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twa 150 Millionen Frauen weltweit sind von einer Ge- nitalverstümmelung betrof- fen. In Deutschland sollen nach Schätzung von Terre des Femmes 18 000 betroffene Frauen leben, 5 000 bis 6 000 Mädchen seien gefährdet. Um ihnen auch ärztlich angemes- sen helfen zu können, hat die Bundesärztekammer (BÄK)„Empfehlungen zum Um- gang mit Patientinnen nach weiblicher Genitalverstüm- melung“ erarbeitet und im Deutschen Ärzteblatt (Heft 5/2006) veröffentlicht.
Vor der Presse in Berlin stellte BÄK-Vizepräsidentin Dr. med. Cornelia Goesmann die Empfehlungen am 6.April auch öffentlich vor. Sie erin-
nerte daran, dass der Deut- sche Ärztetag bereits vor zehn Jahren eine weltweite Ächtung der Genitalverstüm- melung gefordert hatte.
Die Empfehlungen vermit- teln grundlegende medizini- sche, ethische und rechtliche Kenntnisse und sollen, so Goesmann, die behandelnden Ärzte dabei unterstützen,
„den betroffenen Frauen ein- fühlsam, entsprechend ihrem kulturellen Selbstverständnis, ihrem Leidensdruck und ent- sprechend dem Ausmaß ihrer Verstümmelungen und Be- schwerden kompetent zu hel- fen“. Goesmann erhofft sich von der ärztlichen Beratung auch, dass Frauen, die hierzu- lande entbinden, von einer Beschneidung ihrer Töchter abgebracht werden können. In England wollen, ergänzte da- zu Prof. Dr. Dr. Mechthild Nei- ses, 90 Prozent der Einwande- rinnen aus dem Sudan ihre Töchter beschneiden lassen.
Bundesgesundheitsministe- rin Ulla Schmidt bezeichnete Genitalverstümmelung als
„Verbrechen an Frauen“. Ih- re Kabinettskollegin Heide- marie Wieczorek-Zeul sehe in der Bekämpfung einen Schwerpunkt ihrer Arbeit und fördere aufklärende Projekte in vielen afrika- nischen Ländern. Für sol- che Prävention setzte sich auch die Migrationsbe- auftragte der Bundesre- gierung, Prof. Dr. Maria Böhmer, ein. Nichtregie- rungsorganisationen, die die Tradition der Genital- verstümmelung in den Heimatländern bekämpf- ten, sollten unterstützt werden.
Einige dieser Organisa- tionen forderten anlässlich der Vorstellung der BÄK- Empfehlungen weitere Be- ratungsangebote, auch soll- te in Arztpraxen mehr- sprachiges Informations- material ausliegen. Terre des Femmes hat mit Un- terstützung des Bundes- familienministeriums eine solche Broschüre („Wir schützen unsere Töchter“, in sechs Sprachen) ent-
wickelt. NJ
A K T U E L L
A
A970 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 15⏐⏐14. April 2006
„Ohne Titel“: Das Bild der nigeriani- schen Künstlerin Dele Campbell war 2001 im Rahmen der Wanderausstel- lung „Weibliche Genitalverstümme- lung“ in Deutschland zu sehen.
Genitalverstümmelung
Hilfe für betroffene Frauen
Bundesärztekammer legt Empfehlungen vor.
D
ie Bundesregierung hält die Gesundheitsversor- gung für psychisch kranke Kinder und Jugendliche für ausreichend. Es lägen „keine Erkenntnisse über generelle Versorgungsprobleme“ vor, heißt es in der Antwort auf eine kleine Anfrage der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag. Die FDP hatte unter Hinweis auf Angaben der Bundespsychotherapeu- tenkammer (BPtK) hervor- gehoben, „dass ein Besorgnis erregend hoher Anteil von Kindern und Jugendlichen von circa fünf Prozent psy- chisch auffällig beziehungs- weise behandlungsbedürftig“sei.
Die Bundesregierung be- stätigt die Zahl, auch seien
„Aussagen von Berufsver- bänden und der BPtK über Engpässe in ländlichen Ge- bieten und in Ostdeutschland bekannt“. Eine gesonderte Bedarfsplanung für Kinder- und Jugendlichenpsychothe- rapeuten (KJP) wird dennoch nicht „für unbedingt erfor- derlich“ gehalten. Sachge- recht sei vielmehr, lokalen
Versorgungsengpässen mit Sonderbedarfszulassungen zu begegnen.
Das Instrument der Son- derbedarfszulassung habe seit Jahren nichts an der Unter- versorgung geändert, erklärt dagegen Timo Harfst, Refe- rent der BPtK. In Sachsen- Anhalt beispielsweise sind nur zwei Kinderpsychothe- rapeuten zugelassen und acht Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Diese müss- ten bei einer Prävalenz von fünf Prozent 18 000 psychisch kranke Kinder versorgen. Die Situation in anderen ost- deutschen Ländern ist ähn- lich. Die Bundespsychothe- rapeutenkammer fordert des- halb eine getrennte Bedarfs- planung für Erwachsenen- und für Kindertherapeuten.
Damit könnten sich bun- desweit 866 zusätzliche KJP niederlassen.
Zum 31. Dezember 2005 waren in Deutschland 2 485 KJP sowie 598 Kinderpsych- iater zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen (Quel- le: Bundesarztregister). PB
Psychisch kranke Kinder
Politik hält Versorgung für ausreichend
Bundespsychotherapeutenkammer fordert getrennte Bedarfsplanung.
Abb.:Terre des Femmes Foto:OBS/Initiative „Mehr vom Tag – mehr vom Leben“