• Keine Ergebnisse gefunden

Bezugspunkt dienstebezogener Bedarfsausgleich:

im Kontext der Seniorenselbsthilfe

1.3 Bezugspunkt dienstebezogener Bedarfsausgleich:

Funktionsbereiche

Folgt man den zweieinhalb Jahre nach Projektbeginn von K. Hummel zusammengetragenen oben zitierten "Leitgedanken der Seniorengenos-senschaften", so scheinen konkrete Projektinhalte und Arbeitsvorhaben gänzlich zu verschwimmen. Konzentrieren wir uns dennoch auf die Be-darfsausgleichsüberlegungen, so besteht die Leitidee ursprünglich for-muliertermaßen darin, "Menschen als Mitglieder der Seniorengenos-senschaften zu gewinnen, die bereit sind, persönliche Dienstleistungen für ältere Menschen im vorpflegerischen Bereich zu erbringen und die-sen Menschen wiederum bei deren eigener Pflegebedürftigkeit kosten-freie Leistungen im Umfang ihrer früheren eigenen Dienstleistungen zu erbringen oder zu vermitteln" (Arbeitsgruppe 1990: 14).

Dies ist ebenso allgemeine Orientierung des Programms wie es be-reits auf das Instrument der Zeitgutschrift verweist. "Dabei geht es so-wohl darum, sich einzufügen in das vorhandene Netz von Helfern und Diensten als auch neue, weitere Bevölkerungsgruppen anzusprechen, um sie für eine eigenverantwortliche Zukunftsgestaltung zu gewinnen"

(Ausschreibung 1990: 4). Es soll damit ganz allgemein das Vorsorge-denken der Bevölkerung gestärkt werden, nicht zuletzt, um bislang noch brachliegende Hilfspotentiale zu erschließen.

"Das Dienstleistungsangebot der Seniorengenossenschaften ist im Zwischenfeld von sozialem Vereinswesen und den Einrichtungen der

in-32

tensiven Versorgung bei Pflegebedürftigkeit angesiedelt. Die Angebote orientieren sich daran, daß heute und künftig Leben und Wohnen älterer Menschen nicht mehr allein durch vorhandene Helfer, Fachkräfte, Insti-tutionen und Versorgungsleistungen zufriedenstellend und selbstbe-stimmt gesichert werden können" (Ausschreibung 1990: 4). Bestehende freiwillige soziale - insbesondere ehrenamtliche - Tätigkeiten sollten kei-nesfalls verdrängt werden. Allerdings wird schon in der Ausschreibung auf einen absehbaren Hauptkritikpunkt eingegangen: daß seniorenge-nossenschaftliches Engagement den schon bestehenden Modernisie-rungsdruck für das soziale Ehrenamt verstärken wird. Beide Formen - so wird argumentiert - werden "in gegenseitiger Wechselbeziehung die Konturen ihrer jeweiligen Bedeutungsinhalte mitformen" (Ausschreibung 1990: 5). Auf ein diesbezüglich relevantes Element, die Gratifikation durch Zeitgutschriften, wird weiter unten einzugehen sein.

In dem Mändle-Papier kommt einerseits die starke Akzentsetzung auf die Bedarfsausgleichsfunktion, andererseits die durchaus vorhandene Sensibilisierung für gesellschaftliche Wechselwirkungen zum Ausdruck:

"Grundsätzlich sollten alle Bereiche der Altenversorgung durch eine Se-niorengenossenschaft abgedeckt werden. Im allgemeinen kommt ihr je-doch die Aufgabe zu, besonders solche Funktionen zu übernehmen, die unter den demographischen und sozialen Bedingungen in der Vergan-genheit von den Familien wahrgenommen wurden" (Mändle o.J.: 6). Im einzelnen schlägt er folgende Funktionsbereiche vor:

Die Beratungsfunktion der Seniorengenossenschaft sollte dadurch wahrgenommen werden, daß sowohl der Geschäftsbetrieb wie auch ein-zelne Mitglieder als "Anlaufstelle für eine ständige und sachkundige Be-ratung in allen Lebensbereichen" (Mändle o.J.: 6f.) zur Verfügung stehen sollten. Genannt werden die Beratung in Rentenfragen, Einkommens- und Vermögensangelegenheiten und in Fragen der Weiterbildung.

