• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Pharmaindustrie: Neue Strategien" (26.02.1993)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Pharmaindustrie: Neue Strategien" (26.02.1993)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Pharmaindustrie: Neue Strategien

Im Interview erläutert Dr. Franz-Josef Bohle, Direktor Sektor Gesundheit bei der Bayer AG, wie er das Verordnungsverhal- ten der Ärzte einstuft, mit welchen Marketingstrategien Bayer auf das GSG reagieren will und was sich im Bereich der ärztli- chen Fortbildung verändern könnte.

DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

DAS INTERVIEW

III

DÄ: Herr Dr. Bohle, pharmazeutische Unternehmen wie Grünenthal und Merck ha- ben in den letzten Tagen in der Presse vorge- rechnet, daß die Ärzte ihr Verordnungsverhal- ten im Grunde nicht allzu sehr verändern müßten, um ein Überschreiten des Arzneimit- telbudgets zu verhindern. Agiert da jedes Un- ternehmen für sich, oder ist das eine gemein- same Aktion der forschenden Pharmaindu- strie, die lediglich mit verteilten Rollen agiert?

Dr. Bohle: Zwischen den einzel- nen Firmen gibt es keine abgespro- chenen Aktionen. Wir arbeiten aller- dings zusammen in der Medizinisch, Pharmazeutischen Studiengesell- schaft e.V. (MPS) und im Bundes- verband der Pharmazeutischen In- dustrie (BPI). Beide haben ja be- rechnet, wie hoch die Einsparungen der Ärzteschaft bei den Verordnun- gen 1993 sein müßten, damit das Budget nicht überschritten wird.

DÄ: Wie hoch müßten sie denn sein?

Dr. Bohle: Zur Zeit wird eine Einsparsumme zwischen 0,6 und 4 Milliarden DM diskutiert. Die KBV geht von 4 Milliarden DM aus, der BPI von 0,6 Milliarden DM.

±1 DÄ: Wie errechnet sich das?

Dr. Bohle: Diese divergierenden Zahlen basieren auf unterschiedli- chen Annahmen über die Mengen- entwicklung. So veranschlagt zum Beispiel die KBV einen rund 10pro- zentigen Zuwachs der Arztzahlen in diesem Jahr. Wir dagegen rechnen mit einer tatsächlichen Zunahme der niedergelassenen Ärzte von 3 bis 4 Prozent. Wir kommen auf diese niedrigere Zahl, weil wir glauben,

daß sich nicht alle Ärzte, die jetzt die

Zulassung beantragt haben, wirklich niederlassen werden — und sicher- lich auch nicht alle sofort. Wenn Sie jetzt Einsparungen durch Patienten-

zuzahlungen, Preismoratorium und neue Festbeträge einerseits und eine gewisse Erhöhung durch den Preis- anstieg, die Mehrwertsteuererhö- hung und die Erstattung empfän- gnisverhütender Mittel andererseits dazurechnen, dann liegt unserer Meinung nach die maximale Dek- kungslücke bei den eben erwähnten 600 Millionen DM.

DÄ: Im Grunde könnte man also sagen:

Keiner verfügt über genaue Zahlen, weder die KBV noch der BPI? Noch sind alle Angaben mehr oder weniger Schätzungen?

Dr. Bohle: Die Zahlen, auf die wir uns stützen, sind meines Erach- tens die plausibleren. Die 4 Milliar- den DM der KBV — diese Berech- nung halten wir wirklich für zu hoch angesetzt. Einige sagen sogar: Das, was die Ärzte bisher eingespart ha- ben, also schätzungsweise eine Milli- arde DM, das reicht schon für das ganze Jahr 1993. Fazit: Die Ärzte sollten jetzt zwar weiterhin auf die Menge achten, aber dann ausgewo- gen weiterverordnen wie vorher. Sie wissen sicher auch, daß einzelne Kassenärztliche Vereinigungen in Briefen den Ärzten explizit erklärt haben — überspitzt gesprochen:

„Laßt die Finger von den teuren In- novationen, verordnet lieber die al- ten Produkte, die sind billiger und tun es auch."

DÄ: Verhalten sich die Ärzte denn wirk- lich so? Wie ist das zum Beispiel bei Ihnen?

Dr. Bohle: Auch wir haben im Januar um die 20 Prozent Umsatz- verlust zu verzeichnen. Insgesamt, das hatte Bayer ja schon im Vorfeld des neuen Gesetzes prognostiziert, rechnen wir mit Einbußen von 50 Millionen DM pro Jahr.

DÄ: Sind denn bestimmte Produkte be- sonders betroffen?

Dr. Bohle: Ja, zum Beispiel das Adalat, aber auch Ciprobay und Ni- motop.

DÄ: Würden Sie denn der Behauptung zustimmen, daß die Ärzte jetzt darauf verzich- ten, hochwertige Präparate zu verschreiben, und vor allem auf möglichst preisgünstige und

„harmlose" Medikamente zurückgreifen?

