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Archiv "Psychisch kranke Kinder und Jugendliche: Stiefkinder des Gesundheitssystems?" (21.04.2000)

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eit den Empfehlungen der Ex- pertenkommission der Bun- desregierung zur Reform der Versorgung im psychiatrischen und psychotherapeutisch/psychosomati- schen Bereich 1988 sind umfangreiche Änderungen in der Kinder- und Ju- gendpsychiatrie, der Jugendhilfe und der Kinder- und Jugendlichenpsycho- therapie erfolgt. Trotzdem hat sich an der Versorgungssituation von Kin- dern und Jugendlichen mit psychi- schen Erkrankungen in Deutschland wenig geändert. Im Rahmen der am- bulanten psychotherapeutischen Ver- sorgung dieser Gruppe standen Ende 1999 bundesweit nur 1 087 zur ver- tragsärztlichen Versorgung zugelasse- ne Kinder- und Jugendlichenpsycho- therapeuten einem epidemiologisch ermittelten Bedarf von 1,5 Millionen

Minderjährigen mit behandlungs- oder beratungsbedürftigen psychi- schen Störungen gegenüber. In eini- gen neuen Bundesländern gibt es kei- nen einzigen zugelassenen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten.

Versorgungsmängel

Die Frage nach der stationären Versorgungssituation von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Er- krankungen wurde zunächst durch ei- nen internationalen Vergleich aufge- worfen: Danach stand Deutschland in der Europäischen Union 1993 an vor- letzter Stelle der kinder- und jugend- psychiatrischen Versorgung durch Fachärzte. Eine auf Krankenhaussta- tistiken beruhende Untersuchung im

Regierungsbezirk Oberbayern ergab, dass in den Jahren 1995 und 1996 nur etwa 25 Prozent der wegen psychi- scher Erkrankungen stationär behan- delten Kinder und Jugendlichen fach- spezifisch versorgt wurden. Vergleiche mit anderen Bundesländern ließen ebenfalls deutliche Versorgungsmän- gel sichtbar werden – es konnte also angenommen werden, dass ein syste- misches Defizit in allen Bundeslän- dern vorliegt. Zur Überprüfung dieser Hypothese wurden erstmals öffentli- che Bevölkerungs- und Krankenhaus- statistiken eingesetzt (Tabelle).

Für das Referenzjahr 1997 erhal- ten im bundesdeutschen Durchschnitt etwa 60 Prozent der Minderjährigen, die wegen einer psychischen Erkran- kung in eine Klinik eingewiesen und behandelt werden, keine fachspe- zifische Behandlung, obwohl eine psychiatrische Hauptdiagnose vor- liegt. Zudem werden zahlreiche Kin- der im Alter bis 12 Monate in jedem Bundesland auf der Grundlage einer psychiatrischen Hauptdiagnose sta- tionär behandelt. Deren Anteil an den stationär versorgten psychiatri- schen Patienten bis zum 18. Lebens- jahr beträgt bis zu sechs Prozent. Un- ter den psychiatrischen Krankheiten, die in dieser Altersgruppe diagnosti- ziert werden, befinden sich schizo- phrene und affektive Psychosen, Neurosen, Persönlichkeitsstörungen

A-1044 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 16, 21. April 2000

P O L I T I K AKTUELL

Tabelle

Stationäre Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Erkrankungen in Deutschland im Jahr 1997 (Auswahl)

Deutsch- Baden- Bayern Berlin Branden- Nord- Hessen Nieder- Sachsen Sachsen- Schleswig- Thüringen

land Württem- burg rhein- sachsen Anhalt Holstein

(gesamt) berg West-

falen Fallzahlen

Krankenhausdiagnose-

statistik1 63 103 6 357 7 600 2 578 2 344 15 391 3 846 5 679 3 966 2 746 2 962 2 215

Fallzahlen Kinder- und Jugend-

psychiatrie2 24 864 1 838 2 118 1 210 1 479 5 849 1 790 2 273 1 969 1 567 1 175 1 009

