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Zwischen Selbstbezug und Hilfe für Andere

Den meisten Untersuchungen zur Motivation Ehrenamtlicher und Freiwil-liger wie auch vielen Beiträgen zum Interpretationsansatz "neuer Ehren-amtlichkeit" liegt mit der Unterscheidung von Typen ein Konzept zugrun-de, das einen wichtigen Aspekt nicht ausreichend berücksichtigt: Ein freiwilliges Engagement aufzunehmen, auszuüben und aufrecht-zuerhalten oder in andere Bahnen zu lenken, muß als ein biogra-phischer Prozeß verstanden werden, der in unterscheidbaren Phasen verläuft (vgl. Morrow-Howell/Mui 1989). Unter anderem aus diesem Grunde scheint die empirische Wissensbasis so unbefriedigend zu sein:

"Studies of the motives of volunteers have shown that it is notoriously difficult to pinpoint accurately the reasons for participation in voluntary work" (Bulmer 1987: 170).

Rekrutierungsbemühungen müssen einer solchen Prozeßhaftigkeit gerecht werden. Mit Blick auf die Datenlage, die keine Aussagen zum Volunteerverhalten im biographischen Längsschnitt erlaubt, stellt Chambré die folgenden Fragen für weitere Forschungen: "What kinds of non-volunteers become volunteers in old age? What types of recruit-ment techniques are most effective in recruiting 'new' aged volunteers?

To what extent do senior citizen volunteer programs reinforce behavior patterns of earlier stages in the life cycle and to what extent do they re-cruit 'new' aged volunteers?" (Chambré 1984: 297). Um das Phänomen zunächst besser verstehen zu können und auf dieser Basis Schlußfolge-rungen hinsichtlich des Rekrutierungsproblems zu ziehen, wird auf die

151 Sie werden vor dem Hintergrund der jeweils wichtigen sozialwissenschaftlichen Vertreter ausführlich z.B. bei Bulmer (1987: 148ff.) - hier als motivationale Basis für informelle Sorge- und Pflegearbeit - diskutiert.

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drei Ansätze der "Neuen Ehrenamtlichkeit", einer biographietheoreti-schen Analyse und des Rollenkonstrukts eingegangen.

Im Schnittfeld von Tätigkeits- und Rollenaspekt, von Lernerfahrungen, Netzwerkeinbindung und Sinnbezügen lassen sich unschwer Über-schneidungen seniorengenossenschaftlicher Merkmale mit dem Kon-zept "neuer Ehrenamtlichkeit" feststellen. Neben einem hohen Maß an Selbständigkeit und Autonomie bei der Gestaltung der Arbeitsfelder, der Übernahme ehrenamtlicher Aufgaben nicht als Reaktion auf fremde Handlungsanforderungen, sondern als "Resultat eines reflexiven Pro-zesses, bei dem (die Person; U.O.) entscheidet, ob sie eine Aufgabe übernimmt" (Glinka/Jakob 1992: 11), sowie einer zumindest teilweise hinzukommenden Distanz zu Amtskirche und Verbänden steht im Zent-rum des "neuen Ehrenamtes" die eigentümliche Dynamik zwischen Fremdhilfe und selbstbezogenen Motiven. "Die Freiräume bei der Ge-staltung des ehrenamtlichen Arbeitsfeldes eröffnen Perspektiven für Lernprozesse und neue Erfahrungen - Erfahrungen im Handeln mit dem Klienten und auch Erfahrungen in der Folge von Gruppenprozessen in dem Kreis der ehrenamtlichen Helfer und Helferinnen. Das ehrenamtli-che Engagement ist nicht lediglich eine Pflichterfüllung (...), sondern die (...) Tätigkeit wird (...) mit selbstbezogenen Sinnbezügen begründet. Die ehrenamtlichen Aktivitäten erhalten als Feld für die Selbsterfahrung Be-deutung. Die Gruppe der ehrenamtlichen Helfer und Helferinnen wird zum Forum für Prozesse der Reflexion und Selbstthematisierung. Dar-über hinaus erhält die Gruppe auch als Gemeinschaft und Freundes-kreis Bedeutung. Diese Verknüpfung des ehrenamtlichen Engagements mit selbstbezogenen Aspekten, die Inanspruchnahme des Engage-ments für Prozesse der Selbsterfahrung und Persönlichkeitsentwicklung, auch dies ist Kennzeichen eines neuen Ehrenamtes" (Glinka/Jakob 1992: 11; Herv. i.T.).152

152 In dieser Formulierung ist angelegt, daß es kein geschlossenes Konzept "neuer Ehrenamtlichkeit" gibt. Der eher positiven Konnotation des Selbstbezuges entgegen wird bspw. von einer sozial- und frauenpolitisch argumentierenden Position aus auf die wachsenden Widersprüchlichkeiten hingewiesen, wenn neue Ehrenamtlichkeit mit folgenden Merkmalen charakterisiert wird: "Geringfü-gige Bezahlung und damit Grenzüberschreitung hin zu ungeschützter, schlecht

