DOKUMENTATION
Welche
Auswirkungen hätte die neue
Gebührenordnung?
Hinweise aus dem Gutachten von Prof. Dr. Frank E. Münnich
Das Bundesarbeitsministerium (BMA) hat versucht, mit dem von der privaten Krankenversicherung (PKV) aus dem Jahr 1978 zur Ver- fügung gestellten Material die mög- lichen Auswirkungen einer Novellie- rung der Amtlichen Gebührenord- nung für Ärzte (GOÄ '82) auf der Basis des Regierungsentwurfes zu berechnen.
Das Material der PKV ist jedoch hierzu deshalb nicht geeignet, weil die Zahl der zur Auswertung heran- gezogenen Arztrechnungen aus dem Jahr 1978 insgesamt und ins- besondere für die einzelnen medizi- nischen Gebiete viel zu klein ist, um eine Berechnung nach mathema- tisch-statistischen Grundsätzen zu- zulassen. Daher unterblieben wahr- scheinlich auch für eine Reihe von Gebieten die Berechnungen des BMA überhaupt. Es können deshalb konsequenterweise weder Durch- schnittswerte für den ambulanten oder stationären Bereich getrennt noch für die Ärzteschaft insgesamt aufgrund dieses Materials angege- ben werden.
Selbst in den Fällen, in denen das BMA eine Berechnung vornahm (siehe Tabelle 2, 1. Spalte), reicht die Zahl der den Berechnungen zu- grundeliegenden Rechnungen we- gen der Bandbreite der Leistungen der entsprechenden Gebiete (hin- sichtlich der Krankheitsbilder und der erbrachten ärztlichen Leistun- gen) nicht aus, um diese Gebiete ausreichend zu repräsentieren. In-
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Bericht und Meinung
Tabelle 1: Den auf Daten der privaten Krankenversicherung aus 1978 beruhenden Berechnungen des Arbeitsministeriums kommt keine Beweiskraft, den um ein Vielfaches umfangreiche- ren und damit repräsentativen Auswertungen im Ergänzungs- gutachten Prof. Münnichs hingegen hohe Beweiskraft zu
Zahl der ausgewerteten Rechnungen
Gebiet in der Be-
rechnung des BMA (Daten der
PKV)
im Gut- achten Prof.
Münnich
im Ergän- zungsgut- achten Prof.
Münnich
Ambulant
Augenheilkunde 764 10 948 41 140
Chirurgie 197 3 961 21 814
Gynäkologie 790 12 314 48 618
HNO-Heilkunde 486 6 162 31 162
Dermatologie 401 8 047 31 209
Innere Medizin 1 809 19 950 80 143
Päd iatrie 455 8 900 48 980
Psychiatrie/Neurologie 131 1 410 3 988
Orthopädie 495 5 636 37 479
Urologie 174 1 706 8 787
Allgemeinmedizin 2 434 36 972 65 406
Lungenheilkunde 22 630 1 906
Röntgenologie 207 5 710 29 138
Sonstige 119 1 407 6 018
Summe 8 484 123 753 455 788
Stationär
Augenheilkunde 52 105 181
Chirurgie 644 3 644 11 817
Gynäkologie 648 3 221 4 859
HNO-Heilkunde 141 609 2 040
Dermatologie 15 28 213
Innere Medizin 888 5 217 12 402
Päd iatrie 66 699 1 933
Psychiatrie/Neurologie 79 695 748
Orthopädie 76 630 2 015
Urologie 146 781 1 402
Lungenheilkunde 5 108 358
Anästhesiologie 448 5 286 15 815
Röntgenologie 222 5 091 16 427
Pathologie 19 265 3 165
Sonstige 291 693
Summe 3 430 45 670 74 068
sofern ist auch in den Fällen, in denen das Bundesarbeitsministe- rium glaubte, eine Aussage machen zu können, diese aus mathema-
tisch-statistischen Gründen nicht zutreffend. Demgegenüber liegt dem im Auftrag des Verbandes der leitenden Krankenhausärzte
20 Heft 35 vom 3. September 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe B
Augenheilkunde + 3,45 + 2,84
Chirurgie - 2,03
Gynäkologie - 17,61 - 6,10
HNO-Heilkunde - 15,52 + 7,58
Dermatologie + 12,40
Innere Medizin - 22,74 - 29,23
Pädiatrie - 2,69 + 8,42
Psychiatrie/Neurologie + 23,90
Orthopädie - 23,11 + 0,07
Urologie - 19,02
Allgemeinmedizin - 4,93 - 10,86
Lungenheilkunde - 14,50
Röntgenologie + 1,75 - 24,29
Sonstige + 10,23
- 10,54
Augenheilkunde + 13,37
Chirurgie - 16,04 - 10,32
Gynäkologie - 4,15 - 13,00
HNO-Heilkunde - 21,30 + 12,82
Dermatologie - 29,44
Innere Medizin - 5,53 - 39,27
Pädiatrie - 25,21
