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Archiv "Bessere Diagnostik und Therapie" (18.04.2014)

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288 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 16

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18. April 2014

M E D I Z I N

Inhaltliche Inkonsistenzen

Die Autoren (1) schlagen basierend auf fehlerhafter und unvoll- ständiger Datenlage Algorithmen für die Schilddrüsendiagnostik vor, die zumindest in der deutschen Situation als (ehemaliges) Jodmangelgebiet so nicht anwendbar sind.

Die genannte Spezifität der Szintigraphie von 5 % ist nicht korrekt – die 3 angeführten Zitate sind nicht beweiskräftig: eine 20 Jahre alte irische Studie, zwei Übersichtsarbeiten ohne kon- kretes Datenmaterial.

Es finden sich darüber hinaus einige handwerkliche Inkonsis- tenzen:

Erstens: Die zitierte europäische Guideline wurde im Juni 2006 vorgestellt, die übrigen später, diese waren also zum Erhe- bungszeitraum noch nicht publiziert. Die Verfahrensanweisung der Deutschen Gesellschaft für Nuklearmedizin von 2003 (2), abgestimmt mit den Deutschen Gesellschaften für Endokrinolo- gie und Chirurgie und bei der Arbeitsgemeinschaft der Wissen- schaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) hinter- legt, wurde nicht referenziert.

Zweitens: Die Autoren haben ihre Daten mit einer Grafik der AACE/AME/ETA-Guideline kombiniert, die erst 2010, 2 Jahre nach Datenerhebungsende, publiziert wurde.

Drittens: Woher sollte bekannt gewesen sein, dass 94 % der Patienten, die eine Szintigraphie erhielten, auch einen niedrigen TSH-Wert (TSH = Thyreoidea-stimulierendes Hormon) oder multinodöse Strumen aufwiesen? Auch die Szintigraphie bei (eu- thyreoten) uninodösen Strumen war „leitlinienkonform“. Laut der gültigen deutschen Leitlinie (2) besteht die Indikation zur Schilddrüsenszintigraphie unter anderem bei:

tastbaren und/oder sonographisch abgrenzbaren Herdbe- funden (Knoten ≥ 1 cm).

Verdacht auf fokale/diffuse Autonomie bei manifester/la- tenter Hyperthyreose

nach definitiver Therapie zur Dokumentation des Therapie- erfolges

gegebenenfalls im Verlauf unbehandelter Autonomien.

Der abgebildete Algorithmus kann dementsprechend nicht auf deutsche Verhältnisse übertragen werden. Ein einzelner Knoten würde demnach ohne szintigraphische Abklärung bei einer Grö- ße ≥ 1 cm direkt feinnadelpunktiert. Für einen hyperfunktionel- len und damit benignen Knoten lautet der zytopathologische Be- fund oft „follikuläre Neoplasie“, und der Patient würde wegen der versäumten Szintigraphie unnötigerweise operiert. In einer aktuellen deutschen Studie fand sich bei 70 % aller fokalen Auto- nomien kein erniedrigter TSH-Wert (3).

Viertens: Die zitierte Arbeit (Fast et al.) zur Schilddrüsenhor- mongabe in der Strumatherapie untersucht das längst verlassene Konzept der TSH-suppressiven Levothyroxingabe; eine kürzlich erschienene, methodisch überlegene deutsche Studie bleibt hin- gegen unerwähnt (4). DOI: 10.3238/arztebl.2014.0288a

LITERATUR

1. Wienhold R, Scholz M, Adler JB, Günster C, Paschke R. The management of thyroid nodules—a retrospective analysis of health insurance data. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(49): 827–34.

2. Dietlein M, Dressler J, Eschner W, Leisner B, Reiners C, Schicha H; Deutsche Gesellschaft für Nuklearmedizin; Deutsche Gesellschaft für Medizinische Physik:

Leitlinie zur Schilddrüsendiagnostik (Version 2). Nuklearmedizin 2003; 42: 120–2.

