MEDIZIN EDITORIAL
Endoskopische Therapiemöglich- keiten bei akuter und chronischer Pankreatitis
Nib Soehendra
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ie Bauchspeicheldrüse ist während der letzten Jahre zunehmend in den Mittel- punkt des Interesses der interventionel- len Endoskopie gerückt. Die Erklärung dafür liegt nicht nur im günstigen endoskopischen Zugang des Organs, sondern vielmehr darin, daß das bisherige therapeutische Resultat auf diesem Gebiet verbesserungsbedürftig und möglicherweise auch -fähig ist.In der Behandlung der akuten biliären Pan- kreatitis, der häufigsten Form der akuten Bauchspeicheldrüsenentzündung, hat sich der Wert der endoskopischen Papillotomie (EPT) nach den prospektiv-randomisierten Studien von Neoptolemos et al. (1) und Fan et al. (2) weiter gefestigt. Es gilt nunmehr als gesichert, daß bei den schweren Krankheitsgraden die so- fortige EPT gegenüber der konservativen Be- handlung für den Patienten vorteilhafter ist, während bei den milden Formen kein Unter- schied zwischen beiden Maßnahmen festzustel- len ist. Bei leichteren Krankheitsbildern darf daher zunächst abgewartet und die Endoskopie erst nach Abklingen der akuten Beschwerden durchgeführt werden. Die Diagnose einer gal- lenstein-bedingten Pankreatitis ist nach Wang et al. (3) relativ einfach und sicher zu stellen.
Klinik, Laborwerte und Sonographie ermögli- chen gemeinsam eine Treffsicherheit von mehr als 90 Prozent. Die Beurteilung des Schwere- grades und vor allem des weiteren Verlaufs im Initialstadium ist jedoch nicht immer einfach.
Es wird daher von manchen Autoren empfoh- len, in jedem Fall eine sofortige endoskopische Papillotomie und Gallengangrevision vorzu- nehmen. Sie rechtfertigen diese prinzipielle Vorgehensweise auch aufgrund ihrer Erfahrun- gen, daß selbst den Patienten, bei denen der Stein bereits spontan abgegangen ist, keine zu- sätzlichen Schäden durch die endoskopische
Maßnahme zugefügt werden. Diese Argumen- tation mag nur richtig sein, wenn vor Ort stets ein Endoskopiker mit großer Papillotomie-Er- fahrung verfügbar ist. Dies entspricht leider nicht der allgemeinen realen Situation. Sinnvoll und praktikabel ist nach meiner Auffassung je- doch die sofortige Durchführung einer Gastro- Duodenoskopie bei klinisch begründetem Ver- dacht auf eine biliäre Pankreatitis, um einen eingeklemmten Stein in der Papille auszu- schließen. Die endoskopische Extraktion eines solchen Steins mit einem Nadelpapillotom er- fordert keinen großen Aufwand und ist für den meist unter starken Schmerzen leidenden Pa- tienten eine große Hilfe.
Während zur Therapie der akuten biliären Pankreatitis ein weitgehender Konsens besteht, steht die endoskopische Behandlung bei der chronischen Pankreatitis noch in den Anfängen.
Lange Zeit glaubte man, daß die chronische Pankreatitis eine von der akuten Pankreatitis ganz zu trennende Entität ist. Es ist hierzulan- de das Verdienst von Stolte und Klöppel (4, 5), darauf hingewiesen zu haben, daß eine akute Entzündung der Bauchspeicheldrüse unter- schiedlicher Ursachen Narbenbildungen am Hauptausführungsgang hinterlassen kann und daß die Abflußstörungen wiederum weitere Entzündungsschübe nach sich ziehen. Dieser Circulus vitiosus führt unbehandelt zur Selbst- perpetuation des Entzündungsprozesses und letztlich zum Untergang der Drüse. Die ob- struktiven Veränderungen spielen mithin ne- ben dem Alkoholismus eine wichtige pathoge- netische Rolle in der Entstehung der akut-rezi- divierenden und der chronischen Pankreatitis.
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bstruktionen im Bereich des Pankreas- hauptgangs stellen heute in der interven- tionellen Endoskopie den therapeuti- schen Hauptansatz dar. Bemühungen in den siebziger Jahren, mit Gangokklusionen die Selbstausbrennung der Drüse zu beschleuni- gen, damit die Schmerzen aufhören, haben sich sehr bald als ein Irrweg erwiesen (6, 7). Mit der Wiederherstellung des Sekretabflusses läßt sich dagegen vielfach eine Besserung der Sympto- me, insbesondere was die Schmerzen anbe- langt, erzielen.Die Palette der endoskopischen Behand- lungsmöglichkeiten bei der chronischen und re- zidivierenden Pankreatitis umfaßt die Drainage des Pankreasgangs, die Steinextraktion, die Zy- sten- und Abszeßdrainage sowie die Fistelok-
A-1354 (34) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 19, 13. Mai 1994
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klusion. Die meisten Eingriffe werden transpa- pillär ausgeführt, Zysten- und Abszeßdraina- gen überwiegend transgastral oder transduode- nal. Für die meist impaktierten Steine kommt zusätzlich die extrakorporale Stoßwellen-Litho- tripsie (ESWL) zum Einsatz.
