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Archiv "Begutachtung von Rehabilitationsfällen: Plädoyer für mehr Klarheit der Rechtsbegriffe" (25.08.1977)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 34 vom 25. August 1977

Spektrum der Woche Aufsätze •Notizen

Begutachtung

von Rehabilitationsfällen

Plädoyer für mehr Klarheit der Rechtsbegriffe

Eugen Wannenwetsch

Der Kurantrag gehört wie die Krankschreibung zur Routinetätigkeit des nie- dergelassenen Arztes. Nun sind zwar Begriff und Be- deutung der Arbeitsunfä- higkeit dem Arzt geläufig.

Schwierig ist es jedoch, die im Zusammenhang mit dem Kur- beziehungsweise Heilverfahrensantrag auf- tauchenden Begriffe wie

„Gefährdung der Erwerbs- fähigkeit", „ihre voraus- sichtliche Heilung" usw.

auch nur einigermaßen ex- akt zu definieren. Im fol- genden Beitrag sind die wesentlichen Begriffe er- läutert und mit praktischen Vorschlägen versehen.

Bis 1957 gab es bei der Begutach- tung von Heilverfahren kaum Pro- bleme, denn bis zu diesem Zeitpunkt führte die Rentenversicherung Ge- sundheitsmaßnahmen — damals noch Heilverfahren genannt — nur zur Verhütung einer direkt drohen- den oder zur Beseitigung einer be- reits bestehenden Invalidität durch.

Vor 1957 galt derjenige als Invalide, dessen Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt um mehr als 50 Prozent gemindert war.

Im Bemühen um mehr soziale Ge- rechtigkeit wurden vom Gesetzge- ber damals die Begriffe der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit eingeführt.

Jeder seinerzeit als Gutachter tätige Arzt weiß, wie schwierig es war, sich in die neuen Begriffe einzudenken und sie gerecht anzuwenden. So ließ vor allem das den Begriff der Er- werbsunfähigkeit exakt definierende erste Urteil des Bundessozialge- richts (BSG) viele Jahre auf sich warten, mit dem Erfolg, daß die Er- werbsunfähigkeitsquoten bei den verschiedenen Anstalten noch Mitte der 60er Jahre erheblich — im Ex- tremfall sogar zwischen 20 und 80 Prozent differierten. Immerhin — wenn auch nach langem Warten — der Rentengutachter bekam offiziell seine Rahmenrichtlinien von kom- petenter Stelle und konnte sich da- nach richten. Allerdings wird er dies wohl nicht mehr allzu lange können, denn es zeichnen sich bereits neue Begriffe am Horizont der Rentenbe- gutachtung ab.

Der Gesetzgeber wollte aber in je- nem für die Rentenversicherung so

denkwürdigen Jahr 1957 nicht nur ein gerechtes Rentengesetz schaf- fen, sondern auch die Erkenntnisse und Forderungen der modernen Me- dizin in die Rehabilitationsgesetzge- bung einbauen. Mit der Forderung

„Rehabilitation vor Rente" sollte be- wirkt werden, daß Heilverfahren nicht erst wie bisher, bei bereits fort- geschrittenen Krankheitsbildern, sondern schon in deren Anfangssta- dium zum Tragen kommen sollten.

Hier erscheint erstmals im Zusam- menhang mit diesen Maßnahmen der Begriff der Prävention.

Ein neuer Begriff:

Die Erwerbsfähigkeit

Nach den Rehabilitationsparagra- phen 10 des AVG und 1236 ff. der RVO ist die Gewährung von Gesund- heitsmaßnahmen an folgende ge- setzlichen Voraussetzungen ge- bunden:

> das Vorliegen von Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwäche der körperlichen oder geistigen Kräfte;

> eine dadurch bedingte Gefähr- dung oder Minderung der Erwerbs- fähigkeit;

> deren voraussichtliche Erhal- tung, wesentliche Besserung oder Wiederherstellung durch eine solche Gesundheitsmaßnahme.

