aus verschiedenen Quellen für die Dauerpflege und Altenpfle- ge bereitgestellt, wovon fast sie- ben Milliarden DM aus öffent- lichen Mitteln über die Sozialhilfe gewährt werden. Das allgemeine Pflegerisiko trifft insbesondere al- te Menschen mit der Gefahr, daß sie sehr schnell zum Sozialhil- feempfänger werden, wenn Vor- sorge- und Rentenbezüge nicht ausreichen, um den monatlichen Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 4 vom 23. Januar 1985 (33) 167

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Pflegerisiko

Pflege- und Heimkostenaufwand in Höhe von 2000 bis 3000 DM zu bestreiten. Bereits zwei Drittel al- ler Pflegebedürftigen in Heimen sind auf Sozialhilfe angewiesen.

..,.. Mehr als 1,5 Millionen Bundes- bürger sind älter als 80 Jahre. Da- von ist bereits jeder dritte pflege- bedürftig. 1990 werden über zwei Millionen Menschen die SO-Jahre- Grenze passiert haben.

..,.. Nach Untersuchungen der Ortskrankenkassen in Bayern sind rund 30 Prozent der Krankenhaus- betten im akut-internistischen Be- reich mit Dauerpflegebedürftigen fehlbelegt. Dies trifft auch in zehn Prozent aller chirurgischen Bet- ten zu. Allein in Bayern werden dadurch 8000 teure Akutkranken- hausbetten blockiert.

Während der "Deutsche Verein"

und der LdO Bayern eine weitge- hende Integration und organisato- rische Abwicklung der Pflegelei- stungen im Rahmen der gesetzli- chen Krankenversicherung (GKV) befürworten, läßt es der DGB of-

fen, ob eine eigenständige Pflege-

versicherung aus organisatori- schen Gründen auftragsweise in der GKV abgewickelt oder aber durch einen erweiterten Aufga- benkatalog der Krankenversiche- rung abgefangen werden solle.

Das DGB-Konzept

O

Für Schwer- und Schwerstpfle- gebedürftige wird ein einkom- mensunabhängiges Pflegegeld bezahlt. Der Sachleistungskalalog der gesetzlichen Krankenversi- cherung für die häuslichen Pfle- gefälle soll erweitert werden. Dar- über hinaus sollen ambulante und teilstationäre Versorgungsleistun- gen durch öffentl iche .. l nvestitio- nen (Sozialstationen zur teilstatio- nären und ambulanten Behand- lung und Pflege) sowie durch Ta- geskliniken erweitert werden. f) Durch den Ausbau ambulanter und halbstationärer Pflegeein- richtungen wird die stationäre Versorgung akut Pflegebedürfti-

ger nicht überflüssig. Notwendig sind weitere personelle und quali- tative Verbesserungen.

Speziell der LdO in Bayern fordert die Umwidmung oder einen ge- zielten Abbau überzähliger Akut- Krankenhausbetten (bis zu 30 Prozent) zugunsten eines erwei- terten ambulanten Pflegebe- reichs. Dies könne durch eine sat- zungsmäßige Ausweitung der Krankenkassenleistungen nach

§§ 185, 185 b der Reichsversiche- rungsordnung (RVO) geschehen.

Um eine Sozialhilfebedürftigkeit im Fall der Heimpflege zu vermei- den, schlägt der DGB eine Kosten- teilung vor. So sollen die Hotelko- sten (Unterbringung und Verpfle- gung) von den Pflegebedürftigen selbst, die Pflegekosten hingegen durch öffentliche Kostenträger bestritten werden. Um die not- wendigen Leistungsverbesserun- gen durchführen zu können, müs- se die Kostenträgerschaft neu ge- regelt werden. Die bisher vorran- gige Finanzierung aus privaten Mitteln und Mitteln der Sozialhilfe müsse durch eine "überwiegend solidarische Finanzierung über Bundeshaushalt und Sozialversi- cherung" abgelöst werden (so 0-Ton des DGB-Sozialexperten Altred Schmidt, Düsseldorf). Ei- genmittel und Sozialhilfeleistun- gen sollten lediglich ergänzend eingesetzt werden. ln jedem Falle sollte vermieden werden, daß die Erben des Pflegebedürftigen die

"lachenden Dritten beim Pflege-

roulett" sind.

Die übrigen Essentials:

1. Ausbau von präventiven und rehabilitativen Leistungen sowie von unterstützenden öffentlichen Sach- und Geldleistungen für "so- ziale Netzwerke".

2. Ausbau und finanzielle sowie steuerliche Förderung der selb- ständigen Haushaltsführung. 3. Ausbau der infrastrukturellen und personellen Voraussetzun- gen für die ambulante Versor-

gung. Dazu sollte, so der DGB, ein

mittelfristig angelegtes arbeits- 168 (34) Heft 4 vom 23. Januar 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

marktpolitisches Sonderpro- gramm aus öffentlichen Mitteln aufgelegt werden.

4. Auch die bauliche, apparative und personelle Ausstattung der stationären Einrichtungen sei ver- besserungsbedürftig.

5. Ambulante und stationäre Pfle- ge sollten durch eine "integrierte Bedarfsplanung" sichergestellt werden.

Gegen Einheitslösung

Eine Absage an jedwede unifizie- rende Einheitslösung via Pflicht- versicherung haben die Gesell- schaft für Versicherungswissen- schaft und -gestaltung e. V.

(GVG), Köln, und die "Arbeitsge- meinschaft soziale Ordnungspoli- tik" (ASOP) erteilt, in der sieben zumeist ordoliberale Sozialwis- senschaftler unter der Koordina- tion des Kölner Sozialwissen- schaftlers Prof. Dr. Philipp Her- der-Dorneich kooperieren. Sie plädieren für ein Stufenkonzept zur Reform der Pflegesicherung, das auch das angeblich "unter- entwickelte" und "unkoordinierte Angebot" öffentlicher und priva- ter Pflegeleistungen mit einbe- zieht. Die Gutachter machen sich stark für eine ideelle und materiel- le Konzertierte Aktion zwischen Familienpolitik, Wohlfahrtspflege, kommunalen Einrichtungen, So- zialversicherungsträgern und staatlichen Einrichtungen, vor al- lem auf Länderebene. Als eine

"Einstiegsmaßnahme" zur Ver-

besserung des Angebots auf dem Pflegesektor sollte ein "Bundes- pflegegeldgesetz" erlassen wer- den. Danach sollten die bisher weitgehend von den Kommunen bezahlten Altenhilfeleistungen aus dem Bundeshaushalt bestrit- ten werden. Das ASOP-Konzept sieht darüber hinaus Pflegeko- stenzuschüsse bei Eigenvorsor- ge, bei Familienpflege, ambulan- ter und stationärer Pflege vor. Die Länder und Kommunen sollten die Einrichtungen von Sozialsta- tionen mitfinanzieren, um so So- zialhilfeausgaben abzubauen.

Dr. Harald Clade

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