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Archiv "Pockenimpfung: Plädoyer für eine Wiedereinführung" (23.07.2004)

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ie Pockenviren sind aufgrund ihrer hohen Kontagiosität und Letalität die gefährlichsten und gefürchtet- sten Infektionserreger (10, 19). Bereits 1958 hatte die WHO (Weltgesund- heitsorganisation) ein Ausrottungspro- gramm initiiert, und zwischen 1967 und 1977 waren mehr als eine halbe Milliar- de Pockenimpfungen durchgeführt wor- den (21). Im Oktober 1977 fand ein WHO-Team in Merkin/Somalia Ali Maow Maalin. Er war als letzter Mensch an natürlichen Menschenpocken er- krankt, denn von nun an gab es für das Wildvirus keine empfänglichen Men- schen mehr (13). Bei der 33.Weltgesund- heitskonferenz der WHO in Genf wurde die ganze Erde am 8. Mai 1980 als pockenfrei erklärt, sodass bis 1984 alle Länder ihre Pockenimpfungen aufgaben.

Variola-Stämme

Zwei Laborinfektionen, die 1977 und 1978 in London beziehungsweise Bir- mingham aufgetreten waren, gaben den Anstoß, in weltweit 74 Laboratorien alle Variola-Stämme zu vernichten. Nur in Atlanta (USA) und in Koltsovo (No- vosibirsk-Region, Russland) blieben sie unter WHO-Kontrolle offiziell erhal- ten. Ihre Vernichtung wurde 1996 für 1999 beschlossen, aber 1999 zunächst bis 2002 aufgeschoben und inzwischen auf unbestimmte Zeit vertagt (7, 15).

Der Grund dafür war zunächst die Erkenntnis, dass die Sowjetunion trotz ihrer Unterschrift unter die Konvention von 1972 gegen Biowaffen ihr Pro- gramm zur biologischen Kriegsführung weitergeführt hatte. Auf der Vozrozh- deniye-Insel im Aralsee wurden neben anderen Erregern auch 20 Tonnen Pockenviren produziert, die Anlage war sogar auf eine Jahresproduktion von 80 bis 100 Tonnen ausgelegt (1, 5, 20). Ver-

mutlich haben sie 1971 in vier Städten rings um den Aralsee zu tödlichen Aus- brüchen geführt (8). Ihr Verbleib liegt bis heute im Dunkeln, und damit exi- stiert eine nicht für möglich gehaltene Bedrohung, falls diese Pockenviren in die Hände von Terroristen oder Schur- kenstaaten gelangen.

Als biologische Waffe wurden die Pocken eingesetzt, seit sie einiger- maßen beherrschbar waren und dage- gen geimpft werden konnte. Bereits 1763, während des britisch-französi- schen Krieges um die nordamerikani- schen Kolonien von 1754 bis 1767, ließ Sir Geoffrey Amherst zwei Decken und ein Halstuch von Pockenkranken aus seinem Pocken-Armeehospital den mit den Franzosen verbündeten Indianer- stämmen in die Hände spielen, um sie gezielt zu dezimieren. Die englischen Truppen waren dagegen geimpft (18).

Auch als 10 000 amerikanische Auf- ständische 1776 das unter britischer Herrschaft stehende Quebec zu er- obern versuchten, brachen die Pocken aus; es bleibt offen, ob zufällig oder ma- nipuliert. Jedenfalls erkrankten 5 500 Mann, mehr als tausend starben daran, die Belagerung wurde abgebrochen, und Quebec blieb britisch. George Washington befahl daraufhin 1777, auch die eigene Armee zu impfen (18).

Heute stehen wir vor einer ähnlichen Situation. In Deutschland finden seit 1976 keine Pockenpflichtimpfungen von Kleinkindern mehr statt. Bereits vor der Ausrottung der Pocken schien der Schaden durch die Impfung größer als ihr Nutzen, denn man muss mit 25 bis 35 postvakzinalen Enzephalitiden und zwei bis drei Todesfällen auf eine Million geimpfte Kleinkinder rechnen (3, 6). Das war nach damaligem Wis- sensstand ein zu hoher Tribut an eine nicht mehr grassierende Seuche, und so wurde das Pockenimpfgesetz 1982 völ-

lig aufgehoben. Dass die Erreger, wenn auch mehr oder weniger gut gesichert, noch existierten, wurde nicht als Bedro- hung empfunden.