Der Gesundheitsausschuß des Ver- bandes Deutscher Rentenversiche- rungsträger (VDR) hat im August 1976 für die einzelnen Begriffe fol- gende Musterrichtlinien definiert. >

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Spektrum der Woche Aufsätze -Notizen

Begutachtung von Rehabilitationsfällen

1. Krankheit ist ein regelwidriger körperlich oder geistiger Zustand.

2. Gebrechen sind die Beeinträchti- gungen der Erwerbsfähigkeit, die durch einen von der Regel abwei- chenden (körperlichen oder geisti- gen) Zustand bedingt sind, mit des- sen Dauer für nicht absehbare Zeit zu rechnen ist (AN 28, S. 232).

3. Als Schwäche der körperlichen oder geistigen Kräfte sind Zustände anzusehen, die der Norm nicht ent- sprechen, zum Beispiel vorzeitiger Kräfteverbrauch, Abnutzungser- scheinungen über das altersbeding- te Maß hinaus.

Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit

Hier taucht zum ersten Mal der Be- griff der Erwerbsfähigkeit auf. Es ist kein Geheimnis, daß es damals lange und heiße Debatten um die Frage des Bezugsbegriffs gab. Die ursprünglich sich anbietenden Be- griffe Gesundheit und Krankheit wurden schließlich — weil zu vage und zu schwer definierbar — durch den Begriff Erwerbsfähigkeit ersetzt.

Der Begriff der Erwerbsunfähigkeit wurde bereits vor Jahren vom Bun- dessozialgericht exakt definiert. Die vom VDR herausgegebene offizielle Definition des Begriffs der Erwerbs- fähigkeit ist umschrieben als die

„Fähigkeit des Versicherten, sich unter Ausnutzung der Arbeitsgele- genheiten, die sich ihm nach seinen Kenntnissen und seinen körperli- chen und geistigen Fähigkeiten im ganzen Bereich des wirtschaftlichen Lebens bieten, einen Erwerb zu ver- schaffen."

Bis heute gab es auch keine Recht- sprechung darüber, wie die Begriffe

„gefährdet" oder „gemindert" zu in- terpretieren sind. Siegfried Häussler beklagt dies in seinem Beitrag „Die Kur aus der Sicht des Kassenarztes"

zu Recht und stellt weiter die Frage:

„Welche Intensität der Gefährdung muß vorliegen, muß die Erwerbsfä- higkeit unmittelbar oder in welchem Zeitablauf gefährdet sein?"

Inzwischen besitzen wir auch für diese strittigen Begriffe eine klare Definition! „Die Erwerbsfähigkeit ist gefährdet, wenn nach ärztlicher Er- fahrung bei schicksalsmäßigem oder verhaltensbedingtem weiteren Verlauf mit dem Eintritt einer Minde- rung der Erwerbsfähigkeit zu rech- nen ist. Dabei genügt nicht die Mög- lichkeit des Eintritts der Minderung der Erwerbsfähigkeit in einem in un- absehbarer Zukunft liegenden Zeit- punkt. Es ist andererseits nicht nö- tig, daß sich erfahrungsgemäß schon innerhalb einer kurzen Zeit der die Minderung der Erwerbsfä- higkeit bedingende Krankheitszu- stand körperlicher, geistiger oder seelischer Art entwickeln wird."

Minderung der Erwerbsfähigkeit ist jede nicht unwesentliche Einschrän- kung der vollen Erwerbsfähigkeit, auch wenn sie noch keinen renten- anspruchsberechtigenden Grad er- reicht hat.

Im Mai 1975 verkündete der Vor- standsvorsitzende des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträ- ger, Gerd Muhr (DGB), der Vorstand habe eine Einschränkung der Ge- sundheitsmaßnahmen für leichtere

Fälle, also besonders der Präventiv- kuren, zugunsten der schweren Fälle, der Anschlußheilmaßnahmen beschlossen. Das ist so ohne weite- res aber gar nicht möglich — es sei denn, das Gesetz würde geändert.

