Die Symptomatik
Die chronische Entzündung der Bauchspeicheldrüse beginnt schlei- chend mit uncharakteristischen Be- schwerden: rezidivierende, ziehende Schmerzen im Epigastrium mit gür- telförmiger Ausstrahlung, Druckge- fühl, Meteorismus, gelegentlich Ik- terus, überlagert in den ersten Jah- ren von akuten Entzündungsschü- ben, die in 50 Prozent Zysten hinter- lassen (H. Goebell, Essen). Im wei- teren Verlauf schwächen sich die akuten Phasen ab, es kommt progre- dient zur Manifestation von Aus- fallserscheinungen. Nach etwa fünf- jähriger Krankheitsdauer stehen im Vordergrund
❑ der Schmerz, dauerhaft über Stunden, Tage, Wochen;
❑ die Fehlverdauung durch Mangel an Verdauungsenzymen;
❑ der Gewichtsverlust infolge Mal- digestion der Nahrung und
❑ eine diabetische Stoffwechsellage (rund 70 Prozent).
In der Drüse kommt es zu Ver- kalkungen im Gangsystem, die zum Aufstau des Sekrets beitragen und den Schmerz verstärken (80 Pro- zent).
Zwischen dem 10. und 15. Jahr nach Erkrankungsbeginn kommt es in vielen Fällen zu einem Ausbren- nen der Entzündung; die Schmerzen lassen nach.
In der Bundesrepublik Deutsch- land sind 70 bis 80 Prozent der chro- nischen Pankreatitiden durch Alko- holabusus bedingt, Frauen scheinen empfindlicher zu reagieren als Män- ner, auch wenn derzeit noch dreimal
mehr Männer erkranken als Frauen.
Die „juvenile" Form der chroni- schen Pankreatitis ist wahrscheinlich genetisch bedingt, die „senile"
Form jenseits des 60. Lebensjahres möglicherweise durch Durchblu- tungsstörungen.
Nur in 5 Prozent der Fälle läßt sich eine Beziehung zu Gallenwegs- erkrankungen erkennen, wahr- scheinlich durch Narbenbildung nach akuter Entzündung (chronisch obstruktive Pankreatitis).
Bildgebende
Diagnoseverfahren
Das Spektrum der bildgebenden Untersuchungsverfahren bei der Diagnostik der chronischen Pan- kreatitis ist umfangreich und um- faßt:
1. Radiologische Nativdiagno- stik: Thorax in 2 Ebenen, Leeraufnahme des Ober- bauchs
2. Radiologische Darstellung der ableitenden Gallenwege, i. v. Cholangiographie mit Schichten
3. KM-Darstellung des Ga- strointe stinaltrakts
4. Sonographie
5. Computertomographie 6. endoskopisch retrograde Cholangio-Pankreatikographie (ERCP)
7. Angiographie
Pankreasverkalkungen auf Ziel- aufnahmen beweisen mit 90 prozen- tiger Sicherheit eine chronische Pan- kreatitis (M. Thelen, Mainz). Die i. v. Infusionscholangiographie bei nicht-ikterischen Patienten mit Bili- rubin-Werten unter 2 mg/dl erlaubt in Verbindung mit einer Tomogra- phie eine gute Beurteilung des intra- pankreatischen Verlaufs des Gallen- gangs, der bei einer fortgeschritte- nen chronischen Pankreatitis in 40 Prozent der Fälle eingeengt impo- niert. Sonographie und Computerto- mographie konkurrieren bei der Parenchymbeurteilung. Durch den chronischen Verlauf der Entzün- dung wird das computertomogra- phisch ermittelte Dichteverhalten des Organs nicht in dem Maße ver- ändert wie das sonographisch beur- teilte Reflexverhalten; Pankreasver- kalkungen sind hingegen eine Do- mäne des CT. Eine durch den Ent- zündungsprozeß bedingte Gangdila- tation läßt sich sonographisch in 50 bis 60 Prozent der Fälle nachweisen.
