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Aktivitäten im Feld sozialer Dienstleistungen

im Kontext der Seniorenselbsthilfe

2 Institutionalisierung und konkrete Arbeit

2.4 Aktivitäten im Feld sozialer Dienstleistungen

Auch die Darstellung der Aktivitäten im Feld sozialer Dienstleistungen läßt sich sinnvollerweise nicht gänzlich gereinigt von Aussagen bezüg-lich Zielorientierungen und Wirkungsannahmen bewerkstelligen, die ü-ber eine rein deskriptive Einordnung hinausgehen. Genauere Analysen bezüglich des Stellenwerts der seniorengenossenschaftlichen Dienst-leistungsfunktion erfolgen im Abschnitt D.

Das Spektrum der Aktivitäten ist weit. Bezüglich der Leistungen reicht es von rehabilitationsorientierten, ganzheitlich ausgerichteten Hilfen in der Krankenhausnachsorge oder der Initiierung einer teilberuflichen Ta-gespflegeeinrichtung über die Einrichtung eines generationsübergreifen-den Begegnungszentrums bis hin zu Versuchen der Kombination ähn-lich heterogener Projekte, die etwa ein vielseitiges Angebot freiwilliger Hilfen gleichzeitig mit der altengerechten Sanierung und Infrastruktur-verbesserung eines Stadtteils voranzutreiben versucht. Damit variiert auch ihre räumliche Orientierung - alle Initiativen arbeiten aber innerhalb gemeinwesenbezogener Grenzen.

Nach Tätigkeiten sortiert decken die Seniorengenossenschaften zu-sammengenommen ein relativ breites Spektrum ab, das sich auf die fol-genden Kategorien bezieht, die mit Beispielen illustriert werden. In vielen

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Bereichen ist dabei eine Überschneidung oder Ergänzung zu den Leis-tungen der ambulanten Sozial- und Pflegedienste zu konstatieren.

Rehabilitations-, krankheits- und pflegebezogene Dienstleistungen:

Anders als bspw. bei den Service-Credit-Programmen in den USA stel-len zwar bei den Seniorengenossenschaften demographische und ge-sundheitliche Faktoren den vorrangigen Begründungsstrang für soziale Dienste dar, Pflegetätigkeiten i.e.S. aber werden als Aufgabe für die Freiwilligen ausgeklammert außer in spezifischen Settings, auf die noch eingegangen wird.54 In der o.g. Tagespflegeeinrichtung wird an fünf Ta-gen in der Woche die Möglichkeit geboten, nicht-bettlägerige aber häufig psychisch veränderte oder verwirrte ältere Menschen tagsüber zu betreuen. Ein selbsthilfenahes Projekt bietet eine Tagesbetreuung für demente Alte an.

Die Krankenhausnachsorge in einem anderen Ort versucht, ein Ange-bot zu bieten, das in der deutschen Arbeitsteilung zwischen ambulanten Diensten und krankenkassenfinanziertem Gesundheitswesen aus meh-reren Gründen schlicht fehlt.55 Zumindest ihrem konzeptionellen Zu-schnitt und Anspruch nach ist die Krankenhausnachsorge ein qualitativ neuartiges Dienstleistungsangebot, dessen faktische innovative Qualität indes nur empirisch zu überprüfen wäre. Hierbei würde insbesondere der Beitrag in rehabilitativer Hinsicht interessieren. In einer Reihe von Projektorten sind dienstleistungsbezogene Überschneidungen mit den

54 Vgl. zu den diesbezüglichen Informationen zu den amerikanischen Service-Cre-dit-Modellen Offe/Heinze (1990: 171ff.). Die beiden Autoren plädieren auch bei der Konzeption des Modells Kooperationsring dafür, jedenfalls in der experi-mentell-praktischen Erprobung den Schwerpunkt "auf 'Jedermannstätigkeiten' zu legen und 'riskante', hohe und spezifische Qualifikationen voraussetzende (z.B. gesundheitsbezogene ...) Arbeiten nur vorsichtig und ausnahmsweise ein-zubeziehen" (Offe/Heinze 1990: 309).