Welcher Arzt ist denn in der Lage, etwa bei einem vierzigjährigen im heutigen Verkehrs- und Berufsstreß Stehenden eine Gefährdung seiner Erwerbsfähigkeit mit Sicherheit aus- zuschließen? So stellt sich das Pro- blem für Gutachter und Kassenarzt!

Hat Häussler somit wieder recht mit seiner Feststellung, es sei dem Kas- senarzt schlechterdings unmöglich, den Wunsch eines Versicherten nach einer Kur abzulehnen? Er hätte recht, gälte es nur die Frage der Ge- fährdung zu prüfen. Er muß aber gleichzeitig feststellen, ob voraus- sichtlich, nach allgemeiner ärztli- cher Erfahrung, mit der Erhaltung oder Besserung seiner Erwerbsfä- higkeit gerechnet werden kann.

Dazu ist aber der behandelnde Arzt

oft besser in der Lage als der Gut- achter, der den Antragsteller ja meist nur einmal sieht.

Auch hierzu die offizielle Begriffsbe- stimmung: „Eine Erhaltung der Er- werbsfähigkeit kann erreicht wer- den, wenn entweder die noch unge- minderte Erwerbsfähigkeit erhalten oder eine weitere Minderung der Er- werbsfähigkeit verhindert wird.

Eine wesentliche Besserung liegt vor, wenn der Grad der Erwerbsmin- derung herabgesetzt wird und diese Besserung von gewissem Gewicht und nicht nur vorübergehend ist. Sie ist nicht gegeben, wenn nur eine Linderung des Leidens oder eine sonstige Erleichterung in den Le- bensumständen (zum Beispiel bei Gebrechen) erreicht werden kann.

Wiederherstellung der Erwerbsfä- higkeit bedeutet, daß nach durchge- führter Rehabilitation der Versich- terte wieder in das Erwerbsleben eingegliedert werden kann."

In der Kranken- wie der Rentenversi- cherung geht der Gesetzgeber bei der Definition der anspruchsbegrün- denden Fakten von idealen Ver- gleichspersonen aus, mit voller Ge- sundheit und optimalem Leistungs- vermögen. Das wäre dann der soge- nannte Vollerwerbsfähige. Aus die- sem Sachverhalt können wir ablei- -

ten, daß Erwerbsfähigkeit nichts an- deres ist als die Arbeitsfähigkeit auf lange Sicht, sowie Erwerbsunfähig- keit praktisch mit Arbeitsunfähigkeit auf lange Sicht beziehungsweise auf Dauer gleichgesetzt werden kann.

Arbeitsunfähigkeit im Sinne der ge- setzlichen Krankenversicherung liegt vor, wenn der Versichterte in- folge Krankheit

> seine Arbeit überhaupt nicht oder

nur mit der Gefahr, in absehbarer Zeit seinen Zustand zu verschlech- tern, fortsetzen kann. Dabei ist unter Arbeit die vom Versicherten zuletzt ausgeübte Beschäftigung oder eine ähnlich geartete Tätigkeit zu verste- hen (BSG-Urteil vom 16.5. 1972). >

2082 Heft 34 vom 25. August 1977 DEUTSCHES ARZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Begutachtung von Rehabilitationsfällen

Erwerbsunfähig im Sinne der ge- setzlichen Rentenversicherung ist der Versichterte, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder von Schwäche seiner körperli- chen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben kann oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann.

