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Archiv "Somatische Gentherapie bei Glioblastomen " (05.05.2000)

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Academic year: 2022

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ls hochmaligner hirneigener Tumor mit diffuser Infiltrati- on des Gehirns zählt das Glio- blastoma multiforme mit einer mitt- leren Überlebenszeit von weniger als einem Jahr zu den bösartigsten Tu- moren. Grundlage der Standardthe- rapie ist die möglichst radikale Re- sektion mit anschließender Bestrah- lung, wobei der Tumor ohne Ausnah- me rezidiviert. Auch diverse Chemo- therapieprotokolle blieben erfolglos.

Die seit Jahrzehnten unverändert in- fauste Prognose führte zur Suche nach neuen adjuvanten Verfahren (4, 7, 8, 10, 15, 16, 17, 18, 22, 29).

Die einmalige Situation des Glio- blastoms als rasch proliferierendes Gewebe vor dem Hintergrund der mitotisch inaktiven Nervenzellen stellt eine ideale Voraussetzung für ei- nen selektiven, durch retrovirale Vek- toren vermittelten Gentransfer dar.

Nach sehr ermutigenden Ergebnissen mit Hirntumormodellen in Tierversu- chen (2, 30) wurden Anfang der neun- ziger Jahre Behandlungsprotokolle bei menschlichen Hirntumoren einge- führt. Durch Unterstützung der Firma GTI/Novartis konnten von Dezember 1995 bis Juli 1996 im Rahmen der er- sten prospektiven, internationalen Phase-II-Multicenterstudie (GLI B 201) insgesamt 48 Patienten mit Glio- blastomrezidiven adjuvant genthe- rapeutisch behandelt werden. Aus

Deutschland nahmen die neuroonko- logischen Zentren in Dresden, Düs- seldorf und Freiburg teil. Primäres Ziel war es, die Verträglichkeit und biologische Sicherheit der Behand- lung mit Vektor-produzierenden Zel- len (GLI 328) zu bestimmen, sekun- där sollte die Wirksamkeit anhand der Variablen Überlebenszeit, rezidivfrei- es Intervall, funktioneller Status und Zeichen eines antitumorösen Effekts eingeschätzt werden.

Thymidin-Kinase/

Ganciclovir-

Suizidgenverfahren

Verwendet wurde das Suizidgen- Prodrug-Verfahren mit dem Thymi- din-Kinase/Ganciclovirsystem (Gra- fik). Dabei wird das Gen für das En- zym Thymidin-Kinase (Tk) des Her- pes-Simplex-Virus Typ I (HSV I), welches Virostatika wie Ganciclovir (GCV) zu zelltoxischen Metaboliten umsetzt, auf ein retrovirales, replika-

tionsinkompetentes und nicht men- schenpathogenes Trägervirus über- tragen. Der Vektor aus Suizidgen und Trägervirus wird in speziellen Mäuse- fibroblasten, den „Vektor-produzie- renden Zellen“ (VPC), mit der Un- terstützung eines Helfervirus ver- mehrt (27). Werden die VPC intraze- rebral injiziert, so setzen sie über ein bis zwei Wochen kontinuierlich den Vektor frei. Dieser verteilt sich im Pa- renchym und vermag als Retrovirus nur mitotisch aktive Zellen zu infi- zieren. Im Gehirn zeigen Nervenzel- len keinerlei Teilungsaktivität; Glia- zellen, Gefäßendothelien sowie Ge- websmakrophagen sind nur in sehr geringem Umfang mitotisch aktiv, wogegen die Gliomzellen eine hohe Proliferationsrate zeigen. Der Vektor infiziert daher nahezu selektiv die Tu- morzellen, während das funktionelle Nervengewebe nicht geschädigt wird.