Erstes bildgebendes Verfahren bei Verdacht auf eine chronische Pan- kreatitis sollte deshalb die Sonogra- phie sein. Wenn das Ultraschallver- fahren aus untersuchungstechni- schen Gründen (10 Prozent) schei- tert, oder wenn die Diagnose unsi- cher ist (20 Prozent), stellt die CT- Untersuchung den nächsten Schritt dar.
Die endoskopisch retrograde Cholangio-Pankreatikographie (ER CP) weist eine Sensitivität von 71 bis 93 Prozent und eine Spezifität zwi- schen 89 und 100 Prozent auf; sie gilt deshalb als Standard der bildgeben- den Verfahren. Die ERCP ist insbe- sondere präoperativ indiziert, wäh- rend die Angiographie nur noch bei Komplikationen wie einer Blutung ihre Berechtigung findet.
Labordiagnostik
Anamnese, klinischer Untersu- chungsbefund und Laboruntersu- chungen sind nur selten beweiskräf- tig, für die Praxis kommt den son- denlosen Pankreasfunktionstests ei- ne größere Bedeutung zu. Chymo- trypsinbestimmung im Stuhl (nach fünftägiger Karenz von Fermentprä-
Immer mehr Menschen leiden an
chronischer Pankreatitis
XI. Interdisziplinäres Forum der Bundesärztekammer
„Fortschritt und Fortbildung in der Medizin", 21. bis 24. Januar 1987, IV. Hauptthema
Dt. Ärztebl. 84, Heft 10, 5. März 1987 (65) A-577
Pathologisches Ergebnis Exokrine Pankreasinsuffizienz von
Pancreolauryl-Test NBT-PABA-Test Stuhl-Chymotrypsin
paraten), NBT-PABA-Test (Hoff- mann-la Roche) und Pancreolauryl- test (Temmler-Werke) sind insbe- sondere bei der fortgeschrittenen exokrinen Insuffizienz positiv, ha- ben jedoch ihre Fehlerquellen (P.
G. Lankisch, Lüneburg) (Tabelle).
Eine PABA-Bestimmung nach 150 Minuten bzw. eine Fluoreszein- Bestimmung nach 210 Minuten er- scheinen der Urinbestimmung gleichwertig, vermeiden jedoch die bei 10 Prozent der Patienten nach- weisbaren Urinsammelfehler. Obso- let sind Stuhluntersuchungen auf
„Ausnutzung".
Die Betreuung des Patienten
Im Mittelpunkt der Therapie der chronischen Pankreatitis stehen intensive aufklärende Gespräche, die dem Patienten das Wesen und das Verständnis für die Erkrankung nahebringen müssen, und eine eng- maschige Kontrolle des Therapieer- folgs. Therapieziele sind Schmerz- freiheit, Normalisierung des Ernäh- rungszustands, berufliche und sozia- le Rehabilitation, Erkennung und Behandlung von Komplikationen.
Das beginnt mit einer strikten Alkoholkarenz, eventuell in Selbst- hilfegruppen. Eine ausreichende En- zymsubstitution muß gewährleistet sein, damit der Patient wieder zunimmt und die Steatorrhö ver- schwindet. Bewährt haben sich dabei mikroverkapselte Enzympräparate (Kreon®, Panzytrat®), da die Lipase im Magen sehr rasch inaktiviert wird.
Da der pankreoprive Diabetes mellitus meist auf eine Erschöpfung der Insulinreserven zurückzuführen ist, müssen 16 bis 24 Einheiten eines Mischinsulins morgens und 12 Ein- heiten abends zugeführt werden, wobei insbesondere bei persistieren- dem Alkoholkonsum und unregel-
mäßiger Nahrungsaufnahme die Ge- fahr einer Hypoglykämie gegeben ist. Der Einsatz von Analgetika muß stufenweise erfolgen, wobei Pankre- asfermentpräparaten, frühzeitig ein- gesetzt, möglicherweise ein Analge- tika-sparender Effekt zuzuschreiben ist. Eine regelmäßige Einnahme, eventuell in Kombination mit Neu- roleptika oder Analeptika ist der Einnahme bei Bedarf vorzuziehen.