55 Hier wirken die Finanzierungstrukturen zusammen mit einer unterentwickelten Geriatrie, wenig leistungsfähigen Haushaltsdiensten, nicht funktionierenden Kooperationsstrukturen und Krankenhaussozialdiensten, die entweder extrem überlastet sind oder sich nicht zuständig fühlen für die Übergangssituation: teil-weise halten sie ihre Aufgabe für beendet mit dem Verlassen des Gebäudes durch den Patienten.

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Nachbarschaftshilfen und Sozialstationen gegeben, wenn sich das An-gebot z.B. auch auf grundpflegerische Tätigkeiten erstreckt.

Handwerkliche Hilfen sowie Hilfen im Garten zählen zwar nicht im en-geren Sinne zu sozialen Dienstleistungen, können aber einen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung autonomer Lebensführung in der eigenen Häuslichkeit leisten. Im Gegensatz zu den vorgenannten pflegerischen Diensten existieren in diesem Bereich in der Regel kommerzielle Ange-bote. In vielen Fällen sind allerdings die Hürden, diese in Anspruch zu nehmen relativ groß, in erster Linie aus Kostengründen. Eine Senioren-genossenschaft ist speziell aus einem Handwerksdienst hervorgegan-gen, andere haben dies Angebot von vornherein in ihrem Angebots-katalog ausgewiesen, ein dritter Typus führt es im Kontext der Hobby- und Wissensbörsen ein.56

Haushaltshilfen werden in mehreren Seniorengenossenschaften an-geboten. Konkret orientiert sich das Angebot in der ganzen Breite an den Nachfragen und den Fähig- und Fertigkeiten der AnbieterInnen.

Dem Anspruch nach wird ein umfassendes Angebot angezielt, das im Einzelfall auch verhindern soll, daß aufgrund von Zuständigkeitsabgren-zungen eine Vielfalt unterschiedlicher Dienste - und damit Helfersperso-nen - ins Haus kommen müssen. In einigen Projekten werden allerdings genau solche Grenzziehungen ebenfalls getroffen, z.B. indem Putzdien-ste ausgeschlossen werden. Inwiefern gerade die vielfach besonders erwünschten bzw. notwendigen Hilfen bei schweren und körperlich an-strengenden Arbeiten (vgl. Stiefel 1985: 166ff.) von den seniorengenos-senschaftlichen HelferInnen angeboten werden können, ist noch nicht absehbar.

Wiederum in mehrfacher Hinsicht nur unbefriedigend abgedeckt ist ein weiteres wichtiges Angebot der meisten Seniorengenossenschaften:

Fahrdienste und Mobilitätshilfen wie etwa Begleitungen. Komparative

56 Handwerkliche und Gartenhilfen haben auch in anderen Versuchen organi-sierter Austauschnetze einen hohen Stellenwert (vgl. Offe/Heinze 1990: 209ff.), da offensichtlich gerade bei ihnen die formelle Ökonomie zu einer adäquaten Bedürfnisbefriedigung nicht in der Lage ist. Dies kann viele Gründe haben: zu hohe Preise, die Nichtbefriedigung sehr spezieller Wünsche, der Mangel an Zutrauen zu angemessener Erledigung usw.

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Vorteile gegenüber den konkurrierenden Anbietern fahrzeuggestützter Dienste (öffentlicher Personennahverkehr, kommerzielle Taxiunter-nehmen, Krankentransporte) ergeben sich insbesondere bei den Kosten (Vergleich zum Taxi), bei der bloßen Erreichbarkeit bzw. dem Service (Vergleich zum ÖPNV), möglicherweise auch bei der Bekanntheit, Niedrigschwelligkeit und Inanspruchnahme (Vergleich zum Kranken-transport). Vorteile bei Begleitdiensten können sich ergeben aus schlicht gar nicht vorhandenen Alternativen und den Kosten. Mindestens genau-so wichtig aber ist in vielen Fällen die mit der persönlichen Begleitung verbundene Ermutigung, bestimmte Veranstaltungen oder Möglichkeiten auf dieser Basis überhaupt erst wahrzunehmen. Eine Seniorengenos-senschaft betreibt einen Mahlzeitendienst.57