Nach der Integration des Tk-Gens in den Zellkern sammelt sich sein Gen- produkt, die Tk im Zytosol an. Nach Gabe des Nukleosidanalogons GCV wird dieses mithilfe der Tk zu GCV- Monophosphat phosphoryliert und durch Kinasen weiter zu toxischen Triphosphaten umgesetzt. Diese blockieren die DNA-Synthese durch Hemmung der DNA-Polymerase so- wie fälschliche Insertion in replizierte DNA-Stränge (19) und induzieren den Zelltod (Apoptose). ✁

Somatische Gentherapie bei Glioblastomen

Friedrich Weber1 Gabriele Schackert2 Klaus Johannes Burger3 Frank Willi Floeth1

In Deutschland erkranken jährlich etwa 5 000 Patienten an einem Glioblastom, wobei die Lebenserwartung trotz Opera- tion und Bestrahlung im Mittel weniger als ein Jahr umfasst.

Nach sehr vielversprechenden Ergebnissen tierexperimentel- ler Voruntersuchungen wurde 1996 eine internationale Phase- II-Studie zur adjuvanten gentherapeutischen Behandlung von Glioblastomrezidiven mit dem Thymidin-Kinase/Gan-

ciclovirsystem begonnen. Im Folgen- den sollen die Methode sowie die Er-

gebnisse hinsichtlich Verträglichkeit, biologischer Sicherheit und Effizienz aus der gemeinsamen Erfahrung der deutschen Studienzentren nach 16 Behandlungen vorgestellt werden.

Schlüsselwörter: Glioblastom, Suizidgentherapie, Phase-II- Studie, „Bystander“-Effekt, „Flare“-Phänomen

ZUSAMMENFASSUNG

Somatic Gene Therapy of Glioblastoma

As the most common malignant primary brain tumor glioblastoma is annually accounting for about 5 000 newly diagnosed cases in Germany. Despite operation and radio- therapy median survival is less than one year. After encour- aging results from animal studies an international phase- II-study for adjuvant gene therapy treatment of recurrent

glioblastoma with the thymidine-kinase/gan- ciclovir system was initiated in 1996. The meth-

od as well as the results concerning safety and efficacy will be presented on the base of 16 treatments at the German study centers.

Key words: Glioblastoma, suicide gene therapy, phase-II- study, bystander-effect, flare-phenomenon

SUMMARY

A

1Neurochirurgische Klinik (Direktor: Prof. Dr.

med. Wolfgang Bock) der Heinrich-Heine- Universität, Düsseldorf

2 Neurochirurgische Klinik (Direktorin: Prof.

Dr. med. Gabriele Schackert) des Univer- sitätsklinikums Carl Gustav Carus, Dresden

3 Klinische Forschung, Novartis Pharma GmbH, Nürnberg

(2)

„Bystander“-Effekt

Im Tierversuch gelang durch die intratumorale Injektion von Vekto- ren oder VPC und anschließende GCV-Behandlung in hohem Pro- zentsatz eine Verkleinerung bis voll- ständige Regression von Transplan- tationsgliomen (5, 6, 11, 21, 32, 34).

Obwohl die Transduktionseffizienz mit maximal zwei bis zehn Prozent der Tumorzellen sehr gering war, konnte ein Absterben von 50 bis 100 Prozent der Tumorzellen nachgewie- sen werden (13, 20, 33). Die Ursache dieser Diskrepanz zwischen dem ge- ringen Anteil infizierter und dem viel höheren Anteil zugrunde gehen- der Tumorzellen wurde einem in- direkten „Bystander“-Effekt zuge- schrieben, den man sich unter ande- rem durch einen Übertritt von toxi- schen Triphosphaten oder Apopto- se-Vesikeln infizierter Zellen über Zellkontakte (tight junctions) auf Nachbarzellen im Sinne eines „Ge- schwistermordes“ erklärte (3, 14, 28). Weitere Erklärungsmodelle sa- hen eine hämorrhagische Tumorne- krose infolge von Transduktion der Endothelien tumorversorgender Ge- fäße (23, 24) sowie eine unspezifi- sche lymphozytenvermittelte, lokale Immunreaktion (9, 12, 25, 26, 35) als weitere Ursachen des „Bystander“- Effekts an.

Phase-II-Studie bei Glioblastomrezidiven

In Dresden und Düsseldorf wur- den 16 Patienten mit supratentoriel- len Glioblastomen behandelt. Bei al- len hatte sich nach (in drei Fällen mehrfacher) Operation, Bestrahlung sowie (in vier Fällen) adjuvanter Chemotherapie ein Tumorrezidiv mit klinischen und radiologischen Zeichen des Progresses eingestellt.

