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Archiv "Pharmaindustrie: Neue Köpfe, alte Sorgen" (11.03.2011)

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A 542 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 10

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11. März 2011

PHARMAINDUSTRIE

Neue Köpfe, alte Sorgen

Gleich fünf große Unternehmen haben in den vergangenen Monaten ihre Vorstände

ausgewechselt – ein Beleg dafür, wie händeringend die Branche nach neuen Konzepten sucht.

D

ie Pharmabranche steckt in der Krise. Jetzt sollen neue Köpfe mit frischen Ideen die Kon- zerne zurück auf den Wachstums- pfad führen. Gleich fünf große Un- ternehmen haben zuletzt ihre Vor- stände ausgewechselt. Im Dezem- ber vergangenen Jahres hob der größte Pharmakonzern der Welt, das US-Unternehmen Pfizer, den bisherigen Leiter der Pharmasparte, Ian Read, auf den Chefsessel. Der US-Konkurrent Merck & Co über- trug im November die Macht an Kenneth Frazier, der zuvor die Ge- sundheitssparte verantwortet hatte.

Auch in Europa dreht sich das Per- sonalkarussell: Novartis wird seit Anfang 2010 vom Amerikaner Joe Jimenez geführt, der zuvor die Pharmasparte geleitet hatte. Auf ei- nem externen Bewerber ruhen die Hoffnungen des deutschen Chemie- und Pharmakonzerns Bayer. Die Leverkusener holten im Oktober vergangenen Jahres den früheren Chef des Laborausrüsters Thermo

Electron, Marijn Dekkers, an Bord.

Bei der Darmstädter Merck-Grup pe steht seit Januar dieses Jahres der bisherige Merck-&-Co-Manager Stefan Oschmann am Ruder.

Die Führungswechsel unterstrei- chen, wie händeringend die Bran- che nach neuen Konzepten sucht:

Wichtige Patente laufen aus, die Politik dreht an der Kostenschraube, und durchschlagende Forschungs- erfolge bleiben aus. Als Folge wachsen die Konzerne kaum noch organisch. Ihre gute finanzielle Ausstattung ist zum Großteil das Ergebnis von geschickten Übernah- men und striktem Sparen.

Den jüngsten Übernahmecoup landete Mitte Februar der französi- sche Pharmakonzern Sanofi-Aven- tis. Für circa 20 Milliarden Dollar kaufte das Unternehmen die ameri- kanische Biotechfirma Genzyme.

Der Zukauf soll helfen, Sanofi- Aventis vor einem Gewinneinbruch zu bewahren. Denn bis Ende 2012 werden vier der zehn umsatzstärks-

ten Medikamente des Konzerns ih- ren Patentschutz verlieren. Eines davon ist der Blutverdünner Plavix.

Er ist mit einem Jahresumsatz von neun Milliarden Dollar das zweit- stärkste Einzelprodukt der Pharma- branche. Mit der Übernahme von Genzyme wollen sich die Franzo- sen in der biotechnologischen For- schung etablieren. Genzyme unter- sucht seltene Erbkrankheiten und erzielt etwas drei Milliarden Umsatz im Jahr. An der Spitze von Sanofi- Aventis steht seit 2008 Chris Vieh- bacher. Unter seiner Führung hat der Konzern bereits Unternehmen im Wert von insgesamt 35 Milliar- den Dollar gekauft. Den Erfolg der Pharmaforschung sieht Viehbacher kritisch: „2010 hat die Branche 63 Milliarden Dollar in Forschung und Entwicklung investiert, dabei ka- men nur 22 neue Medikamente her - aus“, sagte er bei der Jahrespresse- konferenz im Februar.

Wie wenig neue Produkte aus der Forschungspipeline kommen, belegen auch aktuelle Daten des Verbandes Forschender Arzneimit- telhersteller. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der in Deutschland neu zugelassenen Medikamente auf 24 von 37 im Jahr 2009 gesunken. Im zurückliegenden Jahrzehnt kamen jährlich im Durchschnitt 28 Medi- kamente auf den Markt, im Jahr- zehnt davor waren es noch 31. Ein Grund für den Rückgang sind auch die strengeren Kontrollen durch die Zulassungsbehörden. Von 100 Wirkstoffen, die in einem dreistufi- gen Verfahren an Menschen getes- tet werden, erlangen nur drei bis vier Marktreife. Die meisten Pro- jekte werden in der Testphase ein- gestellt. An der letzten Hürde, der Zulassung, scheitern dann noch ein- mal fünf von sechs Mitteln.

