Die Koalitionsvereinbarung über die Grundzüge der Ge- sundheits- und Sozialpolitik steht. Die Parteien der Bon- ner Regierungskoalition haben einen weiten Rahmen ge- zogen, innerhalb dessen alles möglich ist: grundlegende Reform oder gar nichts. Was also aus der angekündigten Strukturreform im Gesundheitswesen wird, das ist irrt po- litischen Tagesgeschäft demnächst noch auszuhandeln.
Koalitionsvereinbarung über die „StrukturreformA
Nichts Genaues DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT KTUELLE POLITIK
is zum Herbst dieses Jah- res soll der Bundesar- beitsminister einen Ge- setzentwurf zur Struktur- reform im Gesundheits- wesen vorlegen. Dabei soll das Gut- achten des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion ausge- wertet werden. So steht es obenan in der jetzt mühsam ausgehandelten
„Koalitionsvereinbarung zum Be- reich Gesundheit, Krankenversiche- rung und Pflege". Merkwürdig dar- an ist nicht die Festlegung auf einen Gesetzentwurf. Das war zu erwar- ten. Auffallend ist der Verweis auf das Sachverständigengutachten.
Denn die Konzertierte Aktion, für die der Sachverständigenrat an sich zu gutachten hat, hatte noch gar kei- ne Gelegenheit, ihre Meinung kund zu tun. Das müßte aber sein, ehe das Gutachten zum Maßstab gemacht wird. Enthält es doch neben fleißi- ger Analyse auch politische Spreng- sätze. Und immerhin gibt es in dem Gutachten Widersprüche zwischen dem analytischen Teil und den poli- tischen Empfehlungen.
Eine grundlegende politische Idee des Sachverständigengutach- tens ist jene von der Budgetierung der einzelnen Ausgabenbereiche der gesetzlichen Krankenversicherung.
Ausgeführt wird das vor allem am Ausgabenbereich Arzneimittel; aber auch im Ausgabenbereich Kranken- haus ist die Idee auszumachen. Im Prinzip geht es dabei um folgendes:
Für jeden Ausgabenbereich wird ä la Staatshaushalt ein Ausgabenvolu-
men festgelegt. Gelingt es, in einem Ausgabenbereich weniger auszuge- ben, dann können die Ersparnisse ganz oder teilweise anderen Ausga- benbereichen zugute kommen (oder die Beiträge entlasten). Und nun kommt der eigentliche Trick: Zen- trale Figur im Ausgabenspiel wäre letztlich der Kassenarzt. Sorgt er da- für, daß weniger Arzneimittel und Hilfsmittel verschrieben werden, dann verdient er ein Bonbon — er be- kommt von den Ersparnissen was ab. Verschreibt er zu viel, dann wird ihm das eigene Honorar gekürzt.
„Veranlaßt" er weniger oder zu vie- le Krankenhauseinweisungen, dann setzt derselbe Mechanismus ein.
Kollektive Haftung
Das klingt theoretisch brauch- bar, und es wäre auch in der Praxis anwendbar, könnte der einzelne Kassenarzt wirklich das Ausgaben- volumen aktiv beeinflussen. Doch er arbeitet ja innerhalb eines riesigen Kollektivsystems. Er weiß gar nicht, ob und was sein Kollege spart, er weiß erst recht nicht, was das Kol- lektiv der Kassenärzte spart, und er ahnt nicht einmal, was er von Er- sparnissen des Kollektivs Kassenärz- te ihm persönlich zugewiesen be- kommt Die von den Politikern er- hoffte Steuerungsfunktion jenes Bo- nus-Malus-Systems dürfte also in der Praxis begrenzt sein. Weit eher könnte die strukturelle Budgetie- rung dazu herhalten, die Beteiligten
des Gesundheitswesens gegeneinan- der auszuspielen.
In der Koalitionsvereinbarung steht indes nicht nur der Hinweis auf das Sachverständigengutachten. In zwölf Punkten werden vielmehr wei- tere Inhalte einer Reform des Ge- sundheitswesens skizziert. Das Zwölf-Punkte-Programm ist offen- sichtlich so angelegt, allen Beteilig- ten, die Versicherten eingeschlos- sen, ihr Päckchen aufzuerlegen. So wird überlegt, den Katalog der Pflichtleistungen zu begrenzen oder die Versicherten zur sparsamen In- anspruchnahme von Gesundheitslei- stungen anzureizen. Die sogenann- ten Leistungserbringer (unter ande- rem die Ärzte) sollen gleichfalls durch Anreize zu mehr Wirtschaft- lichkeit veranlaßt werden; sie sollen vor allem „in die Verantwortung der von ihnen veranlaßten Leistungen einbezogen werden" — damit taucht der Gedanke der Budgetierung auch im Zwölf-Punkte-Katalog auf. Be- sonders heikel ist Ziffer 6. Die Lei- stungs- und Kostentransparenz soll verbessert werden. Zu beachten ist der Zusatz „unter Beachtung des Datenschutzes". Das läßt darauf schließen, daß bei der Transparenz der Datenschutz rechtliche Proble- me aufwerfen würde, und das wie- derum läßt vermuten, daß mit Ziffer 6 der von den Kassen seit langem er- strebte vollständige Datenaustausch zwischen Kassenärztlichen Vereini- gungen und Kassen gemeint ist.
Auffallend wenig wird über die sta- tionäre Versorgung ausgesagt. Aus- drücklich wird sie im Zusammen- hang mit der Pflegeproblematik in Ziffer 8 angesprochen. Da aber gleich mit einer umstrittenen Ziel- setzung: stationär und ambulant sol- len besser verzahnt werden.
Erfreulich ist es, daß sich die Koalitionäre darin offenbar einig sind, das Gesundheitswesen auch an medizinischen Prioritäten zu orien- tieren. Leistungen und Ausgaben sollen „an gesundheitlichen Zielen und medizinischen Prioritäten bei Beachtung von Beitragssatzstabili- tät" orientiert werden. Schön. Die Koalitionspartner haben es leider verabsäumt mitzuteilen, wie sie den hier sichtbaren Widerspruch auflö- sen wollen. NJ Dt. Ärztebl. 84, Heft 10, 5. März 1987 (15) A-539