Wesentliche Einschlusskriterien umfassten neben Volljährigkeit und Einwilligungsfähigkeit einen Kar- nofsky-Status (Lebensqualitätsindex) von mindestens 60 Prozent (das heißt, der Patient ist nicht arbeitsfähig, braucht gelegentlich Hilfe, sorgt im Allgemeinen für sich selbst). We- sentliche Ausschlusskriterien waren Schwangerschaft, ernste systemische

Erkrankungen, aktive Infektions- krankheiten und eine Tumorinfiltra- tion von Hirnstamm oder Kleinhirn sowie eine multifokale Ausbreitung.

Die Altersspanne betrug 36 bis 70 Jahre bei einem Durchschnitt von 51,6 Jahren, der Karnofsky-Status lag im Mittel bei 80,0 Prozent. Der durchschnittliche Abstand zur letz- ten Operation betrug 7,1 Monate bei einer Spanne von drei bis dreizehn Monaten (Tabelle).

Gentherapeutische Behandlung

Nach möglichst vollständiger Resektion des Tumorgewebes wur- den neun bis zehn Milliliter einer Suspension mit 108 Mausfibrobla- sten/ml gleichmäßig in etwa 50 Ein- zelinjektionen zu 0,2 ml pro Injekti- on im Abstand von fünf bis zehn Mil- limeter und bis zu einer Tiefe von 15 Millimetern in die Infiltrationszone des Tumors beziehungsweise den verbliebenen Resttumor injiziert (Abbildung 1). Die multiplen Injek- tionen sollten eine homogene und vollständige Verteilung gewährlei- sten. Zwei Wochen postoperativ er- folgte die vierzehntägige Ganciclo- virgabe mit einer Tagesdosis von 10 mg/kg KG in zwei Einzeldosen als Kurzinfusion. Die Nachsorge umfas-

ste neben der klinisch-neurologi- schen Untersuchung auch die Erhe- bung der Vitalparameter und Medi- kation, das Asservieren von Blut-, Urin- und Liquorproben sowie MRT-Kontrollen in zweimonatigen Intervallen. Zur Bestimmung der biologischen Sicherheit wurden in regelmäßigen Abständen Blutpro- ben und, soweit verfügbar, Gewebe aus Autopsien oder Biopsien auf vi- rale Vektorantigene, Antikörper ge- gen den Vektor und die VPC sowie replikationskompetente Retroviren untersucht. Damit sollten systemi- sche Auswirkungen der lokalen The- rapie, insbesondere die Gefahr einer Infektion von Kontaktpersonen und Keimbahnzellen, überprüft werden.

Verträglichkeit, Neben- wirkungen, Morbidität

Die gesamte Behandlung erwies sich als sehr sicher und wurde pro- blemlos vertragen: Es kam zu kein- erlei bleibender behandlungsbezo- gener Morbidität oder Mortalität.

Im Zusammenhang mit der Operati- on, VPC-Injektion und GCV-Infusi- on traten in keinem der Fälle eine Blutung oder Nachblutung, Fieber, Wundinfektion, Meningitis, Abs- zedierung, Krampfanfälle oder ein zusätzliches, bleibendes neurologi- Grafik

Schemazeichnung des Suizidgen-Verfahrens: Maus-Fibroblasten dienen als Vektor-produzierende Zellen (VPC), in denen das Trägervirus mit dem therapeutischen Thymidin-Kinase-Suizidgen (HSV-Tk) vermehrt wird. Nach intratumoraler Injektion der VPC wird das Vektorvirus im Gewebe freigesetzt, infiziert die Tumorzellen und überträgt das Tk-Gen, wodurch es nach Gabe von Ganciclovir zur Apoptose der transfizierten Zellen kommt.

(3)

sches Defizit auf. Bei zwei Patienten kam es aufgrund der Nähe des Tu- mors zum Motorkortex beziehungs- weise Sprachzentrum zu einer passa- geren Verschlechterung eines vorbe- stehenden Defizits durch die Ver- stärkung des perifokalen Ödems.

Als Auslöser ist das operative Trau- ma selbst anzusehen, eine Zunahme des Ödems durch die Injektionsbe- handlung ist aber durchaus möglich.

