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B. Der allgemeine Gleichheitssatz in den Rechtsordnungen ausgewählter

V. Der allgemeine Gleichheitssatz in Großbritannien

9. Zusammenfassung

Bedingt durch den Umstand, dass im englischen Recht ein kodifizierter, dem konti-nentaleuropäischen Recht vergleichbarer Grundrechtskanon bislang nicht bestand, haben auch gleichheitsrechtliche Gewährleistungen - wenn man von der Einfügung des allgemeinen, wenn auch akzessorischen Diskriminierungsverbotes des Art. 14 EMRK durch den Human Rights Act 1998 in jüngerer Zeit einmal absieht - ihre

570 EuGH, Urteil vom 11. März 1981, Rs. 69/80 /Worringham und Humphreys./.Lloyds Bank), Slg.

1981, 767 (790) Rdnr .17.

571 EuGH, Urteil vom 31. März 1981, Rs. 96/80 (Jenkins./.Kingsgate), Slg. 1981, 911ff.

572 EuGH, Urteil vom 15. Mai 1986, Rs. 222/84 (Johnston./.Chief Constable of the Royal Ulster Con-stabulary), Slg. 1986, 1651 (1663ff.).

573 EuGH, Urteil vom 26. Februar 1986, Rs. 152/84 (Marshall./. Southampton and South-West Hamp-shire Area Health Authority), Slg. 1986, 723 (737ff.).

574 EuGH, Urteil vom 17. Mai 1990, Rs. C-262/88 (Barber), Slg. 1990, I-1944ff.

575 EuGH, Urteil vom 14. Juli 1994, Rs. C-32/93 (Webb), Slg. 1994, I-3567 (I-3578ff.).

prägung im wesentlichen in der Form spezialgesetzlicher Diskriminierungsverbote gefunden. Auf Seiten des Verfassungsrechts bietet die britische Rechtsordnung den Grundrechten, und damit auch dem allgemeinen Gleichheitssatz, keinerlei Schutz.576 Grund hierfür ist, dass das englische Recht keine Normen mit Verfassungsrang kennt, welche keiner oder nur stark eingeschränkter Abänderbarkeit durch das Par-lament unterlägen. Entsprechend hat sich auch bis heute keine einheitliche, verall-gemeinerungsfähige inhaltliche Definition des allgemeinen Gleichheitssatzes in der englischen Rechtsprechung herausgebildet. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass das englische Recht nicht auf der Ebene des einfachen Gesetzesrechtes zahlreiche spe-zielle Grundrechtsverbürgungen seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts ein-geführt hat. Dabei war das englische Parlament sogar häufig aktiver als in anderen Ländern, welche in politisch heiklen Grundrechtsfragen die Entscheidung eher den angerufenen Verfassungsgerichten überließen.577

Es lassen sich dennoch einige Grundlinien in der juristischen Handhabung des Gleichheitsprinzips erkennen.

Zunächst wird im englischen Recht auch die Frage aufgeworfen, ob überhaupt eine gegebenenfalls zu sanktionierende Ungleichbehandlung vorliegt. Wesentlich für die Entscheidung dieser Frage ist, inwieweit es sich bei den für die Gleichheitsprüfung in Beziehung zu setzenden Situationen um im Wesentlichen vergleichbare Sachverhal-te handelt.

Sofern diese Frage zu bejahen ist, stellt auch das englische Recht die Frage nach einer objektiven Rechtfertigung der Ungleichbehandlung. Die Anforderungen an die-se objektive Rechtfertigung sind gleichsam nicht einheitlich definiert. Es lässt sich jedoch feststellen, dass dem englischen Recht eine Art Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht fremd ist, wenn ein objektives Gleichgewicht zwischen den Wirkungen einer diskriminierenden Behandlung und den in der spezifischen Situation der jeweiligen Person liegenden Gründen für die festgestellte Ungleichbehandlung gefordert wird.

576 Koch, Zur Einführung eines Grundrechtskataloges im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland, S. 31.

577 So Lord Hoffmann, MLR 1999, 159 (160f.) mit einzelnen Beispielen aus den USA, so etwa der Rassendiskriminierung in den USA oder der Stärkung der Grundrechte gegenüber polizeilicher Maß-nahmen und Deutschland, wo außenpolitisch relevante Fragen wie der Maastricht-Vertrag oder der Militäreinsatz im ehemaligen Jugoslawien Gegenstand verfassungsgerichtlicher Entscheidung waren.