Eine "weichere" Form der Dienstleistung besteht im Bereich der Be-suchsdienste, der Hilfen zur Freizeitgestaltung und der Gesellungs-angebote - seien sie in Komm- oder Gehstruktur organisiert. Fehlen hier Möglichkeiten, diese Bedürfnisse im sozialen Nahraum zwischen Ange-hörigen und Nachbarn usw. zu befriedigen, nehmen sich ihnen in orga-nisierter Form auf breiterer Front lediglich die Institutionen offener Alten-arbeit an. Ihre Problematik ist bekannt. Sie weisen eine für größer wer-dende Gruppen offenbar immer weniger attraktive Programmstruktur auf, sie müssen erreichbar sein und sie setzen voraus, aufgesucht zu werden, wobei für große Gruppen potentieller BesucherInnen hohe Schwellenängste dies verhindern.58 Als aufsuchendes Angebot kommen die neben wenigen modellartigen Versuchen zugehender Sozialarbeit (vgl. Karl u.a. 1990) lediglich sporadisch existierenden Besuchsdienste in Betracht. Ihre Aktivitäten sind allerdings oft auf die BewohnerInnen von Heimen oder KrankenhauspatientInnen beschränkt oder sie sind einmalig anlaßbezogen, z.B. Hausbesuche zu runden Geburtstagen.

57 Als Alternative zu dem bereits vorher bestehenden System eines anderen Anbieters, das einmal wöchentlich gefrorene Mahlzeiten für die ganze Woche beinhaltet, wird hier warmes Essen täglich angeliefert. Betont wird die damit verbundene Möglichkeit eines direkten regelmäßigen Kontaktes zu den EmpfängerInnen, der zugleich zeitstrukturierend wirkt.

58 Vgl. den Versuch einer vitalisierenden Neukonzeptionsdebatte durch die Ver-öffentlichung der BAG der freien Wohlfahrtspflege (BAGFW 1992).

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Diese Verengung versuchen einige Seniorengenossenschaften aufzulö-sen.

Vielfach sind keine aufwendigeren Aktivitäten im Zentrum dieser

"Dienstleistung", sondern Beziehungsaspekte wie Zuhören, Verständnis zeigen und Signale persönlicher Wertschätzung und Gegenseitigkeit, das Element der Zeitstrukturierung u.v.a.m. Hierzu gehören auch bewäl-tigungsorientierte Hilfestellungen bei der Trauerbegleitung, wobei die Sterbebegleitung gerade in Deutschland noch ein Schattendasein führt.

Beiden Hilfen nehmen sich Seniorengenossenschaften an, ebenso wie Sitzwachen im Krankenhaus.

Greifbarer sind die Wirkungen der Ansätze, generationenübergreifen-de Angebote zu machen. In mehreren Orten wird versucht, Kingenerationenübergreifen-derbe- Kinderbe-treuung durch "Leihomas und -opas" anzuregen, eher kulturell und pä-dagogisch orientiert sind Aktivitäten in Zusammenarbeit mit Schulen und Jugendhäusern sowie die Anknüpfung an die Formen des Erzählcafés.

Handelt es sich dabei teilweise zwar um eine Dienstleistung für andere Sozialberufler, so ist in bezug auf die AdressatInnen eher von einem Ini-tiativcharakter auszugehen. Der ambitionierte Versuch, ein von vornher-ein generationenübergreifend angelegtes Familienzentrum59 in einem Projektort zu verwirklichen, konnte leider nicht umgesetzt werden.

Viele Seniorengenossenschaften bieten Beratungsdienste sowie Hil-fen bei Schriftverkehr oder Behördengängen an. Mit Blick auf komplexer werdende Herausforderungen in Sachen "Administration des Alltagsle-bens" sind auf diesen Gebieten auch eine Reihe von Professionen tätig.

