Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 16|
20. April 2012 A 795P O L I T I K
UNIVERSITÄTSKLINIKUM GIESSEN UND MARBURG
Weiter in heftigen Turbulenzen
Wieder eine neue Geschäftsführung, eine „Gewinnwarnung“
an die Investoren und ein zweiter „Brandbrief“ der Klinikdirektoren – Rhön bekommt die Lage am Universitätsklinikum nicht in den Griff.
A
m 12. April ist die Aktie der Rhön-Klinikum AG „abge- stürzt“ (Handelsblatt). In einem sonst positiven Marktumfeld verlor der MDax-Titel zeitweise mehr als fünf Prozent seines Wertes.Morgens hatte die Klinikkette den Investoren mitgeteilt, dass der Konzerngewinn in den ersten drei Monaten 2012 um fünf bis neun Millionen Euro geringer ausfallen werde als geplant – und dies mit unerwarteten Entwicklungen am Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM) begründet.
Zwar liege die Leistungsent- wicklung an beiden Standorten mit plus neun Prozent im ersten Quar- tal über den internen Planzahlen im Konzern, schreibt Rhön in der Ad-hoc-Mitteilung. Doch Mehrer- lösausgleiche und Mehrleistungs- abschläge sorgten dafür, dass die Leistungsausdehnungen auch „mar- gen- und ergebnisverwässernd“ wirk- ten. Zudem habe sich die Kosten - restrukturierung am UKGM im Personalbereich zuletzt verzögert.
Auch warte man auf Erträge aus vereinbarten Leistungsverrechnun- gen für entstandene Aufwendungen mit den Medizinischen Fakultäten („Trennungsrechnung“).
Bemerkenswert ist, dass die An- leger Rhön an der Börse so abstraf- ten, obwohl der Konzern seine Jah-
resprognose beibehalten hat. Die Märkte seien nervös, weil das 2006 von Rhön erworbene UKGM der- zeit so in den Schlagzeilen stehe, analysierte das „Handelsblatt“.
Am 3. April hatte Rhön bekannt- gegeben, dass die Vorsitzende der UKGM-Geschäftsführung, Dr. Irm- gard Stippler, und die kaufmänni- sche Geschäftsführerin am Standort Marburg, Dr. Doris Benz, ihren Pos- ten räumen. Stipplers Nachfolger wird Martin Menger, Vorstandsmit- glied im Klinikkonzern. „Wir hal- ten das neuerliche Ausscheiden der kompletten operativen Geschäftsfüh- rung für hochdramatisch“, kommen- tierten die Klinikdirektoren der bei- den Standorte in einer Stellungnah- me diese Entwicklung. Und weiter:
„Das Privatisierungsmodell der Uni- versitätsklinika Marburg und Gießen scheint uns endgültig gescheitert.“
Auch für den Dekan des Fachbe- reichs Medizin der Philipps-Univer- sität Marburg, Prof. Dr. med. Mat- thias Rothmund, ist das „Großexpe- riment“ Fusion und Privatisierung zweier Universitätsklinika „misslun- gen“, wie er am 11. April in einem Namensbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schrieb.
Die Klinikdirektoren setzen sich in ihrem zweiten „Brandbrief“ auch kritisch mit einem „Faktenpapier“
auseinander, das Rhön für die Presse
erstellt hat. Einzelne Fakten und die Meinung der Chefärzte (kursiv) dazu:
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Verbesserung der Versorgung durch Investitionen von 367 Millio- nen Euro seit 2006. Rhön stelle das Geld nicht dauerhaft zur Verfü- gung. Vielmehr müsse der Neubau bilanztechnisch von den Kliniken und damit den Beschäftigten erwirt- schaftet werden.●
Steigerung der Patientenzah- len um 12,4 Prozent seit 2005. Die- se Entwicklung sei nur durch eine massive Arbeitsverdichtung für alle Berufsgruppen möglich gewesen.●
Schaffung von 420 Stellen seit 2009. Auch wenn die Zahl stimmen möge, sei nicht transparent, wie die Personalfluktuation erfolgte: „Ei- ner Personalrückentwicklung (die Rede ist vom Abbau von 500 Stel- len!) ohne Mitsprache bei fachlich begründeten Stellen kann nur mit Leistungsminderung und damit Mindererlösen begegnet werden.“●
Unterstützung der Forschung und Lehre durch bislang 13 Millio- nen Euro und zwei Millionen jähr- lich. Auch dieses Geld müsse von den Beschäftigen hart erarbeitet werden: „Wir selbst finanzieren aus der Krankenversorgung die For- schungsförderung durch Rhön.“●
Staatliche Maßnahmen belas- ten die Entwicklungsperspektive.Von dieser Entwicklung seien alle Universitätsklinika betroffen.
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Ausbleibende Einigung bei der Trennungsrechnung. Es sei er- schreckend, dass die letzten Ab- schlüsse zwischen dem UGKM mit dem vom Land finanzierten Fach- bereich Medizin 2008 stattfanden.Dies zeige, dass die Verträge auf politischen Druck hin mit zu heißer Nadel gestrickt worden seien.
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Jens Flintrop
Foto: dpa