Wegen der Gefahr der Toxikomanie muß die Indikationsstellung sorgfäl- tig getroffen werden (J. Hotz, Celle).
Für die Beurteilung der Arbeits- fähigkeit gelten als Einschränkun- gen:
1. nicht korrigierbares Unter- gewicht,
2. schlecht einstellbarer Dia- betes mellitus,
3. anhaltendes therapierefrak- täres Schmerzsyndrom, 4. lokale Komplikationen, 5, postoperative Syndrome.
Bei leichter Einschränkung wird eine Minderung der Erwerbsfähig- keit von 20 bis 40 Prozent, bei mitt- lerer Einschränkung von 50 bis 70 Prozent und bei schwerer Einschrän- kung von 70 bis 100 Prozent zu dis- kutieren sein. Nur bei etwa 50 Pro- zent aller Patienten mit chronischer Pankreatitis kann die Arbeitsfähig- keit erhalten werden, ein Drittel wird im Verlauf der Erkrankung er- werbsunfähig und dauerberentet.
Die Lebenserwartung ist deutlich eingeschränkt, insbesondere bei Fortschreiten des Alkoholkonsums.
Die Letalität innerhalb eines Beob- achtungszeitraums von zehn Jahren liegt zwischen 30 und 70 Prozent, wobei nur in der Hälfte der Fälle die chronische Pankreatitis unmittelba- re Todesursache ist.
Wann operieren?
Eine Operationsindikation sind zum einen therapieresistente Schmerzen, zum anderen lokale Komplikationen wie Stenose des Gal- lengangs, Ausbildung von Pseudozy- sten, Kompression von Nachbarorga- nen einschließlich Milzvenenthrom- bose, und Fisteln. Während man noch vor einigen Jahren der Totalentfer- nung der erkrankten Bauchspeichel- drüse das Wort geredet hat, ist man heute unter dem Aspekt der schlech- ten Langzeitprognose wieder zurück- haltender geworden und versucht ei- ne organerhaltende Operation (F. P.
Gall, Erlangen). Dabei konkurrieren Linksresektion und Drainageverfah- ren mit der Whippleschen Operation und der Okklusion des Restpankreas mit Ethibloc®.
Erste Versuche, das Ausbren- nen des Entzündungsprozesses durch intraoperative Verödung des gesamten Pankreasganges zu errei- chen, sind vielversprechend, wäh- rend die endoskopische Gangokklu- sion langfristig enttäuscht hat. Nur bei der schmerzfreien, primär kalzi- fizierenden Pankreatitis, der Muko- viszidose und der Hämochromatose kann prinzipiell auf ein operatives Vorgehen verzichtet werden; bei rund 50 Prozent der Patienten mit alkoholinduzierter chronischer Pan- kreatitis läßt sich ein operativer Ein- griff nicht vermeiden, dessen primä- re Operationsletalität heute deutlich unter 5 Prozent liegen sollte.
Die chronische Pankreatitis ist ein relativ neues Krankheitsbild, erstmals 1787 beschrieben, das in unserer Wohlstandsgesellschaft, wohl bedingt durch den zunehmen- den Alkoholabusus, immer häufiger diagnostiziert wird. Unklare persi- stierende Schmerzen in Verbindung mit gelegentlichen Amylase- und Li- paseerhöhungen lenken die Diagno- stik, indirekte Pankreasfunktions- tests untermauern den Verdacht.
Prof. Dr. med. Wolfgang Rösch Medizinische Klinik am
Krankenhaus Nordwest der Stiftung
Hospital zum Heiligen Geist Steinbacher Hohl 2-26 6000 Frankfurt (Main) 90 leicht mittel schwer
67% 88% 100%
73% 88% 97%
25% 60% 92%
A-578 (66) Dt. Ärztebl. 84, Heft 10, 5. März 1987