Dr. Bohle: Das stimmt, in be- stimmten Bereichen ist der Rück- gang eindeutig. Wie schon gesagt, kann man das zum Beispiel bei Ad- alat feststellen. Obwohl wir den

Dr. Franz-Josef Bohle

Preis dafür auf den Festbetrag ge- senkt haben, werden heute dennoch mehr Generika verschrieben.

Das, was viele Ärzte im Moment machen, ist eine „Vollbremsung", die wir für gefährlich halten. Ärzte, die ihr Verordnungsverhalten massiv geändert haben, laufen Gefahr, un- glaubwürdig zu erscheinen. Bisher galt: Das Beste für den Patienten, einschließlich der Innovationen. Und plötzlich sollen primär die älteren und weniger fortschrittlichen Präpa- rate und die Billig-Generika ausrei- chend sein.

Außerdem werden die Werte, die sich jetzt etablieren, hinterher auch als Ausgangswerte für weitere Budgetierungen gelten.

DÄ: Ein Kollege hat vor kurzem ge- schrieben: „Die traditionelle Partnerschaft zwischen den niedergelassenen Ärzten und der pharmazeutischen Industrie steckt in ei- ner Krise." Andere meinen sogar, zwischen KBV und Pharmaindustrie sei der Krieg aus- gebrochen. Stimmt das?

A1-494 (22) Dt. Ärztebi. 90, Heft 8, 26. Februar 1993

(2)

Dr. Bohle: Die Art des Verhält- nisses zwischen der Pharmaindustrie und den Ärzten wird sich sicherlich ändern. Ganz klar haben wir es mit einem wachsenden Verteilungs- kampf aller gegen alle zu tun, weil im Gesundheitswesen heute andere Gruppen, wie zum Beispiel die Kran- kenkassen und der Staat, eine größe- re Rolle spielen als früher. Ob man das aber als Krieg oder Krise be- zeichnen kann? Krieg auf keinen Fall! Natürlich waren wir erstaunt, wie schnell wir von Teilen der Ärzte- schaft in den "Strafraum" geschoben wurden und die Defizitkompensati- on von 560 Millionen DM überneh- men sollten, falls das Arzneimittel- budget überschritten würde. Natür- lich haben wir an diesem Punkt deut- lich gemacht, daß dies in keiner Wei- se zu realen Einsparungen führt und darüber hinaus jedem marktwirt- schaftliehen Prinzip widerspricht.

Ein anderer Punkt: Die Positivli- ste. Über Jahre haben wir dagegen gekämpft. Auch Ärzte haben argu- mentiert, sie könnten eine solche Li- ste nicht akzeptieren, da sie die ärzt- liche Verordnungsfreiheit reduziere.

Und dann entwickelte sich zu unse- rer großen Verwunderung auf ein- mal eine Bereitschaft bei einem Teil der Ärzte, doch eine Positivliste zu übernehmen.

DÄ: Die Positivliste wird ja innerhalb der phannazeutischen Industrie sehr unter- schiedlich beurteilt: Einige Unternehmen scheinen damit leben zu können, andere nicht. Können Sie damit leben?

Dr. Bohle: Wir gehen davon aus, daß wir Medikamente produzieren, die sich auch in einer Positivliste wie- derfinden werden - sofern Innova- tionen hierzulande tatsächlich ge- wünscht werden und sich entspre- chende Fortschritte auch im Ange- bot der Positivliste niederschlagen.

Andere Unternehmen werden da große Probleme haben.

DÄ: Teilen Sie die Auffassung des Bun- desverbandes der Phannazeutischen Indu- strie, daß die mittleren Phannahersteller dann auf der Strecke bleiben würden?

Dr. Bohle: Zumindest ist die Re- de davon, daß rund 60 Unternehmen betroffen wären. Insbesondere sol-

ehe, die nicht in der Lage sind, ihre Marketingstrategien zu ändern.

DÄ: Was heißt das?

Dr. Bohle: Traditionell war Pharma-Marketing sehr stark auf die Ärzte als Zielgruppe ausgerichtet.

Beim Verkauf nichtverschreibungs- pflichtiger Präparate werden aber darüber hinaus die Apotheker und die Patienten als Ansprechpartner zukünftig eine immer wichtigere Rolle spielen. Und eines unserer Ziele ist der Ausbau des Selbstmedi- kationsgeschäftes. Mit zunehmender Eigenverantwortung der Patienten für ihre Gesundheit und mit der Ausgrenzung der Selbstmedikations- präparate aus der Kassenerstattung könnten die Kassen entlastet wer- den.

DÄ: Sie wollen also den Bereich Selbst- medikation ausbauen. Welche Produktgrup- pen, die heute noch verschreibungspflichtig sind, wären Ihrer Meinung nach denn selbst- medikationsreif?

Dr. Bohle: Nun, Antirheumati- ka, Schmerzmittel, Antimykotika, to- pische Corticosteroide und nicht se- dierende Antihistaminika; außerdem H2-Antagonisten, die ja lange be- kannt sind.