Doch was damals als Triumph der Wissenschaft gefeiert wurde, ist nun ein Problem. Spätestens seit dem 11. Sep- tember 2001 und den Haut- und Lun- gen-Milzbrandinfektionen in den USA ist auch einer breiteren Öffentlichkeit klar geworden, dass die Pocken eine durchaus reale Bedrohung darstellen und unter Umständen zum Tod von mehr Menschen führen als eine Hiro- shima-Atombombe (10, 18). Dabei er- scheint eine zufällig entstehende Pocken- epidemie weniger wahrscheinlich als ei- ne bewusst und gezielt ausgelöste.

Nur die ältere Generation besitzt einen Impfschutz

Im Gegensatz zu Milzbrand und ande- ren bakteriellen Infektionen sind Anti- biotika gegen Pockenviren unwirksam.

Ein Cidofovir-Präparat ist zwar vielver- sprechend, aber praktisch noch nicht verfügbar (16). Auch Hyperimmunglo- bulin ist wirksam, aber ebenfalls nicht verfügbar, solange es keine Pockenimp- fung gibt. Einen Impfschutz besitzt nur die ältere Generation der über 30-Jähri- gen. Dagegen sind in Deutschland un- gefähr 20 bis 30 Millionen Menschen völlig ungeschützt. Für sie muss bei ei- ner heute ausbrechenden Pockenepide- mie mit einer Letalität von 30 Prozent gerechnet werden (15, 20). Bei den Noch-Pocken-Geimpften dürfte die Le- talität gering sein. Sie machte bei der Liverpool-Epidemie von 1902 bis 1903 unter den älteren und damals nur ein- mal geimpften Jahrgängen vier Pro- zent aus (4). 1870/1871 waren es bei den zweimal geimpften deutschen Truppen

drei Prozent (18).

M E D I Z I N R E P O R T

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A2090 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 3023. Juli 2004

Pockenimpfung

Plädoyer für eine Wiedereinführung

Nach Ansicht des Autors spricht nicht nur der Schutz vor bioterroristischen

Angriffen für die Vakzination.

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In den USA wird diese Möglichkeit bereits seit fünf Jahren diskutiert (5, 15, 19); eine Mehrheit von 61 Prozent der Bevölkerung votierte für die Wiederein- führung der Pockenimpfung (2). Doch im Winter 2001/2002 verfügten die USA lediglich über 15 Millionen Por- tionen einer 1982 hergestellten Pocken- Vakzine der Centers for Disease Con- trol and Prevention in Atlanta und weiteren 70 bis 90 Millionen Portionen der Firma Aventis in Swiftwater/Pa (12).

Viel zu wenig für 275 Millionen US- Bürger.

Deshalb untersuchte man, wie weit sie sich durch Verdünnung strecken las- sen. Sie sind auch noch in Verdünnun- gen von 1 : 5 und 1 : 10 wirksam, aller- dings mit den gleichen unangenehmen Nebenwirkungen in der gleichen Häu- figkeit von ein bis fünf Prozent, wie sie bei der Pockenimpfung schon immer aufgetreten waren, also Schmerzen an der Impfstelle, Mattigkeit, Kopfschmer- zen, Muskelschmerzen, Übelkeit, Frö- steln, Fieber höher als 37,7 Grad Cel- sius oder ein Exanthem abseits der Impfstelle (9, 11). Bei inzwischen circa 500 000 geimpften Truppenangehöri- gen und Zivilisten traten schwerere Komplikationen lediglich bei drei Sol- daten auf. Zwei entwickelten die be- kannte Impfenzephalitis, ein dritter ei-

ne Myokarditis, aber alle drei erholten sich wieder vollständig. Zur Minimie- rung selbst dieses insgesamt geringen Risikos bietet sich die bereits in den 70er-Jahren erprobte Vorimpfung mit dem MVA-Impfstoff („modifiziertes Vacciniavirus Ankara“) an, unter dem in einer Impfreihe mit 150 000 Freiwilli- gen in den 70er-Jahren keine einzige schwerere Nebenwirkung auftrat (14).