Ich habe die Geburtswehen beim Bemühen, beide Begriffe miteinan- der zu verknüpfen, selbst schmerz- lich miterleben müssen, und zwar bei meinen ersten Versuchen, den Kurerfolgsnachweis durch Gegen- überstellung der Krankheitsausfall- zeiten — der Arbeitsunfähigkeit — zu führen. Dieser Streit ist inzwischen weitgehend ausgestanden. Der Bie- lefelder Soziologe Christian von Fer- ber hat sich seit vielen Jahren sach- kundig und kritisch mit dem Pro- blem der Kuren und Gesundheits- maßnahmen auseinandergesetzt und ist daher als unbefangener, neutraler Betrachter am ehesten in der Lage, objektiv zu urteilen. In sei- ner Arbeit „Integration durch Infor- mationssysteme im Bereich der so- zialen Leistungen" schreibt er im Kapitel „Rehabilitation" unter ande- rem: „Operationalisierung des Ziels ,Erhaltung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit' nach dem Vorschlag von Wannenwetsch, der Arbeitsunfähigkeitsfälle und -zeiten, aufgeschlüsselt nach Indikationen, für die Zeit vor der Rehabilitations- maßnahme und danach vergleicht.

Eine solche Operationalisierung er- scheint als die einzig vertretbare, da es sich in der überwiegenden Mehr- zahl um chronisch-degenerative Krankheitsprozesse handelt, bei denen eine Wiederherstellung aus- geschlossen und für die keine zurei- chenden medizinischen Erfolgskri- terien formuliert werden können.

Zum anderen aber wird auf diese Weise die Zielvorstellung des Ge- setzgebers exakt getroffen."

Welche Bedeutung und Zielsetzung hat nun die Begutachtung beim An- trag auf Gesundheitsmaßnahmen?

Wenn wir unterstellen, daß bei die-

sem Vorgang als erster der behan- delnde Arzt tätig wird, so gliedert sie sich in zwei Stufen:

1. Behandelnder Arzt, Facharzt, Krankenhaus-, Klinikarzt quasi als

„Anwalt" seiner Patienten.

2. Gutachter der Rentenversiche- rung — als medizinischer Sachver- ständiger der Versicherung.

In Württemberg, wo das sogenannte

„Hausarztsystem" praktiziert wird, liegen beide Funktionen in der Hand des Hausarztes.

Nach Otto Krasney hat „jeder Versi- cherte einen rechtlichen Anspruch darauf, im Rahmen des tatsächlich Möglichen gleich wie alle anderen Mitglieder der Versichertengemein- schaft behandelt und nicht durch Entscheidungen der Verwaltung ohne sichere tatsächliche Feststel- lungen von Leistungen ausge- schlossen zu werden, welche die Verwaltung anderen, auf Grund der- selben Rechtsvorschrift gewährt.

Hier folgt aus dem Gebot, vor dem Gesetz alle gleich zu behandeln, die Notwendigkeit einer ärztlichen Be- gutachtung als Entscheidungshilfe für die Gewährung sozialrechtlicher Leistungen."

Die Rolle des behandelnden Arztes Die Rolle des behandelnden Arztes ist bei der Begutachtung von Ge- sundheitsmaßnahmen regional ver- schieden. Bis auf das Gebiet der LVA Württemberg tritt er meist nur in der Funktion des ärztlichen An- tragstellers auf. Diese Anträge wer- den formlos oder — wie etwa bei uns

— auf Formblatt erstellt, wobei der Grundsatz zu beherzigen ist, daß bei der Antragstellung — wenn irgend möglich — die Diagnose gesichert sein soll. Zwar hängt der Erfolg einer Rehabilitationsmaßnahme in erheb- lichem Maße vom Zeitpunkt des Er- kennens der Rehabilitationsbedürf- tigkeit ab — nach dem Grundsatz: je früher, desto aussichtsreicher — das darf aber nicht dazu führen, unge- klärte Fälle einer Gesundheitsmaß- nahme zuführen zu wollen. Jeder

Patient, für den der Haus-, Fach- oder Klinikarzt eine Heilbehandlung beantragt, steht ja bereits in dessen Behandlung, und eine sachgerechte Behandlung setzt nun einmal eine Diagnose voraus. In seinem Antrag kann der behandelnde Arzt zum Aus- druck bringen, ob er eine Gesund- heitsmaßnahme für notwendig hält.