Weiter wird es als erforderlich angesehen, dass eine gesetzliche Regelung, die eine Ungleichbehandlung statuiert, hierfür vernünftige Gründe angeben kann, die ihre Grundlage in vorgefundenen, tatsächlichen und relevanten Unterschieden zwischen den Vergleichsgruppen haben und die Ungleichbehandlung zudem zur Erreichung des mit dem jeweiligen Gesetz verfolgten Zweckes wesentlich sein muss. Dies wie-derum schließt eine gesetzliche vorgenommene Differenzierung, die sich gerade nicht auf vernünftige Erwägungen zurückführen lässt, mithin also willkürlich wäre, aus.

Sind Entscheidungen der Verwaltung „unreasonable“, d.h. sind sie inhaltlich so ab-wegig, dass sie eine „vernünftige“ Verwaltung nicht treffen würde (wobei sich hinter dieser Formulierung, wie dargestellt, eher Grundgedanken der Fairness verbergen), können nach englischem Recht die Gerichte auch unter Bezug auf diesen Prüfungs-maßstab der „Unreasonableness“ Verstöße gegen Grundrechte und insbesondere den allgemeinen Gleichheitssatz sanktionieren.

Eine besondere Rolle für die Grundrechtsentwicklung kommt dabei in jüngerer Zeit dem Human Rights Act 1998 zu. Wie bereits dargestellt, inkorporiert dieses Gesetz erstmalig einen tatsächlichen Grundrechtskatalog in Form der in der EMRK verbürg-ten Grundrechte in das englische Recht und sorgt damit für eine justiziable gesetzli-che Normierung der Grundrechte, welgesetzli-che seit dem Inkrafttreten im Jahr 2000 nun-mehr auch direkt vor englischen Gerichten geltend gemacht werden können. Dabei gibt der Human Rights Act 1998 den Gerichten einen weiten Spielraum zur eigen-ständigen Entwicklung grundrechtlicher Dogmatik, indem er keine strenge Bindung an die Rechtsprechung des EGMR vorsieht. Zugleich aber legt das Gesetz fest, dass die Gerichte die Leitlinien des EGMR bei ihren Entscheidungen berücksichtigen sol-len. Es ist daher zu erwarten, dass die englischen Gerichte zum einen die bislang auf Grundlage der bisherigen spezialgesetzlichen Gleichheitsnormierungen und dem, dem gemeinen Recht entlehnten, allgemeinen Verbot unzulässiger Diskriminierungen entwickelten Rechtsprechungslinien zu dem allgemeinen Gleichheitssatz weiterfüh-ren und fortentwickeln werden; zugleich aber bleibt abzuwarten, inwieweit die engli-sche Rechtsprechung die durch den EGMR zu den einzelnen Konventionsrechten und insbesondere zu dem Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK entwickelten Rechtsprechungsgrundsätze aufgreifen und integrieren wird, also z. B. die

durch-gängige Überprüfung von Ungleichbehandlungen anhand des Verhältnismäßigkeits-grundsatzes. In jedem Fall kann der Human Rights Act 1998 als Stärkung des Grundrechtsschutzes in Großbritannien begriffen werden, deren Wirkung in Zukunft allerdings wesentlich von dem Umgang der Gerichte mit dem Gesetz und dem Gebrauch der neuen rechtlichen Möglichkeiten, welche es vorsieht, durch Justiz und Rechtsanwaltschaft abhängt.578

In diesem Zusammenhang wird es insbesondere auch Aufgabe der englischen Ge-richte sein, eine einheitliche Dogmatik der Prüfung des allgemeinen Gleichheitssat-zes zu entwickeln, vielleicht in Anlehnung an die im Anschluss dargestellten Recht-sprechungsgrundsätze des EGMR hinsichtlich des akzessorischen Diskriminierungs-verbotes des Art. 14 EMRK.

578 „Nonetheless, it may certainly be argued that the tone of the Act signifies a new legitimisation of the common law as regards pro-active judicial law-making in the human rights field. This attribution of power on a politically socially important issue is likely to put the judiciary itself under greater scrutiny as to its impartiality, a process which has already begun in consequence of the failure on the part of Lord Hofmann to disclose his links with Amnesty International in the Pinochet appeal, which resulted in the setting aside of the House of Lords judgment last year. Such observations have, however, a theo-retical basis implicit in the Act itself and it will not be for many years after the Act cones into force that the practical results will be known. The development of human rights law in Britain will depend upon the use the judiciary make of the Act, which in turn will depend upon lawyers´ ingenuity for use of the Convention rights in, or for commencing, proceedings, and in part, public awareness as to their Con-vention rights in the first place.”, Fenton, Jura 2000, 330 (333).

VI. Gleichheitsgewährleistungen und Diskriminierungsverbote in den