Als Beispiele seien SteuerberaterInnen, Rechtsanwälte, Anlage- und VersicherungsberaterInnen usw. genannt. Sie übernehmen gewisser-maßen die sekundäre Bearbeitung von Beratung zu Dienstleistungen, wie sie Banken, Sozialadministration, Kommunen oder Sozialversiche-rungen im Programm haben. Gerade viele Ältere fühlen sich den daraus entstehenden Anforderungen nicht gewachsen: Ausfüllen von Formula-ren und Anträgen, Einhalten von Terminen, Umgang mit Behörden, Zu-rechtfinden in unklaren Zuständigkeiten usw. Manche der "primären

59 Zu Erfahrungen und Erfolgen dieses Ansatzes im Rahmen der Modellphase der Familien- und Nachbarschaftszentren vgl. Helbrecht-Jordan/Pettinger (1991).

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Dienstleistungsinstitutionen" haben sich darauf eingestellt und bewußt auch bezüglich der Zielgruppe der Älteren ihre Beratungsaktivitäten ausgeweitet. Ein gutes Beispiel hierfür sind Banken sowie Krankenkas-sen, Gegenbeispiele finden sich insbesondere in öffentlichen Behörden (z.B. Sachgebiete Soziales und Finanzen). Aber selbst bei bestehenden Beratungsmöglichkeiten scheitert eine Inanspruchnahme an Faktoren wie vermuteten Eigeninteressen, unterstellter oder erfahrener mangeln-der Zeit, fehlenmangeln-der Geduld omangeln-der Einfühlungsvermögen usw. Seniorenge-nossenschaften bieten sozusagen "Senior-ExpertInnen" für entspre-chende Bedarfe an.

Der Verbleib in ihrer eigenen Wohnung stellt sich für manche Ältere dann infrage, wenn relativ unspektakuläre und vergleichsweise einfache Verrichtungen nicht mehr selber zu erledigen sind. Dazu kann der Ein-kauf von Dingen gehören, die im Ort nicht zu haben sind oder das Aus-führen des Hundes. Weder setzen solche Hilfen eine anspruchsvollere Qualifikation voraus noch bedeuten sie unbedingt den Eintritt in den in-timeren Bereich der Wohnung. Wichtig dagegen sind Zuverlässigkeit, teilweise eine gewisse Flexibilität. Ähnliche Hilfen werden natürlich viel-fach auch dann benötigt, wenn nicht der häusliche Verbleib auf dem Spiel steht. Vielleicht ermöglichen sie erst ein Verreisen, vielleicht kön-nen erst mit ihrer Hilfe essentielle Lebensvollzüge aufrechterhalten wer-den - sei es das Behalten eines Haustieres, o.ä.

Es versteht sich von selbst, daß viele der hier getrennt kategorisierten Leistungen fließende Grenzen haben. Damit ist ein wichtiges Spezifikum des Leistungsangebots verknüpft. Indem es auf eher unspezifischen Qualifikationen aufbaut, indem z.B. im Unterschied zu den ambulanten Diensten jedenfalls in den meisten Feldern keine sozialrechtlichen Nor-mierungen oder Kostenübernahmebestimmungen starre Zuständigkeits-grenzen befördern und in dem Maße, in dem auch konzeptionell ein an-deres Muster von Aufgabenzuschnitt bewußt angestrebt wird, könnten sich spezifische Vorteile ergeben, von denen beispielhaft nur drei ange-rissen werden sollen.

Es werden zwar - erstens - anlaßbezogen zunächst nur partiale Hilfen gegeben, aus denen sich im Kontext einer vertrauensvollen HelferIn-EmpfängerInBeziehung völlig andere Hilfen entwickeln können. Eine

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Stärke könnte - zweitens - in der Niedrigschwelligkeit der Hilfeanlässe liegen. Drittens: Was auch aus vielen anderen Hilfebeziehungen be-kannt ist (z.B. Hausarzt oder Hausnotrufsystem), wiederholt sich hier wieder. Die zum Anlaß der Aufnahme einer Hilfebeziehung oder Aktuali-sierung eines Hilfewunsches geäußerten Bedarfslagen erweisen sich bald als "Nebenschauplätze" eigentlicher Hilfenotwendigkeiten. Diese wiederum liegen häufig entweder auf psychosozialem Gebiet oder be-dürfen struktureller Abhilfe (z.B. in Form einer Wohnungsanpassung).

2.5 Das Konzept "Zeitgutschrift" und seine konkrete