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In den meisten Konzeptionen "neuer" Ehrenamtlichkeit ist indes die Komponente des Selbstbezuges sehr verschwommen, wenn zu sehr bspw. auf eigene Problembearbeitung153, Selbstverwirklichung oder auf Gratifikationen (vgl. Rauschenbach/Müller/Otto 1992) gesetzt wird. Ein kürzlich vorgelegter ausgearbeiteter Begriffsvorschlag des "Selbstbezu-ges" setzt deshalb systematisch an einer biographischen Perspektive an (vgl. Jakob 1989; 1993; Glinka/Jakob 1992). "Um eine Vermischung von Ehrenamt und Selbsthilfe als unterschiedliche Hilfeformen in den wis-senschaftlichen Begrifflichkeiten zu vermeiden, ist es angemessen, statt von 'Selbsthilfe' in den ehrenamtlichen Tätigkeiten von einem Selbst-bezug zu sprechen. Der Begriff des SelbstSelbst-bezuges ermöglicht eine Be-nennung des Phänomens, wonach das ehrenamtliche Engagement für die eigene Person in Anspruch genommen wird. Dies impliziert Möglich-keiten einer Selbst-Hilfe im Sinne der persönlichen Problembearbeitung.

Mit dem Begriff des Selbstbezugs werden darüber hinaus aber auch Dimensionen der Selbstthematisierung sowie der Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung im ehrenamtlichen Engagement erfaßt" (Jakob 1993: 267f.).

bezahlter 'Erwerbsarbeit'; regelmäßige Qualifizierung (zu Beginn und begleitend der Arbeit), Trend zur Fachlichkeit, zur Halb-Professionalität; ausgeklügelte und gezielte Strategien zur Motivation Ehrenamtlicher, z.T. parallel Forderung nach Mehrarbeit der Hauptamtlichen; finanzielle Anreize an Freie Träger für den Einsatz Ehrenamtlicher; Entwicklung zum 'Ersatz-Arbeitsverhältnis' für Erwerbs-lose, für vorzeitig in den Ruhestand versetzte, im Alter nicht ausgefüllte Perso-nengruppen; Auseinanderdriften von symbolischer Bedeutung des Ehrenamtes als - im Idealfall - freiwillige, freigestaltbare, ganzheitliche, unbezahlte, spontane und zweckfreie Hilfe von Mensch zu Mensch auf der einen Seite und alltäglicher Erfahrung als 'Arbeitsverhältnis dazwischen' mit Ersatz- und Pufferfunktionen auf der anderen" (Backes 1991: 92).

153 Dies ist ein Hauptargument des Müller-Kohlenberg'schen Begriffsvorschlages der "Helferrückwirkung". "Auf eine Kurzformel gebracht, lautet die These (...):

Helfer 'profitieren' durch ihre Hilfeleistungen oft mehr als der Hilfeempfänger.

Die Persönlichkeitsförderung der Helfer bezieht sich etwa auf Gebiete wie Zufriedenheit, Rehabilitation, Selbstkonzept oder Kompetenzerweiterung in be-stimmten Bereichen. Der Empfänger, der das Ziel von Hilfeleistungen ist, ist zu-gleich auch Medium von Hilfe (für den Helfer)" (Müller-Kohlenberg 1990: 212).

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Auf der Grundlage des Konzepts des Selbstbezugs wird eine Typo-logie von Erscheinungsformen ehrenamtlichen Engagements vorge-schlagen. Sie zeigt "Vielfalt und Differenziertheit sozialkultureller Varian-ten ehrenamtlichen Engagements: Anhand einer Sinnorientierung des Dienstes und der Pflichterfüllung wird mit ehrenamtlichen Aktivitäten biographische Kontinuität geschaffen (...). Mit der Übernahme von Eh-renämtern kann ein sozialer Aufstieg verbunden sein ('Karriereverlauf mit Ehrenämtern'). In krisenhaften biographischen Verläufen kann das Engagement zur eigenen Problembearbeitung und Suche nach Identität genutzt werden (...). Mit ehrenamtlichem Engagement wird ein Hand-lungstableau geschaffen, das Prozesse der Selbstentfaltung und Selbst-verwirklichung ermöglicht ('Die Realisierung eigener biographischer Themen mit ehrenamtlichen Tätigkeiten')" (Jakob 1993: 261). Daneben gibt es Engagements, die nur eine eingeschränkte oder verschobene biographische Relevanz erhalten und kurzfristige Ereignisse bleiben.

Das häufig angewandte Rollenkonzept in einer Fassung von Rollen-vielfalt und -durchlässigkeit ist durchaus geeignet, diesen Grundge-danken zu integrieren. Es könnte eine wichtige Grundlage dafür sein, der Vielfältigkeit von Ansprüchen des Selbstbezugs ebenso gerecht zu werden wie der Anpassung im Verlaufe ehrenamtlicher Biographien. "A multi-purpose structure can, through a variety of specialized groups, oc-casions for meeting and complementary caring services, permit its vol-unteers and clients to move from one role to another quite easily within the comfortable framework of a diverse interchange of information, con-cern, company and mutual affirmation. Which is something single task schemes, however efficient, cannot-hope to emulate. Even in informal care there may be important economies of scale" (Abrams/ Bulmer 1985: 15).

Nehmen wir die genannten Vorschläge zusammenfassend bezüglich umsetzungsorientierter Konsequenzen in den Blick, so bieten sich als umfassendste aber wenig konkrete Perspektive die Schlußfolgerungen des biographischen Ansatzes an. Es "muß den ehrenamtlich Tätigen von Seiten der Verbände und Organisationen zugestanden werden, daß sie mit ihrem Engagement auch eigene biographische Realisierungen verfolgen. Die Rahmenbedingungen für ein soziales Engagement