Unter der üblichen antiödematösen Therapie mit Dexamethason klan- gen diese verstärkten Symptome vollständig ab. Eine signifikante oder klinisch relevante Veränderung der Vitalparameter oder der Labor- werte von Blut, Urin und Liquor un- ter der Behandlung ergab sich in kei- nem Fall. Im Verlauf entwickelten zwei Patienten in kausalem Zusam- menhang mit der Grundkrankheit eine Pneumonie beziehungsweise Sepsis und ein Patient einen shunt- pflichtigen Hydrozephalus. Drei Pa- tienten verstarben infolge sektions- gesicherter Thrombembolien.

Biologische Sicherheit

Bei vier Patienten (25 Prozent) waren Vektor-DNA-Fragmente in pe- ripheren Blutleukozyten nachweis- bar, bei zwei Patienten (12,5 Prozent) fanden sich Vektorantigene im Hirn- gewebe sowie in Leber und Niere.

Vektor-DNA in den Gonaden konnte in keinem Fall nachgewiesen werden.

Antikörper gegen den Vektor fanden sich im Serum von zwei Patienten (12,5 Prozent), Antikörper gegen die VPC waren nicht nachweisbar. Die für Antigene oder Antikörper positiven Ergebnisse stammten ausschließlich aus den ersten postoperativen Mona- ten. Im Verlauf wurden die Proben entweder negativ oder weitere Unter- suchungen fanden nicht statt, da die Patienten verstorben waren. Offenbar wurden Teile der Vektor-DNA im Hirnparenchym von gewebsständigen Blutzellen aufgenommen, gelangten in die Blutbahn und zirkulierten dort in Lymphozyten, sodass sie nach der Behandlung transient im Blut und in

verschiedenen Organen nachweisbar wurden und dort zur Antikörperpro- duktion führen konnten. Mit zuneh- mendem Abbau der Lymphozyten und Immunglobuline wurden die Blutproben innerhalb der Folgemo- nate wieder negativ für den Nachweis von Vektor-DNA und Anti-Vektor- Antikörpern.

Replikationskompetente Retro- viren als infektiöses Agens konnten bei keinem Patienten zu irgendeinem Zeitpunkt im Blut oder Gewebe nach- gewiesen werden.

Verlauf und Überlebenszeit

Im September 1999 waren 15 der 16 Patienten verstorben, zwölf (80 Prozent) infolge des Grundleidens (Tumorprogression), drei (20 Pro- zent) aufgrund letaler thrombembo- lischer Ereignisse. Die mittlere Über- lebenszeit beträgt bei einer Spanne von 28 Tagen bis 42 Monaten für die Tabelle

Patienten der Phase-II-Studie zur gentherapeutischen Behandlung von Glioblastomrezidiven mit dem HSV-Tk/GCV-System

Patient Geschlecht Alter KPS Lokali- vorherige Vor- Radika- KPS Über- Todesursache sation Therapie OP lität < 60% leben

Dresden

1 M 53 100 R T OP, R, C 13 partial 146 146 Tumorprogress

2 W 55 90 R T OP, R, C 9 total 122 167 Thrombembolie

3 W 64 60 R O OP, R 8 total 36 36 Thrombembolie

4 M 48 80 R T OP, R 5 total 131 135 Tumorprogress

5 M 38 100 R P-O OP, R, C 5 total 342 342 Tumorprogress

6 M 64 90 R F OP, R, C 4 total 36 323 Tumorprogress

Düsseldorf

1 M 37 80 R F OP (2x), R 7 total (> 1000) (> 1000) (lebt Monat 42)

2 W 70 70 L O OP, R 5 partial 111 372 Tumorprogress

3 W 57 60 L P OP, R 7 total 28 28 Thrombembolie

4 W 41 90 R T-P-O OP (2x), R 3 partial 128 265 Tumorprogress

5 M 49 80 R F OP, R 6 total 122 377 Tumorprogress

6 M 61 70 L T-P-O OP, R 6 partial 174 265 Tumorprogress

7 M 50 60 R F OP, R 11 partial 36 138 Tumorprogress

8 M 36 80 L P OP (4x), R 5 partial 121 128 Tumorprogress

9 M 49 80 L F OP, R 8 total 247 456 Tumorprogress

10 M 54 90 R F-T OP, R 12 partial 118 166 Tumorprogress

16 5 W 36–70 60–100 11 R 12x OP, R 3–13 9 total 28–1000 28–1000 12x Tu.-progress 11 M 51,6 80 5 L 4x OP, R, C 7,1 7 partial 197 288 3x Thrombembolie KPS: Karnofsky-Performance-Score, präoperativ in Prozent