DÄ: Um noch einmal auf veränderte Marketingstrategien zurückzukommen: Infor- mieren Sie denn jetzt die Ante, wie sie richtig verschreiben sollen?

Dr. Bohle: Wir führen zum Bei- spiel mit dem unabhängigen Aka- med-Institut aus Mannheim und dem Ärzte-Apotheker-Wirtschafts- Institut aus Bonn Veranstaltungsrei- hen durch. Hier werden Ärzte in Se- minaren unter der Überschrift "GSG

- Chance für Ihre Arztpraxis" infor- miert - und das Interesse ist sehr groß!

Natürlich informiert auch unser Außendienst die Ärzte. Aber in letz- ter Zeit geht es bei diesen Gesprä- chen eben in erster Linie um den Preis eines Arzneimittels und leider weniger um den therapeutischen Wert des Präparates.

DÄ: Noch eine Frage zum Thema Infor- mation und Marketing: Ein wunder Punkt

sind ja die Fortbildungsveranstaltungen, von denen es bekanntermaßen solche und solche gibt. Sind Sie denn der Meinung, daß sich hier am Verhalten der Phannaindustrie zu- künftig einiges ändern wird?

Dr. Bohle: Hier wird sich einiges ändern, und einiges hat sich bereits geändert, zum Beispiel durch die entsprechende EG-Werberichtlinie.

Aber wir müssen als Arzneimittel- hersteller unseren "Auftritt nach draußen" grundsätzlich überdenken.

Wir müssen uns verstärkt an den Marketing-Kodex halten und (ür ein

"sauberes Verhältnis" zu den Arzten

sorgen. Ich kann hier nur für Bayer sprechen: Wir halten uns daran!

Beispiel Fortbildungsveranstal- tungen: Es versteht sich von selbst, daß eine vertretbare Relation zwi- schen wissenschaftlichem Programm und Rahmenprogramm bestehen muß. Aber die Fortbildung wird mei- ner Meinung nach insgesamt einen höheren Stellenwert erhalten, und zwar seriöse Fortbildung. Ein Bei- spiel dafür ist ein gemeinsames Pilot- projekt von Landesärztekammer, Landesapothekerkammer und Phar- maindustrie im Bereich Nordrhein.

DÄ: Worum handelt es sich dabei?

Dr. Bohle: Diese drei Initiatoren organisieren zwei gemeinsame Ver-

anst~_ltungen pro Jahr zu Themen, die Arzte und Apotheker gleicher- maßen interessieren. Bei der letzten Veranstaltung in Köln ging es um neuere Entwicklungen bei Calcium- Antagonisten und um ACE-Hem- mer. Die Vorträge enthalten keine Produktwerbung. Die Firmen, die sich an den Veranstaltungskosten beteiligen, können lediglich vor dem Saal Informationsmaterial auslegen.

DÄ: Glauben Sie denn, daß die Änte solche veränderten Fortbildungskonzepte an- nehmen werden?

Dr. Bohle: Ich meine schon, daß auch bei den Ärzten ein Wandel in der Einstellung spürbar ist und daß ein großer Bedarf für Veranstaltun- gen dieser Art besteht. Was das Pi- lotprojekt betrifft: Die Hörsäle sind voll.

(Das Interview führten Sabine Dauth und Norbert Jachertz)

Dt. Ärztebl. 90, Heft 8, 26. Februar 1993 (23) A1-495

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Alle Maßnahmen zur Sta- bilisierung unseres Gesund- heitssystems werden in kur- zer Zeit verpuffen, wenn nicht endlich das fatale Recht der Pharmaindustrie be- schnitten wird,

Probleme dürfte es für die Krankenkassen auch insoweit geben, wie die neuen Modelle und strukturel- len Änderungen an die Patienten her- angetragen werden können, schließlich

müssen so geändert und auf das DRG- System ausgerichtet werden, dass die bisherigen abteilungsbezogenen und nicht konsequent auf das Unterneh- mensziel ausgerichteten

Allerdings könnte die Ei- gendynamik auf dem Apothekenmarkt in dem Maße forciert werden, wie auch im Ausland der Versandhandel mit Arzneimitteln und der E-Commerce zu- gelassen

Durch die Einführung von azellulären Vakzinen wie den DTPa-Kombinations-Impfstof- fen (DTP = Diphtherie, Te- tanus, Pertussis) sowie ent- sprechender Kombinations- Impfstoffe

Weiter steigende Nachfrage Die langfristigen Wachstums- perspektiven scheinen auch weiterhin günstig für die Branche: Die Menschen wer- den immer älter, immer mehr Krankheiten

Auch durch den Aus- bau von Sozialstationen, Pflegeheimen und ambu- lanten Versorgungseinrich- tungen (Sozialdienste, Be- ratungsstellen, Selbsthil- fegruppen) soll der statio-

Wenn die ökonomischen und technischen Bewertung der herbizid-freien Strategien höher anfällt. - Keine Differenz der Maschinenkosten und der Arbeitskosten zwischen herbizid-