Die Betreuungsfunktion "erstreckt sich auf die tätige Mithilfe bei der Lebensgestaltung älterer Menschen insbesondere in ihrem häuslichen Bereich" (Mändle o.J.: 7). Im einzelnen werden genannt: Essensversor-gung, Haushaltshilfe und -pflege, Krankenpflege in geringem Umfange, häusliche Rehabilitation, Einrichtung eines Fahrdienstes, Durchführung von Einkäufen, Einrichtung eines Besucherdienstes, Mitwirkung bei der

33

Gestaltung der Freizeit, Organisation von Altenclubs, Tages- oder Be-gegnungsstätten, Ausleihedienst für Pflegegeräte.26 Als entscheidend bei den Betreuungsleistungen wird hervorgehoben, "daß sie in hohem Maße aus der genossenschaftlichen Personenvereinigung heraus erfol-gen und somit eine solidarische Selbsthilfe unter den Genossenschafts-mitgliedern durchgeführt wird" (Mändle o.J.: 7).

Der unkonventionelle und herausfordernde Zuschnitt der senioren-genossenschaftlichen Konzeption wird sehr viel deutlicher, wenn jene Funktionen betrachtet werden, die nicht im weitesten Sinne durch Dienstleistungen zum Ausgleich entsprechender Bedarfslagen zu erfül-len sind. In der Systematik von Mändle sind sie folgendermaßen abge-grenzt:

Die Funktion zur Erhaltung der Selbständigkeit wird in doppelter Weise gefaßt. Zum einen mit Blick auf die Unabhängigkeit älterer Menschen, die "dadurch gewährleistet (wird; U.O.), daß sie in ihren Wohnungen und Häusern und somit im bisherigen Netz sozialer Beziehungen verbleiben, wodurch ein hohes Maß an individueller Freiheit in allen Lebensberei-chen gewährleistet wird" (Mändle o.J.: 7). Was hier so lapidar als ab-grenzbare Funktion bezeichnet wird, stellt eigentlich eher eines der ü-bergeordneten Ziele der die Seniorengenossenschaften einbegreifenden Altenpolitik dar und baut auf einem sehr anspruchsvollen Bündel von Rahmenbedingungen, Ressourcen und differenzierten Hilfen auf. Zu-mindest auffallend ist einmal mehr die Abwesenheit jeglicher Problema-tisierung des Verbleibs in der Häuslichkeit unter Bedingungen der An-gewiesenheit auf das "bisherige Netz sozialer Beziehungen".

Der zweite Bezugspunkt dieser Funktionsbestimmung besteht in der partizipativen Mitarbeit im Rahmen der seniorengenossenschaftlichen Selbstverwaltung. "Hier besteht (...) die Möglichkeit, daß Senioren im Hinblick auf die Gestaltung von Möglichkeiten, die sie unmittelbar betref-fen, mitentscheiden können. Dies bedeutet, daß sie von der Fremdhilfe wegkommen und - zumindest bis zu einem gewissen Grade - die

26 Inwiefern der ebenfalls genannte Aspekt ambulanter ärztlicher Dienste ausge-rechnet bei einer Seniorengenossenschaft angesiedelt werden soll, ist - jedenfalls ohne weitere Erläuterung - kaum erschließbar, vgl. Mändle (o.J.: 7).

34

lichkeit haben, ihre eigenen Angelegenheiten selbst mitzuregeln" (Mänd-le o.J.: 7).

