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Die letzte hier zu prüfende Funktionsbestimmung ist als negative in der Diskussion: Konkurrenz zum unentgeltlichen Ehrenamt, Überangebot bei bestimmten Tätigkeitsbereichen, Untergrabung der Hilfebereitschaft im sozialen Nahraum und in der Nachbarschaft lauten die Befürchtun-gen neben unzähliBefürchtun-gen weiteren Variationen des immer gleichen The-mas. Angesichts der bis hier zusammengetragenen Rahmenbedingun-gen für Unterstützungs- und Tätigkeitsbereitschaft sind sie entweder so-zialwissenschaftlich nicht haltbar oder sie greifen zu kurz. Wenn Konkur-renz - so die hier vertretene These - zu mehr Aktivitäten insgesamt führt, weil Wahlmöglichkeiten entstehen, wenn sie aufgrund dieser Wahl-möglichkeiten zu einer Modernisierung im Sinne von Bedürfnisangemes-senheit führen, wenn also Konkurrenz nicht im Sinne von Verdrängung, sondern gegenseitiger Befruchtung verstanden würde, so käme dies nicht nur dem tatsächlichen Zusammenhang näher, sondern würde ihn noch fördern.

Trotz des Bemühens, einen dynamischen Dienstleistungsbegriff zu wählen, läßt dessen notwendig konkretistischer Bias die Analyse und das Begreifen vieler relevanter Phänomene im Horizont von Hilfe und sozialer Unterstützung nur unbefriedigend zu. Der Dienstleistungsfokus lenkt das Augenmerk zu sehr auf ein Gesamtausmaß an Leistungen, der Stellenwert dessen, wer in welchen Situationen und in welchen "Ko-produktions"-Verhältnissen vor dem Hintergrund welcher Beziehung hilft, ist in diesem Konzept nicht angemessen zu begreifen.

Der gewählte Dienstleistungsfokus schärft indessen die sozialpoliti-sche Argumentation. Es ergeben sich zwar einige qualitativ hochrelevan-te Effekhochrelevan-te aus dem hier thematisierhochrelevan-ten Hilfenetzwerk, mit Bezug auf har-te Bedarfsausprägungen aber sollhar-te deutlich geworden sein, daß ihr Bei-trag auch bei einer verstärkten Förderung und Mobilisierung notwendig begrenzt bleibt. Mit Olk wäre zu resümieren: "Nur wenn darauf verzichtet wird, Selbsthilfe und ehrenamtliches Engagement ausschließlich unter dem Aspekt der kurzfristigen Schließung von 'Dienstleistungslücken' zu instumentalisieren, kann deren Förderung und Unterstützung sinnvoll und hilfreich sein. (...) Dies macht allerdings weder den quantitativen

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Ausbau und die qualitative Reform öffentlicher sozialer Dienste noch die Suche nach zusätzlichen und innovativen Arrangements des Bedarfs-ausgleichs überflüssig" (Olk 1990: 262).

Angesichts der gewählten Thematisierung der Dienstleistungsfunktion darf nicht aus dem Blick geraten, was bei dem zentralen Kriterium der Qualitätsverbesserung angedeutet wurde. In vielen Bedarfskonstellatio-nen und Hilfesettings scheint die Verfügbarkeit arbeitsteilig erbrachter zusätzlicher oder auch besserer Dienstleistungsressourcen dringend notwendig zu sein, sie kann aber ein grundsätzliches Problem der deut-schen Hilfelandschaft - gerade im Kontext ambulanter Hilfen in der Häuslichkeit - nicht lösen: die fehlende, auf den individuellen Fall zuge-schnittene umsichtige Koordination der Hilfen, die letztlich über die Ge-samtqualität des Hilfeprozesses entscheidet.

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3 Rekrutierungsfunktion

Konnte man vor einem Jahrzehnt noch feststellen: "Older persons have traditionally been thought of as recipients of social services instead of volunteers or providers of services" (Perry 1983: 108), so gilt dies heute sicher nicht mehr. Für die bundesrepublikanische Diskussion wurde mit dem Großtrend einer "Politik des informellen Sektors" und unter dem - altersbezogenen - Verweis auf die "Produktivität des Alters" bereits auf entsprechende Neuorientierungen hingewiesen. Wiewohl die entspre-chenden Projekte und Initiativen zu einem Teil jedenfalls ihren Zielbe-stimmungen nach hauptsächlich darauf gerichtet sein mögen, "die Älte-ren aus dem gesellschaftlichen Abseits zu holen und ihnen Möglichkei-ten für sinnvolle Selbstverwirklichung zu schaffen" (Kohli u.a. 1993: 22), bedeuten sie zugleich eine normativ aufgeladene Verhaltenserwartung.