Lokalisation = Tumorlokalisation: R = rechts, L = links; F = frontal; T = temporal; P = parietal; O = okzipital Vorherige Therapie: OP = Tumorresektion(en), R = Radiatio, C = Chemotherapie

Vor-OP: Zeitspanne zur letzten Tumorresektion in Monaten

Radikalität: OP-Radikalität: Reduktion des Tumorenhancement im MRT: Total > 90%, Partial < 90%

KPS < 60%: Zeitpunkt des Absinkens des Karnofsky-Status postoperativ unter 60% in Tagen Überleben: Prognose nach gentherapeutischer Behandlung in Tagen

(4)

Gesamtgruppe 9,6 Monate, die Ein-Jahres-Überlebens- rate liegt bei 25 Prozent (Ta- belle). Hinsichtlich der Le- bensqualität, gemessen an- hand der Zeit bis der Kar- nofsky-Status postoperativ unter 60 Prozent sank, ergab sich für die Gesamtgruppe ein Durchschnitt von 6,5 Monaten. Innerhalb der Gruppe der sieben Patien- ten, bei denen aufgrund der Tumorlokalisation nur eine partielle Resektion erreicht werden konnte, ließ sich in zwei Fällen ein kurzer Still- stand des Tumorwachstums nachweisen, während in fünf Fällen ein kontinuierliches Wachstum des Resttumors zu beobachten war. Eine Abnahme des Tumorvolu- mens fand sich zu keinem Zeitpunkt. Alle Patienten mit Resttumor verstarben infolge des Grundleidens mit einer mittleren Überle- benszeit von 7,1 Monaten.

Unter den neun Patienten mit Totalexstirpation ver- starben drei früh infolge ei- ner Thrombembolie. Bei zwei Patienten stellte sich in- nerhalb weniger Wochen ein Rezidiv ein, bei drei konnte eine mehrmonatige Rezidiv- freiheit beobachtet werden und ein Patient ist seit 42 Monaten tumorfrei. In der Gruppe der sechs Patienten

ohne Resttumor mit Spontanverlauf der Grundkrankheit beträgt die mitt- lere Überlebenszeit 16,1 Monate.

Lokal-immunologische Prozesse:

„Flare“-Phänomen

Exemplarisch sollen bei dem seit 1996 rezidivfreien Patienten unge- wöhnliche bildmorphologische Ver- änderungen nach Operation und Gentherapie des zweiten Gliobla- stomrezidivs gezeigt werden. Bereits 18 Stunden postoperativ fand sich ei- ne kräftige Kontrastmittelanreiche- rung in den hinteren Anteilen der Re- sektionshöhle. Innerhalb der näch-

sten Wochen entwickelte sich ein brei- tes Ring-Enhancement mit massivem perifokalen Ödem. Der gesamte Pro- zess erreichte etwa einen Monat post- operativ seine maximale Ausdeh- nung und schrumpfte anschließend unter Abnahme von Enhancement und Ödem sowie Verkleinerung der Resektionshöhle zu einer kleinen Narbe zusammen (Abbildung 2). Zwi- schenzeitlich ließen sich die Injekti- onskanäle als tief ins Marklager rei- chende kontrastanreichernde Nadeln erkennen (Abbildung 3).