Die Finanzleistungsfunktion der Seniorengenossenschaft wird insbe-sondere an die gesellschaftspolitische Grundidee der Solidarität ge-bunden, die hier in erster Linie als das gegenseitige Eintreten der Ge-nossenschaftsmitglieder füreinander konkretisiert wird. In seinem Kon-zeptionspapier hebt Mändle auf eine Reihe unterschiedlicher Aspekte ab. Da es sich hierbei um ein im Sozialbereich eher wenig bekanntes und diskutiertes Terrain handelt, sollen die ursprünglichen Gedanken ausführlicher und "im Originalton" dargestellt werden. In diesem Text sollte die Kapitalfunktion u.a. auch beinhalten, "daß ein Teil der Alters-versorgung von den Genossenschaftsmitgliedern aus eigener finanziel-ler Kraft aufgebracht wird" (Mändle o.J.: 8). Über die Geschäftsanteile soll vor allem die Infrastruktur des genossenschaftlichen Geschäfts-betriebes - von den Räumlichkeiten bis zum Fuhrpark - finanziert wer-den. Dagegen seien die von den Mitgliedern in Anspruch genommenen Leistungen "durch Eigenleistung zu finanzieren, wobei man von einem Tarif ausgehen sollte, der sich am Kostenniveau orientiert" (Mändle o.J.:

8).

Mit Verweis auf eine ähnliche Praxis bei Wohnungsbaugenossen-schaften wird vorgeschlagen, daß die Seniorengenossenschaft auch

"zur Kapitalsammelstelle in der Weise werden könnte, daß sie eine Spareinrichtung für alle Mitglieder eröffnet, um ihnen günstige Zins- und Anlagekonditionen generell zu ermöglichen" (Mändle o.J.: 8). Die ent-sprechenden Ziel- und Ausgestaltungsmaximen liefert Mändle unum-wunden mit: "Entscheidend für diese Finanzierungsfunktion ist, daß sie dazu beiträgt, die kollektiven Sicherungssysteme für die Altenbetreuung zu entlasten und von einer weiteren Fremdfinanzierung der Alters-sicherung Abstand zu nehmen. Außerdem kann brachliegendes Kapital bei den Mitgliedern durch die Kapitalsammelstelle in der Seniorenge-nossenschaft volkswirtschaftlich sinnvoll eingesetzt werden. Es können auch Realleistungen entgegengenommen werden, die für eine zukünfti-ge Inanspruchnahme von Leistunzukünfti-gen der Mitglieder finanziell umzukünfti-gesetzt werden können" (Mändle o.J.: 8). In der Ausschreibung wird gegenüber den in den frühen konzeptionellen Überlegungen relativ breiten und

kon-35

kreten Erörterungen nur noch knapp vermerkt: "Das Mitglied bringt fi-nanzielle Anteile, den Mitgliedsbeitrag und seine Dienstleistungen auf vertraglicher Basis ein. Überschüsse aus den Entgelten sollen zur Auf-stockung der Anteile verwendet werden" (Ausschreibung 1990: 5).

Gerade in der Startphase des Modellprojekts umriß Hummel die Fi-nanzleistungsfunktion, die - da nicht eindeutig systematisierbar - in sei-nen eigesei-nen Worten gefaßt werden soll: "Die Bereitschaft müßte wach-sen, das eingenommene Entgelt zu teilen, abzuführen und genossen-schaftlich anzulegen. Dafür müßten möglicherweise andere die Bürg-schaft übernehmen. Zeitgutscheine, die für langfristig angelegte Genos-senschaften wie die der Seniorengenossenschaft nur interessant sind, wenn sie als Geldwert auch verbucht und eingenommen sind, müßten zwischen Genossenschaften tauschbar sein, sie müßten selbst verwal-tet werden, ohne daß Kontrollapparate aufgebaut werden müssen.

Denkbar müßte werden, daß sogar für die Pflege in der eigenen Familie Rentenanteile der Schwiegermutter teilweise auf ein Genossenschafts-konto abgeführt werden. Angeregt werden soll also ein freiwilliges, aber doch diszipliniertes Vorsorgesparen.

Offen ist, ob der Zugriff zu Teilen des privaten Kapitals Älterer gelingt, zumal es woanders abgezogen werden müßte. Dieses kann ich durch Zeitleistungen einbringen. Das angehäufte Kapital der Genossenschaft steht wiederum nicht meinen Konsumbedürfnissen zur Verfügung, son-dern meiner und der Versorgung derjenigen Genossenschaftler, die es aufgrund objektiver Bedürfnisse brauchen" (Hummel 1991a: 22f.).