Befragungsergebnisse

Hier einige Bemerkungen und Daten über das Antragsmotiv der Kassen- ärzte: Wir führten vor einigen Jahren im Raum Augsburg bei niedergelas- senen Ärzten aller Fachrichtungen eine verschlüsselte Umfrage durch, die vorher auch mit den Vorsitzen- den der Kassenärztlichen Vereini- gung abgesprochen worden war.

Wir hatten uns auf folgendes Thema geeinigt:

A: Heilverfahrensantrag auf Eigen- initiative des Arztes;

AP: HV-Antrag auf Ersuchen des Pa- tienten, Arzt ist von der Notwendig- keit einer Kur überzeugt, hat nur nicht daran gedacht, sie zu bean- tragen;

PA: HV-Antrag auf Ersuchen des Pa- tienten, Kur nicht vordringlich, An- trag aus Gründen der Prävention vom Arzt konzediert;

P: Patient drängt auf Antrag, wird vom behandelnden Arzt gestellt aus

„sonstigen" Gründen, Kur nach An- sicht des Arztes nicht erforderlich.

Der Arzt setzte lediglich den Buch- staben, dessen Bedeutung ihm be- kannt war, auf das Antragsformblatt.

Ergebnis:

A 44%, AP 32%, PA 21%, P 3%.

Bei den Wiederholungsheilmaßnah- men, die von den Kurkliniken ange- regt werden, fragen wir seit etwa ei- nem halben Jahr zuerst den behan- delnden Arzt, ob seiner Meinung nach eine neue Maßnahme ange- zeigt und aussichtsreich sei.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 34 vom 25. August 1977 2083

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Begutachtung von Rehabilitationsfällen

Ergebnis:

ja: 91%

3% Ablehnung durch Patient wegen Sorge um Arbeitsplatz

weitere 3% nicht notwendig wegen des anhaltenden Erfolgs der letzten Maßnahme.

Bei der LVA Württemberg ist der be- handelnde Arzt Antragsteller und Gutachter in einer Person. Die BfA bedient sich von ihr ausgewählter und bestimmter Ärzte. In beiden Fäl- len handelt es sich also um freibe- ruflich tätige, mit der Begutachtung beauftragte Ärzte, für die die Begut- achtung die gleiche Zielsetzung und Bedeutung hat wie für die hauptamt- lich Tätigen.

Zielsetzung der Begutachtung Über die Bedeutung des Gutachtens besteht also Klarheit. Ihre Zielset- zung ist die sich daraus ergebende logische Konsequenz: eine allen An- sprüchen genügende, gleichsinnige, unparteiische und damit gerechte sachverständige Beurteilung aller Versicherten.

Wie ist dieses Ziel zu erreichen? Wie soll eine Begutachtung vor sich ge- hen, und was ist dabei zu beachten?

— Grundsätzlich: Der Gutachter sollte Zeit haben und sich Zeit neh- men. Eine Begutachtung unter Zeit- druck wird immer einen Torso pro- duzieren, zur Unzufriedenheit von Arzt und Patient, vor allem aber des Prüfarztes, den solche Gutachten oft vor kaum lösbare Probleme stellen.

Zur Begutachtung selbst: Auf die Bedeutung einer möglichst ausführ- lichen Anamnese möchte ich beson- ders hinweisen — wird hier doch er- fahrungsgemäß am meisten gesün- digt. So ergeben Fragen nach der häuslichen oder beruflichen Situa- tion oft völlig neue Gesichtspunkte.