Psychiatrie/Neurologie - 13,02
Orthopädie - 25,96 - 7,59
Urologie - 18,36 - 21,77
Lungenheilkunde - 23,32
Anästhesiologie - 19,59 + 7,87
Röntgenologie - 22,13
Pathologie - 28,00
Sonstige - 28,33
Durchschnitt - 21,23
Tabelle 2: Auswirkungen auf die ärztlichen Einkünfte aus Privat- praxis nach etwaigem Erlaß der vom Arbeitsministerium entwor- fenen neuen Amtlichen Gebührenordnung
Veränderungen
(Gewinn bzw. Verlust in Prozent) Gebiet
Berechnungen des BMA
Vergleich der Mittelwerte) GOÄ '65 und GOA '82 Ambulant
*) Datenbasis: Ergänzungsgutachten Prof. Münnich
Durchschnitt
Stationär
Deutschlands erstellten Gutachten von Prof. Dr. Frank E. Münnich, Tutzing, und dem nach Bekannt- werden der letzten Fassung der
Amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ '82) zwischenzeitlich erstellten Ergänzungsgutachten für den ambulanten Bereich eine zirka
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50fach höhere Datenbasis und für den stationären Bereich eine zirka 25fach höhere Datenbasis mit ent- sprechend großer „Klassenbeset- zung" in den einzelnen Gebieten zugrunde (Tabelle 1). Schon von der Zahl her wird dadurch eine er- heblich zuverlässigere Aussage der Auswirkungen einer GOÄ '82 mög- lich.
Von Prof. Münnich wurde ferner die Umsetzung der zur Verfügung gestellten Arztrechnungen . Position für Position von der GOA '65 auf die GOÄ '82 vorgenommen, wäh- rend das PKV-Material nur Häufig- keitstabellen der zunächst 50 und später 100 häufigsten Gebühren- ordnungsziffern aus dem weitaus kleineren Rechnungsmaterial zu- grunde gelegt hat.
Dadurch konnten viele Leistungen überhaupt nicht erfaßt werden. Au- ßerdem war das Bundesarbeitsmi- nisterium nicht in der Lage, die Auswirkungen der für eine ganze Reihe von Gebührenordnungszif- fern eingeführten täglichen Men- genbegrenzungen in der Abrechen- barkeit zu berücksichtigen. Deshalb ist sowohl von der Zahl als auch vom Verfahren her anhand des PKV-Materials eine hinreichend zu- verlässige Aussage der Auswirkun- gen der GOA '82 nicht möglich.
Verluste
in Praxis und Klinik
Das sauberste mathematisch-stati- stische Verfahren zum Vergleich zweier Gebührenordnungen ist der sogenannte Mittelwertvergleich.
Beim Mittelwertvergleich der Liqui- dationsvolumina, also dem Ver- gleich unter Anwendung des Fak- tors 3,5 der GOÄ '65 einerseits und der Faktoren des 1,8fachen für die überwiegend medizinisch-techni- schen und des 2,3fachen für die persönlich-ärztlichen Leistungen
Ausgabe B DEUTSCHES ARZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 35 vom 3. September 1982 21
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der GOÄ '82 andererseits, errech- net sich für den ambulanten Be- reich ein Verlust von 10,54 Prozent und für den stationären Bereich ein Verlust von 21,23 Prozent.
Das Beispiel
„innere Medizin"
Der Mittelwertvergleich führt zu ei- nem statistischen „Streuungsein- ebnungseffekt", der deshalb aber besonders gut geeignet ist, die ten- denziellen Auswirkungen beider Ge- bührenordnungen im Vergleich dar- zustellen.
Dieser Vergleich zeigt die erhebli- che Einschränkung der Liquida- tionsmöglichkeiten der GOA '82 ge- genüber der GOÄ '65; so erreicht die innere Medizin zum Beispiel selbst bei Anwendung der höchst- möglichen Multiplikationsfaktoren (2,5fach für den überwiegend me- dizinisch-technischen Bereich und 3,5fach für den überwiegend per- sönlich-ärztlichen Teil) nicht einmal das Liquidationsvolumen, das bei Anwendung der GOA '65 durch Be- schränkung auf den mittleren Multi- plikationsfaktor (das 3,5fache) er- reichbar gewesen wäre. Die maxi- malen Liquidationsmöglichkeiten der inneren Medizin bleiben künftig um 12 Prozent unter dem bisheri- gen Mittelwert und um 62 Prozent unter dem entsprechenden Höchst- wert.