In der einschlägigen Literatur wurde bis- lang insgesamt über 500 endoskopische Eingrif- fe wegen chronischer Pankreatitis berichtet.
Bei 154 publizierten Fällen mit Pankreasgang- drainagen war ein einziger eingriffbedingter Todesfall bekannt. Die meisten Komplikatio- nen waren konservativ behandelbare Pankreati- tiden (8). Der technische Erfolg der Gangdrai- nage betrug etwa 90 Prozent mit einer Schmerz- freiheits- beziehungsweise -linderungsrate von etwa 80 Prozent (9, 10, 11). Bei der ESWL wur- de bisher über keine einzige tödliche Komplika- tion berichtet. Steinfragmentierungen gelangen in 90 Prozent und eine Steinfreiheit in nahezu 80 Prozent der Fälle (12, 13, 14, 15).
Die Zystendrainagen wiesen eine eingriff- bedingte Letalität von 3 Prozent auf (16); jüng- ste technische Verbesserungen haben jedoch eine signifikante Risikoreduktion herbeige- führt. Die Erfolgsrate liegt bei mehr als 90 Pro- zent. Rezidive traten in 9 Prozent nach Zysto- duodenostomien und in 19 Prozent nach Zysto- gastrostomien auf (17). Regelmäßige Darstel- lungen des Pankreasgangs vor Zystendrainagen haben gezeigt, daß ein Teil der Rezidive auf ei- ne Fistelbildung zurückzuführen war, so daß auch bei den Ergebnissen durch erfolgreiche Okklusionsbehandlungen der Fisteln weitere Verbesserungen zu erzielen sind (18).
Infizierte Zysten oder Abszesse lassen sich ebenso erfolgreich endoskopisch drainieren, sofern nicht eine Peritonitis die Operation er- zwingt. Zur Spülbehandlung wird neben einer Endoprothese ein nasozystischer Katheter ge- legt.
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ach vorliegenden Erfahrungen kann schon jetzt festgestellt werden, daß die endoskopische Behandlung bei den Pseu- dozysten den operativen und perkutanen Ver- fahren überlegen ist. Die ESWL stellt die scho- nendste Hauptbehandlung bei den intradukta- len Konkrementen dar, da die meisten Pankre- assteine im Gang fest inkrustiert und mithin der primären endoskopischen Extraktion unzu- gänglich sind. Die Gangstrikturen bei der chro- nischen Pankreatitis sind leider meist irreversi- bel, so daß sie kaum mit Bougierungen zu behe- ben sind. Die Drainage bringt zwar einen rela-tiv guten initialen Effekt, ihr Langzeitergebnis wird aber von Verstopfungen der Prothesen, die nach vier bis fünf Monaten auftreten kön- nen, beeinträchtigt. Als Folgen der Prothesen- okklusion können Gangveränderungen auftre- ten. Sie sind jedoch rückbildungsfähig, wenn der Katheter rechtzeitig ausgewechselt wird.
Eine regelmäßige Überwachung der Patienten ist bei der Drainagebehandlung daher unab- dingbar (19, 20).
Die Therapie der chronischen Pankreatitis ist zweifelsohne durch die interventionelle En- doskopie in Bewegung geraten. Die endoskopi- schen Maßnahmen zielen bei der obstruktiven rezidivierenden Pankreatitis in erster Linie auf die Schmerzsymptomatik und stellen daher in der Regel keine kausale Behandlung dar. Der in den meisten Fällen bereits fortgeschrittene Entzündungsprozeß läßt sich dadurch leider nicht mehr beseitigen. Ob durch die Katheter- drainage die Schübe verringert werden können, müssen Langzeitergebnisse zeigen. Prospektive Studien werden vor allem benötigt, um ihre Re- sultate mit denen der konservativen und opera- tiven Behandlungen zu vergleichen. Es gibt der- zeit noch keine klare Abgrenzung der Indika- tionen gegenüber den klassischen Therapiemo- dalitäten. Die Indikation zur interventionellen Endoskopie muß daher aufgrund der Gang- morphologie und Befunde anderer bildgeben- der Verfahren kritisch gestellt werden. Es ist durchaus möglich, daß bei früherem Einsatz der endoskopischen Behandlung bessere Er- gebnisse erzielt werden können. Dafür müßte die endoskopisch-retrograde Pankreatikogra- phie zur Auffindung von Gangstenosen in noch früheren Stadien, das heißt möglichst nach je- dem ersten oder zweiten akuten Schub der Pan- kreatitis durchgeführt werden. Auch diese Ar- beitshypothese bedarf einer kritischen Überle- gung wie auch einer sorgfältigen Überprüfung.
Deutsches Arzteblatt
91 (1994) A-1354-1357 [Heft 19]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über den Ver- fasser.
Prof. Dr. med. Nib Soehendra
Direktor der Abteilung für Endoskopische Chirurgie der
Chirurgischen Universitätsklinik
und -Poliklinik Martinistraße 52 20246 Hamburg
Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 19, 13. Mai 1994 (37) A-1357