Pfizer reagiert als erstes Unter- nehmen auf diese neue Realität und TABELLE

Die größten Pharmakonzerne 2010 (Kennzahlen in Milliarden US-Dollar)

Quelle: Handelsblatt Pfizer, USA

Novartis, Schweiz Sanofi-Aventis, Frankreich Merck & Co, USA Glaxosmithkline, Großbritannien Roche, Schweiz Astra-Zeneca, Großbritannien Johnson &

Johnson, USA Eli Lilly, USA Abbott, USA

Pharmaumsatz

58,5 42,0 40,4 39,8 36,2

35,6 33,3

22,4

21,7 19,9

Organisches Wachstum

–3 % +9 % –1 % –1 % –2 %

–2 % +/- 0

–1 %

+5 % +2 %

Nettogewinn

8,3 9,9 9,4 1,0 2,9

8,5 8,1

13,3

5,1 4,6

Gewinnveränderung zum Vorjahr

–4 % +18 % +18 % –92 % –67 %

+9 % +7 %

+8,7 %

+17 % –19 % Bereinigte Zahlen.

Die Tabelle zeigt die reinen Arzneimittel-

umsätze (inklusive Impfstoffe) der Kon-

zerne. Dies erklärt Abweichungen von den im Text genannten Zahlen.

W I R T S C H A F T

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11. März 2011 A 543 kürzt seine Ausgaben für Forschung

und Entwicklung (F & E) drastisch.

Das F&E-Budget soll im Jahr 2012 um rund 1,5 Milliarden Dollar auf 6,5 Milliarden reduziert werden, kündigte Read an. Damit würden die F&E-Ausgaben im Vergleich zum Jahr 2010 um fast ein Drittel sinken. Die Einsparungen sollen den erwarteten Umsatzrückgang ab- federn. Read prognostiziert, dass der Erlös im Jahr 2012 auf 63 von 68 Milliarden Dollar im Jahr 2010 sinken werde. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass Pfizers wichtigstes Produkt, der Cholesterinsenker Li- pitor, im kommenden Jahr Konkur- renz durch Nachahmerprodukte be- kommen wird. Lipitor ist das meist- verkaufte Medikament der Welt.

Pfizer erzielt damit mehr als zehn Milliarden Dollar Umsatz im Jahr.

Ein genauer Blick auf die Zahlen zeigt, dass Pfizer kaum noch orga- nisch wächst. Zwar stieg der Um- satz 2010 um 36 Prozent auf knapp 68 Milliarden Dollar, dahinter steht aber die Übernahme des US-Kon- kurrenten Wyeth von Ende Novem- ber 2009. In den übrigen Geschäfts- bereichen sank der Umsatz um drei Prozent im Vergleich zum Vorjah- reszeitraums, und der Reingewinn ging um vier Prozent auf 8,3 Milli- arden Dollar zurück.

Auch der US-Konkurrent Merck

& Co profitierte 2010 von einer gro- ßen Übernahme aus dem Jahr 2009.

41 Milliarden Dollar hatte das Unter- nehmen für den Konkurrenten Sche- ring-Plough bezahlt. Die Kosten für die Umstrukturierung drückten den Gewinn im vergangenen Jahr von 12,9 Milliarden auf 861 Millionen Dollar. Im laufenden Jahr soll sich das Ergebnis wieder etwas erholen, und auch der Umsatz von zuletzt 46 Milliarden Dollar soll leicht steigen.

Das Jahr 2010 war für das Unterneh- men denkbar schlecht zu Ende ge- gangen: Es musste eine klinische Studie zu seinem Blutgerinnungs- mittel Vorapaxar stoppen, weil bei Schlaganfallpatienten Komplikatio- nen auftraten.

Die europäischen Pharmakonzer- ne wollen ihre Forschungsausga- ben, wenn möglich, nicht antasten.