Die Frage nach dem Antragsmotiv wird viel zu wenig gestellt, sie ist aber für die so wichtige Motivations- forschung unerläßlich. Fragen über Erfolg oder Mißerfolg früherer Ge-

sundheitsmaßnahmen, über Haft- pflicht und Schuldfrage bei Unfall- folgen sind genauso wichtig wie die Frage nach dem möglichen Kurter- min, etwa bei Müttern schulpflichti- ger Kinder.

Wichtig, weil davon die Wahl des Kurortes abhängt, ist die richtige Reihenfolge der Diagnosen — und wer hier meint, dies sei doch selbst- verständlich, unterliegt leider einem Irrtum. Ergibt sich nach der Begut- achtung eine Änderung der Haus- arztdiagnose, muß dies begründet werden. Umgekehrt sollen aber Diagnosen des behandelnden Arztes nicht ohne entsprechende Befund- erhebung im Gutachten übernom- men werden. Auch dieser Hinweis ist aufgrund gemachter Erfahrungen notwendig.

Nach der Begutachtung sollte dem Patienten keine Zusage gemacht und ihm auch nicht das Ergebnis der Untersuchung mitgeteilt werden.

Die Prognose

Schwierigkeiten kann die Prognose bezüglich des zu erwartenden Reha- bilitationserfolges bereiten. Sie ver- langt vom Gutachter nicht nur das Erkennen des Antragsmotivs und der psychischen Strukturierung des Patienten; sie verlangt auch ein um- fassendes Wissen über die vorhan- denen Rehabilitationsmöglichkeiten und -einrichtungen, ebenso über Kontraindikationen und selbstver- ständlich über die gesetzlichen Be- stimmungen. Dazu gehört, daß die Erhaltung des Status quo durchaus Indikation und Erfolgsnachweis ei- ner Gesundheitsmaßnahme bedeu- ten kann.

Kritik und Querelen um die Gesund- heitsmaßnahmen der Rentenversi- cherung wären gegenstandslos, würden alle die Worte des griechi- schen Philosophen Plato beherzi- gen: „Wer einem Mann, der gesund- heitlich falsch lebt, einen Rat geben will, der muß zuerst dessen Lebens- weise ändern; erst dann, wenn er ihm darin folgen will, kann er ihm weitere Anweisungen geben. Will

der Kranke aber nicht, so würde ich den, der in diesem Fall die weitere Beratung eines solchen Mannes ab- lehnt, für einen Mann und einen Arzt halten, den aber, der sich die Wider- setzlichkeit gefallen läßt, für einen Schwächling und Pfuscher."

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med.

Eugen Wannenwetsch Postfach 1 00 70 8100 Augsburg

ECHO

Zu: „Selbstmordverhütung — eine ärztliche Aufgabe" von Dr. med.

Dr. phil. Klaus Thomas in Heft 6/

1977, Seite 379 f.

Schulstreß nur selten Grund für Selbstmord

„Mit einem Netz von Praxen, deren Ärzte in der medizini- schen Selbstmordverhütung besonders geschult sind und laufend fortgebildet werden, soll in der Bundesrepublik den Lebensmüden geholfen und neuer Mut gegeben wer- den. Zusammen mit der For- schung haben die Doktoren der ,Ärztlichen Lebensmüden- betreuung' jetzt den sicheren Nachweis erbringen können, daß insbesondere die erschüt- ternden Selbstmorde von jährlich über 500 Kindern und Jugendlichen in der Bundes- republik auf schwere seeli- sche Krankheiten zurückzu- führen sind. Der ,Schulstreß', der häufig nach Selbstmorden junger Menschen genannt wird, spielt bei den Ursachen solcher Tragödien kaum eine Rolle. Dies hebt Dr. med. Dr.

phil. Klaus Thomas in einem Bericht über die Selbstmord- verhütung als ärztliche Aufga- be hervor (DEUTSCHES ÄRZ- TEBLATT 6/77) ..."

Hans Wüllenweber, in: (Badi- sche Neueste Nachrichten)

2084 Heft 34 vom 25. August 1977 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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