Sie werden vor dem Hintergrund der Ausformung neuer wohlfahrtsplura-listischer Ordnungskonzepte zunehmend eingefügt in ernst gefärbte Zeitdiagnostik, Konrad Hummel spricht bereits vom "Sozialstaatsmythos vom 'gesicherten' Alter, wo doch jede Statistik zeigt, daß der Staats-apparat alleine die helfenden Hände nicht mehr zusammenbringen wird"

(Hummel 1993: 221).

Angesichts solcher Argumentation zeichnet sich hinter der un-schuldigen Verbindung des individuell Angenehmen mit dem gesell-schaftlich Nützlichen deutlich eine "Umkehrung der Diskursfronten ab:

Wer nicht aktivitätswillig ist, verfehlt seine Aufgabe" (Kohli u.a. 1993: 22).

Im Kontext des "Alterslast"-Diskurses scheint dies ganz besonders für die Älteren zu gelten.

Welche zusätzlichen Funktionen im Rahmen einer breiten Wohlfahrts-staats-Thematisierung all diese Diskussionslinien noch haben mögen - ein vorrangiges Ziel ist gewiß die Schaffung eines geistig-moralischen Klimas für Bürgerengagement und Freiwilligenarbeit. Dies ist die eine Seite der hier entwickelten doppelten Argumentation. Darüberhinaus wird in dieser Arbeit davon ausgegangen, daß die Reichweite reiner ap-pellativer und persuasiver Programme und normativen Drucks oder die

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Propagierung "neuer" Solidarität - wie sie auch das Seniorengenossen-schaftsprogramm auszeichnet - allein nicht ausreichend ist, dauerhaftes und irgendwann im Sinne von Dienstleistungen "nützliches" Engagement abzurufen bzw. zu erzeugen. Dies gilt für jüngere und ältere Menschen gleichermaßen.

Entsprechende Zweifel werden auch mit Blick auf die baden-württem-bergischen Modelle geäußert: "Die Seniorengenossenschaften (...) und die vom Seniorenministerium geplanten Seniorenbüros müssen erst noch den Nachweis erbringen, ob sie Solidarität mit den hilfebedürftigen Älteren mobilisieren können angesichts so vieler um Solidarität kon-kurrierender Anlässe und Zielgruppen. Motivation zum Handeln aus ei-ner Notlage zu begründen und damit Schlimmem zu entgehen, war schon immer der zweitbeste Weg" (Trilling 1992: 202). Allerdings bedeu-tet ja das diskursive Anknüpfen an Solidarität keineswegs, daß nur dies-bezügliche Motivationen in der Tätigkeit aktualisiert werden können. Au-ßerdem operiert das Programm selbst auch mit multiplen An-knüpfungspunkten. Und noch ein Einwand ist vorzubringen, insofern auch viele gutgemeinte Angebote, die auf den Solidaritätsappell verzich-ten, nicht recht ankommen. Ob dies eher mit stigmatisierender Fürsorge oder segregierender Altersmonokultur oder beidem zu tun hat, wird noch zu diskutieren sein.

Solange eine umfassendere Theorie des Sich-freiwillig-Engagierens noch nicht vorhanden ist, können hier nur Bausteine in Anwendung auf unser spezielleres Problem geliefert werden. Drei Aspekte sollen erörtert werden: zunächst der allgemeinere Diskurs über Motivationslagen bei Freiwilligen, dann die Incentivedebatte, schließlich die Zeitgutschrift un-ter Mobilisierungs- und Rekrutierungsgesichtspunkten. Auf den noch davor liegenden Bereich, der institutionell z.B. durch Vermittlungsstellen (Volunteer Bureaux nach US-amerikanischem oder englischem Vorbild), bezüglich seiner Funktionen mit Information, Werbung oder Allokati-on/Matching gekennzeichnet werden kann, wird nur am Rande einge-gangen, auf seine Bedeutung aber hiermit explizit verwiesen. Gleiches gilt für die Konstrukte des Altruismus, der Wohltätigkeitsnorm, der

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tion, des Zwangs/der Verpflichtung und der Reziprozität, die hier jeden-falls nicht systematisch verhandelt werden.151