Schließlich werden noch drei weitere Funktionen benannt: Die Aktivie-rungsfunktion bezieht sich auf die teilweise allzu früh am Arbeitsmarkt nicht mehr nachgefragten Kompetenzen und Qualifikationen vieler Älte-rer. "Wenn ihnen die Möglichkeit geboten wird, innerhalb der Senioren-genossenschaften - auf der Grundlage ihres bisherigen beruflichen Leis-tungsniveaus - mitzuarbeiten, so bedeutet dies, daß sie nicht in Passivi-tät verfallen, sondern aktiv ihre und die Lebensbedingungen ihrer Senio-rengenossen mitgestalten" (Mändle o.J.: 9).

Mit der Arbeitsmarktfunktion wird die Hoffnung ausgedrückt, "Mitglie-der "Mitglie-der Genossenschaft für eine ehrenamtliche Mitarbeit, die bis zu ei-nem gewissen Grade entlohnt sein muß, innerhalb des

Geschäftsbetrie-36

bes (...) zu gewinnen" (Mändle o.J.: 9). Dahinter steht die Situationsana-lyse, daß die Versorgung älterer Menschen mit Betreuungs- und Bera-tungsleistungen nicht nur durch die Finanzierungsschwierigkeiten, son-dern auch durch einen Arbeitskräftemangel im Sozialbereich gefährdet sei.

In einer letzten Funktion, derjenigen der Koordinierung, wird die Be-stimmung des spezifischen Genossenschaftsansatzes nochmals bei-spielhaft deutlich: "Die Seniorengenossenschaften werden niemals in der Lage sein, alle Leistungen für die Senioren rundum zu erbringen. Sie werden jedoch die Möglichkeit besitzen, die verschiedenen Leistungs-angebote auf sich zu konzentrieren und ihren Mitgliedern somit zugäng-lich zu machen. Dies bedeutet, daß sie Abstimmungsaufgaben mit den Hausärzten, den Krankenhäusern, den Sozialstationen, den Pflegehei-men und den Angehörigen der Genossenschaftsmitglieder übernehPflegehei-men können. Aus den Haushalten der Senioren werden damit Funktionen ausgegliedert, die der genossenschaftliche Geschäftsbereich der Haus-haltsgenossenschaft wesentlich besser, systematischer und umfassen-der wahrnehmen kann und es findet damit auch die Bildung einer ge-gengewichtigen Marktmacht statt, wodurch die Beschaffungsleistungen preiswerter erbracht werden können" (Mändle o.J.: 9).

Diese spezifische und aus sozialpädagogischer Sicht ungewöhnliche Lesart von Vernetzung im Sinne einer verbraucherorientierten Prüfung, Zusammenstellung und Konfektionierung am Markt produzierter sozialer Dienste verweist auf einen insgesamt in der Sozialpolitik rasch mächti-ger werdenden Diskurs, auf den noch genauer eingegangen wird. Daß bei einer solchen betriebswirtschaftlichen Vorstellung von Dienstleis-tungsmanagement wichtige qualitative Aspekte völlig unterbelichtet blei-ben, wie sie detailliert bspw. Gegenstand von Case management sind, ist hier ebenso nur anzudeuten wie die positive Anmerkung, daß im Kon-text eines Marktmodells der Aspekt nutzerorientierter Marktmacht ein wichtiges Korrektiv zur Qualitätssicherung darstellen könnte.

Wiederum ist es Hummel, der die Grenzen einer rein institutions-orientierten Betrachtungsweise zu überwinden versucht, indem er die disparaten Partialaktivitäten, wie sie sowohl in Seniorengenossenschaf-ten als auch anderen Initiativen entwickelt werden, unter dem

Arbeitsbe-37

griff der "Erstellung einer sozialen und kommunikativen Infrastruktur" zu bündeln versucht. Dieses Konzept beruht u.a. auf einer Vorstudie im Auftrag des Sozialministeriums (ISS 1992) und findet in der "Initiative Drittes Lebensalter" seinen Niederschlag.27 In einem Brainstorming stellt Hummel ein Puzzle unterschiedlichster Teilelemente zusammen und deutet in kurzgefaßten Zielbestimmungen an, welchen Qualitätsaspek-ten eine solche soziale Infrastrukturpolitik geschuldet sein müßte.