Nachdem die deutsche Bundesregie- rung vorsorglich für alle Bundesbürger Pockenimpfstoff bereitgestellt hat, soll- te sie die Pockenimpfung konsequen- terweise als empfohlene Impfung auf freiwilliger Basis und die Zulassung des 50-MVA-Impfstoffs ermöglichen.

Schließlich ist die Pockenimpfung nicht nur aus Terrorismusgründen sinn- voll, sondern auch aus rein medizini- schen. Sie schützt nicht nur gegen die menschlichen Pocken, sondern auch ge- gen Affen- und Kuhpocken. Diese In- fektionen sind zwar selten, aber unter Umständen ebenso lebensbedrohend wie die Pocken und nicht wesentlich sel- tener als die lebensbedrohenden Scha- densfälle der aus diesen Gründen aufgegebenen Pockenimpfung. Hinzu kommt die Überlegung, dass die im frühen Lebensalter erfolgte Pocken- impfung ein wesentlicher Schutzfaktor vor atopischen Erkrankungen gewesen

ist (17). Seit und vermutlich auch wegen ihrer Abschaffung sind Atopien in der nicht mehr geimpften Bevölkerung et- wa um den Faktor 10 angestiegen und bedingen heute wesentlich mehr To- desfälle, als früher auf das Konto der Pockenimpfung gegangen sind.

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Hans E. Müller Laborpraxis John

Campestraße 7, 38102 Braunschweig

Hormontherapie

Verschreibung ist rückläufig

Deutsche Frauen greifen in der Postme- nopause heute deutlich seltener zur Hormontherapie als noch vor zwei Jah- ren. Nach einer Auswertung der Ver- schreibungszahlen durch das Wissen- schaftliche Institut der AOK (WIdO) in Bonn wurden Anfang des Jahres 2002 pro Quartal noch 238 Millionen Hor- mon-Tagesdosen verschrieben – rech- nerisch ausreichend für 2,6 Millionen Frauen. Seitdem sind die Verschrei- bungszahlen Quartal für Quartal konti- nuierlich gesunken, Ende 2003 waren es nur noch 166 Millionen Tagesdosen für 1,8 Millionen Frauen.

Der Rückgang um knapp 30 Prozent ist die Reaktion auf mehrere, seit Som- mer 2002 veröffentlichte wissenschaft- liche Studien, nach denen der Nutzen der Hormontherapie für die langfristi- ge Vorbeugung von Alterskrankheiten bislang überschätzt worden war. Nach der Neubewertung durch das Bundesin- stitut für Arzneimittel und Medizinpro- dukte und die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft sollte eine Hormontherapie heute nur noch so kurz und so niedrig dosiert wie möglich zur Linderung von massiven Wechsel- jahrsbeschwerden eingesetzt werden.

Die AOK ist mit dem Tempo des Rück- gangs allerdings nicht zufrieden: Eine

„wirkliche Kehrtwende“ sei bislang

ausgeblieben. kch

M E D I Z I N R E P O R T

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A2092 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 3023. Juli 2004

Doping

Weniger „Funde“

bei mehr Kontrollen

Trotz mehr Kontrollen unter Sport- lern sind in 2003 weniger positive Do- pingbefunde zu verzeichnen. Dieses Fazit gaben die Nationale Anti-Do- ping-Agentur (NADA) und das Bun- desinstitut für Sportwissenschaft (BISp) bei einer Pressekonferenz in Bonn bekannt. Insgesamt wurden von der NADA 7 798 Tests durchgeführt, davon 3 708 Wettkampfkontrollen und 4 090 Trainingskontrollen. Dabei wurden 38 Proben als positiv getestet (29 bei Wettkampf- und neun bei Trai-

ningskontrollen). Dies entspricht ei- ner Gesamtquote von 0,5 Prozent. Im Vorjahr hatte die Quote noch 0,6 Pro- zent betragen.

