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Archiv "Psychisch kranke Kinder und Jugendliche: „Integrativ“ versorgen" (06.12.2002)

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P O L I T I K

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ie Zahlen werden seit rund 20 Jah- ren unverändert mitgeteilt: Etwa eine Million von 17 Millionen Kin- dern und Jugendlichen in Deutschland sind psychisch krank. Bei weiteren ein bis 1,5 Millionen liegen Störungen in der sozialen und emotionalen Entwicklung vor, die einer Diagnose bedürfen. Eine dreifache Zunahme psychosomatischer Symptome bei rund 4 000 Viertklässlern im Vergleich zur ersten Klasse ergab ei- ne Studie zu psychischen Störungen im Grundschulalter, die Prof. Dr. med.

Franz Resch, Kinder- und Jugendpsych- iatrie der Universität Heidelberg, bei der Jahrestagung des Berufsverbandes der Ärzte für Kinder- und Jugendpsych- iatrie und Psychotherapie (BKJPP) in Stuttgart vorstellte.

Hauptschüler viermal häufiger psychisch auffällig

Auch Übergewicht und suizidale Ge- danken fanden sich am Ende der Grundschulzeit relativ häufig. Verstärkt traten bei den Viertklässlern Depressi- vität, Angst, Aufmerksamkeitsstörun- gen, aggressives Verhalten und Allergien auf. Betroffen waren vor allem Jungen.

Auffällig war weiter, dass Viertklässler mit Empfehlung für die Hauptschule viermal so häufig psychiatrisch/psycho- therapeutischen Abklärungsbedarf ha- ben wie Kinder mit Gymnasialempfeh- lung. Als Ursachen zeigten sich größere finanzielle Probleme in der Familie und ein deutlich höherer Fernsehkonsum.

Resch fordert daher von den Lehrern,

„mehr Wert auf sozio-emotionale Bil- dung zu legen und zu unterscheiden, was hinter schlechten Leistungen steckt“.

Der Zusammenhang zwischen psy- chosozialen Lebensbedingungen und psychischen Auffälligkeiten zeigt, wie

wichtig das „integrative Denken“ in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist, also die Abklärung biologischer, psychologi- scher und soziokultureller Variablen.

Integratives Denken ist Voraussetzung für eine „integrative Versorgung“ – das Leitthema der BKJPP-Jahrestagung. In- tegrative Versorgung definierte Prof. Dr.

med. Dr. phil. Helmut Remschmidt, Kli- nik und Poliklinik für Kinder- und Ju- gendpsychiatrie,Universität Marburg,als Behandlung, die die Familie des betroffe- nen Kindes, die Schule und die Jugend- hilfe mit einbezieht, die je nach Verlauf der – oftmals chronischen – Erkrankun- gen ambulant oder stationär stattfinden kann. Wichtig sei der interdisziplinäre Ansatz, das heißt, mit Ergotherapeuten, Logopäden, Psychologen und Pädago- gen gemeinsam zu behandeln. Methoden müssten verwendet werden, die wissen- schaftlich fundiert und evaluiert sind.

Im Gegensatz zu in den Publikums- medien oft gestreuten Vorurteilen neh- me der Einsatz von Medikamenten bei den meisten psychischen – Erkrankun- gen bei Kindern den letzten Platz der Behandlungsformen ein.An erster Stel- le stehe die Familientherapie, gefolgt von Psychotherapie, umfeldorientier- ten Maßnahmen und Übungsbehand- lungen. „Behaviorale Ansätze in der Psychotherapie haben sich erfolgrei- cher gezeigt als psychodynamische“, fasste Remschmidt die Meta-Analysen evaluierter Studien zusammen. Zur Verbesserung der Versorgung psychisch kranker Kinder forderte der Präsident der Internationalen Vereinigung für Kinder- und Jugendpsychiatrie (Inter- national Association for Child and Adolescent Psychiatry and Allied Pro- fessions),

> die Gleichstellung psychischer und körperlicher Erkrankungen auch bei Kindern und Jugendlichen,

> Versorgung, Therapie und For- schung zusammenzuführen,

> die Aus- und Weiterbildung zu för- dern; so gebe es noch immer nicht an allen Universitäten einen Lehrstuhl für Kinder- und Jugendpsychiatrie,

> die Mitwirkung von Kinderpsych- iatern bei politischen Entscheidungen, die Kinder betreffen,

> den Grundsatz der wohnortnahen Versorgung auch für die Kinder- und Ju- gendpsychiatrie umzusetzen.

Das ist jedoch schwierig. Stationär sind psychisch kranke Kinder zwar aus- reichend versorgt: 6 000 teil- und voll- stationäre Klinikplätze gibt es in Deutschland, dazu Institutsambulanzen an 140 Kliniken. Um die Gemeindenähe zu fördern, wurden in den vergangenen Jahrzehnten Betten abgebaut und die ambulante Versorgung gefördert.

Fatale Versorgungslage in den neuen Bundesländern

550 kinderpsychiatrische Praxen gibt es derzeit in Deutschland, die rund 500 000 Fälle im Jahr behandeln. Aber:

„Gebraucht werden mindestens 1 000 weitere Praxen, um dem Bedarf gerecht zu werden“, fordert Dr. med. Christa Schaff,Vorsitzende des BKJPP. Fatal sei die Versorgungslage vor allem in den neuen Bundesländern, in denen nur acht Prozent der niedergelassenen Kin- derpsychiater arbeiten. Auch könnten noch nicht alle Praxen eine integrative Versorgung gewährleisten. Erst 250 Praxen hätten das sozialpsychiatrische Modell, das eine Zusammenarbeit von Heil- und Sozialpädagogen, Psycholo- gen und Arzt unter einem Dach ermög- licht, umsetzen können, bemängelt Schaff. 1994 wurden durch die so ge- nannte Sozialpsychiatrie-Vereinbarung mit den Ersatzkassen die finanziellen Grundlagen für das Modell abgeschlos- sen, das auch die Kooperation mit Kin- derärzten, Psychotherapeuten, Ergo- therapeuten, Logopäden, Lehrern und Eltern erleichtert. Schaff kritisiert, dass die Primärkassen dieser Vereinbarung nicht flächendeckend zugestimmt ha- ben, insbesondere nicht in den neuen Bundesländern. Dies ist jedoch nötig, um die sozialpsychiatrische Versorgung überall zu gewährleisten. Petra Bühring

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A3308 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 496. Dezember 2002

Psychisch kranke Kinder und Jugendliche

„Integrativ“ versorgen

Die Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und

Psychotherapie fordern, eine flächendeckende wohnortnahe

sozialpsychiatrische Versorgung umzusetzen.

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