"Wohngemeinschaften: Sie könnten den Alltag alleinstehender hoch-betagter Menschen verändern. Tagespflegeeinrichtungen: Sie könnten am Wohnort die Mühen familiärer Pflege erheblich mindern. Flexibel buchbare und vertraut gestaltete Kurzzeitpflegeeinrichtungen: Sie könn-ten in großer Zahl den Pflegenden eine eigene Zeit- und Jahresplanung ermöglichen. Zentral koordinierte regionale Wissens- und Reparaturbör-sen: Sie könnten die Haushaltsführung im Alter erheblich verbessern.

Mitfahrzentralen: Sie könnten die Teilhabe von Frauen an Kulturveran-staltungen erleichtern. Ernährungsberatung und Essensdienste: Sie könnten Alleinstehenden eine Perspektive bieten. Spar- und Investitions-fonds mit Steuervorteilen für altengerechte Wohneinrichtungen: Sie könnten mehr Privatkapital mobilisieren und auch für weitergehendes Seniorendienstleistungsmarketing gelten. Bürgerschaftliche Begrü-ßungs- und Kontaktrituale für Neuruheständler und Engagement im Al-ter: Sie könnten die Neuordnung eigener Lebenswege und Kontaktnetze unterstützen. Fortbildungsvergütungen und anrechnungsfreie Einsatz-gelder: Sie könnten 'freiwillige Sozialeinsätze' im Alter - analog zum so-zialen Jahr -, Friedens- und Entwicklungsdienst ermöglichen und sollten genauso für Sportvereine, Einsatzleiter oder Partnerschaftsgesellschaf-ten gelPartnerschaftsgesellschaf-ten. Freistellungen von Arbeiter/innen in den letzPartnerschaftsgesellschaf-ten Berufsjahren für soziale Projekte bei vollem Lohnausgleich: Sie könnten

27 Im Rahmen dieses Landesmodellprogramms, das ebenfalls unter der Ägide der Geschäftsstelle Seniorengenossenschaften im Sozialministerium seit Anfang 1993 durchgeführt wird, werden 4 Projekte gefördert (vgl. Frenz/Hummel 1993:

4ff., den Ausschreibungstext in MAGS 1992: 4ff. sowie die Materialien in MAGS 1994: 231ff.). Es wird versucht, sie zusammen mit den Seniorengenossenschaf-ten und den im Rahmen des BMFuS geförderSeniorengenossenschaf-ten baden-württembergischen Se-niorenbüros in einem Projektverbund zu integrieren.

38

ges Verständnis erhöhen, Flexibilität unterstützen und Wissenstransfer herstellen. Qualifizierte Agenturen, bei denen der Betroffene sowohl hö-ren kann, wo ihm geholfen wird, als auch wie er helfen kann: Sie bre-chen die Versorgungsvorstellung auf und sollten nicht nur für den sozia-len Bereich, sondern auch für Alltagshilfen (Einkaufsberatung, Zubrin-gerdienste, Verbraucherschutz) gelten.

Eine kommunale Altenplanung, die auf örtlicher Ebene den Gesamtlei-stungsverbund von Heimplätzen, Sozialstationen und weiteren sozialen Diensten mit allen Bürgern am Ort unter Einbeziehung ihrer eigenen Wohn- und Vermögensperspektiven klärt: Sie könnte nicht nur Senioren ansprechen. Eine Rentenpolitik, die den Gang zum Sozialamt über-flüssig macht und die zentralen Fragen von Reichtum und Armut stärker als bisher zu einer Selbstreferenzfrage des Altersversorgungssystems macht: Sie könnte die Solidarität der Alten untereinander nicht nur ideell einklagen. Verbesserte Datenbanken im Gesundheitswesen, um besse-re Gesamtdiagnosen zu ermöglichen und ständigen techno-medizini-schen Neueinsatz zu verhindern: Sie könnten Altersvorsorgeberatungen ermöglichen" (Hummel 1993: 221ff.). Den diesbezüglichen Status quo kommentiert Hummel nüchtern: "'Vernünftige' Elemente der Sozialpoli-tik, die auf Arbeits- und Verantwortungsteilung zwischen Individuum und Staat, Familie und Versorgungssystem, Autonomie und Gemeinschaft-lichkeit abzielen, sind in der Altenpolitik Ausnahmen" (Hummel 1993:

221).