Parallele Untersuchungen mit der Jodo-Methyl-Tyrosin (IMT) – Single-Photonen-Emissionscomputer- tomographie (SPECT) zeigten prä- operativ korrespondierend zur MRT-

Kontrastanreicherung eine lokale Steigerung der Aminosäureaufnah- me als Zeichen der verstärkten Pro- tein-Stoffwechselaktivität im Rezi- divtumor. Postoperativ fand sich da- gegen trotz der perifokalen Kontrast- anreicherung im MRT keine erhöhte Aminosäureaufnahme im IMT- SPECT (Abbildung 4). Dies führt zu dem Schluss, dass hier ein nichttu- moröses Enhancement vorlag. Im Vergleich zu dem bekannten „benig- nen“ postoperativ-posttraumatischen Enhancement, das erst gegen Ende der ersten Woche auftritt und zu der Empfehlung führte, postoperative Kontrollen im Hinblick auf die Diffe- renzierung von Resttumor und un- spezifischem Enhancement innerhalb von 48 bis 72 Stunden durchzuführen (1), ist das Enhancement nach VPC- Injektion sehr viel kräftiger. Es lässt sich bereits innerhalb von 18 bis 24 Stunden postoperativ nachweisen, wird von einem raumfordernden Ödem begleitet und hält sehr viel län- ger an. Diese passager-dynamische, nichttumoröse Kontrastanreicherung wird neuroradiologisch deskriptiv auch als „Flare“-Phänomen (Auf- leuchten, Aufflackern) bezeichnet (31). Ätiologisch liegt am ehesten ei- ne lokale, aseptisch-entzündliche Re- aktion als immunologische Antwort auf die Injektion der xenogenen Mausfibroblasten, den VPC im Sinne eines „Bystander“-Effekts, zugrunde.

Eigene histologische Untersuchun- gen des Hirngewebes aus der Infiltra- tionszone zu verschiedenen postope- rativen Zeitpunkten haben gezeigt, dass in den ersten Wochen nach Gentherapie eine sehr intensive, dif- fuse Infiltration der weißen Substanz mit Makrophagen dominiert, welche von einer starken, perivaskulär be- tonten Infiltration durch T-Lympho- zyten abgelöst wird (Abbildung 5). In schwächerer Ausprägung war das

„Flare“-Enhancement bei zwei wei- teren Patienten zu beobachten und mit einer relativ langen Rezidivfrei- heit und einer Prognose von mehr als einem Jahr verbunden. Klinisch-neu- rologisch präsentierten sich die Pati- enten während dieser auffälligen bildmorphologischen Veränderungen völlig blande ohne systemische Zei- chen einer Entzündung oder Infek-

tion. ✁

Abbildung 1: Neuronavigationsgesteuerte Injektion der Vektor- produzierenden Zellen in die Infiltrationszone des Tumors. Rich- tung und Tiefe der Injektionen können in allen drei Ebenen und in einer dreidimensionalen Rekonstruktion kontrolliert und doku- mentiert werden.

Abbildung 2: Zeitlicher Verlauf des dynamischen, perifokalen

„Flare“-Enhancement nach Operation und Gentherapiebehand- lung eines rechts präzentralen Glioblastomrezidivs. Die initial kräftige Kontrastanreicherung bildet sich langsam zurück und hin- terlässt nach 42 Monaten ein kleines narbiges Areal (MRT T1- Wichtung mit Gadolinium-Enhancement in sagittaler Schnitt- führung).

(5)

Effizienz

Die mittlere Überlebens- zeit der 16 gentherapeutisch behandelten Patienten liegt mit 9,6 Monaten über der in der Literatur beschriebenen Prognose von vier bis sechs Monaten für Glioblastomre- zidive. Durch die geringe Pa- tientenzahl und das Fehlen ei- ner Kontrollgruppe kann die- ser Vorteil aber nicht sicher der Behandlung allein zu- geschrieben werden. Einige grundsätzliche Schlussfolge- rungen können jedoch aus den vorliegenden Daten, wel- che gemessen an den großen Hoffnungen und Erwartun- gen insgesamt sehr enttäu- schend sind, gezogen werden:

❃Ganz im Gegensatz zu den Tierversuchen, bei wel- chen implantierte Gliome komplette Remissionen auf- wiesen, zeigte sich kein ver- gleichbarer Effekt der Thera- pie auf Resttumoren beim Menschen.