Erhebliche Verzerrungen
Die Tabelle 2 zeigt, welche erhebli- chen Verzerrungen zwischen den einzelnen Gebieten und zwischen dem ambulanten und dem stationä- ren Bereich auftreten, die bereits bei Anwendung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) zu befürchten waren und durch die Anwendung weiterer Vorschriften der GOÄ '82 noch verstärkt wür- den. WZ/PdÄ
NACHRICHTEN
Vilmar wendet sich gegen reißerische Darstellung von Kunstfehlern
Mit dem in der Öffentlichkeit häu- figer geäußerten Vorwurf, die Ärz- te seien an der Aufklärung von Kunstfehlern nicht interessiert, hat sich der Präsident der Bundesärz- tekammer, Dr. Karsten Vilmar, bei der Eröffnung des XVI. Seminar- kongresses der Bundesärztekam- mer in Grado am 22. August aus- einandergesetzt. Vilmar versicher- te: „Uns Ärzten liegt in erhebli- chem Maße daran, mögliche Feh- ler zu erkennen, daraus zu lernen und den Patienten zu helfen." Aus eigener Initiative habe die Ärzte- schaft Gutachter- und Schlich- tungsstellen eingerichtet. Diese bemühten sich um eine objektive Klärung von Vorwürfen und eine unbürokratische Regelung, wenn tatsächlich durch einen Kunstfeh- ler ein Schaden entstanden sei.
Vilmar bedauerte, daß manche Medien vielfach mit reißerischen Methoden den Eindruck erwek- ken, bei der ärztlichen Behand- lung hätten Kunstfehler einen er- heblichen Anteil. Das entspreche nicht der Realität. Im Vergleich zu den tausendfach täglich erbrach- ten Leistungen sei der Kunstfehler nach wie vor die ganz seltene Aus- nahme.
Der Münchner Rechtsmediziner Prof. Dr. Wolfgang Spann wies bei dem Kongreß in Grado darauf hin, daß bei Patienten, denen eine feh- lerhafte Behandlung widerfahren sei oder die glaubten, Opfer eines Kunstfehlers zu sein, in aller Regel kein Interesse an einer strafrechtli- chen Verfolgung des Arztes be- stehe.
Den Patienten liege lediglich an einer zivilrechtlichen Klärung des Schadenersatzanspruches. Wenn es dennoch immer wieder zu Strafverfahren — ausgelöst von An- zeigen durch Patienten — komme, so häufig deshalb, weil die Rechts- vertreter der Patienten eine Straf- anzeige betrieben, um nach Ab-
schluß des Strafverfahrens even- tuell leichter zivilrechtliche An- sprüche durchsetzen zu können.
(„Der Staatsanwalt ist der billigste Rechtsanwalt.")
Der beschuldigte Arzt hat, so er- klärte Spann, gleich zu Beginn des Ermittlungsverfahrens eine für ihn sehr wichtige Entscheidung zu treffen: Soll er sich auf sein Recht berufen, in der Sache zu schwei- gen, oder soll er Angaben ma- chen? Beschuldigte Ärzte versu- chen offenbar häufig, sich bei der Ermittlung zu verteidigen, ohne zuvor einen Rechtsanwalt konsul- tiert zu haben. Doch ein Beschul- digter sei ein schlechter Verteidi- ger, erinnerte Rechtsmediziner Spann. Prof. Spann hält die Selbstverteidigung des Arztes im Ermittlungsverfahren für genauso- wenig empfehlenswert wie eine ärztliche Behandlung, wenn der Arzt sein eigener Patient ist.
Der XVI. Internationale Fortbil- dungskongreß der Bundesärzte- kammer in Grado stand unter dem Generalthema „Rationelle Diagno- stik und Therapie". Das Thema, traditionell für den Grado-Spät- sommerkongreß, hat inzwischen eine „ungeahnte Aktualität ge- wonnen" (Kongreßleiter Prof. Dr.
med. Heinz Losse, Münster). Heu- te gelte es nicht mehr, alles, was möglich ist, zu tun, sondern nur noch das, was bei kritischer Wür- digung des Befundes nötig ist.
Aufgabe der ärztlichen Fortbil- dung sei es, Kenntnisse und Fer- tigkeiten daraufhin zu überprüfen.
In Grado wurde auch unter diesem Aspekt das Angebot an prakti- schen Übungen und Kursen erwei- tert.
Erstmals angeboten wurden ein Sonographie-Praktikum, ein Au- genspiegel-Kurs und ein Kursus der HNO-Untersuchungsmetho- den. Das noch durch Prof. Dr. Al- bert Schretzenmayr (von Dr. Vil- mar als „Vater dieser Form der ärztlichen Fortbildung" bezeich- net) eingeführte Konzept des Se- minarkongresses setzt sich also mehr und mehr durch. NJ
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