Untersucht man, welche Interventionsebenen in diesem unscheinba-ren Katalog thematisiert werden, wird deutlich, wie anspruchsvoll ein sol-ches Projekt kommunikativer und sozialer Infrastruktur ist. Zwar wären die meisten Aufgaben im Rahmen der kommunalen Sozialpolitik zu be-werkstelligen, mit der Steuer- und Rentenpolitik bspw. ist aber ebenso die Bundespolitik gefordert, die Freistellungsforderung gar ist ohne die Tarifpartner nicht zu verwirklichen. Die von Kaufmann (1982a) unter-schiedenen vier sozialpolitischen Interventionsformen sind sämtlich in je mehreren Vorschlägen repräsentiert. Nur als Beispiele: Freistellungen für ArbeitnehmerInnen und eine armutsverhindernde Rentenpolitik zäh-len zur ökonomischen Interventionsform, durch Recht sind bspw. besse-re Rahmenbedingungen für fbesse-reiwilliges Engagement zu flankiebesse-ren, die

39

ökologische Interventionsform ist zwar im zitierten Katalog nicht explizit angesprochen, gilt aber z.B. in Form einer altengerechten Stadt- und Wohnumfeldentwicklung sowie einer entsprechenden Sozialplanung als entscheidende Rahmenbedingung und Conditio sine qua non für viele der angesprochenen Punkte. Das was bei Kaufmann grob als pädagogi-sche Interventionsform zusammengefaßt wird, läßt sich sinnvollerweise eher in drei unterscheidbare Interventionsformen untergliedern: die psy-chosoziale, die pädagogische und die gesundheitspflegerisch/medizini-sche Interventionsform. Im Katalog zählen hierzu Beispiele von sozialer Beratung bis zu einem teilstationären Dienst.

Querdenken, Ressortgrenzen übergreifen, von Zielen her konzipieren steht damit für die hier vertretene politische Programmatik, die einen deutlich unkonventionellen Zuschnitt aufweist. Sie folgt in vieler Hinsicht jenem Ziel, das Dieck als "Gerontologisierung der altersrelevanten Poli-tikbereiche" (Dieck 1993: 193) bezeichnet. Im Rahmen dieser weiterge-henden Konzeption ist das etwas enger geschnittene Programm Senio-rengenossenschaften ebenfalls als sozialpolitische Intervention zuguns-ten von - in diesem Fall regelmäßig gemeinwesenorientierzuguns-ten - Sozial-gebilden zu beschreiben, denen ein höchst heterogenes, "ganzheitlich"

ausgerichtetes Bündel von Aufgaben, Leistungen und Wirkungen zuge-ordnet wird. Die Offenheit in deren Bestimmung hat Auswirkungen für die Evaluation, da keine klaren Kriterien gegeben sind.

Das Programm insgesamt ist offenbar schwerer zu fassen - und dies in allen drei bis hierher schwerpunktmäßig rekonstruierten Elementen.

Weder mit Bezug auf die als Herausforderungen benannten Probleme, noch die Ziele und die beabsichtigten Wirkungen sollen deshalb hier ei-nige weei-nige Hauptergebnisse resümiert werden. Das ausgebreitete Ma-terial mitsamt den knappen Kommentierungen und Hintergrundinforma-tionen soll genügen und scheint besser geeignet, der spezifischen Quali-tät des Programms in seiner ganzen Spannbreite zwischen Details und kaum erweiterbaren Globalzielen, mit seinen über die Zeit und durch wechselnde AkteurInnen erfolgten Umakzentuierungen und schließlich sowohl seiner Schwammigkeit als auch seiner häufig nicht auflösbaren Widersprüchlichkeit gerecht zu werden. Manches allerdings wird deutli-cher mit Bezug auf die Durchführungsdimension sowohl des

Pro-40

gramms als auch in der konkreten Umsetzung - beides Themen des nachfolgenden Abschnitts.

41