Bedarf in Anzahl von

fachspezifischen Plätzen3 6 372 756 914 228 144 1 590 342 567 333 196 298 201

Stationärer

Versorgungsgrad4 39 % 28 % 27 % 47 % 63 % 38 % 46 % 40 % 49 % 57 % 39 % 45 %

1 Stationär behandelte Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr mit einer psychiatrischen Hauptdiagnose 1997 (Quelle: Statistische Landesämter)

2 (Quelle: Statistisches Bundesamt)

3 Nach der Formel: Fallzahlen Krankenhausdiagnosestatistik – Fallzahlen Kinder- und Jugendpsychiatrie: 6 (durchschnittliche Verweildauer 1997 in der stationären Kinder- und Jugendpsychiatrie = 58,6 Tage)

4 Nach der Formel: Fallzahlen Kinder- und Jugendpsychiatrie: Fallzahlen Krankenhausdiagnosestatistik mal 100

Psychisch kranke Kinder und Jugendliche

Stiefkinder des

Gesundheitssystems?

Weniger als die Hälfte der wegen psychischer Erkrankungen stationär behandelten Kinder und Jugendlichen wird fachspezifisch versorgt.

S

(2)

und sexuelle Verhaltensabweichun- gen. Fraglich ist, wie psychiatrische Störungsbilder in diesem frühen Alter Gegenstand einer entsprechenden In- dikationsstellung sein können.

Eine erste gesundheitspolitische Konsequenz ist die Forderung nach einer Modernisierung der Bedarfspla- nung auf dem Gebiet der stationären Versorgung. Als künftiger Basisindi- kator des Versorgungsbedarfs wird die Einführung eines stationären Ver- sorgungsgrades vorgeschlagen: Defi- niert als prozentualer Anteil der Kin- der und Jugendlichen der Kranken- hausstatistik mit einer psychiatrischen Hauptdiagnose, die ausschließlich in fachspezifischen stationären Einrich- tungen behandelt werden. Im Länder- vergleich hatte Brandenburg mit 63 Prozent den höchsten, Bayern mit 27 Prozent den niedrigsten stationären Versorgungsgrad.

Welche Plätze, wenn nicht sol- che in fachspezifischen Einrichtun- gen, belegen denn nun die zahlreichen Minderjährigen mit psychiatrischer Hauptdiagnose? Hinweise auf die Zu- nahme tagesklinischer oder ambulan- ter Behandlungsangebote, etwa durch ambulant tätige Kinder- und Jugendli- chenpsychotherapeuten oder die Ju- gendhilfe, gehen grundsätzlich an der Fragestellung vorbei, denn es handelt sich um Fälle von vollstationärer Krankenhausbehandlung. Die Erklä- rung für diese eklatante stationäre Unterversorgung muss in einer kom- plexen Wechselwirkung gesucht wer- den: Zwischen einer – historisch be- dingten – Hemmung der Eltern, Plät- ze für ihre Kinder in Anspruch zu neh- men einerseits und einer systemati- schen Fehlplatzierung im Gesund- heitssystem andererseits. Um Kinder und Jugendliche mit psychischen Er- krankungen nicht mehr wie Stiefkin- der des Gesundheitssystems zu be- handeln, sollten – etwa auf dem Hin- tergrund des Psychotherapeutenge- setzes – neben dem monopolistischen Angebot zusätzliche ambulante und stationäre Modelleinrichtungen ge- schaffen werden.

Dr. phil. Peter Pohl Dipl.-Psych.

Kinder- und

Jugendlichenpsychotherapeut St.-Martin-Straße 10

82467 Garmisch-Partenkirchen

A-1046

P O L I T I K AKTUELL

Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 16, 21. April 2000

Die Biotechnologie-Richtlinie und das Schutzzertifikat für Arznei- stoffe der Europäischen Union samt seiner Auswirkungen auf die Verord- nungspraxis der Vertragsärzte standen im Mittelpunkt einer Tagung des „Fo- rum Institut für Management GmbH“

in München. Nach der Biotechnolo- gie-Richtlinie, die am 30. Juli in Kraft tritt, ist lebende Materie wie Tier oder Pflanze grundsätzlich patentierbar (siehe dazu „Genpatentierung – eine abstruse Idee?“ in diesem Heft). Da- nach ist das individuell erzeugte Tier patentierbar, nicht aber seine Nach- kommen. Dasselbe gilt für Pflanzen.