3. Graf D, Helmich-Kapp B, Graf S, Veit F, Lehmann N, Mann K: Funktionelle Aktivität fokaler Schilddrüsenautonomien in Deutschland. Dtsch Med Wochenschr 2012;

137: 2089–92.

Bessere Diagnostik und Therapie

Die Szintigraphie der Schilddrüse wird sinnvollerweise, an- ders als in der Grafik 2 (1) angedeutet, auch bei Knoten über 1,0 cm mit normalem TSH-Wert eingesetzt. Bei Vorliegen ei- nes heißen Knotens beziehnungsweise Autonomienachweises in der Szintigraphie kann ein Malignom mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden (2).

Eine Feinnadelpunktion erübrigt sich in diesen Fällen. Wie in einer Multicenterstudie gezeigt werden konnte, geht ein Groß- teil der autonomen Knoten mit einem normalen TSH-Wert einher, obwohl eine fokale Mehranreicherung in der Szinti- graphie nachweisbar ist (3). Somit sollte vor einer Feinnadel- punktion eines sonographisch verdächtigen Befundes eine Szintigraphie der Schilddrüse mit Tc-99m Pertechnetat erfol- gen.

Leider geht ein nicht zu vernachlässigender Anteil von Schilddrüsenkarzinomen mit sonographisch unauffälligen Be- fundmustern einher. Insbesondere multinodöse Strumen (nicht alle Knoten punktierbar) lassen daher den Wunsch nach einem Verfahren mit hohem Vorhersagewert offen. Die Fein- nadelpunktion ist wichtig, aber auch nur bedingt zum Aus- schluss eines Malignoms geeignet (10–20 % falsch negativ).

Die Tc-99m-MIBI-Tumorszintigraphie der Schilddrüse kann bei negativem szintigraphischem Befund mit 97 % Wahr- scheinlichkeit ein Malignom ausschließen (4).

Die ungenügende präoperative Risikostratefizierung von Schilddrüsenknoten lässt sich anhand der Daten von Wienholt et al. (1) allenfalls für die uninodöse Struma vermuten (aus der Kodierung ist nicht ersichtlich, ob lokale Symptomatik/

mechanische Relevanz vorliegt). Und auch bei einer Struma uninodosa können eine beträchtliche Trachealverlagerung oder Schluckbeschwerden der Anlass für eine operative Re- sektion sein. Außerdem sollte auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass in der vorgestellten Arbeit von über 9 000 Pa- tienten mit uninodöser Struma lediglich 4,5 % der Patienten operiert wurden. Eine hohe Anzahl diagnostischer Schilddrü- sen-Operationen lässt sich somit aus den vorgelegten Daten nicht ableiten. DOI: 10.3238/arztebl.2014.0288b 4. Grussendorf M, Reiners C, Paschke R, Wegscheider K; LISA Investigators:

Reduction of thyroid nodule volume by levothyroxine and iodine alone and in combination: a randomized, placebo-controlled trial. J Clin Endocrinol Metab 2011; 96: 2786–95.

Dr. med. Michael C. Kreißl

Klinik für Nuklearmedizin, Klinikum Augsburg/Klinik für Nuklearmedizin, Universitätsklinikum Würzburg

Michael.Kreissl@klinikum-augsburg.de Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Andreas Bockisch Klinik für Nuklearmedizin, Universitätsklinikum Essen Prof. Dr. med. Markus Dietlein

Klinik für Nuklearmedizin, Universitätsklinikum Köln Prof. Dr. med. Frank Grünwald

Klinik für Nuklearmedizin, Universitätsklinikum Frankfurt am Main Prof. Dr. med. Markus Luster

Klinik für Nuklearmedizin, Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH, Marburg Für die Arbeitsgemeinschaft Schilddrüse der Deutschen Gesellschaft für Nuklearmedizin

Interessenkonflikt

Prof. Grünwald bekam Vortragshonorare von den Firmen Sanofi/Henning, Merck, Thermofi- scher, GE. Die übrigen Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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Deutsches Ärzteblatt

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Heft 16

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18. April 2014 289

M E D I Z I N

Diskrepanz zwischen Realität und Leitlinien

Den Autoren gebührt Dank, dass sie auf eine erhebliche Dis- krepanz zwischen deutscher Realität und älteren amerikani- schen Leitlinien hingewiesen haben (1). Dazu einige Anmer- kungen.