Auf der Liste der gefundenen Sub- stanzen dominieren Anabolika, Sti- mulanzien und Tetrahydrocannabinol (enthalten in Haschisch und Mari- huana). Alle auf das Blutdoping- mittel Erythropoetin durchgeführ- ten Tests waren negativ. Die Nach- kontrollen auf das Designer-Steroid Tetrahydrogestrionon (THG) waren ebenfalls allesamt negativ. Der Lei- ter des Instituts für Dopinganalytik und Sportbiochemie Kreischa, Klaus Müller, zeigte sich hiervon beruhigt:

„Es ist anzunehmen, dass die An- wendung von THG entgegen der Befürchtungen doch auf einen Kreis von US-Sportlern beschränkt geblie-

ben ist.“ MM

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das im Internet unter www.aerzteblatt.de/

Iit3004 abrufbar ist.

(3)

Literatur

1. Alibek K, Handelman S: Biohazard. Random House, New York, NY, 1999.

2. Bicknell WJ: The case for voluntary smallpox vaccina- tion. New Engl 1 Med 2002; 346: 1323–1325.

3. Buchwald G: Weg mit der Pflichtimpfung gegen Pocken! Gesundes Leben. Medizinalpolitische Rund- schau 1974, Heft 2.

4. Cohen 1: Smallpox vaccinations: how much protec- tion remains? Science 2001; 294: 985.

5. Davis CJ: Nuclear blindness: an overview of the bio- logical weapons programs of the former Soviet Uni- on and Iraq. Emerg Infect Dis 1999; 5: 509–512.

6. Ehrengut W: Pro und Kontra zur Pflichtimpfung ge- gen Pocken. Dtsch Ärztebl 1971; 68: A 871–2874 [Heft 43].

7. Enserink M, Stone R: Dead virus walking. Science 2002, 295: 2001–2005.

8. Enserink M: Did bioweapons test cause a deadly smallpox outbreak? Science 2002; 296: 2116–2117.

9. Evers M: Mobilmachung im Labor. Der Spiegel 2002;

32: 158–159.

10. Fauci AS: Smallpox vaccination policy – the need for dialogue. New Engl 1 Med 2002; 346: 1319–1320.

11. Frey SE, Couch RB, Tacket C0, Treanor 11, Wolff M, Newman FK, Atmar RL, Edelman R, Nolan CM, Belshe RB: Clinical responses to undiluted and iluted small- pox vaccine. New Engl 1 Med 2002; 346: 1265–1274.

12. Frey SE, Newman FK, Cruz 1, Shelton WB, Tennant 1M, Polach T, Rothman AL, Kennedy JS,Wolff M, Belshe RB, Ennis FA: Dose-related effects of smallpox vac- cine. New Engl 1 Med 2002; 346:1275–1280.

13. Garrett L: Die kommenden Plagen. Neue Krankheiten in einer gefährdeten Welt. S Fischer, Frankfurt 1996.

14. Hartung K: Die Pockenschutzimpfung. Dtsch Ärztebl 1974; 71: A 1095–1099 [Heft 15]; A 1170–1172 [Heft 16].

15. Henderson DA: Smallpox: Clinical and epidemiolog- ical features. Emerg Infect Dis 1999; 5: 537–539.

16. McConnell 1: Gearing up for smallpox. Lancet Infect Dis 2002; 2: 390.

17. Müller HE: Steht die Hygiene vor einem Paradigmen- wechsel? Dtsch med Wschr 2002; 127: 38-41.

18. Oldstone MB: Viruses, plagues, and history. Oxford University Press, Oxford/New York 1998.

19. 0'Toole T: Smallpox: an attack scenario. Emerg Infect Dis 1999; 5: 540–546.

20. 0'TooleT, Mair M, InglesbyTV: Shining light on „dark winter“. Clin Infect Dis 2002; 34: 972–983.

21. Terbeck G, Schulz W: Sind Pockenschutzimpfungen noch erforderlich? Nds Ärztebl 1979; 19: 671–672.

M E D I Z I N R E P O R T

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 28–2912. Juli 2004 AA1

Pockenimpfung

Plädoyer für eine Wiedereinführung

Nach Ansicht des Autors spricht nicht nur der Schutz vor bioterroristischen Angriffen für die Vakzination.

Literaturverzeichnis Heft 30/2004

Referenzen

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