Zwar streicht der schweizerische Konzern Roche massiv Stellen, den

Forschungsetat will Vorstandschef Severin Schwan aber nur moderat kürzen. Im vergangenen Jahr hat Roche circa 7,7 Milliarden Euro jährlich in die Erforschung neuer Wirkstoffe investiert und steht da- mit im Vergleich zu anderen Phar- makonzernen an der Spitze. Zurzeit befinden sich 34 Projekte in der späten klinischen Testphase. Aber auch Roche bleibt nicht von Rück- schlägen in der Forschung ver- schont. Das Diabetesmedikament Taspoglutide musste in der Entwick - lungsphase aufgegeben werden, und dem Krebsmedikament Avastin hat die US-Zulassungsbehörde für Arzneimittel FDA die Zulassung für die Behandlung von Brustkrebs ent- zogen. Im Jahr 2010 stagnierte der

Umsatz auf Basis konstanter Wech- selkurse bei 47,4 Milliarden Schwei - zer Franken. Das operative Ergeb- nis stieg um zwei Prozent auf 16,6 Milliarden Franken, für dieses Jahr rechnet Schwan mit einem Anstieg im „hohen einstelligen Prozentbe- reich“.

Novartis profitiert bereits von der Neuausrichtung, die Joe Jime- nez dem Konzern verordnet hat. Im vergangenen Jahr waren neue Pro- dukte, die maximal drei Jahre alt sind, bereits für ein Fünftel des Um- satzes verantwortlich. Der Umsatz stieg im vergangenen Jahr um 14 Prozent auf 50,6 Milliarden Dollar, wozu auch die Konsolidierung des Augenheilmittelherstellers Alcon beitrug. Novartis hatte für Alcon im Dezember vergangenen Jahres 51 Milliarden Dollar bezahlt. Zuvor hatten die Schweizer bereits den deutschen Generikahersteller Hexal und den amerikanischen Impfstoff- produzenten Chiron gekauft. Jime- nez will diese Diversifikationsstra- tegie weiter vorantreiben. Der Rein- gewinn stieg 2010 um 18 Prozent auf knapp zehn Milliarden Dollar.

Die Forschungsausgaben bleiben auch beim deutschen Chemie- und Pharmariesen Bayer unangetastet.

Etwa drei Milliarden Euro will der

neue Vorstandsvorsitzende, Marijn Dekkers, in diesem Jahr in F & E investieren und damit das Niveau des Vorjahres halten. Das Unterneh- men hat zurzeit insgesamt 50 Pro- dukte in allen klinischen Testpha- sen. An der Kostenschraube wird aber auch hierzulande kräftig ge- dreht. Bis Ende des kommenden Jahres werden weltweit 4 500 Stel- len gestrichen, davon 1 700 Stellen in Deutschland. Dekkers steht unter Druck, weil sich wichtige Produkte des Konzerns, zum Beispiel das Multiple-Sklerose-Medikament Be- taferon und die Verhütungspille Yasmin, in Konkurrenz zu Generi- kaprodukten behaupten müssen.

Auch die Darmstädter Merck- Gruppe will ungebremst weiterfor-

schen und wie bisher rund 20 Pro- zent der Gesamterlöse investieren.

Zusätzlich hat sich das älteste Phar- maunternehmen der Welt durch ei- nen Zukauf gestärkt. Im vergange- nen Jahr hatte das Unternehmen den US-Laborausrüster Millipore geschluckt und dafür circa 5,1 Mil- liarden Euro bezahlt. Der operative Gewinn stieg somit 2010 um 71,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf etwa 1,1 Milliarden Euro, berichtete Konzernlenker Karl-Ludwig Kley im Februar bei der Jahrespresse- konferenz. Der Umsatz kletterte um knapp 20 Prozent auf rund 9,3 Mil- liarden Euro. In diesem Jahr werde der operative Gewinn zwischen 35 und 45 Prozent steigen, stellte Kley in Aussicht. Der Umsatz werde um 13 bis 18 Prozent zulegen. Zuletzt musste Merck einige Rückschläge verkraften. Das Unternehmen woll- te die Tablette Cladribin gegen mul- tiple Sklerose auf den Markt brin- gen. Die Europäische Zulassungs- behörde wollte aber keine Empfeh- lung für das Medikament ausspre- chen; die Entscheidung der US-Zu- lassungsbehörde soll in den nächs- ten Wochen fallen. Merck hatte mit Cladribin auf Umsätze in Milliar-

denhöhe gehofft. ■

Petra Prenzel

Wichtige Patente laufen aus, die Politik dreht an der Kostenschraube, und durchschlagende Forschungserfolge bleiben aus.

W I R T S C H A F T

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