Wenn Realität und Leitlinien so weit voneinander entfernt sind, lohnt es sich, nicht nur die Realität, sondern auch die Leitlinien zu überprüfen.

Neuere Belege für therapeutische Optionen werden nicht erwähnt. Die LISA-Studie (2) erschien 2011, das heißt nach der Veröffentlichung der beiden amerikanischen Leitlinien (2009 und 2011) (3, 4). Darin wird eine signifikante Verklei- nerung von Schilddrüsenknoten durch L-Thyroxin allein (7,3 %) gegenüber L-Thyroxin plus Jodid (17,3 %) im Ver- gleich zu Placebo berichtet. (Ob diese Effekte auch relevant beziehungsweise kosteneffektiv sind, wurde allerdings bisher kaum diskutiert.)

Die Autoren gehen davon aus, dass ein Durchmesser eines echoarmen Knotens von 1 cm als Interventions-Schwellen- wert sinnvoll ist – dies ist allerdings noch in der Diskussion.

Ebenfalls diskutiert wird der Wert einer Feinnadelbiopsie angesichts der sehr geringen Mortalität infolge Schilddrüsen- krebs bei einer vermuteten Inzidenz von Mikrokarzinomen bei bis zu 35 % der Bevölkerung. Damit stellt sich die Frage einer Kosten-Nutzen-Effektivität einer Screening-ähnlichen Vorgehensweise – ähnlich wie beim Prostata-Karzinom.

Die Autoren übernehmen zudem undiskutiert die Empfeh- lung der oben genannten Leitlinien, bei einer multinodösen Struma zur weiteren Differenzierung eine Szintigraphie durchzuführen. In Anbetracht der Tatsache, dass fast alle Kno- ten sowieso kalt sind, und auch hinter heißen Knoten eine Ma- lignität stecken kann, erscheint das wenig effektiv. Angesichts der Strahlenbelastung ist hier dringend eine Kosten-/Nutzen- beziehungsweise Nutzen-/Schaden-Bilanz zu fordern.

Auch die von den Autoren beklagten zu seltenen postopera- tiven Kontrollen sollten hinsichtlich einer Kosten-/Nutzen-

Fragestellung überprüft werden. Eine postoperative Hypokal- ziämie beziehungsweise Hypo- oder Hyperthyreose ist sicher kontroll- und therapiebedürftig; eine erneute asymptomati- sche Größenzunahme nach einer operativen Verkleinerung eher nicht.

Fazit: Es wird Zeit für evidenzbasierte deutsche Empfeh- lungen. Diese sollten insbesondere die Indikation für Szinti- graphien, Feinnadelpunktionen und Operationen kritisch be- werten.

DOI: 10.3238/arztebl.2014.0289a LITERATUR

1. Wienhold R, Scholz M, Adler JB, Günster C, Paschke R: The management of thyroid nodules—a retrospective analysis of health insurance data. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(49): 827–34.

2. Grussendorf M, Reiners C, Paschke R, Wegscheider K; LISA Investigators. J Clin Endocrinol Metab. Reduction of thyroid nodule volume by levothyroxine and iodine alone and in combination: a randomized, placebo-controlled trial.

2011; 96: 2786–95.

3. Gharib H, Papini E, Paschke R, et al.: American Association of Clinical Endo- crinologists, Italian Association of Clinical Endocrinologists and European Thyroid Association: Medical guidelines for clinical practice for the diagnosis and management of thyroid Nodules. Endocr Pract, Hot Thyroidology, J Endo- crin Invest 2010; 33 Suppl 5: 1–56.