❃ 15 von 16 Patienten sind innerhalb von 15 Mona- ten an ihrem Grundleiden (Tumorprogress) oder zusam- menhängenden Komplikatio- nen (Thrombembolie) ver- storben. Trotz eines Lang- zeitüberlebenden geht von der somatischen Gentherapie in der oben beschriebenen Form keine Heilungschance aus.❃Bei drei Patienten zeig- te sich eine offenbar immuno- logisch bedingte, lokal ent- zündliche Reaktion, die bild- morphologisch als „Flare“

und ätiologisch-deskriptiv als

„Bystander“-Effekt bezeich- net wird. Diese war in allen Fällen mit einer längeren Re- zidivfreiheit und einer ver- gleichsweise hohen Lebenser- wartung verbunden. Hier fin- det sich offenbar eine Unter- gruppe, die nach vollständi- ger Tumorresektion durch immunstimulierende Effekte von der gentherapeutischen Behandlung im Sinne einer

Wachstumsverzögerung profitiert. Un- klar bleibt, warum trotz hochstandardi- sierter Behandlung nur wenige Patien- ten diese Art des „Bystander“-Effekts ausbilden, und über welche immun- modulatorischen Faktoren die lokale Fremdkörperreaktion Einfluss auf Ausbreitung und Proliferation der Tu- morzellen in der Infiltrationszone ge- winnen kann.

Zusammenfassung

Die Gentherapie in der oben be- schriebenen Form ist sicher, direkte zy- totoxische Effekte die bereits während der Ganciclovirtherapie nachweisbar sind, führen jedoch noch zu keinem si- cheren klinisch relevanten Effekt. Sie bewirkt jedoch bei einzelnen Patienten nach kompletter Tumorresektion über immunstimulierende Einflüsse („By- stander“-Effekt) eine Verzögerung des Lokalrezidivs und kann daher als adju- vante Therapie eingesetzt werden.

Akute Phase-III-Studie

Zur validen Aussage über den prognostischen Nutzen der somati- schen Gentherapie bei primären, vor- mals unbehandelten Glioblastomen wurde durch die Firma Novartis im September 1996 eine internationale, kontrollierte, offene und randomisierte Phase-III-Studie mit 246 Patienten ge- startet. In Deutschland nahmen die Neurochirurgischen Kliniken der Uni- versitäten Bonn, Dresden, Düsseldorf, Erlangen, Halle, Hamburg und Würz- burg teil. Endgültige Ergebnisse wer- den Mitte 2000 erwartet.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2000; 97: A-1228–1232 [Heft 18]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Sonder- druck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser

Priv.-Doz. Dr. med. Friedrich Weber Neurochirurgische Klinik

Heinrich-Heine-Universität Moorenstraße 5 · 40225 Düsseldorf E-Mail: weberf@uni-duesseldorf.de Abbildung 3: Strahlenförmig um die Resektionshöhle verteilte,

kontrastanreichernde Injektionskanäle im Marklager nach Gentherapiebehandlung. Man beachte das ausgeprägte Ödem, welches nahezu die gesamte rechte Hemisphäre erfasst (MRT T1- Wichtung mit Gadolinium-Enhancement in koronaler und sagitta- ler Schnittführung).

Abbildung 4: Jodo-Methyl-Tyrosin-Single-Photonen-Emissionscom- putertomographie (IMT-SPECT) (untere Reihe) und MRT (obere Rei- he) im Verlauf: Präoperativ lokale Steigerung der Aminosäureauf- nahme im Bereich des rechts präzentralen Tumorrezidivs im SPECT mit korrespondierendem Enhancement im MRT. Postoperativ zeigt sich initial entsprechend der Resektionshöhle ein Substanzdefekt ohne vermehrte Aminosäureaufnahme im SPECT bei starkem

„Flare“-Enhancement im MRT. Im weiteren Verlauf bleibt das SPECT negativ und das Enhancement im MRT verschwindet.

Abbildung 5: Ausgedehnte Mikrogliaaktivierung/Makrophagenin- filtration der weißen Substanz sowie perivaskuläre Manschetten aus T-Lymphozyten als Zeichen der immunologischen Reaktion („Bystander“-Effekt) auf die xenogenen VPC am Tag 28 nach Gentherapiebehandlung (Immunhistochemie, 50-fache Vergröße- rung: Links CD 68, rechts T-all).

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