Gert Kolle, Direktor des Eu- ropäischen Patentamtes (EPA), ver- wies auf Regel 23d und Artikel 53a des Europäischen Patentübereinkom- mens, wonach Verfahren zum Klonen menschlicher Lebewesen von der Pa- tentierung ausgeschlossen sind. Dane- ben stehen Strafgesetzbuch, Embryo- nenschutz- und Gentechnikgesetz der Anwendung eines derartigen Patents in Deutschland entgegen. Es könnte auf Antrag vor dem Bundespatent- gericht für nichtig erklärt werden (Pa- tentgesetz §§ 22 und 81).

Hohe Kosten

Einzelne Bausteine des menschli- chen Körpers wie Gene und deren Einweißbausteine unterliegen hinge- gen dem Patentschutz. Ein Patent kann aber nur erteilt werden, wenn deren Struktur und Funktion charak- terisiert und die gewerbliche Nutzung angegeben werden. Diese Regelung ist für den Anmelder mit einem finan- ziellen Aufwand in Millionenhöhe verbunden und schiebt der kommerzi- ellen Entschlüsselung des menschli- chen Genoms einen Riegel vor. Seit 1980 hat das EPA 600 Patente auf

transgene Tiere und 2 000 Patente auf DNA-Se- quenzen erteilt. Der Pa- tentschutz gilt ab dem Tag der Anmeldung für 20 Jahre. In diesem Zeitraum muss der Arzneimittel- hersteller einen Wirkstoff über die klinische Prüfung bis zur arzneimittelrecht- lichen Zulassung führen, was Kosten von rund 400 Millionen DM verursacht. Refinan- zieren kann er diese nur in der Rest- nutzzeit ab der Zulassung, etwa für zehn Jahre. Um die Restnutzzeit teu- rer Innovationen zu verlängern, hat die EU 1992 das Schutzzertifikat für Arzneistoffe (1768/92 EWG) einge- führt. Dem Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof, Rüdiger Rogge, zufolge kann danach ein nicht zuge- lassener Wirkstoff einen Patentschutz bis zu 25 Jahren erlangen. Diese Re- gelung galt bislang für einzelne – aller- dings arzneimittelrechtlich zugelasse- ne – Stoffe, jedoch nicht für Stoffgrup- pen oder deren Salze oder Ester. Die- se mussten nach EU-Recht ebenfalls als Arzneimittel zugelassen sein, um in den Vorzug der zusätzlichen Fünf- Jahres-Schutz-Regelung zu kommen.

Innovation belohnen

Der Europäische Gerichtshof hat am 16. September 1999 (Rechtssache C-392-97) entschieden, dass die zu- sätzliche Fünf-Jahres-Regelung auch greift, wenn für die Salze und Ester ei- nes Arzneistoffs keine arzneimittel- rechtliche Zulassung vorliegt. Damit soll die kostenintensive Entwicklung innovativer Arzneistoffe für die Sozi- algemeinschaft belohnt werden. Frag- lich ist, ob hier nicht zugunsten der fi- nanziellen Interessen der Industrie und zum Nachteil des Arzneimittel- budgets der Ärzte entschieden wurde, denn die Veresterung eines Arznei- stoffs kann zu völlig anderen pharma- kokinetischen Eigenschaften führen.

Dies wurde auch im Grundgedanken des Arzneimittel-Schutzzertifikates (1768/92 EWG, Artikel 3b) ausdrück- lich berücksichtigt. Damit werden den Ärzten nun kostengünstigere Arznei- stoffe für weitere fünf Jahre vorent- halten. Dr. med. Otto Zierer

Europäisches Patentrecht

Verlängerter

Patentschutz für

Arzneistoffe

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