A 656 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 107|
Heft 14|
9. April 2010D
ie Kinder von psychisch kranken Eltern werden leicht vergessen, obwohl sie häufig selbst Hilfe brauchen. Denn das Leben zusammen mit psychisch Kranken ist für die Kinder und Jugendlichen – ihre Zahl wird auf drei bis vier Millionen geschätzt – mit Unsi- cherheit, Ängsten und Desorientie- rung verbunden. Sie leiden unter der sozialen Isolierung durch die Erkrankung, entwickeln Schuld- und Schamgefühle. Ältere Kinder über- nehmen häufig die Rolle der Eltern in der Familie und überfordern sich.Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass Kinder von psychisch kranken Eltern ein zwei- bis dreimal so ho- hes Risiko haben, selbst eine psy- chische Störung zu entwickeln.
„Die Politik muss Strukturen schaffen, die es ermöglichen, dass diese Kinder unkompliziert Hilfe be- kommen, um dem entgegenzusteu- ern“, forderte deshalb Gudrun Schliebener, Vorsitzende des Bun- desverbandes der Angehörigen psy- chisch Kranker (BApK) e.V. bei dem Symposium „Kinder psychisch kran- ker Eltern – ein Thema für die Poli- tik“ Anfang März in Berlin. Das Ver-
sorgungsangebot sei immer noch lü- ckenhaft, weil das Gesundheitswesen die betroffenen Kinder übersehe, der Jugendhilfe seien sie oftmals nicht bekannt. Der BApK hat deshalb zu- sammen mit dem Verein für Gemein- denahe Psychiatrie in Rheinland- Pfalz e.V. und dem BKK-Bundes - verband Aufklärungsmaterial entwi- ckelt, das die Wahrnehmung der Pro- bleme verbessern soll. Mit Flyern richten sie sich an die Eltern, Pädago- gen, die Kinder und Jugendlichen so- wie an Fachleute in der Erwachse- nenpsychiatrie (bundesweite Präven- tionsprojekte unter www.kipsy.net).
Kinder schon bei der Aufnahme ansprechen
Bei dem Symposium wurden drei Landesmodellprojekte aus Rhein- land-Pfalz vorgestellt, die zwischen 2006 und 2008 erprobt wurden. Da- bei war es das Ziel, die Kooperation zwischen der Erwachsenenpsychia- trie und Jugendhilfe zu verbessern.
„Auffallend war, dass bei der Auf- nahme in psychiatrischen Kliniken nicht routinemäßig nach den Kin- dern gefragt wird“, kritisierte Elisa- beth Schmutz vom Institut für sozial-
pädagogische Forschung (ISM) e.V.
in Mainz, dem Träger des Praxis - forschungsprojekts. Das ISM entwi- ckelte deshalb einen Leitfaden für Aufnahmegespräche, in dem konkret nach der Versorgung der Kinder ge- fragt wird. Wichtig sei auch, dass El- ternschaft zum Thema in der Thera- pie gemacht werde, betonte Schmutz.
Da die betroffenen Familien im Durchschnitt vier Helfer haben, hält sie gemeinsame Fallberatungen zwi- schen Therapeut, Jugendhilfe und Eingliederungshilfe für unabdingbar.
Paten können betroffene Kinder unterstützen
Auf die Bedeutung einer verlässli- chen, emotional stabilen Bezugs- person, eines Paten, wies Katja Beeck vom Berliner Jugendhilfeträ- ger Ambulante Sozialpädagogik Charlottenburg (Amsoc) e.V. hin.
„Häufig leben die Kinder mit einer psychisch kranken Mutter allein“, betonte Beeck. Der Verein vermit- telt deshalb ehrenamtliche Paten, die in regelmäßigen wöchentlichen Treffs die erkrankten Eltern unter- stützen. In Krisensituationen kann der Pate das Kind auch bei sich zu Hause aufnehmen. Bei der Auswahl und Schulung der Paten orientiert sich Amsoc am Pflegekinderwesen.
Wichtigste Voraussetzung für die Vermittlung sei jedoch die Krank- heitseinsicht und die Befürwortung der Patenschaft durch die Eltern (www.amsoc-patenschaften.de).
In Leipzig ist es dem Angehöri- genverein Wege e.V. mit der Famili- enberatungsstelle „Auryn“ gelun- gen, ein verlässliches Angebot – re- gelfinanziert – zu etablieren. Zu Au- ryn kommen die Eltern in der Regel selbst; die Mitarbeiterinnen suchen jedoch auch psychiatrische Kliniken auf, um ihre Hilfe anzubieten. Sie erarbeiten mit den Eltern Pläne für die Versorgung der Kinder in einer Krisensituation, begleiten sie zu Be- hörden und helfen ihnen, soziale Netze aufzubauen, die den meisten fehlen. Daneben bietet der Verein für die Kinder Lernhilfen, Kompe- tenztrainings und Freizeitaktivitäten an (www.wege-ev.de). Auryn berät im Schnitt rund 250 Familien pro Jahr – mit steigender Tendenz. ■
Petra Bühring
Foto: iStockphoto
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