4. Cooper DS, Doherty GM, Haugen BR, Kloos, et al.: Revised American Thyroid Association management guidelines for patients with thyroid nodules and dif- ferentiated thyroid cancer. Thyroid 2009; 19: 1167–214.

Dr. med. Uwe Popert

Abteilung Allgemeinmedizin der Universität Göttingen Sprecher der DEGAM-Sektion Versorgung

uwe.popert@t-online.de

Interessenkonflikt

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Schlusswort

Wir danken Prof. Braun für die engagierte und prägnante Be- stätigung unserer Kernaussagen und stimmen mit ihm darin überein, dass eine weitere Diskussion der Leitlinienempfeh- lung betreffend Calcitonin-Screening anderweitig erfolgen sollte. Prof. Chenot weist zurecht auf die in der AACE/AME/

ETA-Leitlinie (1) dargestellte schlechte Evidenzlage bezüg- lich der Nachsorgeintervalle hin. Es wird jedoch verkannt, dass die Leitlinien die Schilddrüsenultraschalluntersuchung nicht als Sceeninguntersuchung empfehlen, und dass für einen Patienten mit Schilddrüsenknoten ein (geringes) Risiko für ei- ne falschnegative Risikostratifizierung bekannt ist, während dies natürlich nicht für die Allgemeinbevölkerung gilt.

Zum Diskussionsbeitrag von Dr. Kreissl und Koautoren möchten wir anmerken, dass nicht wir, sondern die von uns zitierte AACE/AME/ETA-Leitlinie einen Algorithmus (Gra- fik 2) vorgeschlagen hat. Der Evidenzgrad der für Leitlinien- empfehlungen zur Verfügung stehenden Publikationen ist be- kanntermaßen sehr unterschiedlich. Daher wird in der aktuel- len AACE/AME/ETA-S3-Leitlinie, nicht jedoch zum Beispiel in der 10 Jahre alten S1-Konsensusstellungnahme der Deut- schen Gesellschaft für Nuklearmedizin (2), der Evidenzgrad der verwendeten Publikationen klassifiziert und die Stärke der Empfehlungen entsprechend der Evidenzlage eingestuft.

Da keine weitere Literatur für die Sensitivität der Szintigra- phie benannt wird, muss wohl weiterhin von 5 % (bei niedri- ger Evidenz der von dazu vorhandenen Publikationen) ausge- LITERATUR

1. Wienhold R, Scholz M, Adler JB, Günster C, Paschke R: The management of thy- roid nodules—a retrospective analysis of health insurance data. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(49): 827–34.

2. Gharib H, Papini E, Paschke R, et al.: American Association of Clinical Endicrino- logists, AME and European Thyroid Association medical guidelines for clinical practice for the diagnosis and management of thyroid nodules. J Endocrinol In- vest 2010 33: 287–91.

3. Görges R, Kandror T, Kuschnerus S, et al.: Scintigraphically hot thyroid nodules mainly go hand in hand with a normal TSH. Nuklearmedizin 2011; 50: 179–88.

4. Wale A, Miles KA, Young B, et al.: Combined 99mTc-methoxyisobutylisonitrile scintigraphy and fine-needle aspiration cytology offers an accurate and potential- ly cost-effective investigative strategy for the assessment of solitary or dominant thyroid nodules. Eur J Nucl Med Mol Imaging 2014; 41: 105–15.

Prof. Dr. med. Holger Palmedo

Kompetenznetz Schilddrüse Bonn Rhein-Sieg,

Überörtliche Gemeinschaftspraxis für Radiologie und Nuklearmedizin, PET-CT-Zentrum Jo- hanniterkrankenhaus Bonn

holger.palmedo@gmx.de Prof. Dr. med. Andreas Türler

Evangelische Kliniken Bonn gGmbH, Johanniter-Krankenhaus; Kompetenzzentrum für Schilddrüsen- & Nebenschilddrüsenchirurgie (DGAV), Bonn

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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